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Informationen zum Dokument  BGE 121 IV 261  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. a) Der Strafgerichtspräsident führte aus, der Diebst ...
2. Richtet sich die Tat nur auf einen geringen Vermögenswert ...
3. Eine unrechtmässige Aneignung einer Lederjacke im Marktwe ...
4. (Kostenfolgen). ...
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42. Urteil des Kassationshofes vom 6. November 1995 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt gegen R. (Nichtigkeitsbeschwerde)
 
 
Regeste
 
Art. 172ter Abs. 1 StGB; geringfügige Vermögensdelikte, geringer Vermögenswert.  
Die Grenze für den geringen Vermögenswert im Sinne von Art. 172ter Abs. 1 StGB beträgt Fr. 300.-- (E. 2d).  
 
Sachverhalt
 
BGE 121 IV, 261 (262)A.- R. zog am 28. September 1994 in einer Umkleidekabine eines Kleidergeschäfts in Basel eine Lederjacke im Wert von Fr. 398.-- an, ging zum Geschäftsausgang, ohne die Jacke, deren Preis er kannte, zahlen zu wollen, löste beim Verlassen des Geschäfts den Alarm aus, wurde von der Geschäftsaufsicht zurückgehalten und in der Folge der Polizei übergeben.
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B.- Der Strafgerichtspräsident von Basel-Stadt verurteilte am 13. Februar 1995 R. wegen geringfügigen Diebstahls (Art. 139 Ziff. 1 i.V.m. 172ter StGB) zu 8 Tagen Haft bedingt mit 1 Jahr Probezeit.
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Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt appellierte und beantragte, R. sei wegen Diebstahls (Art. 137 Ziff. 1 aStGB) zu 10 Tagen Gefängnis bedingt mit 2 Jahren Probezeit zu verurteilen.
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Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt (Ausschuss) bestätigte am 19. Mai 1995 das Urteil des Strafgerichtspräsidenten.
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C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Appellationsgerichts aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung (im Sinn von Art. 137 Ziff. 1 aStGB) an die kantonale Behörde zurückzuweisen.
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D.- Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt verzichtete auf Vernehmlassung und beantragt Abweisung.
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E.- R. beantragt Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1. a) Der Strafgerichtspräsident führte aus, der Diebstahltatbestand sei erfüllt, doch frage sich, ob die Tat als geringfügiges Vermögensdelikt nach dem milderen neuen Art. 172ter StGB zu qualifizieren sei. Diese Bestimmung sei an die Stelle früherer Spezialvorschriften getreten, schaffe eine klare und einheitliche Neuregelung im Bagatellbereich des Vermögensstrafrechts und ermögliche, massenhaft auftretende Bagatellfälle wie Ladendiebstähle in einem vereinfachten Verfahren als Übertretungen zu ahnden. Sie könne ihren Sinn und Zweck nur erfüllen, wenn tatsächlich ein Grossteil dieser Delikte BGE 121 IV, 261 (263)erfasst werde. Der Grenzwert sei entsprechend festzusetzen; dabei sei neben der Geldentwertung auch zu berücksichtigen, dass Ladendiebe hauptsächlich Kleider und Elektronik in den Preiskategorien von 200 bis 500 Franken stehlen. Die Basler Praxis habe den geringen Wert im Sinn von Art. 138 und 142 aStGB zuletzt auf Fr. 200.-- festgesetzt. Dieser Wert sei vor allem aufgrund der von acht Tagen auf drei Monate Haft erhöhten Strafdrohung des Art. 172ter StGB deutlich auf Fr. 500.-- heraufzusetzen. In einem Strafrahmen bis zu drei Monaten Haft liessen sich jegliche Delikte bis 500 Franken auch bei schwererem Verschulden abgelten. Der erhöhte Strafrahmen trage zugleich präventiven Gesichtspunkten Rechnung.
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b) Die Vorinstanz geht von der Rechtsprechung zur Entwendung (Art. 138 aStGB) sowie BGE 116 IV 190 aus. Die Basler Praxis habe sich stets am objektiven Wert orientiert und nicht auf die jeweiligen Umstände der Tat oder auf die subjektiven Wertvorstellungen des Täters abgestellt. Der Grenzwert sei im September 1982 von Fr. 50.-- auf Fr. 100.-- und im Januar 1993 auf Fr. 200.-- festgesetzt worden. Die Autoren SCHUBARTH und ALBRECHT hätten in ihrem Kommentar zum Strafrecht schon im Jahre 1990 einen Wert von 200 bis 300 Franken befürwortet. Den überzeugenden Ausführungen des Strafgerichtspräsidenten sei lediglich ergänzend beizufügen, dass Art. 172ter StGB nicht nur die geringfügigsten Bagatelldelikte erfasse, sondern im markant erweiterten Strafrahmen auch Straftaten Platz finden, die den bisherigen Anwendungsbereich von Art. 138 aStGB sprengen.
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c) Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Festsetzung des Grenzwerts auf Fr. 500.--. Art. 172ter StGB fasse die Privilegierungen des alten Rechts in einem Tatbestand zusammen und habe mit wenigen Ausnahmen für alle Tatbestände des Vermögensstrafrechts Gültigkeit. Von einer wertmässigen Ausdehnung sei dagegen weder in der Botschaft noch in der Literatur die Rede. Wie die meisten Übertretungstatbestände drohe die neue Bestimmung Haft oder Busse an; daraus sei nicht zu schliessen, der Gesetzgeber habe die bisherigen Richtwerte massiv erhöhen wollen. 400 oder 500 Franken seien nicht geringfügig, sondern bildeten für viele einen wesentlichen Teil des monatlichen Lebensunterhalts. Vermögensdelikte bis 500 Franken als geringfügig einzustufen, führe zu deren Bagatellisierung und zum Abbau des Unrechtbewusstseins. Die Anhebung des Grenzwerts auf zuletzt Fr. 200.-- in Basel habe die Teuerung mehr als aufgewogen und liege teils weit über der BGE 121 IV, 261 (264)Praxis anderer Kantone. Nach einer Umfrage befürworteten zwar die Kantone der Zentralschweiz und das Strafgericht Basel-Stadt eine Grenze von 500 Franken, die Mehrheit der Kantone aber 200 Franken, einzelne sogar noch weniger. Die Lehre befürworte einen Wert von 200 Franken. Soweit ersichtlich, habe auch das Bundesgericht keine Fälle beurteilt, in denen der Marktwert Fr. 100.-- entscheidend überstiegen habe. Ferner sei zu berücksichtigen, dass bei Übertretungen Versuch und Gehilfenschaft straflos blieben und infolge der kurzen Verjährungsfrist Delikte serienweise verjähren können. Art. 172ter StGB müsse auf wirkliche Bagatellfälle beschränkt bleiben, damit Quervergleiche auf andere Tatbestände nicht zu grotesken Ergebnissen führten. Schliesslich habe der Gesetzgeber nicht eine vereinfachte Behandlung "massenhaft" auftretender Bagatelldelikte bezweckt; weil jeder Kanton eine andere Strafprozessordnung kenne, hätten solche Überlegungen keine Rolle spielen können.
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Im vorliegenden Fall ist der Begriff des "geringen Vermögenswerts" auszulegen. Wie es sich mit dem "geringen Schaden" verhält, kann hier offenbleiben.
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a) Art. 172ter StGB wurde im Rahmen der Revision des Vermögensstrafrechts neu in das Gesetz aufgenommen und am 1. Januar 1995 in Kraft gesetzt. Die Bestimmung führt unter Vorbehalt von Abs. 2 zu einer Privilegierung der geringfügigen Vermögensdelikte des Zweiten Titels des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs (Strafbare Handlungen gegen das Vermögen). Damit werden Bagatellverstösse im gesamten Vermögensstrafrecht zu Übertretungen und nur noch auf Antrag verfolgt (vgl. Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes [strafbare Handlungen gegen das Vermögen und Urkundenfälschung] vom 24. April 1991, BBl 1991 II 969, 1076 f.).
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Die Expertenkommission befürchtete bei der Anwendung und einheitlichen Durchsetzung der neuen Bestimmung keine besondern Schwierigkeiten und verwies für die Auslegung des geringfügigen Vermögenswerts auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung. Der Polizei könne mit Kreisschreiben oder Instruktionskursen bekannt gegeben werden, welcher Wert noch als gering anzusehen sei (Bericht des EJPD zum Vorentwurf über die Änderung des BGE 121 IV, 261 (265)Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes betreffend die strafbaren Handlungen gegen das Vermögen und die Urkundenfälschung, Bern 1985, S. 61). Der Bundesrat hielt am Begriff des geringen Vermögenswerts fest, ohne ihn zu beziffern; der Begriff sei schon in den Art. 138 und 142 aStGB enthalten und habe in der Praxis nie zu grossen Problemen geführt (Botschaft, S. 1077). Auch die eidgenössischen Räte bezifferten den Grenzwert nicht (Amtl.Bull. 1993 N 923-933, 947-950, 1993 S 966).
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b) Unter der Herrschaft des alten Rechts (insbesondere Art. 138 und 142 aStGB) hatte das Bundesgericht keine Fälle präjudiziell zu entscheiden, in denen der Marktwert der Sache Fr. 100.-- erheblich überstieg; allerdings beurteilte sich der geringe Wert bis zur Änderung der Rechtsprechung (BGE 116 IV 190) nach den objektiven und subjektiven Umständen des Einzelfalls (so galten etwa 1949 nach BGE 75 IV 49 Fr. 26.90 als zwei Tagesverdienste von Arbeiterinnen nicht als gering; mit BGE 98 IV 22 wies das Bundesgericht 1972 einen Fall, in dem es um insgesamt Fr. 26.25 Trinkgeld ging, zu weiterer Abklärung zurück; in BGE 104 IV 156 beurteilte es 1978 das Beiseiteschaffen von monatlich 4 bis 5 Flaschen Whisky im Ankaufspreis von je rund Fr. 20.-- nicht als Sache von geringem Wert, ebenso im nicht veröffentlichten BGE vom 31. August 1984 betreffend 2 gestohlene Flaschen Pastis und 1 Flasche Whisky im Gesamtwert von Fr. 92.30; zur kantonalen Praxis Urteil des Strafgerichtspräsidenten von Basel-Stadt vom 6. Januar 1969, SJZ 65/1969 S. 79 f., sowie TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, Art. 138 N. 3).
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In der Literatur zum alten Recht forderte TRECHSEL (a.a.O., Art. 138 N. 3) im Jahr 1989, das Bundesgericht solle einen einheitlichen Richtwert von beispielsweise Fr. 100.-- festlegen (vgl. derselbe, Die 'Umstände des besondern Falles' in der Strafrechtspraxis, St. Galler Festgabe zum schweizerischen Juristentag 1981, S. 195 ff.). SCHUBARTH (Kommentar Strafrecht, Art. 138 N. 9) empfahl im Jahr 1990 einen einheitlichen Richtwert von Fr. 200.-- bis Fr. 300.--. Nach STRATENWERTH (Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 5. Auflage, Bern 1995, § 25 N. 15) lag dieser Wert zuletzt überwiegend bei Fr. 100.--. Zum neuen Recht führen REHBERG/SCHMID (Strafrecht III, 6. Auflage, Zürich 1994, S. 65) aus, die kantonale Praxis werde wie im alten Recht neue Grenzwerte herausbilden; dieser Wert habe im Kanton Zürich für die Entwendung zuletzt Fr. 200.-- betragen. REHBERG (Schweizerisches Strafgesetzbuch, Ausgabe 1995, S. 226) BGE 121 IV, 261 (266)und SCHMID (Das neue Vermögens- und Urkundenstrafrecht, SJZ 91/1995 S. 3) gehen ohne nähere Begründung nunmehr von Fr. 200.-- aus.
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Nach einer Umfrage der Konferenz der Strafverfolgungsbehörden der Schweiz (KSBS) nehmen die Kantone der Zentralschweiz und das Strafgericht Basel-Stadt einen Grenzwert von Fr. 500.-- an, die übrigen Kantone in der Regel Fr. 200.--, teilweise aber auch Fr. 100.-- bis Fr. 150.-- (THOMAS HUG, SJZ 91/1995 S. 183; dieser Autor hält einen Fr. 200.-- nicht übersteigenden Wert für angemessen).
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c) Der Gesetzgeber konkretisierte zwar den Begriff des geringen Vermögenswerts nicht eigens, verwies aber auf den geringen Wert im damaligen Recht und dessen praktische Anwendung. Entsprechend ist bei der Auslegung des neuen Rechts von der bisherigen Rechtsprechung zur Sache von geringem Wert im Sinn der Art. 138 und 142 aStGB auszugehen.
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Nach der Rechtsprechung ist bei Sachen mit einem Marktwert beziehungsweise einem objektiv bestimmbaren Wert allein dieser entscheidend (BGE 116 IV 190 E. 2b/aa). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Der unbestimmte Rechtsbegriff des geringen Vermögenswerts ist somit objektiv, einheitlich und ziffernmässig festzulegen. Solchen Grenzziehungen mag etwas Zufälliges anhaften, zu vermeiden sind sie nicht: Sie sind durch Rechtsgleichheit und einheitliche Rechtsanwendung geboten. Dieses Vorgehen ist denn auch der Rechtsprechung nicht fremd (vgl. etwa die Festlegung der 0.8-Promillegrenze in BGE 90 IV 159, die Rechtsprechung zum schweren Fall nach Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG [BGE 109 IV 143, BGE 117 IV 314, BGE 119 IV 180 ] sowie zu Art. 90 Ziff. 2 SVG bei Geschwindigkeitsüberschreitungen [BGE 118 IV 188 ]). Während aber in diesen Fällen wissenschaftliche Untersuchungen Entscheidhilfen liefern, ist im zu beurteilenden Fall der Grenzwert letztlich nach Recht und Billigkeit festzusetzen.
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Der Gesetzgeber schuf mit Art. 172ter StGB eine allgemeine "Bagatellnorm", um die Behörden über die Filterwirkung des Antragserfordernisses von der Verfolgung der Kleinkriminalität zu entlasten (Amtl.Bull. 1993 N 948 f., 1993 S 966) und eine Entkriminalisierung im Bagatellbereich zu erreichen (SCHMID, a.a.O., S. 2). Die Bestimmung soll den privaten Ausgleich zwischen Täter und Opfer fördern und auch dem teils suggestiven Angebotsverhalten auf Opferseite Rechnung tragen (vgl. zu Besonderheiten von Bagatellkriminalität unter modernen Vermarktungsbedingungen RAINER HAMM, BGE 121 IV, 261 (267)Eigentum im Wandel der Zeiten, in KritV 76/1993 S. 213 ff.). Jedoch ist die Strafverfolgung auf Antrag weiterhin gewährleistet. Der Gesetzgeber gestaltete die Bestimmung bewusst als Übertretungstatbestand aus (Bericht EJPD, S. 60). Die rechtlichen Konsequenzen hinsichtlich Versuch, Gehilfenschaft (Art. 104 Abs. 1 StGB) und Verjährung (Art. 109 StGB) folgen daher unabhängig vom Grenzwert aus Art. 172ter StGB.
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Wortlaut und Randtitel von Art. 172ter StGB lassen eher auf einen nicht allzuhohen Grenzwert schliessen. Wie die Beschwerdeführerin einwendet, bleiben 400 bis 500 Franken erhebliche Beträge, die auch für Gutsituierte nicht bedeutungslos sind und für weniger Bemittelte und Jugendliche sogar einen wesentlichen Teil des monatlichen Lebensunterhalts ausmachen können. Auch ihre Befürchtungen, ein Grenzwert von 500 Franken könne eine Bagatellisierung der Vermögensdelikte und einen Abbau des Unrechtbewusstseins bewirken, sind nicht von der Hand zu weisen.
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Bei der Auslegung eines Straftatbestands ist auch der angedrohten Strafe Rechnung zu tragen (vgl. BGE 116 IV 312 E. 2d/aa, BGE 118 IV 200 E. 3d, BGE 121 IV 67 E. 2b/cc). Die Vorinstanz berücksichtigte daher richtigerweise den gegenüber dem alten Recht von acht Tagen auf drei Monate Haft erweiterten Strafrahmen. Sie nahm an, Art. 172ter StGB erfasse nicht nur geringfügigste Delikte, sondern auch Straftaten, die den bisherigen Anwendungsbereich der Art. 138 und 142 aStGB sprengen. Das ist bereits insoweit der Fall, als die neue Bestimmung Bagatellverstösse des gesamten Vermögensstrafrechts erfasst; zugleich deutet der neue Strafrahmen darauf hin, dass nicht lediglich Delikte ohne nennenswerten Unrechts- oder Schuldgehalt darunter fallen. Der Vorinstanz ist denn auch zuzustimmen, dass kaum Vermögensdelikte im Deliktsbetrag bis 500 Franken denkbar sind, die mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten Haft (und Busse) nicht abgegolten werden können. Ist nämlich Geringfügigkeit zu verneinen oder richtet sich die Handlung gegen weitere Rechtsgüter, scheidet der Tatbestand ohnehin aus (Art. 172ter Abs. 2 StGB; Amtl.Bull. 1993 N 949; Botschaft, S. 1076; vgl. REHBERG/SCHMID, a.a.O., S. 66, sowie STRATENWERTH, a.a.O., § 25 N. 19). Dennoch ist das Argument hier nicht entscheidend, weil der Gesetzgeber eine generelle Norm für das gesamte Vermögensstrafrecht mit einem Strafrahmen verband, der es dem Richter ermöglichen soll, den unterschiedlichsten Sachverhalten gerecht zu werden und die Bagatellkriminalität einzelfallgerecht zu beurteilen (vgl. Ausführungen des Berichterstatters im Nationalrat, Amtl.Bull. 1993 N 949).
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BGE 121 IV, 261 (268)d) Zusammenfassend wollte der Gesetzgeber die Strafverfolgungsbehörden von der Bagatellkriminalität entlasten und damit Kräfte für die eigentliche Aufgabe der Bekämpfung der Schwerkriminalität freimachen (Amtl.Bull. 1993 N 949). Die geringfügigen Vermögensdelikte verwies er in das Übertretungsstrafrecht. Er hat damit die grundsätzliche Bedeutung von Art. 172ter StGB klar ausgesprochen, gleichzeitig aber mit dem Begriff der Geringfügigkeit und der Verweisung auf die Rechtsprechung zu Art. 138 und 142 aStGB einen recht engen Rahmen für die Bestimmung des Grenzwerts festgelegt.
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Angesichts dieser Kriterien erscheint ein Grenzwert von Fr. 500.-- als zu hoch. Der Beschwerdeführerin ist zuzustimmen, dass Beträge von 400 oder 500 Franken nicht mehr eine Bagatelle oder Geringfügigkeit bedeuten. Dagegen würde ein Wert von Fr. 100.-- die Zielsetzung des Gesetzes unterlaufen, während Werte bis Fr. 200.-- in der kantonalen Praxis bereits auf die erheblich weniger weitgehenden altrechtlichen Tatbestände Anwendung fanden.
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Die Grenze für den geringen Vermögenswert im Sinn von Art. 172ter Abs. 1 StGB ist bei Fr. 300.-- festzusetzen. Mit diesem Grenzwert wird der ratio von Art. 172ter StGB und dem gegenüber dem alten Recht erweiterten Strafrahmen Rechnung getragen. Damit kann auf Kleinkriminalität im Rahmen des Übertretungsstrafrechts angemessen und schuldadäquat reagiert werden.
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