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Informationen zum Dokument  BGE 129 V 323 - Private Videoüberwachung  Materielle Begründung
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Zitiert durch:
BGE 132 V 241 - Versicherungsdetektiv
BGE 137 I 327 - Observation auf dem Balkon
BGE 135 I 169 - Privatdetektive der Unfallversicherung
BGE 133 I 77 - Videoüberwachung St. Gallen

Zitiert selbst:

Regeste
Aus den Erwägungen:
Erwägung 3
Erwägung 3.3
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher  
 
48. Auszug aus dem Urteil i.S. F. gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht des Kantons Aargau
 
 
U 161/01 vom 25. Februar 2003
 
 
Regeste
 
Art. 13 Abs. 1, Art. 36 BV; Art. 47 UVG: Schutz der Privatsphäre; Beweismittelverwertung.  
 
BGE 129 V, 323 (324)Aus den Erwägungen:
 
 
Erwägung 3
 
 
Erwägung 3.3
 
1
Wie bereits festgestellt worden ist, sind die Beschwerden der Versicherten (zum grössten Teil) somatisch nicht objektivierbar, sondern beruhen auf einer psychischen Überlagerung. Wie die Überwachung durch einen Privatdetektiv gezeigt hat, kann die Beschwerdeführerin - entgegen den Ausführungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde - auch anstrengende Putzarbeiten durchführen. So ist auf Video festgehalten, dass sie am 24. März 1999 von 18.06 Uhr bis 20.14 Uhr einer solchen Tätigkeit nachgegangen ist - und das ohne ihre Krücken (und sei es auch nur zur Sicherheit) bei sich zu haben. Im Weiteren hat sich gezeigt, dass die Versicherte ein Auto lenken kann, was ohne Beugung des rechten Kniegelenkes nicht möglich ist, da das Auto - auch wenn es über ein Automatikgetriebe verfügen sollte - nicht in der Weise ausgerüstet worden ist, dass eine Bedienung ohne Beineinsatz möglich wäre. Die Überwachung (inkl. die entsprechenden Videoaufnahmen) - vorgenommen im Verhältnis zwischen privater Haftpflichtversicherung und einer Privatperson - sind nicht widerrechtlich, sondern durch ein überwiegendes privates und öffentliches Interesse gerechtfertigt (Art. 28 Abs. 2 ZGB): Weder die Versicherung noch die dahinter stehende Versichertengemeinschaft sollen zu Unrecht Leistungen erbringen müssen (JdT 1998 I 763 Erw. 2b = SJ 1998 S. 303 f. Erw. 2b, bestätigt durch Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 28. Juni 2001, VPB 65 [2001] Nr. 134 S. 1381). Zudem ist bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass die Versicherte gegenüber der Haftpflichtversicherung (wie auch gegenüber der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt [SUVA]) einen Anspruch erhebt, der sich auf den Gesundheitszustand und die Arbeitsfähigkeit abstützt, so dass diesbezüglich BGE 129 V, 323 (325)Eingriffe in die Persönlichkeit zu erdulden sind, was das Interesse der Beschwerdeführerin geringer erscheinen lässt. Damit sind die im Verhältnis Privatversicherung - Beschwerdeführerin erhobenen Beweismittel rechtmässig erlangt worden.
2
Dies bedeutet aber noch nicht, dass solche Beweise auch von der SUVA erhoben oder verwertet werden dürfen, da es sich bei der SUVA um eine öffentlich-rechtliche Anstalt handelt (Art. 61 Abs. 1 UVG), welche vom öffentlichen Recht beherrscht wird und damit - als Teil des Staates - die Grundrechte der Versicherten (hier Schutz der Privatsphäre; Art. 13 Abs. 1 BV) zu berücksichtigen hat. Dieser Schutz gilt jedoch nicht absolut; vielmehr können die Grundrechte gemäss Art. 36 BV eingeschränkt werden, wenn eine gesetzliche Grundlage vorliegt (Abs. 1), ein öffentliches Interesse an der Einschränkung besteht (Abs. 2), die Einschränkung verhältnismässig ist (Abs. 3) und der Kerngehalt der Grundrechte nicht angegriffen wird (Abs. 4).
3
In vorliegender Sache besteht die gesetzliche Grundlage für die Verwertung der fraglichen Beweismittel in Art. 47 UVG, welcher dem Versicherer eine Pflicht zur Sachverhaltsabklärung auferlegt, ohne dabei eine Beschränkung der Beweismittel vorzusehen (mit Ausnahme der Autopsie eines tödlich Verunfallten; Art. 47 Abs. 4 UVG). Das öffentliche Interesse an der Einschränkung des Schutzes der Privatsphäre liegt darin, keine nicht geschuldeten Leistungen zu erbringen (vgl. JdT 1998 I 763 Erw. 2b = SJ 1998 S. 303 f. Erw. 2b, bestätigt durch Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 28. Juni 2001, VPB 65 [2001] Nr. 134 S. 1381), um die Gemeinschaft der Versicherten nicht zu schädigen. Nach der Rechtsprechung verlangt der Grundsatz der Verhältnismässigkeit, dass der Grundrechtseingriff zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet und erforderlich ist und dass das verfolgte Ziel in einem vernünftigen Verhältnis zu den eingesetzten Mitteln, den zu seiner Verwirklichung notwendigen Freiheitsbeschränkungen, steht (Verhältnismässigkeit im engeren Sinne; Urteil K. des Schweizerischen Bundesgerichts vom 24. Oktober 2001, 2P.52/2001). Die Verwertung der durch den Privatdetektiv erbrachten Beweise ist zur Erreichung des angestrebten Zieles (keine Leistungszusprechung an Unberechtigte und entsprechender Schutz der Versichertengemeinschaft) geeignet und auch erforderlich, da nur diese Beweismittel - bei offensichtlich bestehenden Anhaltspunkten einer effektiv bestehenden Arbeitsfähigkeit - eine unmittelbare Wahrnehmung wiedergeben können (vgl. JdT 1998 I 764 Erw. 2c = SJ 1998 S. 304 BGE 129 V, 323 (326)Erw. 2c). Zudem sind sie auch im engeren Sinne verhältnismässig, da nur die für die Anspruchsbeurteilung notwendigen Aspekte berücksichtigt worden sind (faktische Arbeitsfähigkeit als Putzfrau). Die Verwertung der aus der beschränkten Überwachung durch einen Privatdetektiv erlangten Beweismittel greift zudem den Kerngehalt des Schutzes auf Privatsphäre gemäss Art. 13 Abs. 1 BV nicht an, womit die Verwertung der durch den Privatdetektiv erstellten Beweismittel in casu zulässig ist. Ob dies auch bei einer Beweisaufnahme durch die SUVA so wäre, kann offen gelassen werden.
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