VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer H 308/1999  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer H 308/1999 vom 27.04.2001
 
[AZA 7]
 
H 308/99 Gb
 
IV. Kammer
 
Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger;
 
Gerichtsschreiberin Keel
 
Urteil vom 27. April 2001
 
in Sachen
 
L.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch den Schweizerischen
 
Invaliden-Verband, Froburgstrasse 4, Olten,
 
gegen
 
Ausgleichskasse Luzern, Würzenbachstrasse 8, Luzern,
 
Beschwerdegegnerin,
 
und
 
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern
 
A.- Die 1943 geborene L.________ ersuchte die Ausgleichskasse Luzern am 23. Januar 1998 um die Anrechnung einer Betreuungsgutschrift für das Jahr 1997 für die Pflege ihres Ehemannes, welcher seit 1. Mai 1993 eine Hilflosenentschädigung der Unfallversicherung für Hilflosigkeit schweren Grades bezieht (Verfügung der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt vom 10. Mai 1993). Mit Verfügung vom 22. Juli 1998 lehnte die Ausgleichskasse das Gesuch ab mit der sinngemässen Begründung, der von der Versicherten betreute Ehemann beziehe nicht eine Hilflosenentschädigung der Alters- und Hinterlassenen- oder der Invalidenversicherung für Hilflosigkeit mindestens mittleren Grades, sondern eine solche der Unfallversicherung.
 
B.- Die von L.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 19. August 1999 ab.
 
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt L.________ das Rechtsbegehren stellen, der kantonale Entscheid und die
 
Verwaltungsverfügung seien aufzuheben und es sei ihr für das Jahr 1997 eine Betreuungsgutschrift anzurechnen.
 
Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.- a) Nach dem mit der 10. AHV-Revision am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Art. 29septies Abs. 1 AHVG haben Versicherte, welche im gemeinsamen Haushalt Verwandte in auf- oder absteigender Linie oder Geschwister mit einem Anspruch auf Hilflosenentschädigung der Alters- und Hinterlassenen- oder der Invalidenversicherung für mindestens mittlere Hilflosigkeit betreuen, Anspruch auf Anrechnung einer Betreuungsgutschrift (Satz 1). Sie müssen diesen Anspruch jährlich schriftlich anmelden (Satz 2). Verwandten sind Ehegatten, Schwiegereltern und Stiefkinder gleichgestellt (Satz 3).
 
b) Gemäss Art. 42 Abs. 1 Satz 1 IVG haben Versicherte mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz, die hilflos sind, Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung, sofern ihnen keine Hilflosenentschädigung nach dem Bundesgesetz über die Unfallversicherung oder nach dem Bundesgesetz über die Militärversicherung zusteht. Als hilflos gilt, wer wegen Invalidität für die alltäglichen Lebensverrichtungen dauernd der Hilfe Dritter oder der persönlichen Überwachung bedarf (Art. 42 Abs. 2 IVG). Die Entschädigung wird nach dem Grad der Hilflosigkeit bemessen (Art. 42 Abs. 3 Satz 1 IVG), wobei drei Hilflosigkeitsgrade (schwer, mittelschwer, leicht) unterschieden werden (Art. 36 IVV; vgl. hiezu BGE 124 II 247 f., 124 V 168 Erw. 2a, 121 V 90 Erw. 3a mit Hinweisen).
 
c) Nach Art. 43bis AHVG haben Bezüger von Altersrenten mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz, die in schwerem oder mittlerem Grad hilflos sind und keinen Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung nach dem Bundesgesetz über die Unfallversicherung oder nach dem Bundesgesetz über die Militärversicherung besitzen, Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung (Abs. 1 Satz 1). Für den Begriff und die Bemessung der Hilflosigkeit sind die Bestimmungen des IVG sinngemäss anwendbar (Abs. 5 Satz 1). Gestützt auf die ihm in Art. 43bis Abs. 5 Satz 3 AHVG eingeräumte Befugnis zum Erlass ergänzender Vorschriften erklärte der Bundesrat in Art. 66bis Abs. 1 AHVV für die Bemessung der Hilflosigkeit
 
Art. 36 IVV für sinngemäss anwendbar.
 
d) Gemäss Art. 26 Abs. 1 UVG besteht Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung, wenn der Versicherte wegen der Invalidität für die alltäglichen Lebensverrichtungen dauernd der Hilfe Dritter oder der persönlichen Überwachung bedarf. Die Höhe der Hilflosenentschädigung bemisst sich nach dem Grad der Hilflosigkeit, wobei wiederum drei Stufen unterschieden werden (Art. 38 UVV). Der Anspruch richtet sich in der Unfallversicherung nach denselben Kriterien wie in der Invaliden- (in SUVA-Rechtsprechungsbericht 1991 Nr. 5 S. 9 erwähntes Urteil L. vom 19. August 1991, U 19/91) und in der Alters- und Hinterlassenenversicherung (vgl. auch Locher, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 2. Aufl. , Bern 1997, § 42 N 3).
 
2.- Es steht fest und ist unbestritten, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin die (mit der Unfallversicherung identischen; vgl. Erw. 1d hievor) Voraussetzungen für die Zusprechung einer Hilflosenentschädigung der Invalidenversicherung für Hilflosigkeit schweren Grades erfüllt, von deren Bezug indessen ausgeschlossen ist wegen der (zur Vermeidung der gleichzeitigen Auszahlung einer Hilflosenentschädigung der Invaliden- und der Unfallversicherung geschaffenen) Koordinationsnorm von Art. 42 Abs. 1 Satz 1 IVG (für die Alters- und Hinterlassenenversicherung: Art. 43bis Abs. 1 AHVG; vgl. hiezu Maurer, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, 2. Aufl. , Bern 1989, S. 533).
 
3.- a) Die vorliegend streitige Frage, ob Betreuungsgutschriften auch anzurechnen sind, wenn die betreute Person, wie im zu beurteilenden Sachverhalt der Ehemann der Beschwerdeführerin, nicht eine Hilflosenentschädigung für Hilflosigkeit mindestens mittleren Grades der Alters- und Hinterlassenen- oder der Invalidenversicherung, sondern eine solche der Unfallversicherung bezieht, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht im zwischenzeitlich ergangenen, zur Publikation vorgesehenen Urteil M. vom 9. April 2001, H 188/99, entschieden.
 
Das Gericht stützte sich dabei auf die im zur Publikation in BGE 126 V bestimmten Urteil P. vom 27. Dezember 2000, H 57/99, vorgenommene Auslegung der Bestimmung des Art. 29septies Abs. 1 Satz 1 AHVG, wonach es für die Anrechnung von Betreuungsvorschriften - wie dies die deutsche Fassung des Gesetzestextes anders als die französische ("au bénéfice d'une allocation de l'AVS ou de l'AI pour impotent") und die italienische ("che beneficiano di un assegno dell'AVS o dell'AI per grandi invalidi") richtig wiedergebe - genüge, dass die betreute Person Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung für Hilflosigkeit mindestens mittleren Grades habe, ohne dass vorausgesetzt werde, dass sie diese auch tatsächlich beziehe. Das Gericht erwog, dass dies ebenso zu gelten habe bei Sachverhalten wie dem vorliegenden, in welchen die betreute Person zwar die Anspruchsvoraussetzungen für eine Hilflosenentschädigung für Hilflosigkeit mindestens mittleren Grades der Invalidenversicherung erfülle, eine solche aber nicht beziehe, dies aufgrund der koordinationsrechtlichen Bestimmung des Art. 42 Abs. 1 Satz 1 IVG, welche die Subsidiarität der Hilflosenentschädigung der Invalidenversicherung gegenüber jener der Unfallversicherung vorsehe (für die Alters- und Hinterlassenenversicherung: Art. 43bis Abs. 1 Satz 1 AHVG). Es erkannte, dass die Verneinung des Anspruches auf Anrechnung von Betreuungsgutschriften in derartigen Konstellationen - angesichts der Tatsache, dass betreffend Pflegebedürftigkeit und -aufwand kein Unterschied auszumachen sei - zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung führen würde zwischen den Versicherten, die eine Person betreuten, welche die Anspruchsvoraussetzungen für eine Hilflosenentschädigung mindestens mittleren Grades der Alters- und Hinterlassenen- oder Invalidenversicherung erfülle, indessen eine diesem Anspruch vorgehende Hilflosenentschädigung der Unfallversicherung beziehe, und denjenigen, welche eine Person betreuten, welche im Genuss einer Hilflosenentschädigung für Hilflosigkeit mindestens mittleren Grades der Alters- und Hinterlassenen- oder Invalidenversicherung stünde. Gestützt auf diese Erwägungen gelangte das Gericht zum Ergebnis, dass Betreuungsgutschriften auch anzurechnen seien, wenn die betreute Person die mit der Unfallversicherung identischen Anspruchsvoraussetzungen für eine Hilflosenentschädigung der Alters- und Hinterlassenen- oder der Invalidenversicherung für Hilflosigkeit mindestens mittleren Grades erfülle, eine solche indessen aufgrund koordinationsrechtlicher Bestimmungen nicht beziehe.
 
b) Im Lichte dieser Rechtsprechung steht der Anrechnung einer Betreuungsgutschrift für das Jahr 1997, entgegen der von Ausgleichskasse und BSV vertretenen Auffassung, nicht entgegen, dass der von der Beschwerdeführerin betreute Ehemann eine Hilflosenentschädigung der Unfallversicherung für Hilflosigkeit schweren Grades bezieht. Da die Versicherte unbestrittenermassen auch die übrigen Voraussetzungen erfüllt, ist ein Anspruch auf Anrechnung einer Betreuungsgutschrift für das Jahr 1997 zu bejahen.
 
4.- Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend steht der durch den Schweizerischen Invaliden-Verband vertretenen Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu (Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG; BGE 122 V 278; vgl. auch BGE 126 V 11 Erw. 2).
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Verwaltungsgerichtes des Kantons Luzern vom 19. August 1999 und die Verfügung der Ausgleichskasse Luzern vom 22. Juli 1998 aufgehoben, und es wird festgestellt, dass die Beschwerdeführerin Anspruch auf Anrechnung einer Betreuungsgutschrift für das Jahr 1997 hat.
 
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
III. Die Ausgleichskasse hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500. - (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
 
IV. Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.
 
V. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 27. April 2001
 
Im Namen des
 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der IV. Kammer:
 
Die Gerichtsschreiberin:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).