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Informationen zum Dokument  BGer B 70/2002  Materielle Begründung
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BGer B 70/2002 vom 08.04.2003
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
B 70/02
 
Urteil vom 8. April 2003
 
I. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Schön, Bundesrichter Borella, Lustenberger, Ursprung und Frésard; Gerichtsschreiber Nussbaumer
 
Parteien
 
Bundesamt für Sozialversicherung, Effingerstrasse 20, 3003 Bern, Beschwerdeführer,
 
gegen
 
1. E.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Fürsprecherin Anne Marie Carrel, Oberdorfweg 25, 5103 Möriken AG,
 
2. Pensionskasse des Bundes, Holzikofenweg 36,
 
3003 Bern, Beschwerdegegnerin,
 
Vorinstanz
 
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau
 
(Entscheid vom 29. Mai 2002)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
E.________ und F.________ heirateten am 25. September 1976. Mit Urteil des Bezirksgerichts A.________ vom 23. Oktober 2001, welches am 23. November 2001 in Rechtskraft erwuchs, wurde die Ehe der Parteien geschieden. In Ziff. 3 des Dispositivs des Scheidungsurteils wurde festgestellt, dass jede Partei Anspruch auf die Hälfte der für die Ehedauer zu ermittelnden Austrittsleistung der anderen Partei hat.
 
B.
 
Nach Überweisung der Sache durch das Scheidungsgericht verpflichtete das Versicherungsgericht des Kantons Aargau in Dispositiv-Ziff. 1 seines Entscheids vom 29. Mai 2002 die Pensionskasse des Bundes, zu Lasten des Freizügigkeitskontos von E.________ den Betrag von Fr. 242'043.95 zuzüglich 4,25 % Zins vom 23. November 2001 bis zum Überweisungszeitpunkt an die Migros-Pensionskasse, Zürich, zu Gunsten von F.________ zu bezahlen.
 
C.
 
Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, Ziff. 1 des vorinstanzlichen Entscheiddispositivs sei in dem Sinne abzuändern, dass die Verzugszinsen von 4,25 % erst nach Ablauf von 30 Tagen seit Datum des Entscheids des Eidgenössischen Versicherungsgerichts geschuldet sind. Die Pensionskasse des Bundes sei anzuweisen, F.________ zusätzlich zur festgelegten Austrittsleistung von Fr. 242'043.95 die auf diesem Betrag in der Zeitspanne zwischen Rechtskraft des Scheidungsurteils und Datum der Überweisung der Austrittsleistung angefallenen reglementarischen Zinsen zu vergüten.
 
F.________ schliesst auf Nichteintreten auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde; eventuell sei die Beschwerde abzuweisen. Die Pensionskasse des Bundes wirft die Frage des Zeitpunkts des Wiedereinkaufs auf. Kantonales Gericht, E.________ und die Migros-Pensionskasse verzichten auf eine Vernehmlassung.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
1.1 Die vorliegende Streitigkeit unterliegt der Gerichtsbarkeit der in Art. 73 BVG erwähnten richterlichen Behörden, welche sowohl in zeitlicher als auch in sachlicher Hinsicht zuständig sind (BGE 122 V 323 Erw. 2, 120 V 18 Erw. 1a, je mit Hinweisen). Das Gericht nach Art. 73 BVG, das gemäss Art. 25 und 25a FZG auch für Streitigkeiten auf dem Gebiete der Freizügigkeit der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge zuständig ist, hat den Streit von Amtes wegen an die Hand zu nehmen und die Teilung der Austrittsleistung gestützt auf den vom Scheidungsgericht bestimmten Aufteilungsschlüssel durchzuführen (BGE 128 V 46 Erw. 2c mit Hinweisen).
 
1.2 Beim Prozess um Ausgleichszahlungen aus beruflicher Vorsorge im Scheidungsfall handelt es sich wie bei Austrittsleistungen (Entstehung, Höhe, Erfüllung usw.) um einen Streit um Versicherungsleistungen, weshalb sich die Überprüfungsbefugnis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts nach Art. 132 OG richtet. Danach ist die Kognition nicht auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt, sondern sie erstreckt sich auch auf die Angemessenheit der angefochtenen Verfügung. Das Gericht ist dabei nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden und kann über die Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen. Ferner ist das Verfahren regelmässig kostenlos (Art. 134 OG; BGE 114 V 36 Erw. 1c).
 
1.3 Entgegen der Auffassung der Mitinteressierten ist auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde des BSV einzutreten, da zum Einen Grundsatzfragen zu beurteilen sind, zum Andern es gerade Aufgabe des BSV als Aufsichtsbehörde ist, für die einheitliche Anwendung der Rechtsvorschriften im Bereich der Beruflichen Vorsorge zu sorgen. Nicht zu prüfen ist im vorliegenden Verfahren (vgl. BGE 125 V 414 Erw. 1a, 119 Ib 36 Erw. 1b, je mit Hinweisen) die von der Pensionskasse aufgeworfene Frage nach dem massgeblichen Zeitpunkt des Wiedereinkaufs (vgl. Art. 22c FZG).
 
2.
 
2.1 Art. 122 Abs. 1 ZGB räumt jedem Ehegatten Anspruch auf die Hälfte der nach dem Freizügigkeitsgesetz vom 17. Dezember 1993 für die Ehedauer zu ermittelnden Austrittsleistung des anderen Ehegatten ein, wenn ein Ehegatte oder beide Ehegatten einer Einrichtung der beruflichen Vorsorge angehören und bei keinem Ehegatten ein Vorsorgefall eingetreten ist. Die Teilung der Austrittsleistung wird nach den Art. 22 - 22c FZG durchgeführt, wobei im Falle der Nichteinigung die Zuständigkeit des Gerichts nach Art. 73 BVG vorgesehen ist (Art. 25a FZG; Art. 141 und 142 ZGB). Die geteilte Austrittsleistung hat dem beruflichen Vorsorgeschutz grundsätzlich erhalten zu bleiben (Art. 22 Abs. 1, Art. 22b Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3-5 FZG).
 
2.2
 
2.2.1 Nach Art. 15 Abs. 1 lit. a BVG besteht das Altersguthaben aus den Altersgutschriften samt Zinsen für die Zeit, während der der Versicherte der Vorsorgeeinrichtung angehört hat. Der vom Bundesrat festzulegende Mindestzinssatz (Art. 15 Abs. 2 BVG) betrug bis Ende Dezember 2002 4 %; seit 1. Januar 2003 ist er auf 3,25 % festgesetzt (Art. 12 BVV2 in der Fassung gemäss Änderung vom 23. Oktober 2002).
 
Die zu teilende Austrittsleistung eines Ehegatten entspricht gemäss Art. 22 Abs. 2 FZG der Differenz zwischen der Austrittsleistung zuzüglich allfälliger Freizügigkeitsguthaben im Zeitpunkt der Ehescheidung und der Austrittsleistung zuzüglich allfälliger Freizügigkeitsguthaben im Zeitpunkt der Eheschliessung (vgl. Art. 24 FZG). Für diese Berechnung sind die Austrittsleistung und das Freizügigkeitsguthaben im Zeitpunkt der Eheschliessung auf den Zeitpunkt der Ehescheidung aufzuzinsen gemäss dem im entsprechenden Zeitraum gültigen Mindestzinssatz nach Art. 12 BVV2 (Art. 8a Abs. 1 FZV). Für die Zeit vor dem 1. Januar 1985 gilt der Zinssatz von 4 % (Art. 8a Abs. 2 FZV).
 
Nach Art. 2 Abs. 3 FZG wird die Austrittsleistung mit dem Austritt aus der Vorsorgeeinrichtung fällig. Ab diesem Zeitpunkt ist ein Verzugszins zu zahlen. Dieser entspricht nach Art. 7 FZV dem in Art. 12 BVV2 geregelten BVG-Mindestzinssatz plus einem Viertel Prozent.
 
2.2.2 Die in diesen Bestimmungen geregelte Verzinsung der Vorsorgeguthaben bildet wesentliches Merkmal der beruflichen Vorsorge. Die Vorsorgeeinrichtungen sind verpflichtet, die Altersguthaben zu einem Mindestsatz zu verzinsen. Für die Berechnung der zu teilenden Austrittsleistung wird der im Zeitpunkt der Eheschliessung vorhandene Betrag ebenfalls aufgezinst. Damit verbleibt der während der Ehe aufgelaufene Zins dem Ehegatten, welcher der beruflichen Vorsorge angehört (Botschaft des Bundesrates über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 15. November 1995, BBl 1996 I 107). Mit dem Ausscheiden aus der Vorsorgeeinrichtung wird die Austrittsleistung fällig und ist ab diesem Zeitpunkt von der Vorsorgeeinrichtung zu verzinsen (vgl. auch BGE 119 V 135 Erw. 4c). Diese Pflicht zur Entrichtung eines Verzugszinses auf der Austrittsleistung (vgl. Art. 2 Abs. 3 FZG) wird in der bundesrätlichen Botschaft zum Bundesgesetz über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 26. Februar 1992 (BBl 1992 III 572) wie folgt begründet:
 
"Damit der Vorsorgeschutz bei einem Stellenwechsel nicht geschmälert wird, muss vorgesehen werden, dass die Austrittsleistung ab Verlassen der Vorsorgeeinrichtung zu verzinsen ist. In der Praxis gewähren zwar die Vorsorgeeinrichtungen vielfach keinen Zins, wenn die Austrittsleistung innerhalb eines Monats nach Fälligkeit überwiesen wird. Diese Praxis benachteiligt aber die Vorsorgenehmer, die beispielsweise von einer Spareinrichtung zu einer andern Spareinrichtung wechseln, da auch die Letztere für diesen Monat keinen Zins gutschreibt; der entstehende Zinsverlust beeinträchtigt direkt den Vorsorgeschutz. Diese Praxis benachteiligt auch die Vorsorgenehmer, denen die Austritsleistung bar ausbezahlt wird. Die sofortige Verzinsung der Austrittsleistung ab Freizügigkeitsfall stellt geringe administrative Probleme, die sich mit entsprechenden Valutierungsvorschriften bei der Überweisung lösen lassen."
 
Mit der (durchgehenden) Verzinsung der Vorsorgeguthaben soll der Vorsorgeschutz erhalten bleiben. Diese Überlegungen haben ihre Gültigkeit auch für den Fall der verfahrensmässig bedingten Verzögerung der Aufteilung der Austrittsleistungen bei Ehescheidung und deren Vollzug. Dem Gesichtspunkt der Wahrung und Erhaltung des Vorsorgeschutzes würde es ebenfalls zuwiderlaufen, wenn die Einrichtung der beruflichen Vorsorge (vgl. dazu auch BGE 128 V 45 Erw. 2b mit Hinweisen) vom Zeitpunkt der Scheidung bis zur Übertragung mit dem Guthaben, das der ausgleichsberechtigten geschiedenen Person zusteht, Anlagen tätigen und Erträge erzielen oder der andere geschiedene Ehepartner von den Zinsen auf dem ganzen Altersguthaben alleine profitieren könnte. Der Grundsatz der durchgehenden Verzinsung gilt auch für den Fall, wenn die Teilung der Austrittsleistung auf einen Zeitpunkt vor dem Datum des Ehescheidungsurteils vorgenommen wird.
 
2.3 Demzufolge ist die dem ausgleichsberechtigten Ehegatten im Falle der Scheidung zustehende Austrittsleistung vom massgebenden Stichtag der Teilung an bis zum Zeitpunkt der Überweisung oder des Beginns der Verzugszinspflicht zu verzinsen.
 
3.
 
Es stellt sich des Weitern die Frage, zu welchem Satz die Austrittsleistungen zu verzinsen sind.
 
3.1 Im Rahmen des Obligatoriums werden die Altersguthaben mindestens zu dem in Art. 12 BVV2 festgelegten Zinssatz verzinst. Dieser Mindestzinssatz ist auch für die Verzinsung der dem ausgleichsberechtigten Ehegatten geschuldeten Austrittsleistung heranzuziehen. Sofern das Reglement (vgl. dazu Riemer, Das Recht der beruflichen Vorsorge in der Schweiz, S. 58 § 2 Rz 35 ff., § 4 Rz 15-17) für die Verzinsung der Altersguthaben einen höheren Zinssatz vorsieht, gelangt dieser zur Anwendung. Im Bereich des Obligatoriums hat daher eine Vorsorgeeinrichtung auf der Austrittsleistung (Art. 122 ZGB, Art. 22 FZG) den Mindestzinssatz von Art.12 BVV2 oder den allenfalls höheren reglementarischen Zins zu vergüten.
 
Umhüllende Leistungs- oder Beitragsprimatkassen haben die Austrittsleistung mit dem reglementarischen Zinssatz zu verzinsen, sofern damit im Rahmen der so genannten Schattenrechnung dem BVG-Mindestzinssatz Genüge getan wird. Für nur in der weitergehenden Vorsorge tätige Vorsorgeeinrichtungen gilt ebenfalls in erster Linie der reglementarische Zinssatz. Sieht in diesen beiden Fällen das Reglement keinen Zinssatz vor, so rechtfertigt es sich, subsidiär den in Art. 12 BVV2 vorgesehenen Mindestzinssatz anzuwenden. Dieses Vorgehen ist angezeigt, da Art. 8a FZV bei der Teilung der Austrittsleistung infolge Scheidung ebenfalls auf den im entsprechenden Zeitraum gültigen Zinssatz nach Art. 12 BVV2 greift.
 
3.2 Zu prüfen ist schliesslich, von welchem Zeitpunkt an eine Vorsorgeeinrichtung auf der Austrittsleistung gegebenenfalls einen Verzugszins schuldet.
 
3.2.1 Wird die Austrittsleistung infolge Einigung der Parteien unter Einbezug der Vorsorgeeinrichtung im Verfahren nach Art. 141 ZGB ermittelt, so eröffnet das Scheidungsgericht der Vorsorgeeinrichtung das rechtskräftige Urteil bezüglich der sie betreffenden Punkte unter Einschluss der nötigen Angaben für die Überweisung des vereinbarten Betrages (Art. 141 Abs. 2 ZGB). Von diesem Zeitpunkt an verfügt die Vorsorgeeinrichtung über alle zur Überweisung der Austrittsleistung erforderlichen Angaben. Mit dem BSV ist ihr eine Zahlungsfrist von 30 Tagen, gerechnet ab Eröffnung des Scheidungsurteils, einzuräumen, bevor die Verzugszinspflicht einsetzt.
 
3.2.2 Etwas anders verhält sich die Situation, wenn nicht das Scheidungsgericht, sondern das Vorsorgegericht gestützt auf Art. 142 ZGB die Austrittsleistung in betraglicher Hinsicht ermittelt hat. In diesem Fall steht mit der Eröffnung noch nicht fest, zu welchem Zeitpunkt der Entscheid des Vorsorgegerichts rechtskräftig wird. Als Stichtag für den Beginn der 30tägigen Zahlungsfrist ist daher auf den Eintritt der Rechtskraft des kantonalen Gerichtsentscheids, bei dessen Weiterzug auf den Tag der Ausfällung der Entscheidung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts (Art. 38 in Verbindung mit Art. 135 OG) abzustellen.
 
3.2.3 In betraglicher Hinsicht ist der Verzugszins auf der Austrittsleistung samt dem reglementarischen oder gesetzlichen Zins bis zum Zeitpunkt des Beginns der Verzugszinspflicht zu bezahlen.
 
4.
 
Aus diesen Erwägungen folgt, dass die Pensionskasse des Bundes auf der F.________ geschuldeten Austrittsleistung in Höhe von Fr. 242'043.95 einen Zins in reglementarischer oder gesetzlicher (Mindest-)Höhe bis zum Zeitpunkt der Überweisung zu entrichten hat. Ab 31. Tag nach Erlass des vorliegenden Urteils wäre ein Verzugszins von 3,5% (vgl. Art. 7 FZV in Verbindung mit Art. 12 BVV2) zu bezahlen.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird Ziff. 1 des Dispositivs des Entscheids des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 29. Mai 2002 insofern abgeändert, als die Pensionskasse des Bundes die Austrittsleistung ab 23. November 2001 im Sinne der Erwägungen zu verzinsen hat.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, der Migros-Pensionskasse und F.________ zugestellt.
 
Luzern, 8. April 2003
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der I. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
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