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Informationen zum Dokument  BGE 114 V 194  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1. Nach Art. 17 Abs. 2 AVIG muss sich der Arbeitslose am ersten T ...
2. a) Nach der vorinstanzlichen Auffassung entspricht die von der ...
3. Aus diesen Überlegungen ergibt sich für den vorliege ...
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39. Urteil vom 15. August 1988 i.S. Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit gegen S. und Versicherungsgericht des Kantons Bern
 
 
Regeste
 
Art. 27 Abs. 1 und 3 AVIV: Kontrollfreie Bezugstage.  
 
Sachverhalt
 
BGE 114 V, 194 (194)A.- Ursula S. schloss Ende Februar 1986 das Studium an der philosophisch-historischen Fakultät einer schweizerischen Universität mit dem Lizentiat ab; gleichzeitig gab sie auch ihre Hilfsassistentinnenstelle auf. Von Anfang März 1986 hinweg unterzog sie sich der Stempelkontrolle. Am 6. März 1986 stellte sie den Antrag auf Gewährung von Arbeitslosenentschädigung ab 27. Februar 1986. In der Folge erzielte sie in den Monaten Juni, Juli, November und Dezember 1986 Zwischenverdienste. Vom 26. Januar bis 30. April 1987 stempelte sie nicht, da sie in dieser Zeit als Jugendarbeiterin für die Gemeinde O. tätig war. Das gleiche gilt für die Monate Juni und Juli 1987, als sie als Kursadministratorin der Dienststelle Arbeitslosigkeit der Stadt B. im Einsatz stand. Im August 1987 unterzog sie sich wieder der Stempelkontrolle.
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Mit Verfügung vom 1. September 1987 verneinte die Arbeitslosenkasse des Kantons Bern die Anspruchsberechtigung der Versicherten auf fünf kontrollfreie Bezugstage vom 24. bis 31. August BGE 114 V, 194 (195)1987 mit der Begründung, Ursula S. weise seit Februar 1986 nur 176,2 Tage kontrollierter Arbeitslosigkeit auf. Im Oktober 1986 habe sie insgesamt 10 kontrollfreie Bezugstage zurückgelegt. Um für die Zeit vom 24. bis 31. August 1987 erneut fünf kontrollfreie Bezugstage beanspruchen zu können, müsste sie insgesamt 225 Tage kontrollierter Arbeitslosigkeit aufweisen.
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B.- Beschwerdeweise verlangte die Versicherte dem Sinne nach fünf kontrollfreie Bezugstage; weil auf der Bezügerabrechnung vom 5. Juni 1987 vermerkt gewesen sei: "Anspruch kontrollfreie Tage: 5.0". Gestützt darauf habe sie diese Tage Ende August 1987 bezogen.
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Das Versicherungsgericht des Kantons Bern hiess die Beschwerde mit Entscheid vom 3. Februar 1988 gut, indem es die Kassenverfügung aufhob und die Arbeitslosenkasse anwies, die Taggelder für die Zeit vom 24. bis 28. August 1987 nachzuzahlen.
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C.- Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde, indem es die Aufhebung des Entscheides des kantonalen Versicherungsgerichts und die Wiederherstellung der Kassenverfügung beantragt. Auf die Begründung wird in den rechtlichen Erwägungen zurückzukommen sein.
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Ursula S. trägt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an.
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Das Kantonale Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (KIGA) verzichtet auf eine Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
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Nach der Anmeldung beim Arbeitsamt müssen sich die Versicherten entsprechend der Anordnung des Kantons, mindestens aber zweimal wöchentlich zur Vermittlung sowie zur Überprüfung BGE 114 V, 194 (196)ihrer Arbeitslosigkeit und Vermittlungsfähigkeit beim Arbeitsamt persönlich melden (Art. 21 Abs. 1 AVIV). Der Kanton bestimmt die Kontrolltage (Art. 21 Abs. 4 Satz 1 AVIV). Versicherte, die eine Ersatzarbeit (vgl. Art. 25 Abs. 1 AVIG) ausüben, müssen sich mindestens einmal im Monat beim Arbeitsamt melden. Dieses kann den Versicherten zu weiteren Vermittlungsgesprächen aufbieten. Es nimmt bei der Festlegung des Kontrolltages auf dessen Beschäftigung Rücksicht (Art. 22 Abs. 1 AVIV). Versicherte, die einen Zwischenverdienst (vgl. Art. 24 Abs. 1 AVIG) erzielen, sowie teilweise Arbeitslose im Sinne von Art. 10 Abs. 2 lit. b AVIG müssen die Kontrollpflicht an den Tagen nicht erfüllen, an denen sie mehr als vier Stunden arbeiten. Das Arbeitsamt kann sie auf einen anderen Tag zur Kontrolle aufbieten. Im übrigen gilt die Ordnung von Abs. 1 für diese Kategorie von Versicherten sinngemäss (Art. 22 Abs. 2 AVIV). Teilweise Arbeitslose, die täglich eine Teilzeitbeschäftigung von mehr als vier Stunden ausüben, haben die Kontrollpflicht nach Weisung des Arbeitsamtes mindestens einmal wöchentlich zu erfüllen (Art. 22 Abs. 3 AVIV).
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Unter dem Randtitel "Kontrollfreie Bezugstage" normiert Art. 27 AVIV folgendes: Nach je 75 Tagen kontrollierter Arbeitslosigkeit innerhalb der Rahmenfrist hat der Versicherte Anspruch auf fünf aufeinanderfolgende kontrollfreie Bezugstage, die er frei wählen kann. Während dieser fünf kontrollfreien Bezugstage muss er nicht vermittlungsfähig sein, jedoch die übrigen Voraussetzungen (Art. 8 AVIG) erfüllen (Abs. 1). Nimmt er Arbeit an, bevor er die kontrollfreien Tage bezogen hat, so werden ihm die entsprechenden Taggelder ausgerichtet, es sei denn, es handle sich um eine Beschäftigung, bei der er lediglich einen Zwischenverdienst erzielt (Abs. 2). Als Tage kontrollierter Arbeitslosigkeit zählen gemäss Abs. 3 von Art. 27 AVIV jene "Tage, für die der Versicherte Arbeitslosenentschädigung bezogen hat, sowie bestandene Wartezeiten (Art. 11, 14 und 28 AVIG) und Einstellungstage (Art. 30 AVIG)".
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2. a) Nach der vorinstanzlichen Auffassung entspricht die von der Arbeitslosenkasse in der Ablehnungsverfügung erwähnte Zahl von bisher 176,2 Tagen nicht den Tagen kontrollierter Arbeitslosigkeit im Sinne von Art. 27 AVIV, sondern lediglich der Anzahl voller Taggelder, welche der Versicherten bis am 24. August 1987 ausgerichtet worden sind. Diese Taggelder könnten jedoch nicht den Tagen kontrollierter Arbeitslosigkeit gleichgesetzt werden. Art. 27 Abs. 3 AVIV bezeichne denn auch als Tage BGE 114 V, 194 (197)kontrollierter Arbeitslosigkeit nicht etwa die Anzahl ausgerichteter Taggelder, sondern ausdrücklich diejenigen Tage, für die der Versicherte Arbeitslosenentschädigung bezogen habe. Die von der Verwaltung praktizierte Gleichstellung der ausgerichteten Taggelder mit den kontrollierten Arbeitslosentagen sei verordnungswidrig.
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Das BIGA seinerseits hält dem entgegen: Aus Art. 27 Abs. 3 AVIV ergebe sich, dass als Tage kontrollierter Arbeitslosigkeit solche Tage zählen würden, für die der Versicherte Arbeitslosenentschädigung bezogen habe, sowie bestandene Wartezeiten und Einstellungstage. Daher sei der Begriff der Tage kontrollierter Arbeitslosigkeit eindeutig wertmässig zu interpretieren, weil die Arbeitslosenentschädigung nur in Form von Taggeldern bezogen werden könne. Die kontrollfreien Bezugstage seien systematisch in gleicher Weise zu behandeln wie die Warte- und Einstellungstage. Dass dabei die Einstellungstage wertmässig betrachtet werden müssten, sei aus Art. 30 Abs. 3 AVIG erkennbar, wonach die Einstellungstage auf die Höchstzahl der Taggelder nach Art. 27 AVIG anzurechnen seien. Und dass Wartetage nicht zeitlich, sondern wertmässig (als Taggelder) interpretiert werden müssten, habe das Eidg. Versicherungsgericht in seinem Urteil vom 7. Mai 1987 in Sachen Z. (ARV 1987 Nr. 4 S. 62) entschieden.
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b) Nach Art. 14 Abs. 4 AVIG haben Personen, die von der Erfüllung der Beitragszeit innerhalb der Rahmenfrist des Art. 9 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 lit. e AVIG als Voraussetzung für den Taggeldanspruch befreit sind, vor dem erstmaligen Bezug in der Rahmenfrist während einer vom Bundesrat festzusetzenden Wartezeit keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung. Als Wartezeit zählen nur Tage, für die der Versicherte die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt (Art. 6 Abs. 4 AVIV). Erzielt der arbeitslose Versicherte einen Zwischenverdienst, so wird der Gesamtbetrag der Arbeitslosenentschädigung, auf den er ohne Zwischenverdienst während der Kontrollperiode Anspruch hätte, gemäss Art. 24 Abs. 2 AVIG um die Hälfte des Zwischenverdienstes gekürzt, und der Restbetrag der Arbeitslosenentschädigung wird als Taggeld ausbezahlt. In dem vom BIGA zitierten Urteil Z. hat das Eidg. Versicherungsgericht entschieden, dass die Wartezeiten wertmässig, d.h. mit Taggeldern und nicht mit kontrollierten Tagen zu tilgen sind. Das bedeutet, dass dem Versicherten nur Wartetage angerechnet werden können, für die ihm volle Taggelder zustehen würden, so dass jeweils zu prüfen ist, wieviel BGE 114 V, 194 (198)volle Taggelder in einer Kontrollperiode trotz Zwischenverdienst hätten bezogen werden können. Zu dieser Schlussfolgerung war das Gericht aus Gründen der Gesetzessystematik und der Rechtsgleichheit gelangt. Würden nämlich beim Versicherten mit Zwischenverdienst nicht volle Taggelder für das Bestehen der Wartezeit verlangt, so wäre er gegenüber demjenigen Versicherten bessergestellt, der die Wartezeit ohne Zwischenverdienst zu bestehen hat und für jeden Wartetag ein volles Taggeld einbüsst. Aus dieser Rechtsprechung schliesst das BIGA im vorliegenden Fall, dass auch die Tage kontrollierter Arbeitslosigkeit im Sinne von Art. 27 Abs. 1 und 3 AVIV wertmässig, d.h. nach Taggeldern und nicht nach kontrollierten Tagen bestimmt werden müssen. Dieser Betrachtungsweise kann aus den nachfolgenden Gründen nicht beigepflichtet werden.
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Der Zweck der Wartezeit, mit dem sich das Eidg. Versicherungsgericht im Urteil Z. zu befassen hatte, besteht darin, "einen gewissen Ausgleich für die Begünstigung zu schaffen, die sich aus der Befreiung von der vorgängigen Beitragszeit ergibt. Es geht dabei weniger um die nicht entrichteten Beiträge als um die Besserstellung gegenüber allen übrigen Versicherten, welche bei Fehlen auch nur eines einzigen Beitragsmonats keinen Anspruch haben" (Botschaft des Bundesrates zum AVIG, BBl 1980 III 566). Dieser Zweck lässt sich nur dadurch in für alle Versicherten rechtsgleicher Art erreichen, dass die Wartetage wertmässig getilgt werden müssen.
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c) Das Institut der kontrollfreien Bezugstage dagegen gründet sich auf schutzrechtlichen Überlegungen, wie sie bezüglich der Ferien im Arbeitsverhältnis zum Tragen kommen. Der arbeitslose Versicherte soll damit die Gelegenheit erhalten, wenigstens während einiger Tage völlig frei disponieren zu können (GERHARDS, Kommentar zum AVIG, Bd. I, S. 261, N. 72 zu Art. 17). Es geht hier nicht um die finanzielle Entlastung der Versicherung, sondern bloss darum, wie der Versicherte seiner Kontrollpflicht zu genügen hat. Diese trifft auch jenen Versicherten, der eine Teilzeitbeschäftigung ausübt und daher nur teilweise arbeitslos ist oder der eine Ersatzarbeit annimmt oder einen Zwischenverdienst erzielt (Art. 22 AVIV). Daraus folgt, dass die Tage, während denen die Versicherten eine Teilzeitbeschäftigung oder eine Ersatzarbeit verrichten oder einen Zwischenverdienst erzielen, als Tage kontrollierter Arbeitslosigkeit gelten, obschon sie ihre Kontrollpflicht nicht jeden Tag erfüllen müssen. Dafür spricht insbesondere auch BGE 114 V, 194 (199)die Überlegung, dass der Lohn für Ersatzarbeit oder der Zwischenverdienst den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung nicht etwa beseitigt, sondern ihn lediglich betragsmässig schmälert. Aus dem Zweck der kontrollfreien Bezugstage und der systematischen Ordnung von Gesetz und Verordnung ist daher zu schliessen, dass die Tage kontrollierter Arbeitslosigkeit gemäss Art. 27 Abs. 1 und 3 AVIV im zeitlichen Sinne verstanden werden müssen, so dass für die Beurteilung des Anspruchs auf kontrollfreie Bezugstage nicht darauf abgestellt werden darf, ob der arbeitslose Versicherte wertmässig 75 volle Taggelder bezogen hat (GERHARDS, a.a.O., S. 263 f., N. 77 zu Art. 17). Massgebend ist allein, ob seine - ganze oder teilweise - Arbeitslosigkeit während 75 Tagen kontrolliert worden ist. Die Betrachtungsweise des BIGA, wonach der Anspruch auf fünf kontrollfreie Bezugstage erst gegeben wäre, nachdem dem Versicherten wertmässig 75 volle Taggelder ausgerichtet worden sind, lässt den schutzrechtlichen Feriengedanken völlig unbeachtet. Zudem würde sie zu einer rechtsungleichen Behandlung der Versicherten führen, indem Versicherte, die keine vollen Taggelder beziehen, länger darauf warten müssten, dass sie über fünf kontrollfreie Tage verfügen können, als Versicherte, die Anspruch auf ein volles Taggeld haben, obschon sie in gleicher Weise wie diese auf Stempelferien angewiesen sind (vgl. GERHARDS, a.a.O., S. 263, N. 77 zu Art. 17). Dem BIGA kann insbesondere auch darin nicht gefolgt werden, dass die zeitliche Interpretation des Begriffs der Tage kontrollierter Arbeitslosigkeit zu einer ungerechtfertigten Besserstellung jener Versicherten führen würde, die eine Ersatzarbeit oder eine Teilzeitarbeit verrichten, weil diese Versicherten dann einen Ferienanspruch sowohl aus dem Arbeitsverhältnis als auch aus kontrollierter Arbeitslosigkeit hätten. Selbst wenn dem eine Teilzeit- oder eine Ersatzarbeit verrichtenden Versicherten arbeitsvertraglich ein Ferienanspruch zustände, so würde ihn dies grundsätzlich nicht von der Pflicht befreien, gegebenenfalls auch während dieser Ferien seiner AlV-rechtlichen Kontrollpflicht nachzukommen.
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Das kantonale Versicherungsgericht hat unwidersprochen festgestellt, dass die Beschwerdegegnerin vom Februar 1986 bis Januar 1987 insgesamt 218 und im Mai 1987 weitere 19, insgesamt somit 237 Tage kontrollierter Arbeitslosigkeit nachweisen kann. Nach den Darlegungen in Erw. 2c ist es unerheblich, dass sie in BGE 114 V, 194 (200)dieser Zeit insgesamt lediglich 176,2 volle Taggelder bezogen hat. Der Beschwerdegegnerin stand deshalb innerhalb der massgebenden Rahmenfrist, die am 27. Februar 1986 zu laufen begonnen hat, zum dritten Mal ein Anspruch auf fünf kontrollfreie Bezugstage zu. Der Vermerk auf der Bezügerabrechnung vom 5. Juni 1987, dass sie fünf stempelfreie Tage beanspruchen könne, erweist sich deshalb als richtig, so dass die Vorinstanz die von der Arbeitslosenkasse am 1. September 1987 verfügte Ablehnung kontrollfreier Bezugstage in der Zeit vom 24. bis 31. August 1987 mit Recht aufgehoben hat.
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