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Informationen zum Dokument  BGE 101 IV 414  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Die Vorinstanz vertritt den Standpunkt, es handle sich beim B& ...
2. Der Bäumbergweg steht, was weder die Vorinstanz noch der  ...
3. Nach dem Gesagten war deshalb X. vortrittsberechtigt, was zur  ...
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95. Urteil des Kassationshofes vom 2. Dezember 1975 i.S. X. gegen Generalprokurator des Kantons Bern.
 
 
Regeste
 
Art. 15 Abs. 3 VRV.  
 
Sachverhalt
 
BGE 101 IV, 414 (414)A.- Am 7. Juni 1974, um 18.20 Uhr, ereignete sich auf der Bäumbergstrasse in Heimberg ein Verkehrsunfall zwischen dem Motorradfahrer M. und dem Automobilisten X. Die Bäumbergstrasse ist eine 5,4 m breite Quartierstrasse, die in Richtung Thungschneit in einer Rechtsbiegung stark ansteigt. In die Rechtsbiegung mündet von rechts der ungefähr 5 m breite und asphaltierte Bäumbergweg ein, welcher vier Wohnhäusern als Zufahrt dient. X., der die Absicht hatte, mit seinem BGE 101 IV, 414 (415)Wagen aus dem Bäumbergweg nach links in die Bäumbergstrasse einzufahren, schaltete in der Einmündung einen Sicherheitshalt ein. Als er von keiner Seite ein Fahrzeug kommen sah, fuhr er rasch in die genannte Strasse ein. In diesem Augenblick kam von links auf der Bäumbergstrasse der Motorradfahrer M. und stiess mit dem Auto des X. zusammen. Die Sicht nach links war für X. wegen einer Stützmauer auf 36,6 m beschränkt.
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B.- Am 4. März 1975 sprach der Gerichtspräsident II von Thun X. von der Anschuldigung der Verletzung von Verkehrsregeln durch Missachtung des Vortrittsrechtes frei.
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Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte X. am 11. September 1975 wegen Missachtung des Vortrittsrechtes zu Fr. 100.-- Busse.
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C.- X. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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D.- Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
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Der Beschwerdeführer rügt diese Betrachtungsweise als gesetzwidrig. Er anerkennt zwar, dass die Qualifikation der Bäumbergstrasse als einer blossen Quartierstrasse das Richtige trifft, stellt sich jedoch auf den Standpunkt, der nur um 40 cm weniger breite Bäumbergweg sei seinerseits eine dem öffentlichen Verkehr uneingeschränkt geöffnete Strasse, auch wenn an ihm nur vier Häuser stünden und er deshalb gegenüber der Bäumbergstrasse einen zahlenmässig geringeren Verkehr aufweise.
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BGE 101 IV, 414 (416)M. habe mit der Einmündung rechnen müssen, zumal er ortskundiger Bewohner des Quartiers sei. Es sei deshalb dem Beschwerdeführer der Vortritt zugestanden, woran die durchgehende Gestaltung des Trottoirs nichts geändert habe.
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Die erste Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Zu prüfen bleibt deshalb die Anwendung der letztgenannten Bestimmung auf den vorliegenden Fall.
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a) Nach Art. 15 Abs. 3 VRV ist, wer aus Fabrik-, Hof- oder Garageausfahrten, aus Feldwegen, Parkplätzen oder Tankstellen und dergleichen auf eine Haupt- oder Nebenstrasse fährt, zur Gewährung des Vortritts verpflichtet. Der Bäumbergweg stellt weder eine Fabrik- noch eine Hof- oder Garageausfahrt dar, noch ist er ein Feldweg oder eine Ausfahrt aus einem Parkplatz oder einer Tankstelle. Dass es sich um eine Sackgasse handelt, ist unerheblich; eine Sackgasse ist nicht stets ein Feldweg oder eine Ausfahrt (BGE 96 IV 37 unten; SCHULTZ, Die strafrechtliche Rechtsprechung zum neuen Strassenverkehrsrecht 1968-1972, S. 127 unten). Es kann sich deshalb aufgrund des Wortlauts der genannten Bestimmung ("und dergleichen") nur fragen, ob der genannte Weg aus andern Gründen so beschaffen ist, dass er den im Gesetz aufgeführten Beispielen gleichgestellt werden muss.
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b) Die Rechtsprechung hat schon unter der Herrschaft des MFG entschieden, dass Seitensträsschen und Gassen beim Zusammentreffen mit Durchgangsstrassen keine Verzweigung bilden, wenn sie nach Anlage und Grössenordnung offensichtlich nicht für den durchgehenden Verkehr bestimmt und im Verhältnis zur Durchgangsstrasse praktisch ohne Verkehrsbedeutung sind (BGE 84 IV 35, BGE 86 IV 188 Erw. 1). Diese Praxis wurde seit dem Inkrafttreten des SVG weitergeführt (BGE 92 IV 27, BGE 96 IV 37, BGE 99 IV 223). Der Akzent wurde dabei einerseits BGE 101 IV, 414 (417)auf die Bedeutung der einen Verkehrsader als einer Durchgangsstrasse mit erheblichem Verkehr gelegt (s. insbesondere BGE 96 IV 37 Erw. 2: "Or seules ces dernières (routes de grand transit) donnent la priorité à l'égard des rues et chemins latéraux manifestement dépourvus d'intérêt pratique pour la circulation"; s. auch BUSSY/RUSCONI, N. 3.5 c, S. 150, zu Art. 36) und anderseits auf die praktische Bedeutungslosigkeit des in sie einmündenden Verkehrswegs. Damit wurde das grosse Verkehrsgefälle zum Kriterium dafür erhoben, ob eine Verzweigung im Rechtssinne gegeben sei oder nicht. Die Frage, ob eine solche Verzweigung vorliegt, beurteilt sich demnach in concreto nicht einzig danach, ob der eine Verkehrsweg erkennbar eine geringe Verkehrsbedeutung hat, sondern ebenso sehr danach, ob die Strasse, in die er einmündet, dem Durchgangsverkehr dient und deshalb eine erheblich grössere Verkehrsfrequenz aufweist.
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c) Für den vorliegenden Fall stellt die Vorinstanz fest, dass die Bäumbergstrasse nur eine Quartierstrasse ist. Sie dient somit nicht dem Durchgangsverkehr und weist demnach auch erkennbar nicht ein entsprechend grosses Verkehrsvolumen auf. Anderseits ist freilich der Bäumbergweg nur eine etwas mehr als 60 m lange Sackgasse, an welcher vier Wohnhäuser liegen; sie wird deshalb vorwiegend bloss von den Anwohnern benutzt und dient überdies dem Zubringerdienst. Ihre Verkehrsbedeutung ist für sich allein betrachtet unzweifelhaft klein. Indessen ist das Verkehrsgefälle zwischen den beiden Verkehrswegen keineswegs so erheblich, wie es nach der bisherigen Praxis gegeben sein müsste, um eine Verzweigung zu verneinen und von der elementaren Regel des Rechtsvortritts abzuweichen. Dazu kommt, dass die beiden Strassen beinahe gleich breit und beide asphaltiert sind, so dass sie sich auch nach Anlage und Grösse nicht offenkundig unterscheiden (s. BGE 96 IV 37 Erw. 1). Dass der Bäumbergweg in der Einmündungszone über ein mit der Strasse niveaugleiches Trottoir führt, könnte höchstens zusammen mit andern äusserlich in Erscheinung tretenden Unterscheidungsfaktoren als Indiz für einen gegenüber der Strasse völlig unbedeutenden Verkehrsweg wirken. Für sich allein aber vermag dieser Umstand die Vortrittsordnung nicht zu beeinflussen (BGE 81 IV 294). Schliesslich verhält es sich hier auch nicht wie in dem in BGE 84 IV 35 beurteilten Falle, wo die Einmündung in einem blossen BGE 101 IV, 414 (418)Mauerdurchbruch bestand, der sie höchstens als Garage- oder Hauseinfahrt erscheinen liess. Sodann ist der Bäumbergweg auch nicht vergleichbar mit einem 3,5 m breiten, durch einen Baumgarten führenden Weg mit Naturbelag, wie er in dem in SJZ 1970 S. 108 veröffentlichten kantonalen Entscheid eine Rolle spielte. Dass die Sicht des auf der Bäumbergstrasse in Richtung Thungschneit fahrenden Strassenbenützers wegen der Strassenbiegung eine beschränkte ist, ändert am Gesagten nichts. Auf nicht als vortrittsberechtigt signalisierten Strassen muss der Führer damit rechnen, dass in dem seiner Sicht entzogenen Raum von rechts eine andere Strasse einmünden könnte. Er darf daher nicht ohne Rücksicht darauf zufahren.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.
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