VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGE 114 IV 41  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
2. Nach Art. 312 StGB machen sich Mitglieder einer Behörde o ...
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
14. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. Februar 1988 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen gegen M. (Nichtigkeitsbeschwerde)
 
 
Regeste
 
Art. 312 StGB, Amtsmissbrauch.  
 
Sachverhalt
 
BGE 114 IV, 41 (41)M. versah seit Herbst 1967 die nebenamtliche Funktion eines Zentralverwalters der Gemeinde X. und war damit für das gesamte Rechnungswesen der Gemeinde zuständig. Ab Anfang 1969 begann er, sich aus der ihm anvertrauten Gemeindekasse Geld anzueignen, indem er Besoldungen und Entschädigungen nach vorjährigen, nicht mehr gültigen Ansätzen auszahlte und die Differenz zu den neuen, höheren Ansätzen für sich behielt, wobei er den Umstand ausnützte, dass den Geldempfängern die gültigen Ansätze nicht bekannt waren.
1
Das Kantonsgericht Schaffhausen verurteilte M. am 29. April 1987 wegen fortgesetzter qualifizierter Veruntreuung, fortgesetzter Urkundenfälschung im Amt und fortgesetzter Unterdrückung von Urkunden zu 18 Monaten Gefängnis und 5 Jahren Amtsunfähigkeit, beides mit bedingtem Strafvollzug. Es bejahte überdies die Voraussetzungen eines Amtsmissbrauches gemäss Art. 312 StGB, BGE 114 IV, 41 (42)nahm jedoch an, dieser Tatbestand trete wegen unechter Gesetzeskonkurrenz hinter Art. 140 Ziff. 2 sowie Art. 317 StGB zurück.
2
Das Obergericht des Kantons Schaffhausen hat auf Berufung der Staatsanwaltschaft dieses Urteil am 2. Oktober 1987 bestätigt. Es nahm an, dass bereits die objektiven Voraussetzungen eines Amtsmissbrauches nach Art. 312 StGB nicht gegeben seien, und hat deshalb die Konkurrenzfrage offengelassen.
3
Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde eingereicht mit dem Antrag, das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als es M. vom Vorwurf des fortgesetzten Amtsmissbrauchs freispricht, und die Sache zu seiner Verurteilung auch wegen dieses Delikts an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Kassationshof weist die Beschwerde ab.
4
 
Aus den Erwägungen:
 
2. Nach Art. 312 StGB machen sich Mitglieder einer Behörde oder Beamte strafbar, die ihre Amtsgewalt missbrauchen, um sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen oder einem andern einen Nachteil zuzufügen. Nach der Rechtsprechung ist der hinsichtlich der Tathandlung sehr allgemein umschriebene Straftatbestand einschränkend dahin auszulegen, dass nur derjenige die Amtsgewalt missbraucht, welcher die Machtbefugnisse, die ihm sein Amt verleiht, unrechtmässig anwendet, d.h. kraft seines Amtes verfügt oder Zwang ausübt, wo es nicht geschehen dürfte (BGE 113 IV 30 E. 1; BGE 108 IV 49 E. 1 mit Hinweisen). Art. 312 StGB umfasst demnach nicht sämtliche pflichtwidrigen Handlungen, die ein mit Zwangsgewalt ausgestatteter Beamter bei Gelegenheit der Erfüllung seiner Pflichten ausführt; jenem sind vielmehr nur solche unzulässigen Verfügungen und Massnahmen unterstellt, die er kraft seines Amtes, in Ausübung seiner hoheitlichen Gewalt trifft.
5
Der Beschwerdegegner war, wie die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich feststellt, als Zentralverwalter lediglich ausführendes Organ, das nur die Beschlüsse des Gemeinderates zu vollziehen hatte und dem keine im vorliegenden Zusammenhang relevanten Entscheidungsbefugnisse zustanden. Insbesondere fehlte ihm die Kompetenz, die Höhe von Besoldungen, Entschädigungen oder Beiträgen festzusetzen, und es waren ihm insoweit die Hände BGE 114 IV, 41 (43)durch Besoldungsreglemente und Gemeinderatsbeschlüsse gebunden.
6
Wie das Bundesgericht bereits im unveröffentlichten Entscheid vom 18. Dezember 1984 i.S. U. W. festgestellt hat, genügt eine Kompetenzüberschreitung für die Bejahung der Voraussetzungen von Art. 312 StGB nicht. In BGE 101 IV 410 wurde entschieden, dass der Zuschlag einer öffentlichen Arbeit an einen privaten Unternehmer aufgrund vorangegangener Ausschreibung und die Verweigerung dieses Zuschlags an einen anderen Bewerber keine Äusserung staatlicher Befehlsgewalt darstelle, weshalb nicht Art. 312 StGB, sondern gegebenenfalls Art. 314 Anwendung finden könne; Art. 312 erfasse nicht jede Amtspflichtverletzung; er setze vielmehr voraus, dass der Täter seine Amtsgewalt in der gesetzlich genannten Absicht missbrauche, d.h. dass er von der ihm von Amtes wegen zustehenden hoheitlichen Gewalt Gebrauch mache, dass er kraft hoheitlicher Gewalt verfüge oder zwinge, wo es nicht geschehen dürfe. Dieser Fall ist mit dem vorliegenden insofern vergleichbar, als der Nichtberücksichtigte aufgrund der faktischen Machtposition des Stadtrates "gezwungen wird", auf den erhofften Zuschlag einer öffentlichen Arbeit zu verzichten.
7
Im Lichte dieser Rechtsprechung ist nicht ersichtlich, wie vorliegendenfalls die objektiven Voraussetzungen eines Amtsmissbrauches bejaht werden könnten. Ein Gemeindekassier hat Löhne auszuzahlen aufgrund von Ansätzen, die nicht von ihm festgelegt werden. Hält er sich nicht an diese Ansätze, so verletzt er zwar seine Pflichten. Er missbraucht seine Zuständigkeit für die Vornahme der konkreten Auszahlungen, nicht aber staatlich verliehene Machtbefugnisse im Sinne von Art. 312 StGB. Die tatsächliche Zugriffsmöglichkeit auf die Gemeindekasse vermag daran nichts zu ändern. Jeder Beamte verfügt in seinem Tätigkeitsbereich über tatsächliche Macht im Sinne einer faktischen Zugriffsmöglichkeit. Wollte man jeden Missbrauch dieser Stellung als Amtsmissbrauch bestrafen, bestünde die Gefahr, dass im Ergebnis entgegen der Absicht des Gesetzgebers jede Amtspflichtverletzung strafrechtlich verfolgt würde.
8
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).