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Informationen zum Dokument  BGE 114 V 328  Materielle Begründung
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Regeste
Aus den Erwägungen:
4. b) Das Bundesamt für Militärversicherung (BAMV) vert ...
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
60. Auszug aus dem Urteil vom 30. Dezember 1988 i.S. B. gegen Bundesamt für Militärversicherung und Versicherungsgericht des Kantons Zürich
 
 
Regeste
 
Art. 52 Abs. 1 und 3 MVG, Art. 9a Abs. 1 MVV: Kürzung der Rente bei Überentschädigung.  
Art. 52 Abs. 3 MVG ermächtigt den Bundesrat nicht zu einer restriktiven Ausgestaltung dieser Kürzungsregel.  
Soweit Art. 9a Abs. 1 MVV für die Kürzungsberechnung das der Rentenfestsetzung zugrundeliegende hypothetische Valideneinkommen als massgebend erklärt, ist die Verordnungsbestimmung gesetzwidrig.  
 
BGE 114 V, 328 (328)Aus den Erwägungen:
 
4. b) Das Bundesamt für Militärversicherung (BAMV) vertritt die Auffassung, Art. 9a Abs. 1 MVV sei gesetzeskonform, und führt zur Begründung im wesentlichen an, es könne nicht dem Sinn von Art. 52 Abs. 1 MVG entsprechen, die Kürzungsgrenze frei und BGE 114 V, 328 (329)unabhängig von der Rentengrundlage in "dynamischer Fortentwicklung alle paar Monate" aufgrund einer angenommenen Erhöhung des hypothetischen Valideneinkommens neu festzusetzen; dies sei bezüglich der Überversicherungsberechnung ebensowenig wie im Bereich des Rentenrevisionsverfahrens zulässig. Im weiteren weist es auf die praktischen Schwierigkeiten bei der Abklärung späterer hypothetischer Entwicklungen des anlässlich der Rentenzusprache festgesetzten Valideneinkommens hin: deshalb seien "Überversicherungsermittlung und Invaliditätsermittlung sachlogisch und auch rechtlich weitgehend als Einheit zu betrachten".
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In sachlicher Hinsicht wie auch unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität mag die vom BAMV postulierte Einheitlichkeit der Festsetzung des hypothetischen Valideneinkommens sowohl bezüglich der Rente als auch bezüglich der Überentschädigung bis zu einem gewissen Grade zwar als gerechtfertigt erscheinen. Aus dem Wortlaut des Art. 52 Abs. 1 MVG ergibt sich indessen keine Einschränkung, welche die Kürzungsberechnung an das der Rentenfestsetzung zugrundeliegende hypothetische Valideneinkommen binden und dementsprechend eine von den gesetzlich vorgesehenen, zeitlich jedoch nur beschränkt möglichen Rentenanpassungsverfahren unabhängige Änderung der Überversicherungsermittlung ausschliessen würde. Im Vergleich dazu sieht Art. 25bis MVG bezüglich der Berechnung der Rentenhöhe in Abs. 1 zwar auch eine "volle" Anpassung an die Teuerung sowie an Änderungen der Erwerbseinkommen vor, relativiert diesen Grundsatz in Abs. 2 jedoch ausdrücklich, indem der Ausgleichszeitpunkt an die intervallweise erfolgenden Rentenanpassungen der AHV/IV geknüpft wird. Das Fehlen einer entsprechenden einschränkenden Regelung in Art. 52 Abs. 1 MVG lässt auf eine vom Gesetzgeber bewusst zugelassene jederzeitige Anpassung der Überversicherungsberechnung schliessen, zumal deren Änderung sich auch aus einem Rentenrevisionsverfahren (Art. 26 MVG) betreffend den Invaliditätsgrad ergeben kann, dessen Durchführung von Amtes wegen oder auf Gesuch hin grundsätzlich jederzeit möglich ist. Nebst dem Wortlaut des Art. 52 Abs. 1 MVG sprechen auch Sinn und Zweck der gesetzlichen Kürzungsbestimmung, welche eine Überentschädigung des Versicherten vermeiden soll, dafür, jeder Veränderung des hypothetischen Valideneinkommens eine Neuberechnung der Überversicherung folgen zu lassen. Andernfalls hätte ein Versicherter, dem wegen der zeitlich nur beschränkt möglichen betraglichen Rentenanpassung vorübergehend BGE 114 V, 328 (330)eine zu tiefe Rente gewährt wird, gleichzeitig eine zu hohe Überentschädigungskürzung in Kauf zu nehmen. Zu einer solchen zusätzlichen Belastung darf die Kürzungsregelung, welcher lediglich die Bedeutung eines Korrekturfaktors zukommt, jedoch nicht führen. Nach Massgabe des Art. 52 Abs. 1 MVG ist deshalb eine Abänderung der Überentschädigungsberechnung jederzeit als zulässig zu betrachten, sofern eine Veränderung des hypothetischen Valideneinkommens mit dem erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen wird.
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Die vom BAMV hinsichtlich einer solchen Auslegung geäusserten Bedenken vermögen daran nichts zu ändern. Auch wenn nebst den gesetzlich vorgesehenen Rentenrevisionen und -anpassungen noch zusätzlich Änderungen der Überentschädigungsberechnung möglich sind, ist nicht mit monatlich notwendig werdenden Neuermittlungen zu rechnen. Teuerungszulagen und Reallohnerhöhungen ergeben sich in der Regel nur nach längeren Zeitspannen von mindestens einjähriger Dauer, und hypothetische berufliche Aufstiege in höhere Besoldungsbereiche, die überdies eines strengen Wahrscheinlichkeitsbeweises bedürften, kommen erfahrungsgemäss ebenfalls eher selten vor.
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c) Zu prüfen bleibt, ob der Bundesrat mit der in Art. 9a Abs. 1 MVV getroffenen Regelung die ihm in Art. 52 Abs. 3 MVG delegierte Kompetenz zum "Erlass näherer Bestimmungen über die Kürzungsberechnung" überschritten hat.
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Art. 52 MVG wurde durch das auf den 1. Januar 1984 in Kraft gesetzte UVG neu ins MVG eingefügt (Art. 117 UVG in Verbindung mit Ziff. 6 des dazugehörenden Anhangs) und sollte die früher in den Art. 48 AHVG und 45 IVG normierten Kürzungsregelungen ersetzen (vgl. Botschaft des Bundesrates zum Bundesgesetz über die Unfallversicherung vom 18. August 1976, BBl 1976 III 228). Während der bundesrätliche Entwurf zum UVG entsprechend den bis Ende 1983 gültig gewesenen Art. 48 AHVG und 45 IVG dem Bundesrat in Art. 52 Abs. 3 MVG noch die Befugnis einräumte, über die Kürzungen generell nähere Bestimmungen zu erlassen, stimmte die Kommission des Nationalrates in der Folge dem Departementsvorschlag zu, wonach der Begriff "Kürzungen" durch "Kürzungsberechnung" ersetzt und die Delegationsnorm zudem durch die ausdrückliche Erwähnung einer möglichen Gleichstellung des Krankengeldes mit der Rente ergänzt werden sollte (Protokoll der Kommission des Nationalrates, Sitzung vom 28./29. August 1978, S. 46). Diese modifizierte Fassung des Art. 52 BGE 114 V, 328 (331)Abs. 3 MVG wurde schliesslich am 19. März 1979 vom Nationalrat (Amtl.Bull. 1979 N 290) und am 1. Oktober 1980 vom Ständerat (Amtl.Bull. 1980 S 505) angenommen. Den Gesetzesmaterialien lässt sich indessen nicht entnehmen, ob mit der Einfügung des modifizierten Ausdruckes "Kürzungsberechnung" gegenüber der früher geltenden Regelung und dem bundesrätlichen Entwurf lediglich eine redaktionelle Änderung oder eine engere Begrenzung der dem Bundesrat übertragenen Kompetenz in materieller Hinsicht beabsichtigt war.
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Die Annahme einer Ermächtigung des Bundesrates zu einer restriktiven Ausgestaltung der in Art. 52 Abs. 1 MVG getroffenen grundsätzlichen Regelung ist mit dem Wortlaut der in Abs. 3 derselben Bestimmung vorgenommenen Delegation indessen nicht vereinbar. Im Hinblick auf den ebenfalls mit dem UVG eingeführten Art. 25bis MVG, dessen Abs. 2 bezüglich der dem Bundesrat eingeräumten Befugnis zur näheren Regelung der Rentenanpassungen ausdrücklich eine klare Einschränkung des in Abs. 1 enthaltenen Grundsatzes schafft, ist angesichts der Formulierung des Art. 52 Abs. 3 MVG davon auszugehen, dass dem Bundesrat lediglich eine gewisse Freiheit bei der Festlegung der Formalien der nicht näher definierten Kürzungsberechnung eingeräumt wurde. Es lässt sich deshalb nicht rechtfertigen, auch die Wahl der Berechnungsgrundlagen unter den Begriff "Kürzungsberechnung" fallenzulassen. Die in Art. 9a Abs. 1 MVV erfolgte Bestimmung des zeitlich massgebenden Validenlohnes stellt somit eine unzulässige Änderung der in Art. 52 Abs. 1 MVG enthaltenen gesetzlichen Kürzungsregelung dar, welche eine Bindung des massgebenden Validenlohnes an den Zeitpunkt der Rentenfestsetzung nicht vorsieht. Soweit Art. 9a Abs. 1 MVV für die Kürzungsberechnung das der Rentenfestsetzung zugrundeliegende hypothetische Valideneinkommen als massgebend erklärt, erweist sich die Verordnungsbestimmung als gesetzwidrig.
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