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Informationen zum Dokument  BGE 123 V 234  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
6. a) (Das KIGA hat den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigu ...
7. a) Laut Art. 31 Abs. 1 AVIG haben Arbeitnehmer, deren normale  ...
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42. Auszug aus dem Urteil vom 4. September 1997 i.S. Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit gegen M. und Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz
 
 
Regeste
 
Art. 8 ff., Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG.  
 
Sachverhalt
 
BGE 123 V, 234 (234)A.- M. ist laut Handelsregistereintrag einziges Verwaltungsratsmitglied und Alleinaktionär der M. Architekt AG. Seit Mitte 1988 beschäftigte diese Firma neben M. nur noch dessen Ehefrau. Im Jahre 1992 wurde für M. mit der Ausgleichskasse ein AHV-pflichtiger Lohn von Fr. 70'000.-- abgerechnet. Nach Kündigung des Arbeitsverhältnisses per 31. Dezember 1992, über welche M. selber entschieden hatte, beanspruchte er Arbeitslosentaggelder und besuchte ab 14. Januar 1993 die Stempelkontrolle. Im April 1993 bescheinigte er sich einen bei der Firma aufgrund eines befristeten Arbeitsverhältnisses erzielten Zwischenverdienst von Fr. 8'000.--.
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Weil die Kantonale Arbeitslosenkasse Schwyz die Anrechenbarkeit des Arbeitsausfalles bezweifelte, unterbreitete sie das Dossier BGE 123 V, 234 (235)dem Kantonalen Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, Schwyz (KIGA). Dieses verneinte den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, da M. nicht als Arbeitnehmer erwerbstätig gewesen sei (Verfügung vom 6. September 1993).
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B.- Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz hiess die hiegegen erhobene Beschwerde gut, hob die angefochtene Verfügung auf, stellte fest, dass M. anspruchsberechtigt sei, und wies die Arbeitslosenkasse zur Festsetzung und Ausrichtung der Entschädigung an (Entscheid vom 12. Januar 1994).
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C.- Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des kantonalen Entscheides. Mangels einer arbeitslosenversicherungs- und beitragspflichtigen Arbeitnehmertätigkeit innerhalb der massgeblichen Rahmenfrist für die Beitragszeit bestehe kein Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung.
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Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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M. beantragt ebenfalls Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während sich das KIGA dem Antrag des BIGA anschliesst.
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Aus den Erwägungen:
 
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b) Demgegenüber hat die Vorinstanz unter Hinweis auf die Botschaft zu einem neuem Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung vom 2. Juli 1980 (BBl 1980 III 591 f.) im wesentlichen erwogen, der in Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG statuierte Ausschluss vom Entschädigungsanspruch beziehe sich nur auf Kurzarbeit und Schlechtwetter, nicht aber auf Ganzarbeitslosigkeit. Aufgrund der konkreten Situation sei es zweckmässig gewesen, die Firma nicht gänzlich stillzulegen BGE 123 V, 234 (236)bzw. zu liquidieren. Entgegen der Auffassung der Verwaltung könne von einer fingierten Arbeitslosigkeit bzw. rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme von Arbeitslosentaggeldern nicht die Rede sein.
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7. a) Laut Art. 31 Abs. 1 AVIG haben Arbeitnehmer, deren normale Arbeitszeit verkürzt oder deren Arbeit ganz eingestellt ist, Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung, wenn sie bestimmte, in lit. a-d näher umschriebene Voraussetzungen erfüllen. Kurzarbeit setzt u.a. voraus, dass der Arbeitnehmer einen Arbeitsausfall erleidet (Art. 31 Abs. 1 lit. b AVIG), welcher - um anrechenbar zu sein - seinerseits gewisse Voraussetzungen erfüllen muss (Art. 32 f. AVIG). Die Einführung von Kurzarbeit liegt in der unternehmerischen Dispositionsfreiheit des Arbeitgebers. Er allein bestimmt, ob, wann und für wie lange er Kurzarbeit einführen will. Bezweckt wird damit eine Produktionsdrosselung und Kosteneinsparung bei gleichzeitiger Erhaltung der Arbeitsplätze und des Personalbestandes. Durch Kurzarbeit sollen während einer beschränkten Zeit Entlassungen vermieden werden, damit das Unternehmen bei einer Normalisierung des Geschäftsganges mit einem intakten Produktionsapparat weiterarbeiten kann (zum Ganzen GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz, Bd. 1, S. 383 ff., Vorbemerkungen zu Art. 31-41 AVIG, N. 17, 20 ff., 26 f.). In dieser Dispositionsfreiheit wird der Arbeitgeber durch das Arbeitslosenversicherungsgesetz nicht eingeschränkt. Soweit allerdings gegenüber der Versicherung Leistungsansprüche geltend gemacht werden, sind bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen (GERHARDS, a.a.O., N. 17). So bedarf es eines gegenseitigen Einverständnisses zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, wonach bei Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses die Arbeitszeit und der Lohn reduziert werden; denn andernfalls wäre ein allfälliger Arbeitsausfall gar nicht anrechenbar (vgl. Art. 33 Abs. 1 lit. d in Verbindung mit Art. 31 Abs. 1 lit. b AVIG; GERHARDS, a.a.O., S. 434, N. 94 zu Art. 32-33 AVIG).
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Weil es wie erwähnt in der Dispositionsfreiheit des Arbeitgebers liegt, Kurzarbeit einzuführen und - bei Erfüllen der einschlägigen Voraussetzungen - den anspruchsbegründenden Sachverhalt für eine Kurzarbeitsentschädigung zu verwirklichen, ist er von vornherein vom Anspruch auf Entschädigung ausgeschlossen. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 31 Abs. 1 AVIG ausschliesslich Arbeitnehmer als anspruchsberechtigt erklärt. Jedoch sind - je nach der Rechtsform, in der sich ein "Arbeitgeber" konstituiert hat - BGE 123 V, 234 (237)auch andere Personen an dessen Dispositionen beteiligt. Aus diesem Grunde nimmt das Gesetz auch "arbeitgeberähnliche Personen" (GERHARDS, a.a.O., S. 407, vor N. 38 zu Art. 31 AVIG) vom Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung aus. Keinen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung haben gemäss Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG Personen, die in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter, als finanziell am Betrieb Beteiligte oder als Mitglieder eines obersten betrieblichen Entscheidungsgremiums die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmen oder massgeblich beeinflussen können, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten. Nach der Rechtsprechung ist der Ausschluss der in Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG genannten Personen vom Entschädigungsanspruch absolut zu verstehen. Amtet ein Arbeitnehmer als Verwaltungsrat, so ist eine massgebliche Entscheidungsbefugnis im Sinne der betreffenden Regelung ex lege gegeben (BGE 122 V 273 Erw. 3; anders die Praxis zum altrechtlichen, bis 31. Dezember 1983 gültig gewesenen Art. 31 Abs. 1 lit. c AlVV, dazu BGE 113 V 74), und zwar selbst dann, wenn seine Kapitalbeteiligung klein ist und er nur über die kollektive Zeichnungsberechtigung verfügt (ARV 1996 S. 48).
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b) aa) Der Beschwerdegegner - Alleinaktionär und einziger Verwaltungsrat der nach ihm benannten Firma - gilt (...) arbeitslosenversicherungsrechtlich als Arbeitnehmer. Hätte er ein Gesuch um Kurzarbeitsentschädigung eingereicht, so wäre dieses unter Hinweis auf Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG abgelehnt worden. Vorliegend geht es jedoch nicht um Kurzarbeitsentschädigung, sondern um Arbeitslosenentschädigung nach Art. 8 ff. AVIG. Es fragt sich daher, ob das Vorgehen des Beschwerdegegners einer Umgehung der Folgen von Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG gleichkommt, was das KIGA bejaht, die Vorinstanz indes verneint hat.
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bb) Dem Wortlaut nach ist Art. 31 Abs. 3 AVIG auf Kurzarbeitsfälle zugeschnitten. Sodann trifft es zu, dass anders als unter der Herrschaft des alten Rechts (Art. 31 Abs. 1 lit. c AlVV, gültig gewesen bis 31. Dezember 1983, bezog sich auch auf Ganzarbeitslosigkeit, vgl. dazu BGE 113 V 74) die Art. 8 ff. AVIG keine entsprechende Norm für den Bereich der Arbeitslosenentschädigung kennen. Daraus lässt sich indes nicht folgern, dass die in Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG genannten arbeitgeberähnlichen Personen in jedem Fall Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung bei Ganzarbeitslosigkeit haben. In der von der Vorinstanz erwähnten Botschaft wird denn auch bloss festgehalten, dass solche Personen gegebenenfalls anspruchsberechtigt sein "können" (BBl 1980 III BGE 123 V, 234 (238)591 f.). Mit dieser Formulierung wird ansatzweise zum Ausdruck gebracht, dass bei Ganzarbeitslosigkeit von Arbeitnehmern mit arbeitgeberähnlicher Stellung verschiedene Fallkonstellationen unterschieden werden müssen. Insbesondere verbleibt die Möglichkeit einer Überprüfung unter dem Gesichtspunkt der rechtsmissbräuchlichen Gesetzesumgehung. Eine solche liegt nach der Praxis darin, dass zwar der Wortlaut einer Norm beachtet, ihr Sinn dagegen missachtet wird (BGE 114 Ib 15 Erw. 3a mit Hinweis; vgl. auch BGE 121 II 103 Erw. 4 mit Hinweisen auf die Literatur). Daher ist vorab nach dem Zweck der Regelung des Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG zu fragen.
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Die betreffende Bestimmung dient der Vermeidung von Missbräuchen (Selbstausstellung von für die Kurzarbeitsentschädigung notwendigen Bescheinigungen, Gefälligkeitsbescheinigungen, Unkontrollierbarkeit des tatsächlichen Arbeitsausfalls, Mitbestimmung oder Mitverantwortung bei der Einführung von Kurzarbeit u.ä., vor allem bei Arbeitnehmern mit Gesellschafts- oder sonstiger Kapitalbeteiligung in Leitungsfunktion des Betriebes; BGE 122 V 272 mit Hinweisen). Nun kann Kurzarbeit nicht allein in einer Reduktion der täglichen, wöchentlichen oder monatlichen Arbeitszeit, sondern auch darin bestehen, dass ein Betrieb (bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis) für eine gewisse Zeit vollständig stillgelegt wird (100%ige Kurzarbeit; GERHARDS, a.a.O., S. 383 f., Vorbemerkungen zu Art. 31-41 AVIG , N. 21). In einem solchen Fall ist ein Arbeitnehmer mit arbeitgeberähnlicher Stellung nicht anspruchsberechtigt. Wird das Arbeitsverhältnis jedoch gekündigt, liegt Ganzarbeitslosigkeit vor, und es besteht unter den Voraussetzungen von Art. 8 ff. AVIG grundsätzlich Anspruch auf Entschädigung. Dabei kann nicht von einer Gesetzesumgehung gesprochen werden, wenn der Betrieb geschlossen wird, das Ausscheiden des betreffenden Arbeitnehmers mithin definitiv ist. Entsprechendes gilt für den Fall, dass das Unternehmen zwar weiterbesteht, der Arbeitnehmer aber mit der Kündigung endgültig auch jene Eigenschaft verliert, deretwegen er bei Kurzarbeit aufgrund von Art. 31 Abs. 3 BGE 123 V, 234 (239)lit. c AVIG vom Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung ausgenommen wäre. Eine grundsätzlich andere Situation liegt jedoch dann vor, wenn der Arbeitnehmer nach der Entlassung seine arbeitgeberähnliche Stellung im Betrieb beibehält und dadurch die Entscheidungen des Arbeitgebers weiterhin bestimmen oder massgeblich beeinflussen kann. Dies trifft im Falle des Beschwerdegegners zu, amtete er doch nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses - über die er selber entschieden hatte - weiterhin als Alleinaktionär und einziger Verwaltungsrat der Firma. Damit behielt er die unternehmerische Dispositionsfreiheit, den Betrieb jederzeit zu reaktivieren und sich bei Bedarf erneut als Arbeitnehmer einzustellen, wie er dies im April 1993 vorübergehend getan hat. Ein solches Vorgehen läuft auf eine rechtsmissbräuchliche Umgehung der Regelung des Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG hinaus, welche ihrem Sinn nach der Missbrauchsverhütung dient und in diesem Rahmen insbesondere dem Umstand Rechnung tragen will, dass der Arbeitsausfall von arbeitgeberähnlichen Personen praktisch unkontrollierbar ist, weil sie ihn aufgrund ihrer Stellung bestimmen oder massgeblich beeinflussen können. Demnach ist der Anspruch des Beschwerdegegners auf Arbeitslosenentschädigung mit dem KIGA zu verneinen.
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