VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGE 138 IV 78  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Regeste
Aus den Erwägungen:
1. Der angefochtene Entscheid erging im Rahmen eines Strafverfahr ...
2. Die Geschädigte verlangt in erster Linie, den angefochten ...
3. Als Geschädigte und Privatklägerin (Art. 115 und 118 ...
4. Die Beschwerde ist somit teilweise gutzuheissen, soweit der Be ...
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
10. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A.X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Schwyz (Beschwerde in Strafsachen)
 
 
1B_603/2011 vom 3. Februar 2012
 
 
Regeste
 
Art. 81 Abs. 1 BGG; Art. 3 Abs. 2 lit. c, Art. 101 f., 104 Abs. 1 lit. b, Art. 107 Abs. 1 lit. a, Art. 118 ff., 214 Abs. 4 und Art. 220 ff. StPO; Beschwerdeberechtigung der Privatklägerin, Akteneinsichtsrecht im Haftprüfungsverfahren.  
Als Partei des Strafverfahrens hat die Geschädigte und Privatklägerin das Recht auf Einsicht in die Akten des Teil des Strafverfahrens bildenden Haftprüfungsverfahrens. Das Opfer wird grundsätzlich über die Aufhebung von Ersatzmassnahmen zur Untersuchungshaft informiert (E. 3).  
 
BGE 138 IV, 78 (79)Aus den Erwägungen:
 
1
1.1 Im Beschwerdeverfahren vor dem Kantonsgericht Schwyz, welches zum angefochtenen Beschluss des Kantonsgerichts vom 9. September 2011 führte, verlangte die Staatsanwaltschaft, es seien die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 20. Juli 2011 aufzuheben und anstelle der angeordneten Ersatzmassnahmen die am 11. Juli 2011 beantragten Ersatzmassnahmen anzuordnen. Das Kantonsgericht lehnte dies im angefochtenen Beschluss ab und führte in E. 6 desselben namentlich aus, die Staatsanwaltschaft dürfe weder das Opfer noch seine Rechtsbeiständin über das Verfahren vor dem Zwangsmassnahmengericht informieren. Im Interesse der Untersuchung sowie der Betroffenen und angesichts des teilweise unbotmässigen bisherigen Aktenumgangs in der vorliegenden Sache gelte daher bis zum Abschluss der Untersuchung nach Art. 318 StPO weiterhin, dass gerichtliche Akten nicht ohne Zustimmung des zuständigen Gerichts an Parteien oder Dritte herausgegeben werden dürfen.
2
3
1.3 Die Beschwerdeführerin hatte im vorliegenden Fall keine Möglichkeit, am vorinstanzlichen Verfahren teilzunehmen. Sie beruft sich auf das Akteneinsichtsrecht und damit auf ein Verfahrensrecht, das sie als Privatklägerin beansprucht (Art. 104 Abs. 1 lit. b und Art. 118 ff. i.V.m. Art. 101 f. StPO). Sie wendet sich mit ihrem Subeventualantrag 3 gegen die in E. 1.1 hiervor wiedergegebenen Ausführungen des Kantonsgerichts. Die Verweigerung der Akteneinsicht kommt auch im Dispositiv des angefochtenen Beschlusses des Kantonsgerichts zum Ausdruck. In diesem Punkt wird die Beschwerdeführerin vom angefochtenen Entscheid in den ihr zustehenden Verfahrensrechten betroffen. Sie kann den Beschluss des Kantonsgerichts BGE 138 IV, 78 (80)vom 9. September 2011 deshalb in diesem Punkt beim Bundesgericht mit Beschwerde in Strafsachen anfechten. Da es dabei um die Wahrung von Verfahrensrechten geht, kann insoweit ungeprüft bleiben, ob sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung der Zivilansprüche der Beschwerdeführerin auswirken kann. Das nach Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG erforderliche rechtlich geschützte Interesse ergibt sich in diesem Fall nicht aus einer Berechtigung in der Sache, sondern aus der Berechtigung, am Verfahren teilzunehmen (sog. "Star-Praxis"; BGE 136 IV 29 E. 1.9; Urteile 1B_74/2011 vom 27. April 2011 E. 2.2; 6B_511/2010 vom 13. August 2010 E. 2; 6B_671/2009 vom 20. Januar 2010 E. 2.2.4; je mit Hinweisen).
4
Soweit die Beschwerdeführerin darüber hinaus Parteirechte beanspruchen sollte, erfüllt die Beschwerde die Voraussetzungen der Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 BGG nicht.
5
6
3. Als Geschädigte und Privatklägerin (Art. 115 und 118 StPO) hat die Beschwerdeführerin im Strafverfahren Parteistellung (Art. 104 Abs. 1 lit. b StPO). Als Partei hat sie grundsätzlich Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 3 Abs. 2 lit. c, Art. 101 Abs. 1 und Art. 107 Abs. 1 lit. a StPO). Spätestens nach der ersten Einvernahme der beschuldigten Person und der Erhebung der übrigen wichtigsten Beweise haben die Parteien unter Vorbehalt von Art. 108 StPO Anspruch auf Akteneinsicht (Art. 101 Abs. 1 StPO). Gründe für Einschränkungen des rechtlichen Gehörs im Sinne von Art. 108 StPO sind nicht ersichtlich. Das Haftprüfungsverfahren gemäss Art. 220 ff. StPO ist ein Teilverfahren innerhalb des Strafverfahrens. Die Akten dieses Zwangsmassnahmenverfahrens gehören somit zu den Strafakten. Die Parteien haben deshalb im Rahmen des beschriebenen Akteneinsichtsrechts auch das Recht, die Akten dieses Teilverfahrens einzusehen. Die in E. 6 des angefochtenen Entscheids begründete Verweigerung der Zustellung des kantonsgerichtlichen Beschlusses vom 9. September 2011 an die Beschwerdeführerin ist mit dem Anspruch auf Akteneinsicht im Strafverfahren nicht vereinbar.
7
Gemäss Art. 214 Abs. 4 StPO wird das Opfer grundsätzlich unter anderem über die Anordnung und die Aufhebung der BGE 138 IV, 78 (81)Untersuchungs- oder Sicherheitshaft orientiert. Anordnung und Anfechtung von Ersatzmassnahmen richten sich sinngemäss nach den Vorschriften über die Untersuchungs- und Sicherheitshaft (Art. 237 Abs. 4 StPO). Das Kantonsgericht hätte den angefochtenen Beschluss vom 9. Sepb>tember 2009 dem Opfer, d.h. der Beschwerdeführerin auch im Lichte dieser Vorschriften von Amtes wegen mitteilen müssen.
8
4. Die Beschwerde ist somit teilweise gutzuheissen, soweit der Beschwerdeführerin im angefochtenen Beschluss des Kantonsgerichts vom 9. September 2011 die Einsicht in die Akten des Strafverfahrens verweigert und ihr dieser Beschluss nicht zugestellt wurde. Insoweit ist der angefochtene Beschluss des Kantonsgerichts aufzuheben. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Gestützt auf Art. 107 Abs. 2 BGG kann das Bundesgericht im Falle der Gutheissung der Beschwerde reformatorisch entscheiden. Es rechtfertigt sich, dass es den Beschluss des Kantonsgerichts vom 9. September 2011 in Anwendung dieser Vorschrift der Beschwerdeführerin zusammen mit dem vorliegenden Urteil zustellt. Mit dem vorliegenden Entscheid wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.
9
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).