VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 2A.399/2003  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 2A.399/2003 vom 11.09.2003
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
2A.399/2003 /leb
 
Urteil vom 11. September 2003
 
II. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
 
Bundesrichter Betschart, Bundesrichterin Yersin,
 
Gerichtsschreiber Feller.
 
Parteien
 
A.________,
 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
 
Dr. Urs Hofmann, Pelzgasse 15, Postfach, 5001 Aarau,
 
gegen
 
Migrationsamt des Kantons Aargau, Bahnhofstrasse 86/88, Postfach, 5001 Aarau,
 
Rekursgericht im Ausländerrecht des Kantons Aargau, Bahnhofstrasse 70, Postfach, 5001 Aarau.
 
Gegenstand
 
Widerruf der Niederlassungsbewilligung,
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Rekursgerichts im Ausländerrecht des Kantons Aargau vom 27. Juni 2003.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
1.1 Der pakistanische Staatsangehörige A.________ (geboren 1968) reiste 1991 in die Schweiz ein und stellte ein Asylgesuch; das Bundesamt für Flüchtlinge wies dieses am 5. Mai 1992 ab, unter gleichzeitiger Anordnung der Wegweisung. Während der Hängigkeit des entsprechenden Beschwerdeverfahrens heiratete A.________ am 16. Dezember 1993 eine um 22 Jahre ältere Schweizer Bürgerin. Die Schweizerische Asylrekurskommission wies am 2. März 1994 die gegen die Asylverfügung des Bundesamtes für Flüchtlinge erhobene Beschwerde in Bezug auf die Asylgewährung ab und schrieb das Verfahren in Bezug auf die Wegweisung als durch die Heirat gegenstandslos geworden ab. Am 9. März 1994 wurde A.________ die Aufenthaltsbewilligung erteilt.
 
Am 23. Januar 1995 heiratete A.________ in seiner Heimat eine Landsfrau; aus der Ehe gingen am 10. Oktober 1996 Zwillinge hervor.
 
Am 29. Oktober 1998 wurde A.________ die Niederlassungsbewilligung erteilt. Mit Urteil vom 19. April 1999 wurde seine Ehe mit der Schweizer Bürgerin geschieden.
 
1.2 Mit Schreiben vom 5. August 1999 liess A.________, ohne dass sein Name genannt wurde, durch einen Rechtsanwalt der Fremdenpolizei des Kantons Aargau die Frage stellen, ob eine in Pakistan noch während der Dauer der Ehe mit einer Schweizerin geschlossene Ehe als gültig betrachtet würde; für diesen Fall wurde ein Gesuch um Nachzug der pakistanischen Ehefrau und zwei dreijähriger Zwillinge angekündigt. Die Fremdenpolizei antwortete am 7. August 1999, das Gesuch könne unter Beilage der üblichen Dokumente eingereicht werden.
 
Am 3. Dezember 1999 reichte A.________ das Gesuch um Familiennachzug für seine zweite Ehefrau und die zwei Kinder ein. Am 18. September 2000 brachte die Ehefrau in Pakistan erneut Zwillinge zur Welt.
 
Mit Verfügung vom 25. Mai 2001 widerrief die Fremdenpolizei des Kantons Aargau die Niederlassungsbewilligung von A.________. Die dagegen erhobene Einsprache blieb erfolglos. Mit Urteil vom 27. Juni 2003 wies das Rekursgericht im Ausländerrecht des Kantons Aargau die gegen den Einspracheentscheid vom 10. Dezember 2001 erhobene Beschwerde ab.
 
1.3 Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 3. September 2003 beantragt A.________ dem Bundesgericht, das Urteil des Rekursgerichts im Ausländerrecht des Kantons Aargau vom 27. Juni 2003 sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für den Entzug seiner Niederlassungsbewilligung nicht gegeben seien.
 
Es ist weder ein Schriftenwechsel durchgeführt, noch sind andere Instruktionsmassnahmen angeordnet worden. Das Urteil ergeht im vereinfachten Verfahren nach Art. 36a OG.
 
2.
 
2.1 Gemäss Art. 9 Abs. 4 lit. a ANAG kann die Niederlassungsbewilligung widerrufen werden, wenn der Ausländer sie durch falsche Angaben oder wissentliches Verschweigen wesentlicher Tatsachen erschlichen hat. Voraussetzung für den Widerruf ist, dass der Ausländer wissentlich falsche Angaben gemacht oder wesentliche Tatsachen verschwiegen hat in der Absicht, gestützt darauf die Niederlassungsbewilligung zu erhalten (BGE 112 Ib 473 E. 3b S. 475 f.).
 
Dabei ist Art. 3 Abs. 2 ANAG von Bedeutung, welcher den Ausländer verpflichtet, der Behörde über alles, was für den Bewilligungsentscheid massgebend sein kann, wahrheitsgetreu Auskunft zu geben. Wesentlich sind nicht nur solche Tatsachen, nach denen die Fremdenpolizei im Hinblick auf die Bewilligungserteilung bzw. -erneuerung ausdrücklich gefragt hat, sondern auch solche, von denen der Gesuchsteller wissen muss, dass sie für den Bewilligungsentscheid massgeblich sind (Urteile 2A.194/2003 vom 3. September 2003 und 2A.432/2002 vom 5. Februar 2003 E. 3.4.2, je mit Hinweisen).
 
2.2 Nach Auffassung der kantonalen Behörden hat der Beschwerdeführer, indem er es unterliess, die Behörden über die Eheschliessung in Pakistan zu informieren, im Bewilligungsverfahren wesentliche Tatsachen verschwiegen und auf diese Weise die Niederlassungsbewilligung erschlichen, die ihm bei vollständiger Auskunftsgewährung nicht erteilt worden wäre.
 
2.2.1 Die Niederlassungsbewilligung ist dem Beschwerdeführer gestützt auf Art. 7 des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20) erteilt worden. Gemäss Art. 7 Abs. 1 ANAG hat der ausländische Ehegatte eines Schweizer Bürgers Anspruch auf Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung; nach einem ordnungsgemässen und ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren hat er Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung. Kein Anspruch besteht, wenn die Ehe eingegangen worden ist, um die Vorschriften über Aufenthalt und Niederlassung zu umgehen ("Ausländerrechtsehe", Art. 7 Abs. 2 ANAG). Selbst wenn ursprünglich keine Ausländerrechtsehe eingegangen worden ist, kann sich die Berufung auf die Ehe als rechtsmissbräuchlich erweisen; auch in diesem Fall besteht kein Bewilligungsanspruch (BGE 128 II 145 E. 2 u. 3; 127 II 49 E. 5 S. 56 ff.). Missbrauch wird nach der Rechtsprechung angenommen, wenn sich der Ausländer auf eine Ehe beruft, die ohne jegliche Aussicht auf Wiedervereinigung nur noch (formell) aufrecht erhalten wird, um von der damit verbundenen Aufenthaltsbewilligung zu profitieren. Dabei werden klare Hinweise dafür vorausgesetzt, dass die Führung einer Lebensgemeinschaft nicht mehr beabsichtigt und nicht mehr zu erwarten ist (BGE 128 II 145 E. 2.2 S. 151; 127 II 49 E. 5a S. 56 f. mit Hinweisen).
 
Das Rekursgericht hält fest, dass verschiedene Indizien für das Bestehen einer Scheinehe zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Schweizer Ehefrau vorlägen (Altersunterschied, Eheschliessung nach asylrechtlicher Wegweisung und während der Hängigkeit des diesbezüglichen Rechtsmittelverfahrens), ohne allerdings auf eine solche zu schliessen. Es erachtet indessen implizit die Tatsache, dass der Beschwerdeführer sich unter derartigen Voraussetzungen während bestehender Ehe mit einer Landsfrau verheiratet und mit ihr Kinder gezeugt hat, als gewichtiges Indiz dafür, dass er die Ehe mit einer Schweizerin nur darum habe fünf Jahre dauern lassen, um vom damit verbundenen privilegierten ausländerrechtlichen Status zu profitieren.
 
Diese Einschätzung liegt, insbesondere auch angesichts der nachfolgenden zeitlichen Abläufe (Einleitung des Scheidungsverfahrens unverzüglich nach Erhalt der Niederlassungsbewilligung) auf der Hand. Es steht mit Sicherheit fest, dass die Niederlassungsbewilligung kaum, in keinem Fall aber ohne zusätzliche Abklärungen erteilt worden wäre, wenn der Beschwerdeführer die Behörde rechtzeitig über die in Pakistan gegründete Familie informiert hätte. Bei der nicht bekannt gegebenen Tatsache handelt es sich offensichtlich um eine für die Bewilligungsfrage wesentliche Tatsache.
 
2.2.2 Der Beschwerdeführer bestreitet, dass die Voraussetzung des wissentlichen Verschweigens dieser wesentlichen Tatsache nicht erfüllt sei. Dies zu Unrecht:
 
Dem Beschwerdeführer wurde - für ihn offensichtlich erkennbar - einzig darum eine Aufenthaltsbewilligung erteilt, weil er eine Schweizer Bürgerin geheiratet hatte; der Aufenthalt in der Schweiz wurde ihm allein zum Zwecke gestattet und jeweilen verlängert, dass er diese (einzige) eheliche Beziehung in der Schweiz leben könne. Darauf zielt auch die im Hinblick auf die Bewilligungserneuerung gestellte Frage nach dem Zivilstand und nach der Nationalität des Ehegatten ab. Unerheblich ist, ob in diesem Zusammenhang ausdrücklich auch von Niederlassungsbewilligung oder bloss von Erneuerung der Aufenthaltsbewilligung die Rede gewesen ist; dem Beschwerdeführer musste so oder anders bewusst sein, dass das Ausfüllen des Formulars massgeblich für die Frage eines weiteren Aufenthalts in der Schweiz ist (vgl. erwähntes Urteil 2A.432/2002 E. 3.4.1). Es konnte ihm nicht verborgen geblieben sein, dass der Eheschluss in Pakistan und insbesondere die Geburt seiner Kinder für die Behörden wichtig war. Dass er der Gründung einer neuen Familie selber keine Bedeutung beigemessen haben will, erweist sich als reine Schutzbehauptung, wie ohne weiteres das Stellen des Nachzugsgesuchs zeigt. Inwiefern die Behörden ihrer Abklärungspflicht in dieser Hinsicht nicht nachgekommen sein sollten (vgl. Art. 11 Abs. 1 ANAV), ist nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer kann nicht ernsthaft erwartet haben, dass bei der Erkundigung über den Zivilstand gezielt nach einer allfälligen zweiten parallelen Ehe gefragt würde. Er hat wissentlich eine wesentliche Tatsache verschwiegen.
 
2.2.3 Die Niederlassungsbewilligung ist nicht in jedem Fall zu widerrufen, wenn sie erschlichen worden ist. Die Behörde hat vielmehr nach pflichtgemässem Ermessen zu entscheiden, ob die Massnahme verhältnismässig ist; dabei steht ihr ein gewisser Ermessensspielraum zu (BGE 112 Ib 473 E. 4 S. 377 ff.). Im vorliegenden Fall wiegt das öffentliche Interesse am Widerruf der Niederlassungsbewilligung schwer. Der Beschwerdeführer hat mit seinem Vorgehen gegen Sinn und Zweck von Art. 7 ANAG und damit eine zentrale ausländerrechtliche Norm in sensiblem Bereich verstossen. Seine persönlichen Verhältnisse sind vom Rekursgericht zutreffend gewürdigt worden (E. 5b des angefochtenen Urteils); sie vermögen - auch unter Berücksichtigung der persönlichen Situation der Mitglieder seiner heutigen Familie - das öffentliche Interesse am Widerruf der Niederlassungsbewilligung nicht aufzuwiegen.
 
2.2.4 Der Beschwerdeführer macht geltend, in seinem Fall müsse auf den Widerruf der Niederlassungsbewilligung darum verzichtet werden, weil er einzig gestützt auf eine - falsche - Auskunft der Fremdenpolizei vom 7. August 1999 dazu verleitet worden sei, das Familiennachzugsgesuch zu stellen. Gestützt auf diese Auskunft will er darauf vertraut haben, dass die Tatsache der Zweitehe in Pakistan nicht zu einem Widerruf der Niederlassungsbewilligung führen, vielmehr selbst ein Nachzug der Familie als möglich erscheinen würde.
 
Der Beschwerdeführer hat im Schreiben seines Rechtsvertreters vom 5. August 1999, dessen Text in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wiedergegeben ist, seine Situation keineswegs vollständig schildern lassen. Insbesondere liess die anonyme Anfrage keine Rückschlüsse auf die zum Anlass des Bewilligungswiderrufs genommenen Umstände zu. Klargestellt wurde einzig, dass die Ehe in Pakistan schon während noch bestehender Ehe mit einer Schweizer Bürgerin geschlossen worden war. Nähere Angaben über die Dauer der Ehe mit der Schweizerin, die näheren Umstände der ersten Heirat, die Altersdifferenz und Informationen über den Zeitpunkt der Erteilung der Niederlassungsbewilligung (im Verhältnis zum Zeitpunkt des zweiten Eheschlusses) oder der Einleitung der Scheidung fehlten. Angesichts der so formulierten Anfrage konnte die Antwort der Fremdenpolizei vom 7. August 1999 in guten Treuen höchstens in der Weise interpretiert werden, dass eine Gewährung des Familiennachzugs auch in Fällen von Doppelehen nicht ausgeschlossen sei; keineswegs liegt aber eine Zusicherung darüber vor, dass auf die Überprüfung der gesamten ausländerrechtlichen Situation unter Berücksichtigung sämtlicher bekannt gewordener Sachverhaltselemente des konkreten Einzelfalles verzichtet werde. Den Ausführungen in E. 2 des angefochtenen Urteils kann vollumfänglich beigepflichtet werden.
 
2.3 Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht in keinerlei Hinsicht. Die offensichtlich unbegründete Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist abzuweisen.
 
2.4 Entsprechend dem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 OG); bei der Festsetzung der Gerichtsgebühr (Art. 153 Abs. 1 OG) ist der Art der (aussichtslosen) Prozessführung Rechnung zu tragen.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht
 
im Verfahren nach Art. 36a OG:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Migrationsamt und dem Rekursgericht im Ausländerrecht des Kantons Aargau sowie dem Bundesamt für Zuwanderung, Integration und Auswanderung schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 11. September 2003
 
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).