VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer U 81/2000  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer U 81/2000 vom 02.04.2001
 
[AZA 7]
 
U 81/00 Vr
 
IV. Kammer
 
Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger; Gerichtsschreiberin Weber Peter
 
Urteil vom 2. April 2001
 
in Sachen
 
G.________, 1935, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Mark A. Schwitter, Bellikerstrasse 1, Berikon,
 
gegen
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Luzern, Beschwerdegegnerin,
 
und
 
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau
 
A.- Die 1935 geborene G.________ arbeitete seit 1983 als Verkäuferin bei der Firma H.________ AG, einem der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) unterstellten Betrieb. Am 2. August 1996 erlitt sie einen Verkehrsunfall, bei dem sie auf der Autobahn durch einen links neben ihr fahrenden Sattelschlepper touchiert wurde, ins Schleudern geriet und sowohl mit der Mittelleitplanke als anschliessend auch mit der Randleitplanke kollidierte. Dabei zog sie sich gemäss Bericht des Spitals X.________ (vom 2. August 1996), wohin sie notfallmässig überführt wurde, eine Kontusion am lumbosacralen Übergang, eine leichte druckdolente Schwellung supraorbital links sowie eine Druckdolenz über dem Malleolus med. links zu. Die SUVA kam ihrer gesetzlichen Leistungspflicht nach. Nach anfänglich 50 %iger Arbeitsfähigkeit ab 1. September 1996 nahm die Versicherte am 25. November 1996 die Arbeit wieder zu 100 % auf. Ab 2. Juni 1997 war sie erneut 50 % arbeitsunfähig (Bericht des behandelnden Arztes Dr. med. N.________, Allgemeine Medizin FMH, vom 11. Juli 1997). Im Auftrag der SUVA erfolgte am 28. Juli 1997 eine neurologische Untersuchung der Versicherten durch Dr. med. M.________, Spezialarzt FMH für Neurologie (Bericht vom 12. August 1997). Am 26. August und 1. September 1997 wurde sie auf eigene Veranlassung zusätzlich durch Dr. med. R.________, Spezialarzt für Neurologie FMH, untersucht (Bericht vom 2. September 1997). Der SUVA-Kreisarzt Dr. med. M.________ nahm mit Schreiben vom 9. Januar 1998 zu den beiden medizinischen Berichten Stellung. Mit Verfügung vom 13. Januar 1998 stellte die SUVA gestützt auf die getätigten Abklärungen, insbesondere die neurologische Beurteilung von Dr. med. M.________, die Versicherungsleistungen ab 21. August 1997 ein. Die Voraussetzungen für die Ausrichtung einer Invalidenrente oder einer Integritätsentschädigung wurden als nicht erfüllt beurteilt. Auf Einsprache hin hielt sie an ihrem Standpunkt fest (Entscheid vom 17. Juni 1998).
 
B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 15. Dezember 1999 ab.
 
C.- G.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Rechtsbegehren, in Aufhebung des angefochtenen Entscheides sowie der Verfügung der SUVA vom 13. Januar 1998 seien der Versicherten für die Folgen des Unfalls vom 2. August 1996 eine Invalidenrente von mindestens 50 % zuzusprechen und eine angemessene Integritätsentschädigung auszurichten. Eventuell sei die Sache zur Festsetzung der der Versicherten zustehenden Invalidenrente an die Vorinstanz zurückzuweisen.
 
Während die SUVA auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, hat sich das Bundesamt für Sozialversicherung nicht vernehmen lassen.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.- In formeller Hinsicht rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK; die Vorinstanz habe, ohne dass ein Verzicht vorliege, von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung mit Beweisabnahmen abgesehen; zudem habe sie mit ihrem Vorgehen den Anspruch auf Waffengleichheit verletzt.
 
a) Nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht gehört wird, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat (Satz 1). Der Antrag auf öffentliche Verhandlung im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK muss klar und unmissverständlich vorliegen. Verlangt eine Partei beispielsweise lediglich eine persönliche Anhörung oder Befragung oder ein Parteiverhör, liegt bloss ein Beweisantrag vor, aufgrund dessen noch nicht auf den Wunsch auf eine konventionskonforme Verhandlung mit Publikums- und Presseanwesenheit zu schliessen ist (vgl. dazu BGE 119 Ib 331 ff. Erw. 7; ZBl 1995 S. 94 Erw. 3g). Eine öffentliche Hauptverhandlung erscheint denn auch erst in einem späteren Prozessstadium, in der Regel kurz vor oder gar nach Abschluss des Beweisaufnahmeverfahrens, als sinnvoll, da vorher kaum genügend Grundlagen für eine sachgerechte Verhandlung vorliegen, welche das Gericht zu einer zuverlässigen verfahrensabschliessenden Beurteilung führen könnte (BGE 122 V 55 Erw. 3a; RKUV 1996 Nr. U 246 S. 164 Erw. 4d).
 
Mit dem im vorinstanzlichen Beschwerdeverfahren gestellten Antrag auf Parteibefragung verlangte die Beschwerdeführerin eine Befragung zu bestimmten, in der Beschwerdeschrift umschriebenen Themen. Diese Vorkehr dient nicht der genaueren Erörterung bereits feststehenden Prozessstoffes, sondern der Sachverhaltsermittlung. Es liegt somit ein blosser Beweisantrag vor, welchem nicht die Bedeutung eines Begehrens um Durchführung einer öffentlichen Verhandlung im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK zukommt.
 
b) Eine Verletzung des Grundsatzes der Waffengleichheit (Art. 6 Ziff. 1 EMRK) ist ebenfalls nicht ersichtlich. Der Anspruch auf Waffengleichheit bedeutet u.a., dass sich das Recht auf Zulassung zum Beweis (mit Beweismitteln sowie Beweisanträgen) und die Pflicht zur Beweisabnahme durch das entscheidende Gericht nach dem Grundsatz der Gleichstellung der Parteien zu richten hat (Ruth Herzog, Art. 6 EMRK und kantonale Verwaltungsrechtspflege, Diss. Bern 1995, S. 323; Sabine Kofmel, Das Recht auf Beweis im Zivilverfahren, Diss. Bern 1992, S. 43 f.). Aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK ergibt sich jedoch kein unbeschränktes Recht auf Zulassung zum Beweis (Kofmel, a.a.O., S. 258). Ebensowenig lässt sich der Konventionsbestimmung eine Regel entnehmen, wonach das Gericht die Beurteilung nicht allein auf verwaltungsinterne Entscheidungsgrundlagen stützen darf und einem Antrag auf Beizug eines externen Gutachtens stets zu entsprechen hat (BGE 122 V 164 Erw. 2c).
 
2.- a) Die Rüge, die Vorinstanz habe zu Unrecht auf weitere Beweismassnahmen verzichtet und damit den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, erweist sich gleichfalls als unbegründet.
 
Führen die von Amtes wegen vorzunehmenden Abklärungen die Verwaltung oder das Gericht bei pflichtgemässer Beweiswürdigung zur Überzeugung, ein bestimmter Sachverhalt sei als überwiegend wahrscheinlich zu betrachten und es könnten weitere Beweismassnahmen an diesem feststehenden Ergebnis nichts mehr ändern, so ist auf die Abnahme weiterer Beweise zu verzichten (antizipierte Beweiswürdigung; Kieser, Das Verwaltungsverfahren in der Sozialversicherung, S. 212, Rz 450; Kölz/Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl., S. 39, Rz 111 und S. 117, Rz 320; Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 274; vgl. auch BGE 122 II 469 Erw. 4a, 122 III 223 Erw. 3c, 120 Ib 229 Erw. 2b, 119 V 344 Erw. 3c mit Hinweis). In einem solchen Vorgehen liegt kein Verstoss gegen das rechtliche Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 4 Abs. 1 aBV (zur letztgenannten Verfassungsbestimmung ergangene, unter der Herrschaft der neuen Bundesverfassung weiterhin geltende Rechtsprechung: BGE 124 V 94 Erw. 4b, 122 V 162 Erw. 1d mit Hinweis).
 
Das kantonale Gericht ist unter Hinweis auf die medizinische Aktenlage zum Schluss gelangt, dass ein natürlicher Kausalzusammenhang zwischen den noch vorhandenen Beschwerden und dem Unfall mit überwiegender Wahrscheinlichkeit verneint werden könne, abgesehen davon, dass auch diese Beschwerden die Arbeitsfähigkeit nicht in relevantem Ausmass tangieren würden. Eine weitere Begutachtung und zusätzliche Beweismassnahmen hat sie nicht als notwendig erachtet, da sich der medizinische Sachverhalt als umfassend abgeklärt erweise. Dies ist im Lichte von Art. 29 Abs. 2 BV und des in Art. 108 Abs. 1 lit. c UVG verankerten Untersuchungsgrundsatzes nicht zu beanstanden. Inwiefern eine Befragung der Beschwerdeführerin geeignet gewesen wäre, zur Objektivierung der medizinischen Befunde beizutragen, ist nicht auszumachen. Ebensowenig begründet war der Antrag um Anordnung eines zusätzlichen spezialärztlichen Gutachtens oder einer neuropsychologischen Untersuchung, da hievon keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind, die am Ergebnis etwas zu ändern vermöchten, nachdem die Versicherte in medizinischer Hinsicht genügend abgeklärt wurde und hinreichende Stellungnahmen zur Einschränkung der Arbeitsfähigkeit vorliegen.
 
b) Im Übrigen besteht entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kein Anlass, die Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts zum Beweiswert von Berichten und Gutachten versicherungsinterner Ärzte (BGE 122 V 157) zu überprüfen. Weder der Neurologe Dr. med. M.________ noch der Kreisarzt Dr. med. W.________ sind befangen. Für den Nachweis der Voreingenommenheit bedarf es besonderer Umstände, welche das Misstrauen in die Unparteilichkeit der Beurteilung objektiv als begründet erscheinen lassen (BGE 123 V 176 Erw. 3d, 122 V 161 Erw. 1c). Mit der Beschwerdegegnerin ist jedoch festzustellen, dass die Tatsache allein, dass der Neurologe Dr. med. M.________ von ihr bereits wiederholt in anderen Fällen beigezogen wurde und für sie Expertisen erstellt hat, nicht auf mangelnde Objektivität und auf Befangenheit schliessen lässt. Umstände, welche das Misstrauen in die Unparteilichkeit der Beurteilung objektiv als begründet erscheinen liessen, werden weder geltend gemacht noch sind sie aus den Akten ersichtlich. Gleiches gilt hinsichtlich der Beurteilung des Kreisarztes Dr. med. W.________. Der Umstand allein, dass er in einem Anstellungsverhältnis zum Versicherungsträger steht, lässt nach geltender Rechtsprechung nicht schon auf mangelnde Objektivität und Befangenheit schliessen.
 
3.- Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen über den Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherung (Art. 6 Abs. 1 UVG), insbesondere auf zweckmässige Behandlung der Unfallfolgen (Art. 10 UVG), auf Taggeldleistungen (Art. 16 UVG), auf eine Invalidenrente (Art. 18 UVG), auf eine Integritätsentschädigung (Art. 24 UVG) sowie die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden (BGE 119 V 337 Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b, je mit Hinweisen, vgl. auch BGE 123 V 103 Erw. 3d) und zum Dahinfallen der kausalen Bedeutung von unfallbedingten Ursachen eines Gesundheitsschadens (RKUV 1994 Nr. U 206 S. 328 Erw. 3b mit Hinweisen und 1992 Nr. U 142 S. 75 Erw. 4b) zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden. Entsprechendes gilt in Bezug auf den im Sozialversicherungsrecht im Allgemeinen erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 119 V 337 Erw. 1, vgl. auch BGE 125 V 195 Erw. 2 mit Hinweisen) sowie über die Bedeutung und den Beweiswert ärztlicher Stellungnahmen für die Ermittlung des Invaliditätsgrades (BGE 122 V 160 Erw. 1c mit Hinweisen) und die Würdigung ärztlicher Berichte und Gutachten im Allgemeinen (siehe auch BGE 125 V 352 Erw. 3a).
 
4.- a) In materieller Hinsicht hat die Vorinstanz in Würdigung der medizinischen Aktenlage zu Recht erkannt, dass das Vorliegen eines Schleudertraumas oder einer dem Schleudertrauma äquivalenten Verletzung nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgewiesen ist, womit die diesbezügliche Rechtsprechung keine Anwendung findet. Es kann dazu auf die zutreffenden Ausführungen des kantonalen Gerichts verwiesen werden, denen das Eidgenössische Versicherungsgericht nichts beizufügen hat. Die von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwendungen vermögen daran nichts zu ändern und sind - wie die SUVA richtig darlegt - unbegründet. Damit steht fest, dass die von der Versicherten in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneut angeführten neuropsychologischen Auffälligkeiten in keinem natürlichen Kausalzusammenhang zum erlittenen Unfall stehen.
 
b) Zu prüfen bleibt, ob die Beschwerdeführerin an nicht durch ein Schleudertrauma verursachten unfallkausalen Beschwerden mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit leidet. Mit der Vorinstanz gilt festzustellen, dass die neurologischen Untersuchungsbefunde von Dr. med. M.________ vom 12. August 1997 im Wesentlichen mit jenen des von der Beschwerdeführerin beigezogenen Neurologen Dr. med. R.________ vom 2. September 1997 übereinstimmen. Von einer neuerlichen Begutachtung kann mithin nichts erwartet werden. Zudem sind sich beide Ärzte darin einig, dass die Unfallverletzungen so weit verheilt sind, dass keine spezifischen Behandlungsmassnahmen mehr erforderlich sind. Demgegenüber bestehen Divergenzen in der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit. Während Dr. med. M.________ hinsichtlich der vom Unfall herrührenden Restbeschwerden von einer vollen Arbeitsfähigkeit ausgeht, hält Dr. med. R.________ eine Teilarbeitsfähigkeit von schätzungsweise 50 % als zumutbar. Er führt aus, dass entgegen Dr. med. M.________ bei den vorhandenen Restbeschwerden von unfallbedingten Beschwerden auszugehen sei. Zwar sind die von Dr. med. M.________ zur Unfallkausalität der verbleibenden Beschwerden getätigten Ausführungen etwas widersprüchlich oder zumindestens unklar. Hingegen ist mit dem SUVA-Kreisarzt Dr. med. W.________ festzustellen, dass allein die von Dr. med. R.________ umschriebene Druckdolenz nuchal rechts und im Bereich der Nacken- Schultermuskulatur sowie die leichte endgradige Beweglichkeitseinschränkung der HWS, welche dieser als unfallbedingte Restbeschwerden bezeichnet, eine wesentliche Teilarbeitsfähigkeit nicht zu begründen vermögen. Mit der Vorinstanz ist somit festzuhalten, dass keine die Arbeitsfähigkeit einschränkenden unfallbedingten Befunde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mehr ausgewiesen sind, weshalb sie die Leistungseinstellung zu Recht bestätigte.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
I.Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
III.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht
 
des Kantons Aargau und dem Bundesamt für
 
Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 2. April 2001
 
Im Namen des
 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der IV. Kammer:
 
Die Gerichtsschreiberin:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).