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Informationen zum Dokument  BGE 117 V 244  Materielle Begründung
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Regeste
Aus den Erwägungen:
2. Gemäss Art. 28 AVIG haben Arbeitslose, die wegen Krankhei ...
3. a) Die Gesetzgebung über die Arbeitslosenversicherung ent ...
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31. Auszug aus dem Urteil vom 26. August 1991 i.S. G. gegen Kantonales Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, Bern, und Verwaltungsgericht des Kantons Bern
 
 
Regeste
 
Art. 28 Abs. 1 und 3 AVIG, Art. 42 Abs. 1 und 2 AVIV.  
Die einwöchige Frist zur Meldung der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit, Unfall oder Mutterschaft ist eine Verwirkungsfrist mit der Folge, dass der Arbeitslose bei verspäteter Meldung - sofern dafür kein entschuldbarer Grund vorliegt - keinen Taggeldanspruch für die Tage vor der Meldung hat.  
 
BGE 117 V, 244 (244)Aus den Erwägungen:
 
2. Gemäss Art. 28 AVIG haben Arbeitslose, die wegen Krankheit, Unfall oder Mutterschaft vorübergehend nicht oder nur vermindert arbeits- und vermittlungsfähig sind und deshalb die Kontrollvorschriften nicht erfüllen können, sofern sie die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, Anspruch auf das volle Taggeld. Der Anspruch beginnt jedoch erst nach einer Wartezeit von einer Woche, ausgenommen wenn die Arbeitsunfähigkeit durch Mutterschaft oder Unfall bedingt ist oder der Arbeitslose sich zur Behandlung in einer Heilanstalt befindet. Er dauert höchstens bis zum 30. Tage nach Beginn der ganzen oder teilweisen BGE 117 V, 244 (245)Arbeitsunfähigkeit und ist innerhalb der Rahmenfrist auf 34 Taggelder beschränkt (Abs. 1). Der Bundesrat bestimmt die Einzelheiten; er regelt insbesondere die Frist für die Geltendmachung des Anspruchs und die Folgen einer verspäteten Geltendmachung (Abs. 3).
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Der Bundesrat hat von dieser Befugnis Gebrauch gemacht und in Art. 42 AVIV folgende Regelung getroffen:
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"Arbeitslose, die wegen Krankheit, Unfall oder Mutterschaft vorübergehend
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nicht oder nur vermindert arbeits- und vermittlungsfähig sind und ihren
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Taggeldanspruch geltend machen wollen, müssen ihre Arbeitsunfähigkeit
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innert einer Woche seit deren Beginn dem Arbeitsamt melden. Der
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Versicherte kann die Meldung telefonisch oder durch eine Drittperson
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erstatten, wenn er wegen seines Zustandes nicht in der Lage ist, sich
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persönlich beim Arbeitsamt zu melden (Abs. 1). Meldet der Versicherte
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seine Arbeitsunfähigkeit ohne entschuldbaren Grund zu spät, so hat er
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keinen Taggeldanspruch für die Tage vor der Meldung (Abs. 2)."
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3. a) Die Gesetzgebung über die Arbeitslosenversicherung enthält verschiedenenorts Fristenregelungen, deren Befolgung für die Wahrung der einzelnen Leistungsansprüche von erheblicher Bedeutung ist. Zu unterscheiden sind dabei einerseits die zeitliche Limitierung für die Meldung von Arbeitsausfällen und andererseits diejenige für die Geltendmachung der Entschädigungsansprüche. So muss sich beispielsweise der Versicherte am ersten Tag, für den er Arbeitslosenentschädigung beanspruchen will, persönlich beim Arbeitsamt seines Wohnortes zur Arbeitsvermittlung melden; ab diesem Zeitpunkt hat er auch die Kontrollvorschriften des Bundesrates zu befolgen und sich damit namentlich der Stempelkontrolle zu unterziehen (Art. 17 Abs. 2 AVIG in Verbindung mit Art. 18 ff. AVIV). Der Arbeitgeber anderseits, der für seine Angestellten Kurzarbeitsentschädigung verlangt, muss mindestens 10 Tage vor der Arbeitszeitverkürzung eine schriftliche Voranmeldung einreichen (Art. 36 Abs. 1 AVIG). Zur Wahrung des Anspruches auf Schlechtwetterentschädigung hat er witterungsbedingte Arbeitsausfälle unverzüglich zu melden und diese Mitteilung bei längerem Andauern wöchentlich zu erneuern (Art. 45 AVIG; Art. 69 AVIV). Die Geltendmachung der Arbeitslosenentschädigung schliesslich hat innert 3 Monaten nach dem Ende der Kontrollperiode, auf die sich der Anspruch bezieht, zu erfolgen (Art. 20 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 18 Abs. 2 AVIG; Art. 29 AVIV). Der unbenützte Ablauf dieser Frist führt zum Erlöschen des Anspruchs (Art. 20 Abs. 3 AVIG). Die gleiche Regelung gilt auch für den Arbeitgeber hinsichtlich der Geltendmachung BGE 117 V, 244 (246)von Kurzarbeits- und Schlechtwetterentschädigung (Art. 38 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 39 Abs. 3 AVIG und Art. 47 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 48 Abs. 3 AVIG).
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b) Sowohl bei den Meldefristen als auch bei den Fristen für die Geltendmachung der Versicherungsleistungen handelt es sich nach der Rechtsprechung um Verwirkungsfristen, deren Nichtwahrung das Erlöschen des Anspruches zur Folge hat (BGE 114 V 123 mit zahlreichen Hinweisen). Dies hat das Eidg. Versicherungsgericht bislang namentlich in bezug auf die zehntägige Frist zur Voranmeldung der Kurzarbeit (BGE 110 V 334) und die Fristen zur erstmaligen Meldung des Arbeitsausfalls infolge Schlechtwetterentschädigung und zu deren wöchentlicher Erneuerung (BGE 110 V 339) erkannt. Im Bereich der Kurzarbeits- und Schlechtwetterentschädigung hat der Gesetzgeber diese Regelung insofern gemildert, als er eine Anspruchsverwirkung nur in den Fällen eintreten lässt, in denen kein entschuldbarer Grund für die Verspätung der Meldung vorliegt (Art. 58 Abs. 4 und Art. 69 Abs. 2 AVIV). Die gleiche Regelung findet sich ebenfalls im Zusammenhang mit der Taggeldberechtigung bei vorübergehend fehlender oder verminderter Arbeitsfähigkeit (Art. 42 Abs. 1 AVIV). Die Fristen von Art. 36 Abs. 1 und Art. 45 Abs. 1 AVIG stellen keine blossen Ordnungsvorschriften, sondern formelle Anspruchsvoraussetzungen dar, was bedeutet, dass der ohne entschuldbaren Grund verspätet gemeldete Arbeitsausfall im Ausmass der Verspätung der Voranmeldung nicht anrechenbar bzw. erst vom Tag der Meldung an anrechenbar ist (BGE 110 V 341 Erw. 2a; GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz, Bd. I, N 38 und 40 zu Art. 36 AVIG). Diese Fristen dienen in erster Linie der Sicherung der Kontrollmöglichkeiten durch die kantonalen Amtsstellen (insbesondere hinsichtlich der meteorologischen Verhältnisse) und der Vermeidung von Missbräuchen, indem der Verwaltung ein gewisser zeitlicher Spielraum zur Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen eingeräumt wird; sie sind mit Sinn und Zweck der Meldepflicht (Gewährleistung der Kontrolle) sachlich gerechtfertigt (vgl. BGE 110 V 341 Erw. 2a; GERHARDS, a.a.O., N 40 zu Art. 36 und N 10 zu Art. 45 AVIG).
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c) Die Vorschrift von Art. 28 AVIG stellt einen Einbruch in das Grundprinzip der Arbeitslosenversicherung dar, wonach Leistungen nur bei Vermittlungsfähigkeit des Versicherten in Betracht kommen (vgl. Art. 8 Abs. 1 lit. f AVIG). Zur Vermeidung von Härtefällen, Schliessung von Lücken im Bereich der "Nahtstellen" BGE 117 V, 244 (247)zwischen ihr und anderen Zweigen der Sozialversicherung (insbesondere Kranken- und Unfallversicherung), vorab aber im Interesse der Verbesserung der sozialen Sicherung Arbeitsloser im Falle von Krankheit, Unfall und Mutterschaft wurde durch diese Sonderregelung ein zeitlich limitiertes Taggeld eingeräumt (vgl. GERHARDS, a.a.O., N 2 zu Art. 28 AVIG; SPÜHLER, Grundriss des Arbeitslosenversicherungsrechts, 1985, S. 43). Um der Missbrauchsgefahr zu begegnen, wie etwa der Entziehung der Kontrollpflicht und der Vermittlung durch Berufung auf blosse Unpässlichkeit, hat der Gesetzgeber durch die Voraussetzung einer Wartezeit von einer Woche für den Krankheitsfall (nicht aber bei Mutterschaft, Unfall und Hospitalisation) sowie durch das Erfordernis der Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit mittels Arztattest Rechnung getragen. Das gleiche Ziel verfolgt auch Art. 42 Abs. 1 AVIV, wonach der wegen Krankheit, Unfall oder Mutterschaft gänzlich oder vermindert arbeits- und vermittlungsfähige Arbeitslose, der seinen Taggeldanspruch geltend machen will, seine Arbeitsunfähigkeit innert einer Woche seit deren Beginn dem Arbeitsamt zu melden verpflichtet ist. Diese Regelung erweist sich nach dem Sinn und Zweck der Meldepflicht (Verhinderung von Missbräuchen, Gewährleistung der Kontrolle) als sachlich gerechtfertigt und die erwähnte Verordnungsbestimmung demnach als gesetzmässig (vgl. in diesem Zusammenhang BGE 114 V 303 Erw. 4a). Die fragliche Bestimmung stellt keine blosse Ordnungsvorschrift, sondern eine formelle Anspruchsvoraussetzung dar. Analog den übrigen erwähnten Meldefristen handelt es sich bei der einwöchigen Frist von Art. 42 Abs. 1 AVIV ebenso um eine Verwirkungsfrist, deren Nichtbeachtung zur Folge hat, dass der Arbeitslose, der ohne entschuldbaren Grund seine Arbeitsunfähigkeit verspätet meldet, keinen Taggeldanspruch für die Tage vor der Meldung besitzt (Art. 42 Abs. 2 AVIV).
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