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Informationen zum Dokument  BGE 133 V 353  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
2. Gemäss Art. 41 Abs. 1 Satz 1 KVG können die Versiche ...
3. Es ist unbestritten, dass der Beschwerdegegner nicht auf der A ...
Erwägung 4
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46. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Helsana Versicherungen AG gegen M. sowie Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
 
K 7/07 vom 13. Juni 2007
 
 
Regeste
 
Art. 41 Abs. 1 und 4 KVG sowie Art. 26 Abs. 4 AsylV 2; Ziffer 4.2 und 5.3 des zwischen dem Kanton Zürich, der Ärztegesellschaft des Kantons Zürich und der Helsana Versicherungen AG am 8./9. Februar 2001 geschlossenen Rahmenvertrags über die obligatorische Krankenpflegeversicherung für Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene und Schutzbedürftige ohne Aufenthaltsbewilligung, die von den zuständigen Fürsorgebehörden ganz oder teilweise unterstützt werden.  
 
Sachverhalt
 
BGE 133 V, 353 (354)A.
1
A.a Der Kanton Zürich, die Ärztegesellschaft des Kantons Zürich (AGZ) und die Helsana Versicherungen AG (nachfolgend: Helsana) schlossen am 8./9. Februar 2001 einen Rahmenvertrag über die obligatorische Krankenpflegeversicherung für Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene und Schutzbedürftige ohne Aufenthaltsbewilligung, die von den zuständigen Fürsorgebehörden ganz oder teilweise unterstützt werden (nachfolgend: Rahmenvertrag). Dieser sieht eine eingeschränkte Wahl des Leistungserbringers sowie die Kostenvergütung nach dem System des tiers payant vor. Die zur Auswahl stehenden Leistungserbringer werden von den Vertragsparteien gemeinsam aus einer durch die AGZ erstellten Liste bestimmt. Diese sog. Asyl-Hausarztliste wurde auf den 1. Juli 2001 definitiv eingeführt.
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Der nicht auf der Liste stehende Dr. med. M. behandelte in der Zeit vom 25. Juli bis 15. August 2001 den vom 1. April bis 31. August 2001 mittels Rahmenvertrag versicherten Asylbewerber K. Als er von der Helsana mit Rechnung vom 4. Oktober 2001 die Vergütung der erbrachten Leistungen forderte, lehnte die Helsana die Kostenübernahme ab. Daraufhin trat K. allfällige Ansprüche gegenüber der Helsana an Dr. med. M. ab.
3
A.b Nachdem Dr. med. M. beim Schiedsgericht in Sozialversicherungsstreitigkeiten des Kantons Zürich Klage auf Bezahlung der Rechnung erhoben und letztinstanzlich das damalige Eidgenössische Versicherungsgericht (seit 1. Januar 2007: Bundesgericht) die BGE 133 V, 353 (355)Zuständigkeit des Schiedsgerichts verneint hatte (Urteil K 66/02 vom 17. August 2004, publ. in: RKUV 2005 Nr. KV 312 S. 3), lehnte die Helsana mit Verfügung vom 8. November 2004 und Einspracheentscheid vom 8. Februar 2005 die Kostenübernahme ab.
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B. Die von Dr. med. M. dagegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 30. November 2006 gut. Es verpflichtete die Helsana, Dr. med. M. die Kosten der Behandlung von K. zu erstatten.
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C. Die Helsana erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der kantonale Entscheid sei aufzuheben.
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Dr. med. M. schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung verzichtet.
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Aus den Erwägungen:
 
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Nach Art. 41 Abs. 4 KVG können die Versicherten ihr Wahlrecht im Einvernehmen mit dem Versicherer auf Leistungserbringer beschränken, die der Versicherer im Hinblick auf eine kostengünstigere Versorgung auswählt (Art. 62 Abs. 1 und 3 KVG). Der Versicherer muss dann nur die Kosten für Leistungen übernehmen, die von diesen Leistungserbringern ausgeführt oder veranlasst werden; Absatz 2 gilt sinngemäss. Die gesetzlichen Pflichtleistungen sind in jedem Fall versichert.
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Art. 26 Abs. 4 AsylV 2 lautet: "Die Kantone schränken für Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene und Schutzbedürftige ohne Aufenthaltsbewilligung die Wahl des Versicherers und der Leistungserbringer ein, namentlich in Fällen, in denen zwischen Versicherungen und Leistungserbringern Vereinbarungen nach den Artikeln 42 Absatz 2 und 62 KVG abgeschlossen worden sind. Die Kantone haben die geeigneten Massnahmen zu ergreifen, um die Qualität des Leistungsangebotes sicherzustellen. Im Übrigen gilt Artikel 41 Absatz 4 KVG sinngemäss."
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BGE 133 V, 353 (356)3. Es ist unbestritten, dass der Beschwerdegegner nicht auf der Asyl-Hausarztliste (Ziff. 5.3 Rahmenvertrag) figuriert und K. zur Zeit der streitigen Behandlung unter die Bestimmungen des Rahmenvertrags fiel. Vorinstanz und Beschwerdegegner sind jedoch der Ansicht, die im Rahmenvertrag vorgesehene Beschränkung der Wahl der Leistungserbringer (Ziff. 4.2 Rahmenvertrag) widerspreche Art. 41 Abs. 1 KVG. Sie lasse sich weder auf Art. 41 Abs. 4 KVG noch auf Art. 26 Abs. 4 AsylV 2 stützen. Die erstgenannte Bestimmung könne nicht als Grundlage dienen, weil dem Versicherten beim Abschluss und bei der Ausgestaltung des Versicherungsverhältnisses kein Mitspracherecht zuerkannt worden sei, dieser somit nicht im Sinne dieser Norm sein Wahlrecht habe beschränken können. Auch die zweitgenannte Norm vermöge die im Rahmenvertrag vorgesehene Einschränkung der Wahlmöglichkeit nicht zu rechtfertigen, da sie keine genügende formellgesetzliche Grundlage habe.
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Erwägung 4
 
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Auch Art. 26 Abs. 4 AsylV 2 betrifft - im Kontext gelesen - nicht generell die Krankenversicherung der betreffenden Personen, sondern einzig die Fürsorgeleistungen, welche für diese Personen in Bezug auf die medizinische Versorgung erbracht werden, bzw. die Vergütung, die der Bund den Kantonen dafür leistet (Art. 88 ff., namentlich Art. 91 Abs. 5 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 [AsylG; SR 142.31] sowie Art. 26 Abs. 1 und 2 AsylV 2).
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Bei dieser Sachlage - namentlich auch mit Blick darauf, dass von keiner Seite behauptet wird, K. sei im fraglichen Zeitpunkt nicht von der Fürsorge unterstützt worden - ist nicht streitig, ob der Kanton generell für Asylsuchende die freie Wahl der Leistungserbringer einschränken darf, sondern wie er die Fürsorgeleistungen für diese Personen auszugestalten hat.
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BGE 133 V, 353 (357)4.2 Die Fürsorge bzw. Sozialhilfe gewährleistet nicht das Leistungsniveau, das sich fürsorgeunabhängige Personen aus eigenen Mitteln leisten könnten und dürften. So bezahlt die Fürsorge beispielsweise nicht überhöhte Wohnkosten oder Kosten für nicht benötigte Fahrzeuge (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2P.139/2003 vom 13. November 2003, E. 6 nicht publ. in BGE 130 I 1; FELIX WOLFFERS, Grundriss des Sozialhilferechts, 2. Aufl., Bern 1999, S. 142 f.). Solche Leistungsbegrenzungen sind dem Wesen der Sozialhilfe immanent und stellen keine Einschränkung des sich aus der Vertragsfreiheit ergebenden Rechts dar, luxuriöse Wohnungen oder Autos zu kaufen. Erst recht wird dadurch nicht die Wirtschaftsfreiheit der Anbieter von Wohnungen oder Autos eingeschränkt. Desgleichen kann beispielsweise das fürsorgepflichtige Gemeinwesen vom Fürsorgeempfänger verlangen, dass er, soweit zumutbar, eine Erwerbstätigkeit ausübt (BGE 130 I 71 E. 4.3 S. 75 f.; WOLFFERS, a.a.O., S. 108 ff.); dabei handelt es sich nicht etwa um eine hoheitliche Arbeitsverpflichtung, sondern um eine Anspruchsvoraussetzung für die vom Staat erbrachte Leistung (KATHRIN AMSTUTZ, Anspruchsvoraussetzungen und -inhalt, in: Carlo Tschudi [Hrsg.], Das Grundrecht auf Hilfe in Notlagen, Bern 2005, S. 17 ff., 23 f.). Analoges gilt auch im Bereich der Fürsorgekosten für die medizinische Versorgung bzw. Krankenversicherung: Das fürsorgepflichtige Gemeinwesen muss nicht eine kostspielige Versorgung oder Krankenversicherung finanzieren, wenn auch mit einer kostengünstigeren Lösung eine ausreichende medizinische Versorgung sichergestellt ist. So kann beispielsweise vom Sozialhilfeempfänger verlangt werden, sich nur beim Hausarzt oder durch vom Hausarzt zugezogene Spezialisten behandeln zu lassen oder vor der Konsultation die Bewilligung der Sozialhilfebehörde einzuholen (WOLFFERS, a.a.O., S. 146; vgl. ähnlich auch Art. 8 Abs. 3 ELKV [SR 831.301.1]). Es geht dabei nicht um das Recht der versicherten Personen, den Arzt frei zu wählen, und auch nicht um das Recht der Leistungserbringer auf Ausübung ihrer Wirtschaftsfreiheit, sondern um die Ausgestaltung der vom Staat zu erbringenden Fürsorgeleistungen.
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4.3 Gemäss Art. 80 Abs. 1 Satz 1 AsylG gewährleisten die Kantone die Fürsorge für Personen, die sich gestützt auf dieses Gesetz in der Schweiz aufhalten. Für die Ausrichtung von Fürsorgeleistungen gilt grundsätzlich kantonales Recht (Art. 82 Abs. 1 AsylG), wobei jedoch mit Rücksicht auf die weitgehende BGE 133 V, 353 (358)Bundesfinanzierung (Art. 88 ff. AsylG) auch die im Asylgesetz enthaltenen bundesrechtlichen Regeln zu beachten sind (BERNHARD WALDMANN, Das Recht auf Nothilfe zwischen Solidarität und Eigenverantwortung, ZBl 2006 S. 341 ff., 364).
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Das Asylgesetz unterscheidet zwischen Asylsuchenden und Schutzbedürftigen ohne Aufenthaltsbewilligung einerseits sowie Flüchtlingen und Schutzbedürftigen mit Anspruch auf Aufenthaltsbewilligung andererseits. Diese Unterscheidung rechtfertigt sich dadurch, dass die Angehörigen der ersten Kategorie nur ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht in der Schweiz haben. Die an sie erbrachten Fürsorgeleistungen sind demnach nicht auf die Integration ausgerichtet; daraus ergibt sich die Berechtigung, Asylsuchende und Schutzbedürftige ohne Aufenthaltsbewilligung nicht nur anders, sondern auch in geringerem Umfang als andere Personen zu unterstützen (Botschaft des Bundesrats vom 4. Dezember 1995 zur Änderung des Asylgesetzes, BBl 1996 II 1 ff., 89 f.; BGE 131 I 166 E. 7.2.1 S. 180 und E. 8.2 S. 181 ff.; BGE 130 I 1 E. 3.6.1 S. 11 f.). Die Unterstützung ist nach Möglichkeit in Form von Sachleistungen auszurichten (Art. 82 Abs. 2 AsylG). Dies betrifft insbesondere auch den Versicherungsschutz bei Krankheiten (BBl 1996 II 89).
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Bei dieser Rechtslage liegt eine genügende formellgesetzliche Grundlage für eine von der Regelung der ordentlichen Fürsorgeleistung abweichende Normierung vor (BGE 130 I 1 E. 3.6.3 S. 13). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz findet auch Art. 26 Abs. 4 AsylV 2 in Art. 82 AsylG eine genügende formellgesetzliche Grundlage. Die Tatsache, dass eine analoge Regelung inzwischen auf die Stufe des formellen Gesetzes gehoben worden ist (Art. 82a AsylG in der noch nicht in Kraft getretenen Fassung gemäss Revision des KVG vom 16. Dezember 2005, AS 2006 S. 4823 f.), bedeutet nicht, dass die gesetzliche Grundlage vorher ungenügend gewesen wäre.
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4.4 Die krankenversicherungspflichtigen Asylsuchenden (Art. 3 Abs. 1 [vgl. BGE 129 V 77 ] oder Art. 3 Abs. 3 KVG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 lit. c KVV [SR 832.102]) müssen sich zwar grundsätzlich selber versichern (Art. 7 Abs. 5 KVV). Wenn aber das fürsorgepflichtige Gemeinwesen gemäss Art. 82 Abs. 2 AsylG, welche Bestimmung sowohl als lex posterior als auch als lex specialis dem KVG vorgeht, die Fürsorge nach Möglichkeit in Form von Sachleistungen zu erbringen hat, kann es für die und an Stelle der grundsätzlich versicherungspflichtigen Fürsorgeempfänger eine BGE 133 V, 353 (359)Krankenversicherung abschliessen. Es stellt damit den Versicherungsschutz als Sachleistung zur Verfügung. Das gilt zumindest dann, wenn - wie das hier unbestritten der Fall ist - der Versicherte nicht selber bereits eine andere Versicherung abgeschlossen hat (vgl. BGE 128 V 263 E. 3b S. 268 f.).
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4.5 In diesem Sinne hat die Direktion für Soziales und Sicherheit des Kantons Zürich als Versicherungsnehmerin den Rahmenvertrag abgeschlossen, welcher gemäss Art. 26 Abs. 4 AsylV 2 eine Einschränkung der freien Wahl des Leistungserbringers im Sinne von Art. 41 Abs. 4 und Art. 62 KVG vorsieht. Mit diesem Vertrag sorgt der Kanton für die Versicherung der betroffenen Fürsorgeempfänger und bezahlt gestützt darauf dem Versicherer die Prämien, Franchisen und Selbstbehalte (Anhang 5 Ziff. 3 Rahmenvertrag). Dabei handelt es sich nicht um einen in der Grundversicherung nicht mehr zulässigen eigentlichen Kollektivvertrag; vielmehr ist darin die Erbringung der angemessenen Fürsorgeleistung in Sachleistungsform gemäss Art. 82 Abs. 2 AsylG geregelt. Der Kanton Zürich ist damit seiner Fürsorgepflicht rechtmässig nachgekommen.
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