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Informationen zum Dokument  BGer 4C.58/2002  Materielle Begründung
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BGer 4C.58/2002 vom 09.04.2003
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
4C.58/2002 /rnd
 
Urteil vom 9. April 2003
 
I. Zivilabteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Corboz, Präsident,
 
Bundesrichterin Klett, Bundesrichter Nyffeler,
 
Gerichtsschreiberin Boutellier
 
Parteien
 
X.________,
 
Klägerin und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Lucas Anderes, Seefeldstrasse 116, Postfach, 8034 Zürich,
 
gegen
 
Y.________ AG,
 
Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Dieter Hofmann, Münstergasse 2,
 
Postfach 2990, 8022 Zürich.
 
Gegenstand
 
Agenturvertrag; Provisionen,
 
Berufung gegen den Beschluss des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 17. Dezember 2001.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die Y.________ AG (Beklagte) schloss mit der X.________ (Klägerin) am 1. März / 29. April 1992 einen Agenturvertrag. Die Klägerin verpflichtete sich, den Verkauf der von der Beklagten vertriebenen Datenfunksysteme weltweit zu fördern und auf den Abschluss entsprechender Verträge hinzuwirken. Die Beklagte verpflichtete sich zur Zahlung von Provisionen. Die Agentin fordert von der Beklagten nun ausstehende Provisionen und Ersatz des Schadens für entgangene Provisionen, der ihr aus der verspäteten Lieferung von Verkaufsmaterial entstanden sei.
 
B.
 
Am 11. November 1997 gelangte die Klägerin an das Handelsgericht des Kantons Zürich mit dem Begehren, die Beklagte habe für den Zeitraum von Mai 1992 bis Ende Juni 1996 eine Provisionsabrechnung zu erstellen, und der Klägerin Einsichtnahme in die entsprechenden Unterlagen zu geben; nach Vorlage der entsprechenden Geschäftsbücher und Belege habe die Beklagte einen noch zu beziffernden Betrag aus Anspruch auf Provision zu bezahlen; ausserdem sei ihr Schadenersatz in Höhe eines noch zu beziffernden Betrages zuzusprechen. Die Beklagte erhob mit Klageantwort vom 31. März 1998 Widerklage.
 
Mit Teilurteil vom 6. Juli 1999 verpflichtete das Handelsgericht die Beklagte, innert 30 Tagen ab Rechtskraft des Entscheides, der Klägerin für ihre Tätigkeit im Zeitraum von Mai 1992 bis Ende Juni 1996 eine Provisionsabrechnung im Sinne der Erwägungen zu erstellen, und ihr Gelegenheit zur Einsichtnahme in die entsprechenden Unterlagen zu geben. Auf die Widerklage trat das Gericht nicht ein. Im Anschluss an dieses Teilurteil bezifferte die Klägerin ihre Forderung für Provisionen auf Fr. 556'526.85 sowie Fr. 500'000.-- für Schadenersatz.
 
C.
 
Mit Urteil vom 17. Dezember 2001 verpflichtete das Handelsgericht des Kantons Zürich die Beklagte, der Klägerin Fr. 53'534.14 zu bezahlen; im Mehrbetrag wurde die Klage abgewiesen. Das Handelsgericht ging von der Vollständigkeit der in der Abrechnung der Beklagten enthaltenen provisionspflichtigen Vertragsabschlüsse aus und legte der Berechnung der Provisionsansprüche die jeweiligen Bruttovertragsvolumen zugrunde. In Bezug auf den anwendbaren Provisionssatz kam das Handelsgericht zum Schluss, der Stichtag für die Berechnung des Satzes sei die jeweils erste Kundenzahlung, und das Zahlungsdatum sei auch für Nachbestellungen massgebend. Die Schadenersatzforderung wies das Gericht als unzureichend substanziiert ab.
 
D.
 
Mit Berufung an das Bundesgericht vom 1. Februar 2002 stellt die Klägerin den Antrag, der Entscheid des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 17. Dezember 2001 sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen; eventualiter sei die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin Fr. 1'057'246.85 (nämlich Fr. 557'246.85 an Provisionen und Fr. 500'000.-- Schadenersatz) zu bezahlen. Sie rügt, das Handelsgericht habe den Vertrauensgrundsatz verletzt, indem es den auf die einzelnen Verträge anwendbaren Provisionsprozentsatz vom Eingang der ersten Zahlung des Kunden statt vom Vertragsschluss abhängig gemacht habe; zudem habe es auf die Nachbestellungen andere prozentuale Provisionsansprüche angewandt als auf den Hauptvertrag. Bundesrechtswidrig sei auch, dass die Schadenersatzbegehren als nicht substanziiert angesehen worden seien.
 
Die Beklagte beantragt in der Antwort, auf die Berufung sei nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen.
 
E.
 
Am 18. Dezember 2002 wies das Kassationsgericht des Kantons Zürich die von der Klägerin ebenfalls erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde ab, soweit auf diese eingetreten werden konnte.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Die Berufungsschrift muss die genaue Angabe enthalten, welche Punkte des Entscheides angefochten werden und welche Abänderungen beantragt werden (Art. 55 Abs. 1 lit. b OG). Anträge auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu neuer Entscheidung oder blosse Aufhebungsanträge genügen grundsätzlich nicht und machen die Berufung unzulässig. Ein blosser Rückweisungsantrag reicht indes nach ständiger Praxis aus, wenn das Bundesgericht, falls es die Rechtsauffassung der Berufungskläger für begründet erachtet, kein Endurteil fällen kann, sondern die Sache zu weiteren Abklärungen an die Vorinstanz zurückweisen muss (BGE 125 III 412 E. 1b mit Hinweisen). Diese Voraussetzung ist hier zum Vornherein insoweit gegeben, als die Abweisung der Schadenersatzforderung von Fr. 500'000.-- mangels hinreichender Substanziierung angefochten wird. Insofern hat die Vorinstanz keine Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage im Falle der Gutheissung der Berufung ein Entscheid gefällt werden könnte. Auch für die Berechnung der umstrittenen Provisionen fehlen die erforderlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil für den Fall, dass im Sinne des Standpunkts der Klägerin für die Bestimmung des massgebenden Satzes der Vertragsabschluss mit dem Kunden und nicht der Zahlungseingang entscheidend sein sollte. Auf den Hauptantrag ist folglich einzutreten.
 
2.
 
Im Berufungsverfahren hat das Bundesgericht seiner Entscheidung die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz als wahr und vollständig zugrunde zu legen, es sei denn, sie beruhten auf einem offensichtlichen Versehen, seien unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustandegekommen oder bedürften der Ergänzung, weil das Sachgericht in fehlerhafter Rechtsanwendung einen gesetzlichen Tatbestand nicht oder nicht hinreichend klärte, obgleich ihm entscheidwesentliche Behauptungen und Beweisanerbieten dazu prozesskonform unterbreitet worden waren (Art. 63 und 64 OG; BGE 127 III 248 E. 2c; 125 III 193 E. 1e S. 205, je mit Hinweisen). Eine blosse Kritik an der Beweiswürdigung des Sachrichters ist, soweit nicht Vorschriften des Bundesrechts in Frage stehen, von der Berufung ausgeschlossen (BGE 127 III 73 E. 6a; 126 III 10 E. 2b, je mit Hinweisen). Ausführungen, die sich gegen die tatsächlichen Feststellungen richten, sowie Erörterungen über die Verletzung kantonalen Rechts sind unzulässig (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG).
 
Soweit die Klägerin eine Verletzung der im kantonalen Verfahren geltenden Dispositionsmaxime rügt, ist sie nicht zu hören. Dasselbe gilt für ihr Vorbringen, ihr hätte die Möglichkeit der Beweisführung eingeräumt werden müssen. Sollte sich ihre Rüge auf kantonales Verfahrensrecht beziehen, wäre sie zum Vornherein unzulässig. Sollte die Klägerin sinngemäss eine Verletzung der bundesrechtlichen Beweisvorschrift von Art. 8 ZGB rügen wollen, ist der Rechtsschrift nicht zu entnehmen, dass entsprechende Beweisanträge im kantonalen Verfahren form- und fristgerecht gestellt worden sind (BGE 126 III 315 E. 4a; 122 III 219 E. 3c, je mit Hinweisen).
 
3.
 
In Ziffer 7 des Agenturvertrags vom 1. März / 29. April 1992 vereinbarten die Parteien folgende Provisionszahlungen:
 
"Par année, 365 jours, Y.________ AG paie à X.________ une commission de 12% (douze-pourcents) sur le premier contrat de vente conclu, de 8% (huit-pourcents) sur le second et de 5% (cinq-pourcents) sur les suivants à réception des versements des clients. Les parties conviennent de s'efforcer de conclure des contrats de vente prévoyant un acompte de 30% (trente-pourcents) à la conclusion, de 60% (soixante-pourcents) à la livraison et de 10% (dix-pourcents) au maximum 60 (soixante) jours plus tard".
 
3.1 Die Vorinstanz ist von dieser Vereinbarung in Ziffer 7 des Agenturvertrags ausgegangen. Danach sind für das Jahr, also im Laufe von 365 Tagen, Provisionen von 12% auf den ersten abgeschlossenen Vertrag, 8% auf den zweiten und 5% für alle folgenden zu bezahlen. Sie hat für die Bestimmung des anwendbaren Prozentsatzes als massgebend angesehen, wie die Umschreibung "erster" bzw. "zweiter" Vertrag im Jahr zu verstehen ist. Dem Wortlaut der Vertragsbestimmung hat sie nicht entnehmen können, ob für die Jahresdauer das Kalenderjahr, die Dauer eines Jahres ab Vertragsschluss oder eine dritte Definition massgebend sei. Die Vorinstanz hat insofern aus dem Verhalten der Parteien im Prozess geschlossen, dass die Abrechnungsperiode von 365 Tagen mit dem Eingang der ersten Zahlung beginnen sollte. Sie hat damit entgegen der Behauptung der Klägerin den Vertrag nicht nach dem Vertrauensprinzip, sondern nach dem tatsächlichen Parteiwillen ausgelegt, der im Berufungsverfahren nicht zu überprüfen ist (BGE 118 II 365 mit Hinweisen). Im Übrigen erscheint fraglich, ob die Berufung auf den Vertragswortlaut und auf dessen Wiedergabe im Teilurteil vom 6. Juli 1999 zur Begründung der Bundesrechtsverletzung ausreichen würde (Art. 55 Abs. 1 lit. b OG).
 
3.2 Den anwendbaren Provisionssatz für Nachbestellungen hat die Vorinstanz ausgehend von der Abstufung der Provisionsprozente gemäss Ziffer 7 des Agenturvertrages chronologisch nach Eingang der entsprechenden Zahlungen durch die Kunden bestimmt. Sie ist davon ausgegangen, dass nach dem Willen der Parteien die Höhe der Provision von einem zeitlichen Moment abhängig sein sollte und sah keinen Anlass, für Nachbestellungen eine andere Berechnungsmethode für anwendbar zu erklären. Dass für Nachbestellungen die vertragliche Provisionsabrede massgebend sei, nimmt auch die Klägerin an. Ihrer Rechtsschrift ist nicht zu entnehmen, inwiefern der Entscheid der Vorinstanz bundesrechtswidrig sein sollte, sofern die Begründung der Vorinstanz in Bezug auf die Änderung von Ziff. 7 des Agenturvertrags zutrifft.
 
4.
 
Die Vorinstanz hat erkannt, die klägerischen Behauptungen zum Schaden und insbesondere zum Kausalzusammenhang seien derart unsubstanziiert, dass darüber kein Beweisverfahren durchgeführt werden könne.
 
4.1 Wie weit die anspruchsbegründenden Tatsachen inhaltlich zu substanziieren sind, damit sie unter die massgebenden Normen des materiellen Rechts subsumiert werden können, bestimmt das materielle Bundesrecht (BGE 127 III 365 E. 2b; 123 III 183 E. 3e S. 188, je mit Hinweisen). Die jeweiligen Anforderungen ergeben sich einerseits aus den Tatbestandsmerkmalen der angerufenen Norm und anderseits aus dem prozessualen Verhalten der Gegenpartei. Tatsachenbehauptungen müssen so konkret formuliert sein, dass ein substanziiertes Bestreiten möglich ist oder der Gegenbeweis angetreten werden kann (BGE 127 III 365 E. 2b; 117 II 113 E. 2, je mit Hinweisen). Bestreitet der Prozessgegner das an sich schlüssige Vorbringen der behauptungsbelasteten Partei, kann diese gezwungen sein, die rechtserheblichen Tatsachen nicht nur in den Grundzügen, sondern so umfassend und klar darzulegen, dass darüber Beweis abgenommen werden kann (BGE 127 III 365 E. 2b; 108 II 337 E. 3, je mit Hinweisen).
 
4.2 Die Vorinstanz hat festgestellt, dass der Klägerin von August 1994 bis Ende Juni 1996 kein Verkaufs- und Demonstrationsmaterial zur Verfügung gestanden hatte, womit die Vertragsverletzung erstellt ist. Die Beklagte hat nach den Erwägungen der Vorinstanz jedoch den Schaden substanziiert bestritten, ohne dass die Klägerin ihrerseits dargelegt hätte, welche möglichen Vertragspartner vorhanden gewesen wären, wer noch mit den von der Beklagten vertriebenen Datenfunksystemen hätte beworben werden sollen, oder wie sich die allgemeine Marktlage in der fraglichen Zeit gestaltet hatte. Die Vorinstanz hat keine Bundesrechtsnormen verletzt, wenn sie für Kausalität und Schadenshöhe die blosse Behauptung der Klägerin nicht genügen liess, sie hätte auch in der Zeit von August 1994 bis Ende Juni 1996 dasselbe Brutto-Vertragsvolumen wie in den vorangegangen 29 Monaten erreichen können, wobei 50% Einsparungen abzuziehen seien. Den Ziffern 23 und 24 der klägerischen Eingabe vom 6. November 2000 - auf welche die Vorinstanz ihre Erwägungen bezieht - ist entgegen der sinngemässen Rüge der Klägerin nichts weiter zu entnehmen. Die Vorinstanz hat Art. 8 ZGB nicht verletzt, wenn sie mangels hinreichender rechtserheblicher Behauptungen keine Beweise zum angeblichen Schaden abnahm.
 
5.
 
Die Berufung ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Diesem Verfahrensausgang entsprechend ist die Gerichtsgebühr der Klägerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Sie hat der anwaltlich vertretenen Beklagten eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG). Gebühr und Entschädigung richten sich nach dem Streitwert.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 12'000.-- wird der Klägerin auferlegt.
 
3.
 
Die Klägerin hat die Beklagte für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 14'000.-- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Handelsgericht des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 9. April 2003
 
Im Namen der I. Zivilabteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
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