VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer I 342/2002  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer I 342/2002 vom 15.01.2003
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
I 342/02
 
Urteil vom 15. Januar 2003
 
II. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiber Lanz
 
Parteien
 
G.________, 1956, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechts-anwalt Dr. Guido Brusa, Strassburgstrasse 10, 8004 Zürich,
 
gegen
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
 
(Entscheid vom 9. April 2002)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die 1956 geborene G.________ wurde nach Ausschöpfen der Rahmenfrist für den Bezug von Arbeitslosenentschädigung am 31. Oktober 1998 ausgesteuert. Ab 1. Februar 1999 nahm sie als Hilfsarbeiterin an einem Einsatzprogramm für ausgesteuerte Erwerbslose teil. Am 9. Februar 1999 glitt G.________ auf vereister Strasse aus und stürzte auf den Rücken. Wegen der dadurch eingetretenen Arbeitsunfähigkeit musste sie ihre Teilnahme am Einsatzprogramm beenden. Die Winterthur-Versicherungen als obligatorischer Unfallversicherer erbrachte in der Folge vorübergehend Leistungen (Taggeld, Heilbehandlung). Im März 2000 meldete sich G.________ bei der Invalidenversicherung zum Rentenbezug an. Nach medizinischen und erwerblichen Abklärungen (unter anderem Einholung eines rheumatologischen und eines psychiatrischen Gutachtens vom 12. April 2000 resp. 16. Dezember [recte wohl: Februar] 2001) und Durchführung des Vorbescheidverfahrens wies die IV-Stelle des Kantons Zürich mit Verfügung vom 18. April 2001 das Leistungsbegehren mangels rentenbegründender Invalidität ab.
 
B.
 
Die hiegegen von der Versicherten erhobene Beschwerde mit dem Antrag auf Zusprechung einer halben Invalidenrente wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 9. April 2002 ab.
 
C.
 
G.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei ihr eine ganze Invalidenrente zuzusprechen; eventuell sei die Sache zu weiteren Abklärungen an das kantonale Gericht oder die IV-Stelle zurückzuweisen.
 
Die IV-Stelle beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung hat sich nicht vernehmen lassen.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Vorab ist festzuhalten, dass dem Begehren auf Ergänzung der unmittelbar vor Ablauf der Rechtsmittelfrist eingereichten Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht entsprochen werden kann. Wer Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhebt, muss alle seine Vorbringen innert der Beschwerdefrist einbringen (ASA 52 [1983/84] S. 639 Erw. 1). Nur für den hier nicht gegebenen Fall, dass Beilagen fehlen oder Begehren resp. Begründung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde unklar sind, sieht das Gesetz die Ansetzung einer Nachfrist zur Behebung des Mangels vor (Art. 108 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 132 OG). Die Nachfrist kann aber nicht dazu dienen, eine inhaltlich ungenügende Rechtsschrift zu ergänzen (BGE 123 II 369 Erw. 6b/bb, 118 Ib 136 Erw. 2). Das käme einer unzulässigen, auch mit dem erst kurz vor Fristablauf erfolgten Beizug des jetzigen Rechtsvertreters nicht begründbaren, Erstreckung der gesetzlichen Beschwerdefrist gleich. Die einge-reichte, den gesetzlichen Mindestanforderungen (Art. 108 Abs. 2 OG) genügen-de Verwaltungsgerichtsbeschwerde enthält im Übrigen eine eingehende Ausei-nandersetzung mit dem angefochtenen Entscheid.
 
Zu ergänzen ist, dass auch die Voraussetzungen für die ausnahmsweise Anordnung eines zweiten Schriftenwechsels (Art. 110 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 132 OG; BGE 127 V 357 Erw. 4a und, auch zum Folgenden, BGE 119 V 323 Erw. 1 mit Hinweisen) nicht erfüllt sind, da die Vernehmlassung der IV-Stelle keine neuen Gesichtspunkte beinhaltet und Vorinstanz wie Bundesamt auf eine Stellungnahme verzichten.
 
2.
 
Das kantonale Gericht hat den Begriff der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG) und dessen Konkretisierung in Bezug auf geistige Gesundheitsschäden (BGE 102 V 165; AHI 2001 S. 228 Erw. 2b mit Hinweisen; vgl. auch BGE 127 V 298 Erw. 4c in fine) zutreffend dargelegt. Dasselbe gilt für die massgebenden Bestimmungen und Grundsätze über Voraussetzungen und Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG), die Bemessung des Invaliditätsgrades bei Erwerbs-tätigen nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 2 IVG; vgl. auch BGE 128 V 30 Erw. 1, 104 V 136 Erw. 2a und b) und die Aufgabe des Arztes bei der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw. 4 mit Hinweisen). Richtig wiedergegeben ist auch die Rechtsprechung zum Beweis-wert ärztlicher Berichte. Danach ist entscheidend, ob der Bericht für die streiti-gen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Situation einleuch-tet und ob die Schlussfolgerungen des Experten begründet sind (BGE 125 V 352 Erw. 3a mit Hinweis; AHI 2001 S. 113 Erw. 3a).
 
Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 18. April 2001) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b).
 
3.
 
Die Vorinstanz verneint einen Rentenanspruch mit der Begründung, die Beschwerdeführerin könne aus somatischer Sicht in einer leidensangepassten Tätigkeit voll arbeiten, und es liege kein die Arbeitsfähigkeit einschränkendes psychisches Leiden vor. Der von dieser Einschätzung der funktionellen Leistungsfähigkeit ausgehende Einkommensvergleich ergebe keinen rentenbegründenden Invaliditätsgrad.
 
3.1
 
3.1.1 Im rheumatologischen Gutachten der Klinik S.________ vom 12. April 2000 wird folgende Diagnose gestellt:
 
Chronisches panvertebrales Syndrom mit lumbospondylogener Komponente bds. bei
 
- Symptomausweitung
 
- Status nach sturzbedingter Wirbelsäulen-/Gesässkontusion am 9. Februar 1999
 
- schwerer Osteoporose (Knochendensitometrie 03/1999: T-Skoren minus 3,9)
 
- multiplen Wirbelkompressionsfrakturen
 
- Fosamaxmedikation
 
- Hohlrundrücken mit Kopfprotraktion
 
- muskulärer Insuffizienz und Dekonditionierung
 
Die Experten erachten die Beschwerdeführerin aus rheumatologischer Sicht für eine wechselbelastende Tätigkeit mit häufigem Positionswechsel und Heben von Lasten bis max. 10 kg (z.B. Kontroll- und Sortierfunktionen) als zu 100 % arbeitsfähig. Für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit in einer Wäscherei bestehe aufgrund der damit verbundenen Überkopfarbeit und der anfallenden Lasten von gegen 20 kg volle Arbeitsunfähigkeit.
 
Die Einschätzung der Klinik S.________ beruht auf eingehender Exploration der Versicherten, berücksichtigt die geklagten Beschwerden und ist überzeugend begründet. Verwaltung und Vorinstanz durften darauf bei der Beurteilung der somatisch bedingten Einschränkung der Arbeitsfähigkeit abstellen und von weiteren Abklärungen absehen, ohne dadurch die Offizialmaxime zu verletzen. Die Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde rechtfertigen keine andere Betrachtungsweise. Die Behauptung, die Expertise weise Widersprüche auf, ist unbegründet. Sodann erfolgte die Einschätzung der verbliebenen Leistungsfähigkeit aus rheumatologischer Sicht umfassend, unter Einbezug der Osteoporose und der damit verbundenen Beschwerden. Dass Befundaufnahme und Verfassung des Gutachtens durch einen Assistenzarzt erfolgten und der visierende Chefarzt die Beschwerdeführerin nicht selber untersucht hat, schmälert den Beweiswert der in sich schlüssigen Expertise nicht. Dasselbe gilt für den Einwand, das kantonale Gericht habe unzulässigerweise auf das Einholen zweier Berichte verzichtet, zumal die Klinik S.________ bei der Begutachtung über den Austrittsbericht der Klinik D.________, in welcher sich die Beschwerdeführerin zur stationären Therapie aufgehalten hatte, verfügte, und von einem Bericht über die in der Klinik X.________ ambulant durchgeführte Physiotherapie aufgrund der gesamten Umstände kein entscheidrelevanter Aufschluss erwartet werden kann.
 
3.1.2 Die Beschwerdeführerin reichte am 28. August 2002 einen Bericht des Osteoporose-Instituts, Y.________ vom 16. August 2002 ein. Da das neue Aktenstück ausserhalb der Rechtsmittelfrist und nach Abschluss des - einfachen (vgl. Erw. 1) - Schriftenwechsels aufgelegt wurde, ist es nur beachtlich, soweit es neue erhebliche Tatsachen oder entscheidende Beweismittel im Sinne von Art. 137 lit. b OG enthält, die eine Revision des Gerichtsurteils rechtfertigen könnten (BGE 127 V 355 ff. insbes. 357 Erw. 4).
 
Dies ist nicht der Fall. Der neu aufgelegte Bericht enthält bei im Wesentlichen gleichem Befund lediglich eine andere Beurteilung der Arbeitsfähigkeit. Neue erhebliche Tatsachen oder ein entscheidendes Beweismittel im Sinne von Art. 137 lit. b OG liegen damit nicht vor (Urteil L. vom 18. Oktober 2002, I 761/01, Erw. 2.3; vgl. auch BGE 127 V 358 Erw. 5b mit Hinweisen).
 
3.2 Das kantonale Gericht verneint eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit aus psychischen Gründen gestützt auf das Gutachten des lic. phil. H.________, Fachpsychologe für Psychotherapie FSP, und des Dr. med. E.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 16. Dezember (recte wohl: Februar) 2001. Dies ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Gemäss den überzeugenden Darlegungen der Experten, welche ein idiopathisches Schmerzsyndrom beschreiben, aber keine psychische Störung mit Krankheitswert feststellten, ist die Beschwerdeführerin aus psychiatrischer Sicht zu 100 % arbeitsfähig. Zwar wird zusätzlich angeführt, in einer sitzenden Tätigkeit sei die Versicherte in der Lage, eine ganztägige Arbeit auszuführen. Es ist aber davon auszugehen, dass dies nicht heissen soll, die attestierte volle Leistungsfähigkeit sei auf sitzend auszuführende Betätigungen beschränkt, zumal sich hiefür weder in der Expertise noch in den übrigen medizinischen Akten eine Begründung findet. Entgegen den Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ergeben sich sodann keine Anhaltspunkte für Verständigungsschwierigkeiten zwischen der Explorandin und den Gutachtern. Deren Ausführungen verdeutlichen, dass die Beschwerdeführerin bei der unter Beizug einer Dolmetscherin erfolgten Begutachtung sowohl den ihr gestellten Fragen folgen als auch ihre eigene Befindlichkeit verständlich schildern konnte. Die Vorinstanz hat somit zu Recht auf das Gutachten des lic. phil. H.________ und des Dr. med. E.________ abgestellt.
 
Hieran vermag der dem Hausarzt erstattete Bericht des Dr. med. K.________, FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 1. Oktober 2001 mit Ergänzung vom 4. Januar 2002 nichts zu ändern. Darin wird aus psychiatrischer Sicht auf eine Arbeitsunfähigkeit von 50 % geschlossen. Mit der Vorinstanz sind aber die Ausführungen des Psychiaters als wenig genau und die Folgerungen als nicht nachvollziehbar zu bezeichnen. Besonders zu erwähnen ist, dass die dargelegte Einschätzung zur Leistungsfähigkeit gemäss dem Bericht vom 1. Oktober 2001 alleine auf einem Gespräch mit der Versicherten und ihrem Ehemann über die Verrichtungen, welche erstere im Haushalt noch vornehmen könne, beruht. Ob und inwiefern eine Einschränkung bei der Haushaltstätigkeit gegeben ist, kann aber vorliegend offen bleiben, da die Beschwerdeführerin bis zum Unfall vom 9. Februar 1999 vollzeitlich erwerbstätig war, respektive auf dieser Grundlage Arbeitslosenentschädigung bezog, und nach eigener Darstellung ohne Gesund-heitsschädigung einer vollzeitlichen Erwerbstätigkeit nachgehen würde. Verwal-tung und Vorinstanz haben daher auch richtigerweise auf die für Erwerbstätige anwendbare Methode der Invaliditätsbemessung abgestellt (vgl. Erw. 2). Wenn sich Dr. med. K.________ sodann ohne weitere Begründung dahingehend äussert, die von ihm derart ermittelte Einschränkung der Arbeitsfähigkeit im Haushalt sei "sicher auch auf die Arbeitsfähigkeit ausserhalb des Hauses anzuwenden", kann darin keine zuverlässige ärztliche Aussage über die Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben gesehen werden, welche die Feststellungen im Gutachten des lic. phil. H.________ und des Dr. med. E.________ zu entkräften vermöchte.
 
3.3 Zu prüfen bleibt, wie sich die festgestellte volle Arbeitsfähigkeit in einer dem somatischen Leiden angepassten Tätigkeit erwerblich verwerten lässt. Gemäss dem angefochtenen Entscheid würde die Beschwerdeführerin ohne gesundheitliche Beeinträchtigung Fr. 52'100.- verdienen (= Valideneinkommen). Unter Berücksichtigung der Gesundheitsschädigung ist ihr ein Erwerbseinkommen von Fr. 47'100.- zumutbar (= Invalideneinkommen). Die beiden Vergleichseinkommen sind unbestritten geblieben und geben auch aufgrund der Akten zu keinen Bemerkungen Anlass. Ihre Gegenüberstellung ergibt einen Invaliditätsgrad von 9.6 %, was einen Rentenanspruch ausschliesst.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 15. Januar 2003
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).