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Informationen zum Dokument  BGE 91 IV 74  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. ..... ...
2. Dem Beschwerdeführer wird nur vorgeworfen, er habe wegen  ...
3. Nach Art. 32 Abs. 1 SVG ist die Geschwindigkeit stets den Umst ...
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23. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. Juni 1965 i.S. Rominger gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden.
 
 
Regeste
 
1. Verhältnis von Art. 31 Abs. 1 SVG zu Art. 32 Abs. 1 SVG. Die allgemeine Bestimmung des Art. 31 Abs. 1 ist neben Art. 32 Abs. 1 nicht anzuwenden, wenn die Nichtbeherrschung des Fahrzeuges einzig auf übersetzte Geschwindigkeit zurückzuführen ist (Erw. 2).  
 
Sachverhalt
 
BGE 91 IV, 74 (75)A.- Rominger kreuzte am Vormittag des 21. September 1963 in einer Linkskurve zwischen Fideris-Station und Küblis mit seinem Mercedes-Lastwagen einen 2,5 m breiten Sattelschlepper. Die Asphaltstrasse ist in der Kurve 6 m breit und war vom Regen nass. Der Führer des Sattelschleppers, Bacchetta, der sich auf der Bergseite befand, fuhr stark links in die Kurve, so dass für den Verkehr aus der Gegenrichtung nur noch ein Fahrbahnstreifen von 1,5 m Breite übrig blieb. Infolge der Unübersichtlichkeit der Kurve sah sich Rominger, der korrekt rechts fuhr, plötzlich auf ca. 20 m dem in der Mitte der Strasse daherkommenden Sattelschlepper gegenüber. Er bremste, kam dabei ins Schleudern und fuhr, während Bacchetta den Schlepper inzwischen wieder nach rechts gesteuert hatte, gegen die linke Vorderseite des Sattelanhängers. Durch den Zusammenstoss entstand besonders am Mercedes-Lastwagen bedeutender Sachschaden; Rominger wurde verletzt.
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B.- Der Kreispräsident von Jenaz büsste Rominger durch Strafmandat vom 30. Dezember 1964 wegen Nichtbeherrschung des Fahrzeuges und übersetzter Geschwindigkeit mit Fr. 60.-.
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Der Kreisgerichtsausschuss Jenaz sprach Rominger am 3. April 1965 in Bestätigung des Strafmandates der Übertretung von Art. 31 Abs. 1 und Art. 32 Abs. 1 SVG schuldig, setzte dagegen die Busse auf Fr. 40.- herab.
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Bacchetta wurde durch Strafmandat des Kreispräsidenten wegen Widerhandlung gegen das Gebot des Rechtsfahrens (Art. 34 Abs. 1 SVG) mit Fr. 80.- gebüsst.
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C.- Rominger führt gegen das Urteil des Kreisgerichtsausschusses Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Freisprechung.
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BGE 91 IV, 74 (76)Der Kassationshof zieht in Erwägung:
 
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a) Mit der Vorschrift, dass der Fahrzeugführer nicht schneller fahren darf, als dass er innerhalb der überblickbaren Strecke anhalten kann (Art. 4 Abs. 1 VRV), will verhindert werden, dass er am Ende der Sichtweite, z.B. in einer unübersichtlichen Biegung oder nach einer Kuppe, auf Hindernisse stosse, die in seiner Fahrbahn stille stehen oder sich in der gleichen Richtung bewegen. Mit Hindernissen dieser Art muss auf Strassen mit beschränkter Sicht allgemein gerechnet werden, weshalb sich der Führer nicht auf die Unvorhersehbarkeit solcher Gefahren berufen kann (BGE 89 IV 25). Dagegen muss er darauf, dass am Ende der Sichtstrecke auf seiner Fahrbahn ein aus der Gegenrichtung kommendes Fahrzeug auftauchen könnte, das BGE 91 IV, 74 (77)seinen Anhalteweg verkürzt, nicht zum vorneherein gefasst sein, ansonst die Vorschrift, er müsse auf Sichtweite anhalten können, keinen Sinn hätte. Ebenso hat schon die frühere Rechtsprechung entschieden mit der Begründung, dass andernfalls unübersichtliche Kurven nur noch im Schrittempo befahren werden könnten (BGE 84 IV 106 /7).
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Das Gegenteil wurde weder in BGE 89 IV 23 ff. noch in BGE 90 IV 32 ff. gesagt, wie die Vorinstanz anzunehmen scheint. Die vorliegende Frage ist in diesen Entscheidungen nicht behandelt worden. Hingegen wurde dort darauf hingewiesen, dass der Führer bei der Bemessung der Geschwindigkeit allenfalls auch mit Hindernissen zu rechnen habe, die sich noch nicht auf der Fahrbahn befinden, aber innerhalb der Sichtweite plötzlich auf ihr erscheinen können, wie z.B. neben der Strasse spielende Kinder (Art. 4 Abs. 3 VRV; BGE 89 IV 25). Die Regel des Art. 4 Abs. 1 VRV gilt jedoch nur im Hinblick auf Hindernisse, die am Ende der Sichtstrecke auftreten können; sie setzt also voraus, dass die überblickbare Strecke frei ist, d.h. dass mit dem Auftauchen von Gefahren innerhalb der Sichtweite nicht gerechnet werden muss.
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b) Nach der Feststellung der Vorinstanz sah sich der Beschwerdeführer auf ca. 20 m dem in der Kurve auftauchenden Sattelschlepper gegenüber. Die Sichtweite betrug demnach rund 20 m. Dafür, dass der Beschwerdeführer mit plötzlich auftretenden Hindernissen innerhalb dieser Strecke hätte rechnen müssen, liegt nichts vor. Er brauchte sich auf der 6 m breiten Strasse auch nicht darauf einzustellen, dass das Kreuzen mit andern Fahrzeugen im Sinne des Art. 4 Abs. 1 VRV schwierig sei. Das ist es selbst mit einem 2,5 m breiten Fahrzeug nicht, sofern jedes der kreuzenden Fahrzeuge sich gemäss Art. 34 Abs. 1 SVG möglichst an den rechten Strassenrand hält. Es ist Sache der Führer derart breiter Fahrzeuge, in Biegungen entsprechend langsam zu fahren, damit sie cinerseits auf ihrer Strassenhälfte bleiben und anderseits den Strassenrand und die ihn allfällig begrenzenden Mauern, Häge u. dgl. nicht berühren. Sind sie aber infolge der Enge der Biegung gezwungen, nahe an der Strassenmitte zu fahren oder sie sogar zu überschreiten, so haben sie nach Art. 40 SVG die übrigen Strassenbenützer zu warnen, was hier nicht geschehen ist. Der Beschwerdeführer musste unter diesen Umständen nicht erwarten, dass ihm in seiner Fahrbahn ein Motorwagen entgegenkomme.
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BGE 91 IV, 74 (78)Er fuhr daher mit angemessener Geschwindigkeit, wenn sie ihm erlaubte, auf die Sichtweite von 20 m sicher anzuhalten.
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Nach den von der Vorinstanz nicht widerlegten Angaben des Beschwerdeführers ist davon auszugehen, dass er sich mit einer Geschwindigkeit von 40 km/Std der Kurve näherte. Nach der Paravit-Tabelle, die beim Fahren auf nasser Strasse mit einer Bremsverzögerung von 3,0 m/sec2 rechnet, beträgt die Anhaltestrecke bei guten Bremsen und guten Reifen sowie einer Sekunde Reaktionszeit 31,6 m. Auch wenn eine Bremsverzögerung von 4 oder 4,5 m/sec2 zugrunde gelegt wird, wie sie nach BRÜDERLIN (Die Mechanik des Verkehrsunfalles, Tabelle II, S. 114) auf nasser, aber nicht schlüpfriger Strasse erreicht werden kann, hätte der Beschwerdeführer immer noch 26,5 oder 24,8 m zum Anhalten benötigt. Die Geschwindigkeit von 40 km/Std war somit auf jeden Fall zu gross, um auf der Sichtstrecke von 20 m halten zu können.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
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