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Informationen zum Dokument  BGE 147 V 73  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
3. Die Vorinstanz hat erwogen, dass der Versicherte in sämtl ...
Erwägung 4
Erwägung 4.4
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8. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen IV-Stelle Luzern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
9C_777/2019 vom 24. November 2020
 
 
Regeste
 
Art. 42ter Abs. 3 IVG; Art. 39 IVV; Intensivpflegezuschlag zur Hilflosenentschädigung.  
 
Sachverhalt
 
BGE 147 V 73 (74)A. Der 2014 geborene A. leidet an verschiedenen Geburtsgebrechen, weshalb ihm die IV-Stelle Luzern insbesondere medizinische Massnahmen und eine Entschädigung für leichte Hilflosigkeit vom 28. Januar 2015 bis zum 31. Juli 2017 gewährte.
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Nach Abklärungen und Durchführung der entsprechenden Vorbescheidverfahren verneinte die IV-Stelle mit Verfügungen vom 8. Mai 2018 einen Anspruch auf medizinische Massnahmen im Ausland (stationäre einwöchige Intensivtherapie nach Konzept Padovan in Deutschland) und auf einen Assistenzbeitrag. Sodann sprach sie A. mit Verfügung vom 17. Mai 2018 eine Entschädigung für mittelschwere Hilflosigkeit vom 1. Juli 2017 bis zum 31. Dezember 2018 zu, wobei sie in Bezug auf dessen Höhe einen Intensivpflegezuschlag ablehnte. Schliesslich verweigerte sie mit Verfügung vom 26. Juni 2018 eine Kostengutsprache für medizinische Pflege durch Angehörige.
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B. A. liess sowohl die Verfügungen vom 8. und 17. Mai 2018 als auch die Verfügung vom 26. Juni 2018 anfechten. Nach Vereinigung der Verfahren hiess das Kantonsgericht mit Entscheid vom 16. Oktober 2019 die erste Beschwerde insoweit teilweise gut, als es dem Versicherten eine Entschädigung für schwere Hilflosigkeit vom 1. Juli 2017 bis zum 31. Dezember 2018 zusprach. Im Übrigen wies es das Rechtsmittel ab, ebenso die zweite Beschwerde.
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C. A. lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen, der Entscheid vom 16. Oktober 2019 sei aufzuheben, und die Sache sei im Sinne der Erwägungen an das kantonale Gericht zurückzuweisen.BGE 147 V 73 (74)
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BGE 147 V 73 (75)Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit es darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen:
 
3. Die Vorinstanz hat erwogen, dass der Versicherte in sämtlichen sechs alltäglichen Lebensverrichtungen auf altersunübliche Dritthilfe angewiesen sei. Damit sei nicht von einer mittleren, sondern von einer schweren Hilflosigkeit und einem entsprechend höheren Entschädigungsanspruch auszugehen. Sodann hat sie den täglichen Mehraufwand für die Pflege (resp. Betreuung) auf 601 Minuten festgelegt und davon die Leistungen der Kinderspitex B. im Umfang von 557 Minuten abgezogen. Beim verbleibenden Mehraufwand von täglich 44 Minuten hat sie den Anspruch auf einen Pflegezuschlag verneint. Weiter hat das kantonale Gericht einen Anspruch auf Assistenzbeitrag verneint, weil es keine der besonderen Voraussetzungen für Minderjährige - Anspruch auf Pflegezuschlag, Schulbesuch, Ausbildung oder Erwerbstätigkeit - als gegeben erachtet hat. Ausserdem hat es die beantragte stationäre einwöchige Intensivtherapie nach Konzept Padovan in Deutschland verweigert mit der Begründung, eine Behandlung nach dieser Methode sei auch in der Schweiz möglich, und es fehlten beachtliche Gründe für die Durchführung der Massnahme im Ausland. Schliesslich hat die Vorinstanz in Bezug auf medizinische Pflege durch Angehörige erwogen, zwar seien die Tante und Grossmutter des Versicherten an dessen Pflege beteiligt und bei der C. GmbH angestellte diplomierte Pflegefachfrauen. Indessen seien sie keine anerkannten Leistungserbringerinnen. Die in der Krankenversicherung geltenden Grundsätze(vgl. BGE 145 V 161 E. 5 S. 165 ff.) liessen sich nicht ohne Weiteres auf die Invalidenversicherung übertragen. Zudem werde der Mehraufwand der Angehörigen bereits im Rahmen der Hilflosenentschädigung und der persönlichen Überwachung berücksichtigt, weshalb diesbezüglich kein Leistungsanspruch bestehe.
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Streitig (vgl. zur Auslegung der Rechtsbegehren im Lichte der Beschwerdebegründung Urteil 8C_62/2018 vom 19. September 2018 E. 1.2.2, nicht publ. in: BGE 144 V 418) ist einzig, ob einerseits (dazu nachfolgend E. 4) bei der Hilflosenentschädigung ein Intensivpflegezuschlag zu gewähren ist und (folglich) Anspruch auf einen Assistenzbeitrag besteht, und ob anderseits (dazu nicht publ. E. 5)BGE 147 V 73 (75) BGE 147 V 73 (76)die C. GmbH mit zwei bei ihr angestellten Angehörigen des Versicherten - Grossmutter und Tante - Pflegeleistungen zu Lasten der Invalidenversicherung erbringen darf.
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Erwägung 4
 
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Nach Art. 39 IVV (SR 831.201) liegt eine intensive Betreuung im Sinne von Art. 42ter Abs. 3 IVG bei Minderjährigen vor, wenn diese im Tagesdurchschnitt infolge Beeinträchtigung der Gesundheit zusätzliche Betreuung von mindestens vier Stunden benötigen (Abs. 1). Anrechenbar als Betreuung ist der Mehrbedarf an Behandlungs- und Grundpflege im Vergleich zu nichtbehinderten Minderjährigen gleichen Alters. Nicht anrechenbar ist der Zeitaufwand für ärztlich verordnete medizinische Massnahmen, welche durch medizinische Hilfspersonen vorgenommen werden sowie für pädagogisch-therapeutische Massnahmen (Abs. 2). Bedarf eine minderjährige Person infolge Beeinträchtigung der Gesundheit zusätzlich einer dauernden Überwachung, so kann diese als Betreuung von zwei Stunden angerechnet werden. Eine besonders intensive behinderungsbedingte Überwachung ist als Betreuung von vier Stunden anrechenbar (Abs. 3).
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Im Kreisschreiben des BSV über Invalidität und Hilflosigkeit in der Invalidenversicherung (KSIH), gültig ab 1. Januar 2015, werden die in Art. 39 Abs. 2 und 3 IVV geregelten Tatbestände konkretisiert (vgl. zur Tragweite von Weisungen der Aufsichtsbehörde BGE 136 V 16 E. 5.1.2 in fine S. 20 und BGE 133 V 257 E. 3.2 S. 258; vgl. auch nachfolgende E. 4.3).
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4.2 Aus dem Abklärungsbericht über die Hilflosigkeit und den Betreuungsaufwand vom 28. März 2018 geht Folgendes hervor: DerBGE 147 V 73 (76) BGE 147 V 73 (77)Versicherte atmet über ein Tracheostoma resp. eine Trachealkanüle; wenn diese (etwa durch Sekret) verstopft ist, besteht Lebensgefahr. Wenn nicht rechtzeitig interveniert wird, erleidet der Versicherte eine Panikattacke und reisst sich dabei die Kanüle heraus. Um das Ersticken zu vermeiden, muss immer wieder Sekret abgesaugt werden; jederzeit muss mit der plötzlichen Notwendigkeit einer Sauerstoffabgabe oder Beatmung mit dem Ambubeutel gerechnet werden. Der Versicherte kann sich nicht verbal bemerkbar machen. Er ist immer in Sicht- und Hörweite einer Überwachungsperson; nachts wird er mittels Monitor überwacht.
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In diesem Zusammenhang hat die Vorinstanz in Anwendung von Art. 39 Abs. 3 IVV den Bedarf einer besonders intensiven Überwachung im Umfang von vier Stunden anerkannt. Der Beschwerdeführer macht geltend, damit er nicht ersticke, bedürfe er rund um die Uhr der Überwachung und sofortigen Interventionsbereitschaft einer geeigneten Person. Der ständige Interventionsbedarf sei nicht als Überwachung, sondern als (Behandlungs-)Pflege im Sinne von Art. 39 Abs. 2 IVV zu qualifizieren. Das ist als Rechtsfrage (vgl. nicht publ. E. 1) zu prüfen.
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4.3 Der in Art. 42ter Abs. 2 IVG und Art. 39 Abs. 1 IVV verwendete Begriff der "Betreuung" umfasst die Grund- und dieBehandlungspflege gemäss Art. 39 Abs. 2 IVV sowie die Überwachung gemäss Art. 39 Abs. 3 IVV. Die Tragweite der Grund- und Behandlungspflege im Sinn dieser Bestimmungen ergibt sich in Anlehnung an die (beim Erlass von Art. 39 IVV am 21. Mai 2003 geltenden) Vorgaben von Art. 7 Abs. 2 lit. b und c der Verordnung vom 29. September 1995 über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Krankenpflege-Leistungsverordnung, KLV; SR 832. 112.31). Der Bundesrat als Verordnungsgeber verzichtete auf einen ausdrücklichen Verweis auf die KLV, um der Konkretisierung auf Weisungsebene (KSIH) Vorrang einzuräumen. Damit bezweckte er, der Invalidenversicherung einen grösseren Handlungsspielraum und die Unabhängigkeit von allfälligen Veränderungen innerhalb der Krankenversicherung zu sichern(Erläuterungen des BSV zu den Änderungen der IVV vom 21. Mai 2003, insbesondere zu Art. 39, AHI 5/2003 S. 329).
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Erwägung 4.4
 
4.4.1 Gemäss Rz. 8075 KSIH gehören zu den pflegerischen Massnahmen insbesondere das Spülen, Reinigen und Versorgen vonBGE 147 V 73 (77) BGE 147 V 73 (78)Wunden und Körperhöhlen (einschliesslich Massnahmen bei Stomaträgern), Massnahmen zur Atemtherapie (wie Sauerstoffverabreichung, Inhalation, einfache Atemübungen) und solche zur medizinisch-technischen Überwachung (Infusionen und Transfusionen; Überwachung von Geräten, die der Kontrolle und Erhaltung von vitalen Funktionen dienen). Laut Rz. 8077.3 KSIH (vgl. auch IV-Rundschreiben Nr. 394 des BSV vom 12. Dezember 2019 zu Kinderspitex-Leistungen nach Art. 13 f. IVG) kann im Rahmen einer medizinischen Massnahme eine Langzeitüberwachung zugesprochen werden.
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Im Lichte dieser Bestimmungen bestätigte das Bundesgericht die Qualifikation der nächtlichen Beatmungsüberwachung einer am Undine-Syndrom leidenden Versicherten als Behandlungspflege (BGE 142 V 144 E. 5.2 S. 150). Im Urteil 9C_43/2012 vom 12. Juli 2012 E. 4.1 wurden "tote Zeiten", die im Zusammenhang mit Behandlungspflege (im engeren Sinn) anfielen, als nicht blosse Überwachung qualifiziert. Auch im (die Unfallversicherung betreffenden) Urteil 8C_457/2014 vom 5. September 2014 E. 3.2 wurde die Überwachung der Beatmung als medizinische Pflegeleistung anerkannt. Entscheidend war dabei jeweils, dass auch in "toten" Zeiten (Zeiten ohne Vornahme von pflegerischen oder medizinischen Massnahmen) eine stetige Interventionsbereitschaft (durch medizinisch geschultes Personal) gewährleistet sein musste, und die notwendigen Interventionen bzw. behandlungspflegerischen Massnahmen weder planbar waren noch durch ein Alarmsystem organisiert werden konnten.
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4.5 In concreto geht es um Massnahmen im Zusammenhang mit der Atmung über die Trachealkanüle, die ohne Weiteres unter die soeben (in E. 4.4) genannten Vorgaben des KSIH und der KLV zu subsumieren sind. Diese Massnahmen sind nicht planbar und können auch nicht durch ein Alarmsystem organisiert werden; sieBGE 147 V 73 (78) BGE 147 V 73 (79)erfordern eine stetige unmittelbare Interventionsbereitschaft und vorgängig eine medizinische Schulung der damit betrauten Personen. Dem Beschwerdeführer ist somit beizupflichten, dass die in diesem Zusammenhang notwendige Überwachung der Atmung als Pflegeleistung im Sinn von Art. 39 Abs. 2 IVV und nicht als Überwachung gemäss Art. 39 Abs. 3 IVV zu berücksichtigen ist. Dies erkannte denn auch die IV-Stelle (implizit), als sie bei der Kostengutsprache für medizinische Massnahmen wöchentlich sechs Nachteinsätze der Kinderspitex zu je acht Stunden bewilligte.
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Damit erübrigen sich Ausführungen zur - in der Beschwerde ebenfalls aufgeworfenen - Frage, ob die in Art. 39 Abs. 3 IVV auf vier Stunden begrenzte Anrechenbarkeit der Überwachung verfassungs- und gesetzmässig ist. Die IV-Stelle wird festzulegen haben, in welchem Umfang die Überwachung der Atmung als Pflegemassnahme bei der Betreuung - insbesondere mit Blick auf den Mehraufwand gegenüber gleichaltrigen nicht behinderten Kindern (vgl. Art. 39 Abs. 1 und 2 IVV; Rz. 8074 KSIH) - zu berücksichtigen ist. Anschliessend wird sie über den Intensivpflegezuschlag resp. über die Höhe der Entschädigung für schwere (vgl. vorangehende E. 3) Hilflosigkeit eine neue Verfügung erlassen. Sodann wird sie im Lichte von Art. 39a lit. c IVV i.V.m. Art.42quater Abs. 3 IVG und gegebenenfalls der weiteren Voraussetzungen erneut über den Anspruch auf Assistenzbeitrag zu befinden haben.BGE 147 V 73 (79)
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