BGE 117 V 401 - Parteienentschädigung | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
54. Auszug aus dem Urteil vom 24. September 1991 i.S. G. gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Verwaltungsgericht des Kantons Bern | |
Regeste |
Art. 4 BV, Art. 105 Abs. 1 UVG, Art. 130 Abs. 2 UVV. Die Bestimmung von Art. 130 Abs. 2 Satz 2 UVV, mit welcher ein Anspruch auf Parteientschädigung im Einspracheverfahren gemäss Art. 105 Abs. 1 UVG ausgeschlossen wird, verstösst weder gegen das Gesetz noch gegen die Verfassung (Erw. 1). | |
Aus den Erwägungen: | |
In formellrechtlicher Hinsicht beantragt der Beschwerdeführer, der vorinstanzliche Entscheid sei dahingehend abzuändern, dass die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) ihm die vollen Parteikosten, einschliesslich derjenigen für das Einspracheverfahren, zu vergüten habe.
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a) Art. 130 Abs. 2 Satz 2 UVV ist nicht gesetzwidrig, indem weder die Verfahrensbestimmungen des UVG (Art. 105 Abs. 1 UVG) noch die gemäss Art. 96 UVG für die SUVA geltenden Bestimmungen des VwVG (vgl. BGE 115 V 299 Erw. 2b) einen Anspruch auf Parteientschädigung im Einspracheverfahren einräumen. Art. 64 VwVG sieht einen Anspruch auf Parteientschädigung nur für das Beschwerdeverfahren vor. Die positivrechtliche Regelung der Parteientschädigung im Beschwerdeverfahren (Art. 108 Abs. 1 lit. g UVG) und die Gesetzesmaterialien (Botschaft zum UVG vom 18. August 1976, BBl 1976 III 178, 225; Kommission des Nationalrates zur Vorberatung des UVG, Protokoll der Sitzung vom 28./29. August 1978, S. 35) lassen sogar auf ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers bezüglich des Anspruchs auf Parteientschädigung im Einspracheverfahren schliessen. Den rechtsanwendenden Behörden wäre es daher verwehrt, in irgendeiner Weise lückenfüllend tätig zu werden. Sie könnten sich dabei auch nicht auf positivrechtliche Regelungen in andern Sozialversicherungsgesetzen oder einen allgemeinen sozialversicherungsrechtlichen Grundsatz stützen. Selbst rechtspolitische Gesichtspunkte de lege ferenda gestatten derzeit keine andere Betrachtungsweise. So wird nach Art. 58 Abs. 4 des Entwurfs zu einem Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) ein Anspruch auf Parteientschädigung für das (kostenlose und weitgehend formlose) Einspracheverfahren ausdrücklich ausgeschlossen (Bericht der Kommission des Ständerates zur parlamentarischen Initiative Allgemeiner Teil Sozialversicherung, BBl 1991 II 200 und 262, sowie Bericht und Entwurf zu einem Allgemeinen Teil der Sozialversicherung, Bern, 1984, S. 51/52 und 76).
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b) Vorinstanz und SUVA ist darin beizupflichten, dass Art. 130 Abs. 2 Satz 2 UVV auch nicht als verfassungswidrig qualifiziert werden kann.
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Nach Lehre und Rechtsprechung lässt sich ein Anspruch auf Parteientschädigung unmittelbar aus Art. 4 BV nicht ableiten (GRISEL, Traité de droit administratif, Bd. II, S. 847; BERNET, Die Parteientschädigung in der schweizerischen Verwaltungsrechtspflege, Diss. iur. Zürich 1986, S. 59 ff.; BGE 104 Ia 9; ZBl 86 [1985] S. 508, 85 [1984] S. 141). In BGE 104 Ia 11 hat das Bundesgericht einen Vorbehalt lediglich in dem Sinne angebracht, dass im Einzelfall der eine Parteientschädigung ablehnende Entscheid dann wegen Verletzung von Art. 4 BV aufgehoben werden könnte, wenn die Ablehnung des Entschädigungsbegehrens in stossender Weise dem Gerechtigkeitsempfinden zuwiderliefe. Gleichzeitig stellte es jedoch fest, es habe nie aus Art. 4 BV den allgemeinen Satz abgeleitet, im Rechtsmittelverfahren vor der Verwaltungsbehörde müsse der obsiegenden Partei, wenn sie durch einen Anwalt vertreten gewesen sei, eine Parteientschädigung zugesprochen werden. Dementsprechend hat es auch das Eidg. Versicherungsgericht stets abgelehnt, auf dem Wege der Rechtsprechung einen von Bundesrechts wegen bestehenden Anspruch auf Parteientschädigung für das kantonale Beschwerdeverfahren dort einzuführen, wo ein solcher gesetzlich nicht vorgesehen ist (BGE 114 V 230 /231 Erw. 3b mit Hinweisen). Um so weniger lässt sich ein unmittelbar aus Art. 4 BV fliessender Anspruch auf Parteientschädigung für das Einspracheverfahren nach Art. 105 Abs. 1 UVG annehmen, welches nicht zur streitigen Verwaltungsrechtspflege im engeren Sinne gehört (GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 33).
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Dem steht nicht entgegen, dass das Eidg. Versicherungsgericht in BGE 114 V 228 gestützt auf Art. 4 BV unter engen sachlichen und zeitlichen Voraussetzungen einen Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung im nichtstreitigen Verwaltungsverfahren der Invalidenversicherung (Anhörungsverfahren gemäss Art. 73bis IVV) anerkannt und mit Urteil vom heutigen Tag in Sachen B. (BGE 117 V 408) einen entsprechenden Anspruch auch für das Einspracheverfahren gemäss Art. 105 Abs. 1 UVG bejaht hat. Beim Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung und demjenigen auf Parteientschädigung handelt es sich um zwei verschiedene Rechtsinstitute, deren unterschiedliche Behandlung verfassungsrechtlich vertretbar ist. Die Rechtsgleichheit gebietet, dass auch der bedürftige Rechtsuchende seine Interessen wahrnehmen kann, weshalb ihm ein Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung einzuräumen ist, falls er auf eine Vertretung angewiesen ist. Demgegenüber wird der bemittelte Rechtsuchende durch den fehlenden Anspruch auf Parteientschädigung an der Durchsetzung seiner Rechte nicht gehindert. Die Nichtgewährung einer Parteientschädigung führt allenfalls zu einer gewissen Beeinträchtigung des Rechtsschutzes, nicht aber zu einer eigentlichen Rechtsverweigerung (vgl. BERNET, a.a.O., S. 62). Das Verfassungsrecht gewährleistet daher nur, dass nötigenfalls auch der Unbemittelte zur Wahrnehmung seiner Interessen die Dienste eines Rechtsverständigen in Anspruch nehmen kann. Eine im Lichte von Art. 4 BV zu beanstandende Ungleichbehandlung entsteht dagegen nicht, wenn dem im Prozess Obsiegenden, der die Voraussetzungen für die unentgeltliche Verbeiständung nicht erfüllt, ein Anspruch auf Ersatz der Parteikosten verweigert wird. Fraglich kann lediglich sein, wie es sich hinsichtlich des Entschädigungsanspruchs desjenigen Rechtsuchenden verhält, welcher die Voraussetzungen für die unentgeltliche Verbeiständung erfüllt, im Prozess jedoch obsiegt. Wie diesbezüglich zu entscheiden ist, kann indessen dahingestellt bleiben, weil der Beschwerdeführer bisher nie ein Armenrechtsgesuch gestellt hat. Offenbleiben kann des weitern, ob im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 104 Ia 11) Ausnahmen vorzubehalten sind, wo gestützt auf Art. 4 BV im Einzelfall ein Anspruch auf Parteientschädigung anzuerkennen ist. Denn es spricht nichts dafür, dass die Verweigerung einer Parteientschädigung für das Einspracheverfahren im vorliegenden Fall in verfassungsmässig unhaltbarer Weise dem Gebot der Gerechtigkeit zuwiderliefe. Es muss daher bei der Feststellung bleiben, dass der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf Vergütung der mit Eingabe an die Vorinstanz vom 2. Oktober 1990 mit Fr. 816.-- bezifferten Kosten der Rechtsvertretung im Einspracheverfahren hat.
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a) Nach Art. 108 Abs. 1 lit. g UVG hat der obsiegende Beschwerdeführer Anspruch auf den vom Gericht festgesetzten Ersatz der Parteikosten. Diese werden ohne Rücksicht auf den Streitwert nach dem zu beurteilenden Sachverhalt und der Schwierigkeit des Prozesses bemessen.
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Im Unterschied zu andern Sozialversicherungszweigen mit bundesrechtlich garantiertem Anspruch auf Parteientschädigung (vgl. Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG, Art. 69 IVG, Art. 7 Abs. 2 ELG, Art. 24 Satz 2 EOG, Art. 22 Abs. 3 FLG und Art. 56 Abs. 1 lit. e MVG) enthält das UVG weitergehende bundesrechtliche Vorschriften betreffend die Bemessung der Parteientschädigung (vgl. BGE 114 V 88 Erw. 4c in fine, BGE 111 V 49 Erw. 4a). Daraus folgt, dass das Eidg. Versicherungsgericht im Bereich der Unfallversicherung als Frage des Bundesrechts frei prüft, ob der vorinstanzliche Entscheid den durch Art. 108 Abs. 1 lit. g UVG eingeräumten grundsätzlichen Anspruch auf Parteientschädigung verletzt und ob der Entscheid hinsichtlich der Bemessung der Parteientschädigung den bundesrechtlichen Anforderungen gemäss Art. 108 Abs. 1 lit. g Satz 2 UVG genügt. Darüber hinaus hat das Eidg. Versicherungsgericht praktisch lediglich zu prüfen, ob die Höhe der Parteientschädigung vor dem Willkürverbot standhält (vgl. BGE 114 V 86 Erw. 4a).
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b) Die Vorinstanz hat die Parteientschädigung aufgrund des vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers geltend gemachten zeitlichen Aufwandes von 13 Stunden in sinngemässer Anwendung des kantonalen Konventionaltarifes (Art. 4 Abs. 2 des Dekrets über die Anwaltsgebühren vom 6. November 1973) auf Fr. 2'210.-- festgesetzt und diesen Betrag um einen Drittel gekürzt, was zusammen mit dem Auslagenersatz von Fr. 197.20 eine Entschädigung von Fr. 1'672.20 ergab. Dabei ging sie davon aus, dass die SUVA die Rente im Einspracheentscheid vom 7. August 1989 auf 15% festgesetzt hatte, beschwerdeweise eine Rente von mindestens 30% beantragt wurde und der kantonale Entscheid auf 25% lautete, so dass der Beschwerdeführer mit seinem Antrag zu zwei Dritteln durchgedrungen ist.
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Der Beschwerdeführer ficht die Kürzung der Parteientschädigung als sachlich nicht gerechtfertigt an. In BGE 114 V 87 Erw. 4b habe das Eidg. Versicherungsgericht erkannt, dass im Sozialversicherungsprozess grundsätzlich nicht auf den Streitwert abzustellen sei, sondern die Parteientschädigung nach dem gebotenen Zeitaufwand festzusetzen sei, wobei der Wichtigkeit und Schwierigkeit der Streitsache und dem Umfang der gebotenen Arbeitsleistung Rechnung zu tragen sei. Damit sei zum Ausdruck gebracht worden, dass nicht die im Zivilprozess entwickelten Kriterien massgebend seien. Diesen Grundsätzen widerspreche der vorinstanzliche Entscheid. Zunächst sei der Beschwerdeführer gar nicht verpflichtet gewesen, sein Rechtsbegehren zu quantifizieren. Sodann sei das kantonale Gericht im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes und der Offizialmaxime gehalten gewesen, die Richtigkeit der Verfügung zu prüfen; auch sei es an die Parteianträge nicht gebunden. Das Ausmass des Obsiegens könne daher für die Bemessung der Parteientschädigung nicht massgebend sein, wenn sich erweise, dass die Beschwerde dem Grundsatze nach gerechtfertigt sei. Andernfalls würden doch zivilprozessuale Gesichtspunkte wegleitend sein.
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Dem Beschwerdeführer ist insoweit beizupflichten, als er nicht verpflichtet gewesen wäre, den für die beantragte Rente massgebenden Invaliditätsgrad zahlenmässig zu spezifizieren, sondern sich damit hätte begnügen können, eine höhere Rente zu verlangen (BGE 101 V 223 Erw. 4). Diesfalls wäre der Prozesserfolg nicht anteilsmässig quantifizierbar gewesen und der Beschwerdeführer hätte wegen Obsiegens eine volle Parteientschädigung erhalten. Zum gleichen Ergebnis hätte geführt, wenn die Vorinstanz die für den Entscheid über den Rentenanspruch erforderlichen zusätzlichen Erhebungen nicht selber vorgenommen, sondern die Sache zu ergänzender Abklärung an die SUVA zurückgewiesen hätte (ZAK 1987 S. 268 Erw. 5), was in ihrem Ermessen stand (ZAK 1971 S. 36 Erw. 1; RKUV 1986 Nr. K 665 S. 88, 1985 Nr. K 637 S. 195 Erw. 4; RSKV 1982 Nr. 492 S. 143 Erw. 3a). Dieses Ergebnis wäre einer Korrektur indessen nur zugänglich, wenn der Entscheid über die Parteientschädigung frei überprüfbar wäre. Denn unter dem Gesichtswinkel der Willkür lässt sich eine Kürzung der Parteientschädigung nach Massgabe eines nur teilweisen Obsiegens nicht beanstanden. Eine in diesem Sinne reduzierte Parteientschädigung widerspricht auch nicht dem Grundsatz von Art. 108 Abs. 1 lit. g Satz 2 UVG, wonach die Parteikosten ohne Rücksicht auf den Streitwert festzulegen sind.
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c) Die streitige Festsetzung der Parteientschädigung widerspricht der bundesrechtlichen Bemessungsvorschrift von Art. 108 Abs. 1 lit. g Satz 2 UVG aber insofern, als mit dem Abstellen auf das bloss teilweise Obsiegen im konkreten Fall von den Kriterien des "zu beurteilenden Sachverhalts und der Schwierigkeit des Prozesses" abgewichen wird. Der Sachverhalt und die Schwierigkeit des Prozesses sind nicht davon abhängig, ob der Beschwerdeführer sein Rechtsbegehren konkret oder allgemein gefasst hat. Wird die Entschädigung im Sinne des vorinstanzlichen Entscheids nach dem anteilsmässigen Prozesserfolg bemessen, so hält sich dies nicht im Rahmen der nach Gesetz und Rechtsprechung massgebenden bundesrechtlichen Anforderungen an die Festsetzung der Parteientschädigung. Nach der Rechtsprechung hat der Beschwerdeführer bei teilweisem Obsiegen Anspruch auf eine reduzierte Parteientschädigung (BGE 110 V 57 Erw. 3a, ZAK 1980 S. 124 Erw. 5). Eine "Überklagung" rechtfertigt aber auch dort, wo das Quantitativ einer Leistung streitig ist, eine Reduktion der Parteientschädigung nur, wenn das ziffernmässig bestimmte Rechtsbegehren den Prozessaufwand beeinflusst hat (EVGE 1967 S. 215 Erw. 3a). Hiefür fehlen im vorliegenden Fall aber jegliche Anhaltspunkte.
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Nach dem Gesagten kann der vorinstanzliche Entscheid, soweit damit eine Kürzung der Parteientschädigung wegen bloss teilweisen Obsiegens vorgenommen wurde, nicht bestätigt werden. Da die übrigen Bemessungselemente von keiner Seite bestritten werden und einer Willkürprüfung standhalten, steht dem Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'407.20 (Fr. 2'210.-- + Auslagenersatz von Fr. 197.20) zu.
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