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Informationen zum Dokument  BGE 133 IV 249  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
2. Gemäss Art. 179bis Abs. 1 StGB wird, auf Antrag, mit Gef& ...
Erwägung 3
Erwägung 3.2
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36. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen A. und Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern (Nichtigkeitsbeschwerde)
 
 
6S.64/2007 vom 13. August 2007
 
 
Regeste
 
Abhören fremder Gespräche (Art. 179bis Abs. 1 StGB).  
Telefonapparate und Mobiltelefone können, je nach ihrer konkreten Verwendung im Einzelfall, Abhörgeräte im Sinne von Art. 179bis Abs. 1 StGB sein (E. 3.3).  
Der Tatbestand setzt voraus, dass der Täter erstens zum Zwecke des Abhörens eines fremden nichtöffentlichen Gesprächs ein Abhörgerät in Betrieb setzt und zweitens mit dem zu diesem Zweck eingeschalteten Gerät ein fremdes nichtöffentliches Gespräch abhört (E. 3.4-3.6).  
 
Sachverhalt
 
BGE 133 IV, 249 (250)A. Am 22. August 2002 kam es zwischen dem Inhaber eines zahntechnischen Labors, A., und seiner Angestellten B. am Arbeitsplatz zu einer verbalen Auseinandersetzung. B. war gerade im Begriff, nach Hause zu gehen, weshalb sie die Tür des zahntechnischen Labors zum Treppenhaus bereits geöffnet hatte. B. griff im Verlauf der verbalen Auseinandersetzung in ihre Handtasche und wählte, von A. unbemerkt, auf dem Mobiltelefon unter Verwendung einer Kurzwahltaste die Nummer des Mobiltelefons ihrer Kollegin C. Diese nahm den Anruf entgegen und konnte nun die verbale Auseinandersetzung zwischen A. und B. mitverfolgen. C. zog X. herbei, die eine Zeitlang über das Mobiltelefon von C. das Gespräch zwischen A. und B. ebenfalls mithörte.
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B. Das Amtsgericht Luzern-Stadt sprach X. am 13. Dezember 2005 des Abhörens fremder Gespräche im Sinne von Art. 179bis Abs. 1 StGB schuldig und bestrafte sie mit einer Busse von 100 Franken.
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Das Obergericht des Kantons Luzern wies die von X. erhobene Kassationsbeschwerde am 20. Dezember 2006 ab.
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C. X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde unter anderem mit den Anträgen, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben, sie sei von Schuld und Strafe freizusprechen, eventualiter sei die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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D. Das Obergericht beantragt unter Hinweis auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
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Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern hat auf Vernehmlassung verzichtet.
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A. beantragt in seiner Vernehmlassung, die Nichtigkeitsbeschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
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Aus den Erwägungen:
 
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2.1 Die Vorinstanz geht davon aus, dass das für die Beschwerdeführerin unstreitig fremde Gespräch zwischen B. und dem Beschwerdegegner ein nichtöffentliches war. Sie nimmt ohne nähere Begründung an, das Mobiltelefon sei im vorliegenden Fall ein Abhörgerät BGE 133 IV, 249 (251)gewesen. Sie legt der Beschwerdeführerin zur Last, dass diese das Gespräch aufmerksam mitverfolgt habe. Dies sei ein Tun, nicht ein Unterlassen. Daher stelle sich die Frage nicht, ob der Tatbestand von Art. 179bis Abs. 1 StGB auch in der Form eines unechten Unterlassungsdelikts erfüllt werden könne und gegebenenfalls die Beschwerdeführerin aufgrund einer Garantenstellung verpflichtet gewesen sei, sich zu entfernen beziehungsweise das Mobiltelefon C. zurückzugeben respektive diese aufzufordern, das Gerät abzuschalten.
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2.2 Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Tathandlung des "Abhörens" sei klar abzugrenzen vom (zufälligen) "Hören" im Sinne von "Vernehmen". Das nicht im Voraus geplante, in diesem Sinne zufällige Hören beziehungsweise Vernehmen eines fremden nichtöffentlichen Gesprächs über ein Telefon, einen Lautsprecher oder ein anderes Gerät sei nicht ein "Abhören" im Sinne von Art. 179bis Abs. 1 StGB. Die von der Vorinstanz eingeführten Kriterien des aktiven, aufmerksamen, interessierten Hörens seien nicht justiziabel und nicht relevant. Das Hören sei keine Tätigkeit im strafrechtlichen Sinne. Erst der zum Hören hinzutretende, im Voraus geplante Einsatz eines Abhörgeräts führe dazu, dass das Hören zu einem Abhören werden könne. Daran fehle es im vorliegenden Fall. C. habe im Zeitpunkt der Entgegennahme des Anrufs von B. noch keine Ahnung haben können, was vor sich gegangen sei, und daher das Mobiltelefon nicht verbotenerweise als Abhörgerät eingesetzt. Die Beschwerdeführerin macht im Weiteren geltend, sie selbst habe, als C. ihr das Mobiltelefon übergeben habe, anfänglich keine Ahnung gehabt, was sich abgespielt habe, und erst im Lauf der Zeit realisiert, worum es gegangen sei. Aus der straflosen Entgegennahme eines Telefons werde durch blosses Nicht-Beenden der Verbindung auch bei zunehmend richtiger Interpretation des Gehörten nicht ein "Abhören" im Sinne von Art. 179bis Abs. 1 StGB. Entscheidend sei, dass es an einem im Voraus geplanten Einsatz eines Abhörgeräts fehle. Zudem ermangle es vorliegend einer Handlungspflicht (Garantenstellung), welche ein Beenden der Verbindung geboten hätte. Die Straftat des Abhörens mit einem Abhörgerät sei im Übrigen ein schlichtes Tätigkeitsdelikt und könne daher nicht durch Unterlassen begangen werden. Die Beschwerdeführerin macht im Weiteren geltend, dass ein Mobiltelefon, welches von der angerufenen Person normal - d.h. ohne vorherige Absprachen etc. - zur Entgegennahme eines Anrufs verwendet werde, kein "Abhörgerät" im BGE 133 IV, 249 (252)Sinne von Art. 179bis Abs. 1 StGB sei. Sodann sei das im zahntechnischen Labor geführte Gespräch kein nichtöffentliches gewesen. Es habe von beliebigen Personen im Treppenhaus des Geschäftsgebäudes gehört werden können, da die Tür des zahntechnischen Labors zum Treppenhaus zunächst ganz und dann noch eine Handbreit offen gewesen sei.
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2.3 Der Beschwerdegegner macht geltend, die Beschwerdeführerin habe das Gespräch nicht zufällig oder gar gezwungenermassen mitgehört. Vielmehr habe sie wiederholt das Mobiltelefon von C. entgegengenommen und an ihr Ohr gehalten. Jedenfalls ab der zweiten Entgegennahme des Mobiltelefons habe sie gewusst, dass das Gespräch, welches sie belauscht habe, ein fremdes nichtöffentliches gewesen sei. Indem sie das Mobiltelefon von C. mehrmals entgegengenommen und an ihr Ohr gehalten habe, habe sie vorsätzlich durch aktives Tun ein fremdes nichtöffentliches Gespräch abgehört. Da somit nicht bloss eine Unterlassung vorliege, stelle sich die Frage der Garantenpflicht nicht. Den Tatbestand könne auch erfüllen, wer die technischen Voraussetzungen zum Abhören nicht selber geschaffen habe. Soweit die Beschwerdeführerin als Voraussetzung für eine Verurteilung als entscheidend erachte, dass der Täter vorausplanend ein Abhörgerät einsetze, um damit ein fremdes nichtöffentliches Gespräch zu belauschen, sei diese Voraussetzung vorliegend ohnehin erfüllt. Die Entgegennahme eines Mobiltelefons zum Abhören eines fremden nichtöffentlichen Gesprächs stelle einen im Voraus geplanten Einsatz eines Abhörgeräts dar. Auch ein Mobiltelefon könne je nach seinem Verwendungszweck im konkreten Fall, der massgebend sei, als Abhörgerät im Sinne von Art. 179bis StGB qualifiziert werden. Das Gespräch zwischen dem Beschwerdegegner und B. sei nichtöffentlich gewesen.
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Erwägung 3
 
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Erwägung 3.2
 
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Die Beschwerdeführerin meint, das Gespräch sei daher nicht im Sinne von Art. 179bis Abs. 1 StGB nichtöffentlich gewesen.
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3.2.2 Der Begriff der Öffentlichkeit wird im Strafgesetzbuch in verschiedenen Zusammenhängen verwendet und ist nicht bei allen Straftatbeständen gleich auszulegen. Was als öffentlich beziehungsweise nichtöffentlich anzusehen ist, hängt von dem durch die fragliche Strafnorm geschützten Rechtsgut sowie davon ab, warum darin die Öffentlichkeit als strafbegründendes beziehungsweise strafausschliessendes Merkmal vorausgesetzt wird (vgl. BGE 130 IV 111 E. 4.2 und 4.3 S. 117; Urteil 6P.79/2006 vom 6. Oktober 2006, E. 5). Art. 179bis StGB schützt den Privat- und Geheimbereich. Der Einzelne soll sich in diesem Bereich frei äussern können, ohne Gefahr zu laufen, dass das von ihm geführte Gespräch ohne seinen Willen von einem Dritten mit einem Abhörgerät abgehört oder auf einen Tonträger aufgenommen wird. Dabei ist auch der Ort, an dem das Gespräch geführt wird, zu berücksichtigen. Der öffentliche oder nichtöffentliche Charakter eines Gesprächs hängt daher auch wesentlich davon ab, ob es in einem privaten oder allgemein zugänglichen Umfeld stattfindet (Urteil 6P.79/2006 vom 6. Oktober 2006, E. 5).
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3.3 Als Abhörgeräte im Sinne von Art. 179bis Abs. 1 StGB kommen alle technischen Vorrichtungen in Betracht, die das gesprochene Wort über den normalen Klangbereich hinaus durch Verstärkung oder Übertragung vernehmbar machen (GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 6. Aufl. 2003, § 12 N. 27; MARTIN SCHUBARTH, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, 3. Bd., Bern 1984, Art. 179bis StGB N. 25; PETER VON INS/PETER-RENÉ WYDER, Basler Kommentar, StGB II, 2003, Art. 179bis StGB N. 11). Darunter fallen etwa Mikrofone mit Draht- oder Funkübermittlung (Minispione) am Ort des Gesprächs oder in weiterer BGE 133 IV, 249 (254)Entfernung (Richtmikrofone) sowie Vorrichtungen zum Anzapfen der Leitung auf dem Übermittlungsweg (JÖRG REHBERG/NIKLAUS SCHMID/ANDREAS DONATSCH, Strafrecht III, 8. Aufl. 2003, S. 346).
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In der Lehre ist strittig, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen Telefonapparate Abhörgeräte sein können (siehe LORENZ ERNI, Die Verletzung der "Vertraulichkeit des Wortes" als Straftat im deutschen und schweizerischen Strafrecht, Diss. Hamburg 1981, S. 122 ff.; zum deutschen Recht HERBERT TRÖNDLE/THOMAS FISCHER, Strafgesetzbuch, 54. Aufl. 2007, § 201 N. 7).
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Art. 179bis Abs. 1 StGB bestimmt nicht, dass sich strafbar macht, wer ein fremdes nichtöffentliches Gespräch mit Hilfe einer technischen Vorrichtung abhört. Der Anwendungsbereich der Norm ist nach ihrem Wortlaut auf das "Abhörgerät" ("appareil d'écoute"; "apparecchio d'intercettazione") beschränkt. Abhörgeräte sind nach dem allgemeinen Sprachgebrauch Geräte, die dazu bestimmt sind beziehungsweise insbesondere dazu dienen, heimlich und damit widerrechtlich Gespräche abzuhören. Von diesem Begriff des Abhörgerätes geht auch Art. 179sexies StGB ("Inverkehrbringen und Anpreisen von Abhör-, Ton- und Bildaufnahmegeräten") aus. Abhörgeräte zeichnen sich dadurch aus, dass sie angebracht werden können, ohne dass ihr Vorhandensein auch nur von einem der Gesprächsteilnehmer ohne weiteres festgestellt werden könnte (REHBERG/SCHMID/DONATSCH, a.a.O., S. 346).
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Art. 179bis StGB schützt den Geheim- und Privatbereich. Mit Rücksicht auf Sinn und Zweck der Norm drängt es sich auf, den Begriff des "Abhörgeräts" über den allgemeinen Sprachgebrauch hinaus in einem weiteren Sinne zu verstehen. Ein "Abhörgerät" ist eine Vorrichtung, die im konkreten Fall zum Abhören eines fremden nichtöffentlichen Gesprächs verwendet wird. Auch Telefonapparate und Mobiltelefone können somit, je nach ihrer konkreten Verwendung im Einzelfall, Abhörgeräte im Sinne von Art. 179bis StGB sein.
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Das Mobiltelefon von C. war im konkreten Fall spätestens ab dem Zeitpunkt ein Abhörgerät im Sinne von Art. 179bis StGB, als darin das Gespräch zwischen zwei Personen hörbar war.
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3.4 Tatbestandsmässig handelt, wer vorsätzlich ein Gespräch "mit einem Abhörgerät abhört" (celui qui "aura écouté à l'aide d'un appareil d'écoute" une conversation; chiunque "ascolta con un apparecchio d'intercettazione" una conversazione). Das tatbestandsmässige Verhalten besteht aus zwei Elementen, nämlich darin, dass der BGE 133 IV, 249 (255)Täter vorsätzlich erstens ein Abhörgerät einsetzt und zweitens mit diesem Gerät ein fremdes nichtöffentliches Gespräch hört. Erforderlich ist somit, dass der Täter zunächst eine Vorrichtung in Betrieb setzt mit dem Willen, damit ein fremdes nichtöffentliches Gespräch zu hören, und dass er anschliessend über das Gerät ein solches Gespräch hört. Das Abhören mit einem Abhörgerät ist mehr als nur das zufällige Zugegensein und Mithören des durch ein solches Gerät übermittelten fremden nichtöffentlichen Gesprächs. Täter des Abhörens kann vielmehr nur sein, wer das von ihm oder einem andern angebrachte beziehungsweise in Betrieb gesetzte Gerät gezielt als Mittel dazu benützt, das fremde nichtöffentliche Gespräch über dessen normalen Klangbereich hinaus hörbar zu machen (vgl. zum insoweit gleichlautenden deutschen Recht SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER, Kommentar, 27. Aufl. 2006, § 201 N. 20). Abhören bedeutet nicht allein Kenntnisnehmen im Sinne von Hören, sondern setzt ein aktives Verhalten voraus, das begrifflich durch Horchen und Ausforschen gekennzeichnet ist (siehe zum deutschen Recht WERNER KARGL, Nomos-Kommentar, 2. Aufl. 2005, § 201 N. 16). Abhören meint Lauschen/ Horchen, um etwas zu hören (GUNTHER ARZT, Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre, Tübingen 1970, S. 250, 253). Abhören mit einem Abhörgerät bedeutet Lauschen/Horchen unter Einsatz eines Geräts, um etwas zu hören, was ohne das Gerät nicht hörbar wäre. Das tatbestandsmässige Verhalten beginnt mit der Inbetriebnahme des Geräts. Darin liegt der "Lauschangriff". Doch ist damit die Tat im Sinne von Art. 179bis Abs. 1 StGB noch nicht vollendet. Hiefür ist zudem erforderlich, dass der Täter über das Gerät ein fremdes nichtöffentliches Gespräch hört; dieses Hören ist das zweite Element der tatbestandsmässigen Ausführung der Tat. Darin unterscheidet sich Art. 179bis StGB in seiner Struktur etwa vom Tatbestand der Verletzung des Schriftgeheimnisses im Sinne von Art. 179 Abs. 1 StGB, wonach bestraft wird, wer, ohne dazu berechtigt zu sein, eine verschlossene Schrift oder Sendung öffnet, um von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen.
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Das tatbestandsmässige Verhalten im Sinne von Art. 179bis Abs. 1 StGB besteht mithin zusammengefasst im Hören eines fremden nichtöffentlichen Gesprächs über eine zu diesem Zweck in Betrieb gesetzte Vorrichtung. Nur unter dieser Voraussetzung der zweckgerichteten Inbetriebnahme des Geräts wird das fremde nichtöffentliche Gespräch im Sinne der Bestimmung abgehört.
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BGE 133 IV, 249 (256)3.5 Die Beschwerdeführerin hat vorsätzlich ein fremdes nichtöffentliches Gespräch mitverfolgt, welches über das Mobiltelefon von C. hörbar war. Sie hat damit ein Element des zweigliedrigen tatbestandsmässigen Verhaltens erfüllt. Die Beschwerdeführerin hat indessen nicht zum Zweck des Hörens eine technische Vorrichtung in Betrieb gesetzt. Dieses weitere Element des zweigliedrigen tatbestandsmässigen Verhaltens ist somit nicht gegeben.
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