BGE 123 IV 211 - Rinderwahnsinn vor der Metzgerei | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
33. Urteil des Kassationshofes vom 7. November 1997 i.S. B. gegen X. und Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 2 UWG, Art. 3 lit. a UWG und Art. 23 UWG; wettbewerbsrelevante Äusserungen in Flugblättern. Meinungsäusserungsfreiheit. | |
Sachverhalt | |
A.- B. verteilte am 23. Juli, am 6. August und am 15. Oktober 1994 vor dem Eingang der Metzgerei X. in Winterthur an Kunden Flugblätter zum Thema Rinderwahnsinn. Das Flugblatt war als "eine Konsumenteninformation des VgT Verein gegen Tierfabriken 9546 Tuttwil" gekennzeichnet. Unter der Überschrift "Rinderwahnsinn - die tödliche Gefahr auf dem Teller" wurde im Flugblatt folgendes ausgeführt:
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"Kochen tötet den Erreger nicht.
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Lauert er in Ihrer Wurst? Im Steak, im Hamburger? Die Inkubationszeit
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beträgt 10 bis 15 Jahre. Sind Sie schon infiziert?
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Es besteht der dringende Verdacht, dass der Rinderwahnsinn (Bovine
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Spongiforme Enzephalopathie BSE) durch Verzehr von Fleisch auf den Menschen
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übertragen werden kann und identisch ist mit der heimtückischen, tödlichen
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Creutzfeldt-Jakob-Krankheit.
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Essen Sie weniger Fleisch, zum Vorteil der Tiere, der Umwelt und Ihrer
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Gesundheit!"
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Am 6. August 1994 gab B. ausser diesem Flugblatt den Kunden, welche dies wünschten, ein zweites, ebenfalls erkennbar vom Verein gegen Tierfabriken herausgegebenes Flugblatt ab, welches die Überschrift trug "Gefahr für die Konsumenten: Halbherzige Massnahmen gegen den Rinderwahnsinn" und die im anderen Flugblatt enthaltenen Angaben erläuterte.
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X. sowie der Verband Schweizer Metzgermeister-Fachverband der Schweizer Fleischwirtschaft (VSM-FSF) erstatteten mit gemeinsamen Eingaben vom 26. August und vom 21. Oktober 1994 Strafanzeige und Strafantrag gegen B. und gegen Unbekannt wegen Widerhandlung gegen das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb.
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B.- Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte B. am 25. Januar 1996 in Bestätigung des Entscheides des Einzelrichters in Strafsachen des Bezirkes Winterthur vom 28. Juli 1995 wegen Widerhandlung gegen Art. 23 i.V.m. Art. 2 und 3 lit. a des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG; SR 241) zu einer Busse von 2'000 Franken, bedingt vorzeitig löschbar bei einer Probezeit von einem Jahr.
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C.- B. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung, eventuell zur angemessenen Herabsetzung der Busse, an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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D.- Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies die von B. gegen das Urteil des Obergerichts eingereichte kantonale Nichtigkeitsbeschwerde am 8. März 1997 ab, soweit es darauf eintrat.
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E.- Die Staatsanwaltschaft hat auf Gegenbemerkungen zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde verzichtet. X. hat sich nicht vernehmen lassen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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a) Das dem Beschwerdeführer in der Anklage einzig zur Last gelegte Verteilen des fraglichen Flugblatts direkt vor einer Metzgerei ist gemäss den Ausführungen im angefochtenen Entscheid objektiv geeignet, den Wettbewerb zu beeinflussen, und demnach im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 120 II 76 E. 3a S. 78, mit Hinweisen) marktrelevant; damit falle es unter den Anwendungsbereich des UWG. Wie ein Verteilen des fraglichen Flugblatts an anderen Orten zu beurteilen wäre, wird im angefochtenen Entscheid ausdrücklich offengelassen. Gemäss den weiteren Ausführungen der Vorinstanz ist die im Flugblatt behauptete grosse Gefahr der Übertragung des Rinderwahnsinns auf den Menschen wissenschaftlich keineswegs gesichert, sondern im Gegenteil stark umstritten. Daher hätte nach der Rechtsprechung (BGE 120 II 76 E. 5b S. 81) auf diesen Meinungsstreit deutlich hingewiesen werden müssen. Da im Flugblatt ein solcher Hinweis fehle, sei die Äusserung jedenfalls im Sinne von Art. 3 lit. a UWG irreführend. Durch die irreführende Äusserung sei das von den Beschwerdegegnern 1 angebotene Fleisch herabgesetzt worden. Das Grundrecht der Meinungsäusserungsfreiheit vermöge nach der Rechtsprechung (BGE 120 II 76 E. 5c S. 82) unlautere und somit widerrechtliche Äusserungen nicht zu rechtfertigen. Die Vorinstanz hält sodann fest, dem Beschwerdeführer sei bewusst gewesen, dass das Verteilen des fraglichen Flugblatts objektiv zur Beeinflussung des Wettbewerbs geeignet und dass die Frage betreffend die Risiken der Übertragbarkeit des Rinderwahnsinns auf den Menschen in Fachkreisen umstritten sei. Er habe somit jedenfalls mit Eventualvorsatz gehandelt. Damit sei der Straftatbestand von Art. 23 i.V.m. Art. 3 lit. a UWG objektiv und subjektiv erfüllt.
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b) Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe das fragliche Flugblatt in seiner Freizeit als Privatperson und Mitglied des Vereins gegen Tierfabriken aus ideellen Beweggründen ohne Entgelt verteilt. Dieses rein private Handeln mit ideeller Zielsetzung ohne jeglichen Bezug zu einer wirtschaftlichen Betätigung falle nach der herrschenden Lehre nicht unter den Anwendungsbereich des UWG. Der Beschwerdeführer macht im weiteren sinngemäss geltend, die im Flugblatt enthaltenen Aussagen stellten blosse Meinungsäusserungen ohne wissenschaftlichen Rang dar, die ihrer Natur nach einseitig seien; ein Hinweis auf einen bestehenden Meinungsstreit sei daher nicht erforderlich. Selbst wenn aber die Äusserungen im zivilrechtlichen Sinne unlauter sein sollten, habe er sich nicht strafbar gemacht. Die insbesondere zur Erfassung zivilrechtlicher Tatbestände geschaffenen, sehr unbestimmten Rechtsbegriffe im UWG seien nach der herrschenden Lehre im Rahmen der strafrechtlichen Beurteilung eng auszulegen. Ausserdem sei gerade bei Äusserungen von aus idealistischen Beweggründen handelnden Privatpersonen dem Grundrecht der Meinungsäusserungs- und Informationsfreiheit sowie dem Konsumentenschutz gebührend Rechnung zu tragen. Bei der somit gebotenen restriktiven und verfassungskonformen Auslegung erfülle sein Verhalten, selbst wenn es allenfalls zivilrechtlich unlauter sein sollte, nicht den Straftatbestand von Art. 23 i.V.m. Art. 3 lit. a UWG.
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3. a) Der vorliegende Fall ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht mit dem in BGE 120 II 76 ff. beurteilten vergleichbar. Dort ging es um die (auszugsweise) Veröffentlichung eines wissenschaftlichen Forschungsrapports in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften. Hier wurde dagegen weder ein wissenschaftliches Gutachten (auszugsweise) wiedergegeben noch überhaupt auf ein solches Bezug genommen. Zwar sind die Fragen, ob und gegebenenfalls auf welchen Wegen der sogenannte "Rinderwahnsinn" (BSE) auf den Menschen übertragen werden kann und wie gross allfällige Risiken sind, Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Das bedeutet aber nicht, dass jede Stellungnahme zu diesen Fragen eine wissenschaftliche Äusserung im Sinne des von der Vorinstanz zitierten BGE 120 II 76 und daher bei Fehlen eines Hinweises auf den wissenschaftlichen Meinungsstreit gemäss Art. 3 lit. a UWG irreführend und somit unlauter ist. Wollte man der Auffassung der Vorinstanz folgen, dann müsste letztlich jede wettbewerbsrelevante Äusserung in den Medien zu einer wissenschaftlich umstrittenen Frage stets mit dem Hinweis auf den in der Wissenschaft herrschenden Meinungsstreit versehen werden. Die Verpflichtung zu einem solchen Hinweis zur Vermeidung einer Irreführung (Art. 3 lit. a UWG) mag nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 2 UWG) für die wettbewerbsrelevante (auszugsweise) Publikation von wissenschaftlichen Forschungsrapporten bestehen, in denen als wissenschaftlich gesichert hingestellt wird, was in Tat und Wahrheit umstritten ist. Im vorliegenden Fall fehlt aber jegliche Bezugnahme auf ein wissenschaftliches Gutachten und ist zudem bloss von einem dringenden Verdacht der Übertragbarkeit von BSE auf den Menschen die Rede, wird diese mithin nicht als wissenschaftlich gesichert hingestellt. Dass der Verdacht eines Zusammenhangs zwischen BSE und speziellen Varianten der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit beim Menschen besteht, dürfte im übrigen heute unbestritten sein.
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b) Hinzu kommt, dass die inkriminierten Äusserungen in einem Flugblatt enthalten waren. In Flugblättern werden die Leser auf etwas aufmerksam gemacht oder zu etwas aufgerufen, werden Stellungnahmen und Meinungsäusserungen zu aktuellen gesellschaftlichen Themen verbreitet etc.. Flugblätter beschränken sich in knappen, auch schlagwortartigen Formulierungen auf das Wesentliche, da vom Adressaten auf der Strasse erfahrungsgemäss nur kurze und geringe Aufmerksamkeit zu erwarten ist. An Äusserungen in Flugblättern zu einer in der Wissenschaft umstrittenen Frage können nicht dieselben Anforderungen gestellt werden wie an wettbewerbsrelevante Aussagen in einem wissenschaftlichen Forschungsbericht. Bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung des Gesetzes unter Berücksichtigung insbesondere des Grundrechts der Meinungsäusserungsfreiheit ist gerade auch bei Äusserungen in Flugblättern Unlauterkeit im Sinne von Art. 3 lit. a UWG nur mit Zurückhaltung anzunehmen (zur verfassungskonformen Auslegung des UWG siehe statt vieler URS SAXER, Die Anwendung des UWG auf ideelle Grundrechtsbetätigungen: eine Problemskizze, AJP 5/93 S. 604 ff.). Die Meinungsäusserungsfreiheit fällt namentlich dann ins Gewicht, wenn die Äusserung ein in der Gesellschaft wichtiges Thema, wie etwa die öffentliche Gesundheit, betrifft und die Urheber der Äusserung bzw. die an deren Weiterverbreitung Beteiligten, ohne Verfolgung eigener wirtschaftlicher Interessen, im Sinne einer subjektiven Stellungnahme eine Gegenposition zu anderen Stellungnahmen, auch etwa der Behörden, vertreten wollen. Bei der überdies ohnehin gebotenen restriktiven Auslegung der Strafbestimmungen des UWG sind zudem nur Herabsetzungen von einer gewissen Schwere (Anschwärzungen) im Sinne von Art. 23 i.V.m. Art. 3 lit. a UWG tatbestandsmässig (siehe dazu BGE 122 IV 33 E. 2b S. 35, mit Hinweisen).
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c) Im Lichte dieser Erwägungen kann die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Widerhandlung gemäss Art. 23 i.V.m. Art. 3 lit. a UWG entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht damit begründet werden, dass die im Flugblatt enthaltenen Äusserungen wegen Fehlens eines Hinweises auf den in der Wissenschaft herrschenden Meinungsstreit im Sinne von Art. 3 lit. a UWG irreführend seien.
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d) Dies bedeutet aber aus nachfolgenden Gründen nicht notwendigerweise, dass der Beschwerdeführer vom Vorwurf der Widerhandlung im Sinne von Art. 23 i.V.m. Art. 3 lit. a UWG freizusprechen ist.
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4. a) Aus dem angefochtenen Entscheid geht hervor, dass der Beschwerdeführer das Flugblatt am 23. Juli, am 6. August und am 15. Oktober 1994 direkt vor der Metzgerei der Beschwerdegegner 1 in Winterthur verteilt hatte. Aus dem Urteil geht nicht hervor, ob das Flugblatt auch vor anderen Metzgereien der Stadt Winterthur verteilt worden sei. Dies ist aber für die rechtliche Beurteilung des dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Verhaltens wesentlich. Sollte das Flugblatt stets einzig vor der Metzgerei der Beschwerdegegner 1 verteilt worden sein, so wäre dadurch der unrichtige Eindruck geschaffen worden, dass gerade und allein das von dieser Metzgerei angebotene Fleisch mit dem BSE-Erreger infiziert sei bzw. dass in bezug auf dieses Fleisch der im Flugblatt geäusserte Verdacht wahrscheinlicher sei als in bezug auf das Fleisch anderer Metzgereien, etwa weil die Beschwerdegegner 1 ihre Waren von zweifelhaften Stellen beziehen. Durch den damit geschaffenen unrichtigen Eindruck wäre die Stellung der Beschwerdegegner 1 im Wettbewerb gegenüber den Konkurrenten in schwerwiegendem Masse beeinträchtigt worden. Eine in dieser Weise bewirkte Diskriminierung eines einzelnen Wettbewerbers ist zur Warnung vor möglichen Gefahren des Fleischkonsums offensichtlich nicht erforderlich. Sie ist unlauter im Sinne von Art. 3 lit. a UWG und auch bei der gebotenen einschränkenden Auslegung der Strafbestimmungen tatbestandsmässig im Sinne von Art. 3 lit. a i.V.m. Art. 23 UWG. Wer sich in wettbewerbsrelevanter Form negativ über eine Ware äussert, muss nach dem Grundsatz von Treu und Glauben sicherstellen, dass nicht der unrichtige Eindruck entsteht, die Äusserung betreffe nur die Ware einzelner bestimmter Anbieter.
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b) Die Sache ist daher gemäss Art. 277 BStP zur Ergänzung der tatsächlichen Feststellungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese hat abzuklären, ob das Flugblatt stets einzig direkt vor der Metzgerei der Beschwerdegegner 1 oder ob es, sei es vom Beschwerdeführer selbst, sei es von anderen Personen, auch vor anderen Metzgereien der Stadt Winterthur verteilt worden sei, und zwar dergestalt, dass nicht der unrichtige Eindruck entstehen konnte, nur das Fleisch bestimmter einzelner Anbieter stehe im geäusserten Verdacht. Davon hängt es ab, ob das dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Verhalten im Sinne von Art. 3 lit. a UWG unlauter ist oder nicht. Dass allein die Verteilung von Flugblättern durch den Beschwerdeführer vor der Metzgerei der Beschwerdegegner 1 Gegenstand der Strafanträge und der Anklage bildet, hindert ergänzende Abklärungen im genannten Sinne nicht, wenn von deren Ergebnis die strafrechtliche Beurteilung des eingeklagten Verhaltens abhängt.
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