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Informationen zum Dokument  BGer K 55/2003  Materielle Begründung
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BGer K 55/2003 vom 23.10.2003
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
K 55/03
 
Urteil vom 23. Oktober 2003
 
IV. Kammer
 
Besetzung
 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiberin Keel Baumann
 
Parteien
 
J.________, Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
ASSURA Kranken- und Unfallversicherung, C. F. Ramuz 70, 1009 Pully, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
 
(Entscheid vom 17. April 2003)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Am 26. Februar 2003 gelangte J.________ an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit dem Rechtsbegehren, die Assura Kranken- und Unfallversicherung (nachfolgend: Assura) sei zu verpflichten, ihr für verschiedene, dem Krankenversicherer am 13. November 2002 eingereichte Rechnungen einen Gesamtbetrag von Fr. 1'470.15 zuzüglich Zins zu vergüten.
 
Das kantonale Gericht nahm die Eingabe als Rechtsverzögerungsbeschwerde entgegen (Verfügung vom 6. März 2003) und wies das Rechtsmittel ab, soweit es darauf eintrat (Entscheid vom 17. April 2003).
 
B.
 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde stellt J.________ sinngemäss das Rechtsbegehren, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben mit der Feststellung, dass eine Rechtsverweigerung oder -verzögerung vorliege, und die Assura sei zu verpflichten, ihr den Betrag von Fr. 1'470.15 zuzüglich Zins zu vergüten.
 
Während die Assura auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.
 
Nach Abschluss des Schriftenwechsels reichte J.________ eine weitere Eingabe ein, in welcher sie das von ihr gestellte Rechtsbegehren ergänzte mit dem Antrag, die Assura sie aufzufordern, ihre Leistungspflicht festzulegen und allenfalls eine Verfügung zu erlassen.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
1.1 Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (ATSG) in Kraft getreten. Mit ihm sind unter anderem auch im Krankenversicherungsrecht verschiedene materiell- und verfahrensrechtliche Bestimmungen geändert worden. Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht im Urteil E. vom 20. März 2003, I 238/02, festgehalten hat, gilt in materiellrechtlicher Hinsicht der allgemeine übergangsrechtliche Grundsatz, dass der Beurteilung jene Rechtsnormen zugrunde zu legen sind, die gegolten haben, als sich der zu den materiellen Rechtsfolgen führende Sachverhalt verwirklicht hat (vgl. dazu BGE 127 V 467 Erw. 1, 126 V 136 Erw. 4b, je mit Hinweisen), und sind die verfahrensrechtlichen Neuerungen mangels gegenteiliger Übergangsbestimmungen mit dem Tag des Inkrafttretens sofort und in vollem Umfang anwendbar (vgl. dazu BGE 129 V 115 Erw. 2.2, 117 V 93 Erw. 6b, 112 V 360 Erw. 4a; RKUV 1998 Nr. KV 37 S. 316 Erw. 3b).
 
Die im ATSG enthaltenen und die gestützt darauf in den Spezialgesetzen auf den 1. Januar 2003 geänderten Verfahrensbestimmungen gelangen daher bereits vorliegend zur Anwendung.
 
1.2 Die Bestimmungen des ATSG sind auf die Krankenversicherung anwendbar, soweit das KVG nicht ausdrücklich eine Abweichung vorsieht (Art. 1 KVG). Nach Art. 49 Abs. 1 ATSG hat der Versicherungsträger über Leistungen, Forderungen und Anordnungen, die erheblich sind oder mit denen die betroffene Person nicht einverstanden ist, schriftlich Verfügungen zu erlassen. Leistungen, Forderungen und Anordnungen, die nicht unter Art. 49 Abs. 1 ATSG fallen, können nach Art. 51 Abs. 1 ATSG in einem formlosen Verfahren behandelt werden, wobei die betroffene Person gemäss Abs. 2 dieser Bestimmung den Erlass einer Verfügung verlangen kann. Im Bereich des Krankenversicherungsrechts werden nach Art. 80 Abs. 1 KVG alle Versicherungsleistungen im formlosen Verfahren nach Art. 51 ATSG gewährt, in Abweichung von Art. 49 Abs. 1 ATSG auch die erheblichen Leistungen. Gegen Verfügungen kann gemäss Art. 52 Abs. 1 ATSG bei der verfügenden Stelle Einsprache erhoben werden, und gegen Einspracheentscheide ist gestützt auf Art. 56 Abs. 1 KVG (in Verbindung mit Art. 57 ATSG) das Rechtsmittel der Beschwerde an das kantonale Versicherungsgericht gegeben.
 
1.3 Gemäss Art. 56 Abs. 2 ATSG kann auch dann Beschwerde erhoben werden, wenn der Versicherungsträger entgegen dem Begehren der betroffenen Person keine Verfügung oder keinen Einspracheentscheid erlässt. Gegenstand einer solchen Rechtsverweigerungs- oder Rechtsverzögerungsbeschwerde bilden - wie bereits vor Inkrafttreten des ATSG (RKUV 2000 Nr. KV 131 S. 246 Erw. 2d) - nicht die materiellen Rechte und Pflichten, sondern einzig die Frage der Rechtsverweigerung oder -verzögerung (Urteil K. vom heutigen Tag, I 328/03; vgl. auch Kieser, ATSG-Kommentar, Kommentar zum Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000, Zürich 2003, Rz. 12 zu Art. 56). Aus diesem Grunde kann auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde insoweit nicht eingetreten werden, als das von der Beschwerdeführerin in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde und in der nach Abschluss des Schriftenwechsels eingereichten Eingabe gestellte Rechtsbegehren über die Feststellung einer Rechtsverweigerung oder -verzögerung hinausgeht, indem materiellrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden.
 
2.
 
2.1 In den Akten liegen ein Schreiben vom 30. November 2002, in welchem die Beschwerdeführerin den Krankenversicherer erstmals um Vergütung der darin als Beilage erwähnten Rechnungen ersuchte, sowie ein Schreiben vom 5. Januar 2003, in welchem sie ihr Begehren erneuerte, nun unter Ansetzung einer bis 15. Januar 2003 laufenden Frist. Weiter findet sich in den Unterlagen ein - wie aufgrund der von der Beschwerdeführerin im kantonalen Verfahren eingereichten Bestätigung der Post feststeht - als lettre signature versandtes Schreiben vom 3. Februar 2003, in welchem die Beschwerdeführerin der Assura vorwarf, die bisherige Korrespondenz ignoriert zu haben, und sie ein letztes Mal zur Zahlung aufforderte, nun mit der Androhung, dass sie im Unterlassungsfalle den Rechtsweg beschreiten werde.
 
2.2 Die Vorinstanz hielt fest, die Beschwerdeführerin habe nur die Zustellung des letzten, als lettre signature versandten Schreibens, nicht aber die der ersten beiden Schreiben belegen können. Da die Beschwerdegegnerin auch das Schreiben vom 3. Februar 2003, für dessen Postübergabe Anhaltspunkte beständen, in ihren Akten nicht habe auffinden können, sei zwar gut denkbar, dass ihr alle drei Schreiben ordnungsgemäss zugestellt worden seien und sie diese nur verlegt habe. Indessen könnte ihr, selbst wenn dem so wäre, noch keine unrechtmässige Rechtsverzögerung vorgeworfen werden, weil die Beschwerdeführerin die Assura in keinem der eingereichten Schreiben ausdrücklich oder zumindest sinngemäss um Erlass einer anfechtbaren Verfügung ersucht habe, wie dies nach Art. 56 Abs. 2 ATSG grundsätzlich erforderlich sei, bevor der Vorwurf einer unrechtmässigen Säumnis Aussicht auf Erfolg habe. Im Übrigen wäre es aufgrund der der versicherten Person im Verwaltungsverfahren obliegenden Mitwirkungspflicht unter Umständen geboten gewesen, sich vor Beschreitung des Rechtsweges telefonisch bei der Assura nach den ausstehenden Zahlungen zu erkundigen. Da die Assura nämlich andere Rechnungen des Jahres 2002 jeweils innert Monatsfrist bearbeitet habe, hätte ein Versehen bei der Zustellung oder bei der Ablage der streitigen Rechnungen nahe gelegen.
 
2.3 Die Beschwerdeführerin macht geltend, der angefochtene Entscheid sei widersprüchlich. Das kantonale Gericht habe nicht mit der erforderlichen Sorgfalt abgeklärt, ob der Krankenversicherer - wie er geltend gemacht hatte - von den Rechnungen tatsächlich keine Kenntnis hatte. Der von ihr im letztinstanzlichen Verfahren eingereichte "Zustellbogen für Sendungen mit Zustellnachweis" beweise nun aber, dass der Krankenversicherer das Schreiben am 4. Februar 2003 erhalten habe. Es könne mit Blick darauf, dass ihre Schreiben einen Antrag auf Erfüllung von Ansprüchen enthielten, nicht gesagt werden, dass sie auch nicht sinngemäss den Erlass einer anfechtbaren Verfügung anbegehrt habe. Im Übrigen habe sie ihre Mitwirkungspflicht nicht verletzt, sei doch die Wirkung eines telefonischen Anrufes geringer als die eines Schreibens.
 
2.4 Wie die Vorinstanz insoweit zutreffend ausgeführt hat, setzt ein Vorgehen nach Art. 56 Abs. 2 ATSG voraus, dass die versicherte Person zuvor - ausdrücklich oder zumindest sinngemäss (vgl. Kieser, a.a.O., Rz. 9 zu Art. 49 ATSG) - den Erlass einer anfechtbaren Verfügung verlangt hat (vgl. auch Kieser, Rz. 13 zu Art. 56 ATSG). Ob dieses Erfordernis vorliegend, wovon im angefochtenen Entscheid ausgegangen wird, tatsächlich nicht erfüllt ist, ist mit Blick auf das als lettre signature versandte Schreiben vom 3. Februar 2003 zu bezweifeln, kann indessen offen gelassen werden. Denn selbst wenn dieses Schreiben als sinngemässes Begehren um Erlass einer anfechtbaren Verfügung betrachtet würde, könnte von einer unrechtmässigen Verzögerung nicht gesprochen werden, weil zwischen der Postaufgabe (3. Februar 2003) und der Einleitung des kantonalen Rechtsmittelverfahrens (26. Februar 2003) nur gerade 22 Tage liegen. Da diese Frist offensichtlich zu kurz ist für die Annahme einer Rechtsverzögerung, braucht die Frage, welche Erledigungsfrist dem Krankenversicherer einzuräumen ist, namentlich ob nach Inkrafttreten des ATSG weiterhin eine solche von 30 Tagen analog aArt. 80 Abs. 1 KVG (vgl. dazu auch BGE 125 V 189 ff. Erw. 1a und 1b) gelten soll, nicht beantwortet zu werden (vgl. dazu auch Kieser, a.a.O., Rz. 14 zu Art. 51 ATSG und Rz. 13 zu Art. 56 ATSG). Bei diesem Ergebnis kann schliesslich auch offen gelassen werden, ob die Versicherte ihrer Mitwirkungspflicht (vgl. dazu BGE 125 V 373) nachgekommen ist.
 
3.
 
Auch unter dem Geltungsbereich des ATSG, welches am verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren in Sozialversicherungsstreitigkeiten vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht nichts geändert hat (Art. 62 Abs. 1 ATSG), ist das vorliegende Verfahren kostenfrei (Art. 134 OG).
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 23. Oktober 2003
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Die Präsidentin der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin:
 
i.V.
 
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