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Informationen zum Dokument  BGE 122 IV 225  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Erwägungen:
1. a) Auf der Hauptstrasse gegenüber dem Stopsack des Beschw ...
2. a) Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird ...
3. (Kostenfolgen). ...
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33. Urteil des Kassationshofes vom 4. Juni 1996 i.S. D. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn (Nichtigkeitsbeschwerde)
 
 
Regeste
 
Art. 117 und Art. 18 Abs. 3 StGB, Art. 31 Abs. 1 SVG, Art. 3 Abs. 1 VRV; fahrlässige Tötung, Sorgfaltspflicht, Aufmerksamkeit im Strassenverkehr.  
 
Sachverhalt
 
BGE 122 IV, 225 (226)A.- Am 22. Dezember 1992 um 09.10 Uhr fuhr D. mit seinem Sattelschleppermotorfahrzeug von Truttikon herkommend auf der Hauptstrasse in Richtung Frauenfeld. Bei der Einmündung in die Steinerstrasse hielt er im Stopsack vorschriftsgemäss an, um danach geradeaus weiterzufahren (bei der Hauptstrasse handelt es sich also gegenüber der Steinerstrasse um eine Nebenstrasse). D. schaute nach links und rechts und sah rechts aus Richtung Ossingen einen Lieferwagen kommen. Da der Lieferwagen noch so weit entfernt war, dass D. vor ihm die Kreuzung gefahrlos überqueren konnte, fuhr er an. Als D. bereits die Hälfte der Steinerstrasse überquert hatte, bemerkte er plötzlich in der linken unteren Ecke der Windschutzscheibe ein Mofa. Er bremste sofort und brachte den Sattelschlepper nach ca. einem halben Meter zum Stillstand. Die Mofafahrerin, die keinen Schutzhelm trug, stürzte und zog sich dabei schwere Kopfverletzungen zu, denen sie noch auf der Unfallstelle erlag.
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B.- Am 3. August 1994 verurteilte das Strafamtsgericht von Bucheggberg-Wasseramt D. wegen fahrlässiger Tötung sowie mehrfacher Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung zu einer Busse von Fr. 1'500.--.
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C.- Auf Appellation von D. hin bestätigte das Obergericht des Kantons Solothurn am 16. November 1995 den erstinstanzlichen Schuldspruch und erkannte auf eine Busse von Fr. 1'200.--.
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D.- D. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes aufzuheben und die Sache zur Freisprechung vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Erwägungen:
 
1. a) Auf der Hauptstrasse gegenüber dem Stopsack des Beschwerdeführers, wo dieser seine Fahrt nach der Kreuzung mit der Steinerstrasse geradeaus fortsetzen wollte, befindet sich, Blickrichtung Truttikon, ebenfalls ein Stopsack, links daneben in der Strassenmitte eine Verkehrsinsel. Die Mofalenkerin wohnte in der Liegenschaft unmittelbar neben diesem Stopsack, also schräg gegenüber dem Stopsack, wo der Beschwerdeführer anhielt. Die Vorinstanz nimmt an, dass die Mofalenkerin von der Rückseite ihres Hauses auf die Hauptstrasse gelangte und in Richtung Kreuzung fuhr, aber nicht im Stopsack bei der dem Beschwerdeführer gegenüberliegenden Einmündung in die BGE 122 IV, 225 (227)Steinerstrasse anhielt, sondern auf der linken Fahrbahnseite der Hauptstrasse, Blickrichtung Truttikon, links an der Verkehrsinsel neben dem Stopsack vorbeizog und in einem Bogen quer über die Steinerstrasse auf deren rechte Seite in Richtung Ossingen gelangte. Die Mofalenkerin habe sich bei Anfahren des Beschwerdeführers links neben der Verkehrsinsel in der Einmündung Hauptstrasse/Steinerstrasse neben ihrem Haus und damit genau gegenüber dem Stopsack befunden, in dem der Beschwerdeführer hielt. Die Vorinstanz wirft dem Beschwerdeführer mangelnde Aufmerksamkeit vor. Er sei verpflichtet gewesen, beim Anfahren aus dem Stopsack den vor ihm liegenden Strassenabschnitt Richtung Frauenfeld zu beobachten. Da er das nicht getan habe, habe er den Tod der Mofafahrerin strafrechtlich zu verantworten. Aus dem krass regelwidrigen Verhalten der Mofalenkerin könne er nichts zu seinen Gunsten herleiten. Es komme immer wieder vor, dass gerade Mofafahrer gedankenlos unerlaubte Abkürzungen wählten.
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b) Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen. Selbst wenn eine Sorgfaltswidrigkeit zu bejahen wäre, verletze die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung Bundesrecht, da der Kausalzusammenhang durch das krass regelwidrige Verhalten der Mofalenkerin unterbrochen worden sei.
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Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn die Tat darauf zurückzuführen ist, dass der Täter die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedacht oder darauf nicht Rücksicht genommen hat. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beobachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist (Art. 18 Abs. 3 StGB).
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Die Annahme der Fahrlässigkeit setzt die Verletzung einer Sorgfaltspflicht voraus. Sorgfaltswidrig ist eine Handlungsweise dann, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tat aufgrund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die damit bewirkte Gefährdung des Opfers hätte erkennen können und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritt. Bei der Bestimmung des im Einzelfall zugrunde zu legenden Massstabes des sorgfaltsgemässen Verhaltens kann auf Bestimmungen zurückgegriffen werden, die der Unfallverhütung und der Sicherheit dienen (BGE 122 IV 133 E. 2 mit Hinweisen). Im hier zu beurteilenden Fall sind die Bestimmungen des Strassenverkehrsrechts heranzuziehen.
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BGE 122 IV, 225 (228)b) Gemäss Art. 31 Abs. 1 SVG (SR 741.01) muss der Führer das Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann. Er muss seine Aufmerksamkeit der Strasse und dem Verkehr zuwenden (Art. 3 Abs. 1 der Verkehrsregelnverordnung [VRV, SR 741.11]).
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Das Mass der Aufmerksamkeit, das vom Fahrzeugführer verlangt wird, richtet sich nach den gesamten Umständen, namentlich der Verkehrsdichte, den örtlichen Verhältnissen, der Zeit, der Sicht und den voraussehbaren Gefahrenquellen. Wenn er sein Augenmerk im wesentlichen auf bestimmte Stellen zu richten hat, kann ihm für andere eine geringere Aufmerksamkeit zugebilligt werden (BGE 103 IV 101 E. 2b und c).
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Das Bundesgericht hat in Anwendung dieser Grundsätze eine Sorgfaltswidrigkeit in folgender Konstellation verneint: Ein Automobilist fuhr gegen Mitternacht innerorts auf einer Hauptstrasse, als er plötzlich einige Meter vor sich einen Mofafahrer erblickte, der die Strasse aus der Sicht des Automobilisten von links nach rechts überquerte. Es kam zur Kollision, bei welcher der Mofafahrer tödlich verletzt wurde. Der Automobilist hätte den Mofafahrer rechtzeitig sehen können, wenn er eine äusserste Aufmerksamkeit dorthin gerichtet hätte, woher dieser kam. Das Bundesgericht bemerkte, dass diese Feststellung der kantonalen Instanz anlässlich einer nächtlichen Unfallrekonstruktion gemacht wurde, bei welcher das Gericht wusste, woher der Mofafahrer kam, und sich auf nichts anderes konzentrieren musste. Der im damaligen Fall von den kantonalen Gerichten verurteilte Automobilist hatte nicht nur die vor ihm liegende Strasse im Auge zu behalten, sondern auch einen Fussgängerstreifen, eine Lichtsignalanlage und das Trottoir rechts. Das Bundesgericht führte aus, die weniger grosse Aufmerksamkeit, die der Automobilist auf anderes zu richten hatte, müsse es erlauben, Hindernisse und Ereignisse wahrzunehmen, die normalerweise sichtbar seien; man könne aber nicht verlangen, dass die Aufmerksamkeit ein Mass erreiche, dass der Automobilist erkennen könne, was nur schwer sichtbar sei. Das Bundesgericht kam deshalb zum Schluss, dass der Automobilist den Mofafahrer und sein ungewöhnliches Verhalten nicht rechtzeitig bemerken konnte (BGE 103 IV 101 E. 2c).
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c) Das Bundesgericht ging also in diesem Entscheid davon aus, dass der Automobilist seine Aufmerksamkeit in erster Linie auf die zu erwartenden Gefahren zu richten hat und daneben höchstens sekundär auf ungewöhnliche und abwegige Verhaltensweisen anderer Verkehrsteilnehmer. Übertragen auf BGE 122 IV, 225 (229)den vorliegenden Fall bedeutet dies folgendes: Wer am Steuer eines Sattelschleppers, aufgrund des Stopsignals gegenüber dem Querverkehr in der vortrittsberechtigten Strasse vortrittsbelastet, diese Strasse geradeaus überqueren will, hat sich in erster Linie darauf zu konzentrieren, ob er die Strasse überqueren kann, ohne das Vortrittsrecht eines Verkehrsteilnehmers, der sich auf der vortrittsberechtigten Strasse befindet, zu beeinträchtigen. Gerade der Fahrer eines schweren Sattelschleppers, der aufgrund seines Gewichtes und seiner Länge den Querverkehr auf der vortrittsberechtigten Strasse länger blockieren wird als ein Personenwagen, muss seine Aufmerksamkeit in einem Ausmass auf diesen möglichen Querverkehr richten, dass er verkehrswidriges Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer nur in beschränktem Ausmass wahrnehmen kann. Der Beschwerdeführer war verpflichtet, sowohl nach links wie auch nach rechts Ausschau zu halten. Da er geradeaus weiterfuhr, konnte er bereits beim Hineinfahren in den Stopsack feststellen, ob sich auf der anderen Strassenseite in seinem Fahrbereich ein Hindernis befinde. Er war nicht verpflichtet, vorsorglich nach Verkehrsteilnehmern Ausschau zu halten, die sich in krasser Verletzung der Verkehrsregeln in den Verkehr einfügen. Die genaue Fahrweise der Mofafahrerin ist nicht geklärt. Aber gerade wenn man mit der Vorinstanz annehmen wollte, dass sie von ihrem Wohnort herkommend in die Steinerstrasse Richtung Ossingen einbiegen wollte, hätte sie korrekterweise im Stopsack anhalten und dem Beschwerdeführer den Vortritt gewähren müssen, den dieser ihr gegenüber hatte (Art. 36 Abs. 2 und 3 SVG; Art. 15 Abs. 2 VRV). Wäre die Verunfallte zum Zeitpunkt, da der Beschwerdeführer anfuhr, bereits in "ihrem" Stopsack gestanden, hätte er nach dem Vertrauensgrundsatz davon ausgehen dürfen, dass sie ihm den Vortritt gewähre und deshalb erst dann links in die Steinerstrasse einbiege, wenn er mit seinem Fahrzeug die Kreuzung passiert haben würde. Damit, dass ihm die Mofafahrerin auf der verkehrten Strassenseite entgegenkomme, musste er nicht rechnen (vgl. BGE 122 IV 133 E. 2 in fine, wonach ein Lenker, der sich bei eingeschränkter Sicht aus einem Stopsack regelkonform in die vortrittsberechtigte Strasse hineintastet, nicht mit dem plötzlichen Auftauchen eines schwer sichtbaren Motorradfahrers rechnen muss, der in krasser Verletzung der Verkehrsregeln auf der vortrittsberechtigten Strasse eine stehende Kolonne links überholt). Da der Beschwerdeführer überdies die Kreuzung langsam befuhr und deshalb auf ein plötzlich auftauchendes Hindernis auf der anderen Seite der Kreuzung noch BGE 122 IV, 225 (230)kurzfristig hätte reagieren können, verletzt die Annahme der Vorinstanz, er habe seine Sorgfaltspflicht verletzt, Bundesrecht.
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Hinzuzufügen ist folgendes: Es ist nicht zulässig, daraus, dass rückblickend gesehen bei optimalem Verhalten möglicherweise der Fehler eines anderen Verkehrsteilnehmers früher hätte erkannt werden können, auf eine Sorgfaltswidrigkeit zu schliessen (vgl. GÜNTER STRATENWERTH, Grundfragen des Verkehrsstrafrechtes, BJM 1966, S. 53 ff., vor allem S. 64 ff.). Man kann nicht verlangen, dass im Strassenverkehr jedermann zu jeder Zeit ein Höchstmass an Aufmerksamkeit und Umsicht erbringt. Der Beschwerdeführer war, wie dargelegt, verpflichtet, sein Augenmerk auf allfällige vortrittsberechtigte Fahrzeuge auf der Querstrasse zu richten. Insbesondere bei seiner geringen Geschwindigkeit war er deshalb nicht überdies verpflichtet, schon beim Anfahren danach Ausschau zu halten, ob ihm allenfalls ein Mofafahrer in krass verkehrswidriger Weise den Weg abschneide.
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