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Informationen zum Dokument  BGer C 8/2002  Materielle Begründung
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BGer C 8/2002 vom 08.09.2003
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
C 8/02
 
Urteil vom 8. September 2003
 
II. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiber Signorell
 
Parteien
 
Öffentliche Arbeitslosenkasse Baselland, Bahnhofstrasse 32, 4133 Pratteln, Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
K.________, 1961, Beschwerdegegner, vertreten durch Advokat Martin Hug, Augustinergasse 5, 4001 Basel
 
Vorinstanz
 
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Liestal
 
(Entscheid vom 29. Oktober 2001)
 
Sachverhalt:
 
Die Öffentliche Arbeitslosenkasse Baselland (nachfolgend: Kasse) stellte den 1961 geborenen K.________ wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit für 48 Tage in der Anspruchsberechtigung ein (Verfügung vom 2. Februar 2001).
 
Das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft (heute Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht) trat auf eine dagegen erhobene Beschwerde ein und hob die Einstellungsverfügung unter Entschädigungsfolge zu Lasten der Kasse auf (Entscheid vom 29. Oktober 2001).
 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Kasse die Aufhebung des kantonalen Entscheides. Ferner verlangt sie die Feststellung, dass die Vorinstanz in rechtswidriger Weise auf das Rechtsmittel eingetreten sei und dass der Kostenentscheid zu Unrecht erfolgt sei.
 
K.________ und das kantonale Gericht schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) hat auf Vernehmlassung verzichtet.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Arbeitslosenversicherungsbereich geändert worden. Weil im vorliegenden Fall das kantonale Verfahren vor dem 1. Januar 2003 abgeschlossen worden ist, sind die neuen Vorschriften, insbesondere Art. 61 ATSG, nicht anwendbar.
 
2.
 
Art. 103 AVIG enthält verschiedene Anforderungen, denen das kantonale Beschwerdeverfahren in Streitsachen der Arbeitslosenversicherung zu genügen hat. So sieht Art. 103 Abs. 3 AVIG vor, dass die Frist für die Beschwerde an die kantonale Beschwerdeinstanz 30 Tage beträgt. Im Weiteren soll gemäss Art. 103 Abs. 4 AVIG das Verfahren einfach, rasch und, ausser bei mutwilliger Beschwerdeführung, kostenlos sein (Satz 1). Die Beschwerdeinstanz stellt den Sachverhalt von Amtes wegen und in freier Beweiswürdigung fest; sie ist an die Anträge der Parteien nicht gebunden (Satz 2). Abgesehen von weiteren, hier nicht näher interessierenden Bestimmungen (Art. 101 lit. b, Art. 102 sowie Art. 103 Abs. 2 und 5 AVIG) und vorbehältlich des im gegebenen Zusammenhang ebenfalls bedeutungslosen Art. 1 Abs. 3 VwVG obliegt die nähere Ausgestaltung des kantonalen Verfahrens den Kantonen (Art. 103 Abs. 6 AVIG). Dies gilt auch für die Umschreibung der Formerfordernisse, denen eine Beschwerdeschrift an eine kantonale Rechtsmittelinstanz im Sinne von Art. 101 lit. b AVIG zu genügen hat, und für die Frage der Nachfristansetzung, wenn die Beschwerde diesen Anforderungen nicht genügt. Denn im Unterschied zu anderen Zweigen des Bundessozialversicherungsrechts (vgl. Art. 85 Abs. 2 lit. b AHVG [in Verbindung mit Art. 69 IVG, Art. 7 Abs. 2 ELG und Art. 24 EOG], Art. 108 Abs. 1 lit. b UVG, Art. 87 lit. b KVG und Art. 106 Abs. 2 lit. b MVG) enthält das AVIG hiefür keine entsprechende Vorschrift.
 
Im Kanton Basel-Landschaft wird das Verfahren in arbeitslosenversicherungsrechtlichen Streitigkeiten durch das Gesetz über die Verfassungs- und Verwaltungsprozessordnung vom 16. Dezember 1993 (Verwaltungsprozessordnung, VPO; SGS 271) geordnet. Nach dessen § 5 Abs. 1 sind Beschwerden und Klagen innert der gesetzlich vorgeschriebenen Frist schriftlich einzureichen und müssen ein klar umschriebenes Begehren enthalten. Bei Beschwerden oder Klagen in Sozialversicherungssachen ist innert der gesetzlich vorgeschriebenen Frist auch eine Begründung mit Angabe der Tatsachen und Beweismittel einzureichen. In den übrigen Verfahrenszweigen setzt die präsidierende Person die Frist zur Einreichung der Begründung fest (§ 5 Abs. 2 VPO). Die präsidierende Person weist unklare, unvollständige, ehrverletzende oder anstössige Rechtsschriften zur Verbesserung zurück. Sie setzt eine kurze Nachfrist und verbindet diese mit der Androhung, nach unbenütztem Fristablauf aufgrund der Akten zu entscheiden oder, falls Begehren, Unterschrift oder Begründung fehlen, auf die Eingabe nicht einzutreten (§ 5 Abs. 3 VPO).
 
3.
 
3.1 Mit Eingabe vom 22. Februar 2001 liess K.________ gegen eine Verfügung der Öffentlichen Arbeitslosenkasse Baselland beim Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft Beschwerde führen mit dem Antrag, es sei die Verfügung aufzuheben und dem Beschwerdeführer die Anspruchsberechtigung auf Arbeitslosenentschädigung seit 1. Dezember 2000 zuzusprechen. Im Hinblick auf eine bevorstehende Abwesenheit ersuchte der Rechtsvertreter um Ansetzung einer Begründungsfrist vorerst bis Ende März 2001. Nachdem diesem prozessualen Antrag entsprochen und die Frist nochmals bis Ende April 2001 erstreckt wurde, reichte der Versicherte am 26. April 2001 eine Beschwerdebegründung ein. Da zwar die Beschwerde (22. Februar 2001), nicht aber deren Begründung (26. April 2001) innert der Rechtsmittelfrist erfolgte, beantragte die Kasse, die Beschwerdebegründung aus dem Recht zu weisen und auf die Beschwerde nicht einzutreten, eventuell diese abzuweisen.
 
3.2 Die Vorinstanz trat auf das Rechtsmittel ein und hiess die Beschwerde gut. Sie erwog zum Eintreten, dass innert Frist keine Begründung eingereicht worden sei. Es sei aber auch so, dass die Gewährung einer Fristerstreckung für die Einreichung einer Beschwerdebegründung zur Zeit der Instruktionspraxis entspreche. Entscheidend sei indessen, dass die Rückweisung zur Nachbesserung nicht mit einer Sanktionsandrohung verbunden gewesen sei, weshalb die in § 5 Abs. 3 VPO vorgesehene Sanktion nicht verhängt werden könne.
 
3.3 Diesen Erwägungen der Vorinstanz ist beizupflichten. Im kantonalen Prozess lässt das Eidgenössische Versicherungsgericht, wie aus der Rechtsprechung deutlich hervorgeht, eine Nachfristansetzung auch dann zu, wenn die Beschwerde ganz allgemein den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt, also zum Beispiel überhaupt keine Begründung enthält (vgl. BGE 119 V 266 Erw. 2a, 104 V 178; RKUV 1988 Nr. U 34 S. 33 Erw. 1).
 
3.4 Ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen. Nach der Rechtsprechung hat eine Nachfristansetzung unter anderem zu unterbleiben, wenn ein Anwalt eine bewusst mangelhafte Rechtsschrift einreicht, um damit eine Nachfrist für die Begründung zu erwirken, weil dieses Verhalten als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren ist (RKUV 1988 Nr. U 34 S. 31). Die Beschwerde führende Kasse behauptet nicht und legt auch nicht dar, inwiefern der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers in rechtsmissbräuchlicher Absicht eine mangelhafte Rechtsschrift eingereicht hätte. Ein derartiger Vorwurf liesse sich bei den konkreten Umständen schwerlich belegen. Die Kassenverfügung datiert vom Freitag, 2. Februar 2001, deren Zustellung erfolgte also frühestens am Montag, 5. Februar 2001. Bei Einreichung der Rechtsschrift am 22. Februar 2001 war die 30-tägige Rechtsmittelfrist erst etwa zur Hälfte verstrichen. Der Mangel hätte somit noch innert Frist behoben werden können. Daran ändert auch nichts, dass die Vorinstanz bis vor kurzem eine fragwürdige Praxis (vgl. die Vernehmlassung des Versicherungsgerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 8. Februar 2002) handhabte, die allenfalls zur Vereitelung der bundesrechtlichen Beschwerdefrist hätte führen können. Aus diesen Gründen ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz auf das Rechtsmittel eingetreten ist.
 
4.
 
Die Rüge der Kasse, es seien ihr zu Unrecht Kosten auferlegt worden, ist unbegründet. Anders als bei anderen Zweigen des Sozialversicherungsrechts besteht für das arbeitslosenversicherungsrechtliche Verfahren bis Ende 2002 kein bundesrechtlicher Entschädigungsanspruch. Massgebend ist daher das kantonale Verfahrensrecht. Dieses sieht in § 2 VPO in Verbindung mit § 21 Abs. 1 VPO vor, dass die unterliegende Partei in der Regel die entstandenen ordentlichen und ausserordentlichen Kosten zu tragen hat. Diese gesetzlichen Bestimmungen kommen im vorliegenden Fall zur Anwendung, denn eine abweichende Ordnung gilt gemäss kantonalem Gesetz bei Verfahren in Sozialversicherungssachen nur für Streitigkeiten, die vor Schiedsgericht stattfinden (§ 63 VPO). Entgegen der Darstellung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde stellte der Beschwerdegegner in der vorinstanzlichen Beschwerdebegründung vom 26. April 2001 einen diesbezüglichen Antrag.
 
5.
 
Was die materielle Fallerledigung durch die Vorinstanz (Aufhebung der angefochtenen Einstellungsverfügung) betrifft, enthält die Verwaltungsgerichtsbeschwerde keine Begründung. Diesbezüglich ist daher auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht einzutreten.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Die Öffentliche Arbeitslosenkasse Baselland hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Eidg. Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
 
Luzern, 8. September 2003
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
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