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Informationen zum Dokument  BGE 142 V 259  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
3. (...) ...
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28. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
8C_792/2015 vom 31. Mai 2016
 
 
Regeste
 
Art. 18 Abs. 1 UVG; Art. 25 Abs. 1, Art. 53 Abs. 2 ATSG; rückwirkende Wiedererwägung einer Rente und Rückerstattung von Rentenbetreffnissen.  
 
Sachverhalt
 
BGE 142 V, 259 (260)Der 1965 geborene A. bezog gestützt auf die Verfügung vom 31. Oktober 2003 und den Einspracheentscheid vom 30. Januar 2004 der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) für die Folgen mehrerer Unfälle ab 1. November 2003 eine einer Erwerbsunfähigkeit von 100 % entsprechende Invalidenrente der obligatorischen Unfallversicherung (UV). Mit Verfügung vom 18. Juni 2014 und Einspracheentscheid vom 28. November 2014 senkte die SUVA die UV-Rente per 1. August 2010 auf 34 % und forderte von A. Rentenleistungen, welche demnach zu viel bezahlt worden seien, zurück. Dies wurde mit Beschwerdeentscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 9. September 2015 bestätigt. Die von A. hiergegen erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Erwägungen weist das Bundesgericht ab.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen:
 
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3.2.1 Letzteres trifft hier zu. Darüber hinaus setzt die Rückerstattung notwendigerweise voraus, dass die Rente rückwirkend ("ex tunc") aufgehoben oder herabgesetzt wird. Im Bereich der sozialen Unfallversicherung besteht im Unterschied zur Invalidenversicherung weder eine normative Regelung noch eine gefestigte Rechtsprechung, welche diese Rückwirkung ausschliesst oder an besondere Bedingungen knüpft. Dort erfolgt die wiedererwägungsweise Rentenaufhebung oder -herabsetzung nicht rückwirkend, sondern mit Wirkung für die Zukunft, wenn die Verwaltung bei Erlass der ursprünglichen Verfügung einen spezifisch IV-rechtlichen Gesichtspunkt falsch beurteilte (BGE 119 V 431 E. 2 S. 432; BGE 110 V 298 E. 2a S. 300 f.; vgl. bereits BGE 105 V 163 E. 6a S. 170 f.). Diese Sichtweise lehnt sich an die für die revisionsweise Rentenaufhebung geschaffenen Sonderbestimmungen des einschlägigen Verordnungsrechts an (ZAK 1986 S. 537 E. 5 a.E. mit Hinweisen; Urteil des BGE 142 V, 259 (261)Eidg. Versicherungsgerichts I 546/03 vom 3. August 2005 E. 2.2). Die Gesetzmässigkeit einer dergestalt von aArt. 47 AHVG abweichenden Sonderordnung (vgl. Art. 85 Abs. 2 IVV [SR 831.201] in der ab 1. Januar 1977 gültig gewesenen Fassung) wurde darin erblickt, dass in der Verweisungsnorm des aArt. 49 IVG lediglich von einer sinngemässen Übernahme der AHV-rechtlichen Bestimmungen die Rede war (BGE 105 V 163 E. 6a S. 171; vgl. auch BGE 119 V 431 E. 2 S. 432). Eine rückwirkende Rentenaufhebung oder -herabsetzung, verbunden mit einer entsprechenden Rückforderung der unrechtmässig bezogenen Leistungen kommt im Bereich der Invalidenversicherung - und dies auch unter der Geltung des ATSG - folglich nur im Fall einer unrechtmässigen Leistungserwirkung oder einer Verletzung der Meldepflicht in Frage, wobei letztere für den unrechtmässigen Leistungsbezug kausal gewesen sein muss (Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV in der bis 31. Dezember 2014 in Kraft gestandenen Fassung; Urteil 8C_387/2008 vom 30. Januar 2009 E. 2.2 mit weiteren Hinweisen; betreffend das Kausalitätserfordernis vgl. nunmehr Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV in der seit 1. Januar 2015 geltenden Fassung). In jüngeren Urteilen hat es das Bundesgericht in Zusammenhang mit der revisionsweisen Anpassung von Invalidenrenten, die nach Art. 17 ATSG zweigübergreifend bloss "für die Zukunft" erfolgen kann, ausdrücklich abgelehnt, mangels eigener spezifischer Bestimmungen im Bereich der Unfallversicherung diejenigen des IV- Rechts analog anzuwenden (BGE 140 V 65 und 70; vgl. ferner Urteil 8C_573/2011 vom 3. November 2011 E. 5.2 mit Hinweisen).
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3.2.2 Nichts grundsätzlich anderes kann für die Rentenaufhebung oder -herabsetzung auf dem Weg der Wiedererwägung gelten. Mangels spezifischer gesetzlicher Vorgaben steht es im Ermessen der Verwaltung, hier die zeitliche Wirkung eines Rückkommens auf eine rechtskräftige Verfügung festzulegen; in diesem Zusammenhang wird im Schrifttum darauf verwiesen, mit einer Rückerstattungsnorm werde zugleich der Grundsatz aufgestellt, dass die betreffende Leistungskorrektur rückwirkend erfolgen soll (vgl. KIESER, ATSG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, N. 13 und 16 zu Art. 25 sowie N. 63 zu Art. 53 ATSG; derselbe, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, 2008, S. 444 Rz. 43). Eine gesetzliche Ordnung, wie sie in Art. 25 ATSG angelegt ist und letztlich der Durchsetzung des Legalitätsprinzips dient (LOCHER/GÄCHTER, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 4. Aufl. 2014, § 43 Rz. 3), kann im Rahmen der Rechtsanwendung auch nicht einfach aus Gründen des Vertrauensschutzes generell BGE 142 V, 259 (262)übergangen werden. Dies liesse sich umso weniger halten, als mit der Möglichkeit des Erlasses ein gewisses Korrektiv zum Schutze des gutgläubigen Leistungsempfängers besteht (Art. 25 Abs. 1 ATSG und Art. 4 f. ATSV [SR 830.11]). Das soll nicht heissen, dass im Einzelfall unter den gegebenen besonderen Voraussetzungen nicht doch aus Gründen berechtigten Vertrauens auf behördliches Verhalten von einer Rückerstattung Abstand genommen werden kann (ARV 2006 Nr. 15 S. 158, C 80/05 mit Hinweis auf BGE 116 V 298 E. 4c und 4d S. 301 f.; vgl. auch Urteil 9C_56/2011 vom 19. Oktober 2011 E. 5.2). Dabei ist zugleich in Erinnerung zu rufen, dass der blosse Verbrauch von Geldmitteln nach bisheriger Rechtsprechung zum Vertrauensschutz keine relevante Disposition darstellt (ARV 2009 Nr. 5 S. 86, 8C_796/2007; 1999 Nr. 40 S. 235, C 284/97; erwähntes Urteil 9C_56/2011 E. 5.2; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts [heute: I. und II. sozialrechtliche Abteilungen des Bundesgerichts] C 27/01 vom 7. Mai 2001 E. 3c/cc).
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3.2.3 Nach dem Gesagten ergibt sich, dass die wiedererwägungsweise Rentenaufhebung oder -herabsetzung im Bereich der sozialen Unfallversicherung nicht analog zu Art. 88bis Abs. 2 IVV zu erfolgen hat. Dementsprechend kann sie rückwirkend ("ex tunc") erfolgen und sind die demnach zu Unrecht bezogenen Rentenbetreffnisse zurückzuerstatten, ohne dass dafür eine Meldepflichtverletzung erforderlich wäre. Deshalb muss die - umstrittene - Frage, ob dem Beschwerdeführer eine solche anzulasten ist, nicht beantwortet werden. Die Rückerstattung wurde zudem, wie das kantonale Gericht zutreffend erkannt hat, fristgerecht gemäss Art. 25 Abs. 2 ATSG gefordert (vgl. dazu auch Urteil 8C_630/2015 vom 17. März 2016 E. 4 mit Hinweisen). Was der Beschwerdeführer einwendet, rechtfertigt keine andere Betrachtungsweise. Das gilt auch für den Einwand, die SUVA hätte ihre Leistungen sistieren können. Die Rentenherabsetzung auf den 1. August 2010 ist daher unter dem Rückkommenstitel der Wiedererwägung zu bestätigen, und der Versicherte hat die danach über den Invaliditätsgrad von 34 % hinaus, und mithin zu Unrecht, bezogenen Rentenbetreffnisse zurückzuerstatten. Der geforderte Rückerstattungsbetrag ist nicht umstritten. Die Beschwerde ist demnach insoweit abzuweisen. Dem Versicherten steht es frei, im Sinne von Art. 25 Abs. 1 Satz 2 ATSG in Verbindung mit Art. 4 ATSV um Erlass der Rückforderung zu ersuchen. (...)
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