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Informationen zum Dokument  BGE 143 V 363  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
1. Bei den angefochtenen Nichteintretensentscheiden handelt es si ...
2. Nach dem im Abschnitt Rechtspflegeverfahren unter der Übe ...
3. Die Frage nach der Zuständigkeit des kantonalen Versicher ...
4. Die Verordnung des Regierungsrates des Kantons Thurgau vom 11. ...
Erwägung 5
Erwägung 5.3
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
38. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Ausgleichskasse des Kantons Thurgau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
9C_18/2017 vom 28. November 2017
 
 
Regeste
 
Art. 58 Abs. 1 ATSG; Art. 14 Abs. 1 lit. b i.V.m. Abs. 2 ELG; § 5 und 5a der Verordnung des Regierungsrates des Kantons Thurgau vom 11. Dezember 2007 zum Gesetz über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung; örtliche Zuständigkeit (negativer Kompetenzkonflikt).  
Die örtliche Zuständigkeit des kantonalen Versicherungsgerichts richtet sich daher nach dem Wohnsitz der Ergänzungsleistungsbezügerin im Zeitraum, für welchen die Anspruchsberechtigung konkret besteht (E. 5.3).  
 
Sachverhalt
 
BGE 143 V, 363 (364)A. A., wohnhaft in X. (SG), pflegte ihre Mutter B. (geboren am 1. Januar 1920) an deren Wohnsitz in Y. (TG). Diese bezog neben einer Entschädigung der Invalidenversicherung für eine Hilflosigkeit schweren Grades Ergänzungsleistungen (EL) zu ihrer AHV-Rente. Im März 2014 ersuchte A. um Vergütung der bei der Pflege angefallenen Betreuungskosten. Mit Verfügung vom 13. Juni 2014 bzw. Einspracheentscheid vom 4. Juni 2015 wies die Ausgleichskasse des Kantons Thurgau (nachfolgend: Ausgleichskasse) das Gesuch ab. B. verstarb am 27. Februar 2015.
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BGE 143 V, 363 (365)B.
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B.a Die gegen den Einspracheentscheid vom 4. Juni 2015 erhobene Beschwerde der A. leitete das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau am 9. Juli 2015 formlos an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen weiter.
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B.b Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen erachtete sich als unzuständig, trat auf die Beschwerde nicht ein und überwies die Sache zuständigkeitshalber zurück an das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau (Entscheid vom 9. September 2016).
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B.c Mit Entscheid vom 16. November 2016 erliess auch das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau einen förmlichen Nichteintretensentscheid wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit.
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C. A. lässt gegen beide Entscheide Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, das Bundesgericht habe über die Frage der örtlichen Zuständigkeit zu entscheiden und die Angelegenheit zur materiellen Beurteilung an die zuständige Instanz zu überweisen.
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Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung.
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Aus den Erwägungen:
 
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2. Nach dem im Abschnitt Rechtspflegeverfahren unter der Überschrift Zuständigkeit stehenden Art. 58 Abs. 3 ATSG überweist die Behörde, die sich als unzuständig erachtet, die Beschwerde ohne Verzug dem zuständigen Versicherungsgericht. Mit der Einreichung der Beschwerde bei der unzuständigen Behörde wird die Beschwerdefrist gewahrt (Art. 60 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 39 Abs. 2 ATSG). Dabei kann das sich als unzuständig betrachtende kantonale Versicherungsgericht einen Nichteintretensentscheid erlassen oder sich darauf beschränken, die Sache an das als zuständig betrachtete Versicherungsgericht eines anderen Kantons weiterzuleiten. BGE 143 V, 363 (366)Unabhängig davon, ob das erste Gericht die Beschwerde formlos weiterleitet oder einen förmlichen Nichteintretensentscheid erlässt, welcher von der rechtsuchenden Person im Hinblick auf die vorgenommene Weiterleitung der Sache an das zweite Gericht unangefochten blieb, ist bei Verneinung der örtlichen Zuständigkeit in einem Nichteintretensentscheid des zweiten Gerichts im Rahmen des dagegen eingeleiteten Beschwerdeverfahrens die Zuständigkeit beider in Frage kommenden Gerichte vom Bundesgericht ohne Bindung an den Nichteintretensentscheid des ersten kantonalen Gerichts zu prüfen. Da bei fehlender Zuständigkeit des zweiten Gerichts keine Instanz nach Art. 58 ATSG zur Verfügung stünde, kann bei einer solchen Verfahrenskonstellation die Rechtskraft des Nichteintretensentscheids des ersten kantonalen Gerichts nicht eintreten (BGE 135 V 153 E. 1.2 S. 155 f.; Urteil 9C_41/2012 vom 12. März 2012 E. 2.2; je mit Hinweisen).
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3. Die Frage nach der Zuständigkeit des kantonalen Versicherungsgerichts in einem Beschwerdeverfahren gegen einen EL-Einspracheentscheid richtet sich ausschliesslich nach Art. 58 ATSG, weil diese Norm im Recht der Ergänzungsleistungen integral gilt, insbesondere nicht durch Art. 21 ELG (SR 831.30) modifiziert worden ist. Entsprechend ist das Versicherungsgericht desjenigen Kantons zuständig, in dem die versicherte Person oder der Beschwerde führende Dritte zur Zeit der Beschwerdeerhebung Wohnsitz hat. Dabei sind die - zur örtlichen Zuständigkeit führenden - Begriffe der versicherten Person oder des Beschwerde führenden Dritten unter Berücksichtigung der Umstände so auszulegen, wie sie im jeweils in Frage stehenden Leistungsbereich rechtlich massgeblich sind. Bei Leistungsstreitigkeiten ist jedenfalls prioritär an den Wohnsitz der versicherten Person anzuknüpfen. Zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit ist der Wohnsitz des Beschwerde führenden Dritten nur dann von Belang, wenn ein solcher der versicherten Person nicht besteht (BGE 139 V 170 E. 5.3 S. 175 f.).
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"§ 5 Vergütung nach dem Tod
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Ist eine versicherte Person gestorben, welche in die Berechnung der jährlichen Ergänzungsleistungen einbezogen war, so werden ihre BGE 143 V, 363 (367)Krankheits- und Behinderungskosten vergütet, wenn ihre Rechtsnachfolger dies innert zwölf Monaten nach dem Tod verlangen.
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§ 5a Auszahlung der Vergütung
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1 Die Vergütung für ausgewiesene Krankheits- und Behinderungskosten ist an die anspruchsberechtigten Bezügerinnen und Bezüger einer jährlichen Ergänzungsleistung auszurichten.
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2 [...]."
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Erwägung 5
 
5.1 Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen hat im Wesentlichen erwogen, die Beschwerdeführerin führe den Prozess als Erbin der verstorbenen EL-Bezügerin. Deshalb stehe für sie kein eigener Gerichtsstand an ihrem Wohnsitz zur Verfügung, könne doch ein Erbe der versicherten Person weder selber Versicherter noch Dritter sein. Wie das Bundesgericht in BGE 139 V 170 für die Kinder eines Bezügers von Ergänzungsleistungen festgehalten habe, müsse auch hier davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Eigenschaft als Erbin und Rechtsnachfolgerin ihrer Mutter innerhalb des Rechtsverhältnisses stehe und somit nicht als Dritte angesehen werden könne. Daher sei es sachgerecht, den alleinigen Gerichtsstand im Kanton Thurgau - am Wohnsitz der versicherten Person zur Zeit des strittigen Anspruchs - anzuerkennen. Damit ergebe sich eine übereinstimmende Zuständigkeit der Ausgleichskasse und des kantonalen Versicherungsgerichts.
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5.2 Demgegenüber hat das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau seine örtliche Zuständigkeit mit der Begründung verneint, die Beschwerdeführerin habe im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung unbestritten Wohnsitz im Kanton St. Gallen gehabt, weshalb das dortige Versicherungsgericht zuständig sei. Es bestehe kein Grund, von der gesetzlichen Regelung des Art. 58 Abs. 1 ATSG abzuweichen. Die Beschwerdeführerin habe denn auch keinen näheren Bezug zum Kanton Thurgau, während die versicherte Person selber bereits vor Einreichung der Beschwerde verstorben sei. Es bestehe demnach kein Wohnsitz im Kanton Thurgau, welcher eine örtliche Zuständigkeit begründen könnte. Die Frage, ob eine gesplittete örtliche Zuständigkeit eintreten könnte, stelle sich nicht, weil die versicherte Person nicht mehr in der Lage sei, selber Beschwerde zu führen. Mit dem Wohnsitzgerichtsstand habe der Gesetzgeber zudem in Kauf genommen, dass eine Streitigkeit unter Umständen nicht durch das Gericht im Kanton der zuständigen Ausgleichskasse entschieden werde.
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BGE 143 V, 363 (368)Erwägung 5.3
 
5.3.1 In concreto ergibt sich aus dem kantonalen Recht (E. 4), dass die Vergütung für ausgewiesene Krankheits- und Behinderungskosten der Bezügerin der jährlichen Ergänzungsleistung ausbezahlt wird. Direkt anspruchsberechtigt war denn auch allein die verstorbene Mutter der Beschwerdeführerin. Letztere gilt selber weder als versicherte Person, noch hat sie einen originären Leistungsanspruch (vgl. Art. 14 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit Abs. 2 ELG und § 11 RRV Ergänzungsleistungen zur AHV/IV; zum gegenteiligen Fall: BGE 135 V 153 E. 4.11 S. 161). Dass die Krankheits- und Behinderungskosten gemäss der kantonalen RRV Ergänzungsleistungen zur AHV/IV unter Einhaltung einer zwölfmonatigen Frist auch nach dem Tod der EL-Bezügerin vergütet werden können, ändert nichts: Auch in diesem Fall verfügt die Beschwerdeführerin nur über ein von der (verstorbenen) versicherten Person abgeleitetes Recht. Sie handelt, wie aus § 5 RRV Ergänzungsleistungen zur AHV/IV explizit hervorgeht, lediglich als deren "Rechtsnachfolger[in]" (zur Legitimation des Erben vgl. BGE 136 V 7 E. 2.1.2 S. 10 f.).
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Ebenso wenig kann die Beschwerdeführerin als Beschwerde führende Dritte (E. 3) betrachtet werden, zumal die geltend gemachte aktive (Pflege-)Tätigkeit resp. deren Kostenersatz im EL-rechtlichen Kontext offensichtlich nicht ausserhalb, sondern innerhalb des streitigen Rechtsverhältnisses steht (BGE 139 V 170 E. 5.3 S. 175). Ob die Verfügung vom 13. Juni 2014 und der Einspracheentscheid vom 4. Juni 2015 zu Recht (alleine) an die Beschwerdeführerin adressiert waren, kann dahingestellt bleiben, führt doch auch die unrichtige oder unvollständige Bezeichnung des Verfügungsadressaten nicht zur Nichtigkeit der Verfügung, solange sich der ins Recht gefasste Adressat - wie hier - aus dem Sachzusammenhang eindeutig ergibt (HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl. 2016, S. 244 Rz. 1126).
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