VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 4P.48/2004  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 4P.48/2004 vom 18.05.2004
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
4P.48/2004 /bmt
 
Urteil vom 18. Mai 2004
 
I. Zivilabteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Corboz, Präsident,
 
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
 
Bundesrichter Nyffeler,
 
Gerichtsschreiberin Schoder.
 
Parteien
 
B.________,
 
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher André Vogelsang,
 
gegen
 
A.________,
 
Beschwerdegegner, vertreten durch Fürsprecherin Dr. Regina Natsch,
 
Appellationshof des Kantons Bern, 1. Zivilkammer,
 
Hochschulstrasse 17, Postfach 7475, 3001 Bern.
 
Gegenstand
 
Art. 9 und Art. 29 Abs. 2 BV (Willkürliche Beweiswürdigung im Zivilprozess; rechtliches Gehör),
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Appellationshofs des Kantons Bern, 1. Zivilkammer, vom 2. Februar 2004.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Mit Vertrag vom 5. Februar 2002 vermietete A.________ (Beschwerdegegner) B.________ (Beschwerdeführer) das an der X.________-Strasse in Bern gelegene Restaurant Y.________ mit Kellerlokal und Nebenräumen für die Dauer vom 1. April 2002 bis zum 31. März 2007 zu einem monatlich im Voraus zahlbaren Mietzins einschliesslich Nebenkosten von Fr. 10'500.--.
 
Mit Schreiben vom 9. Juli 2003 setzte der Beschwerdegegner dem Beschwerdeführer eine Frist von dreissig Tagen zur Zahlung des ausstehenden Mietzinses für den Monat Juli 2003 und drohte ihm die vorzeitige Kündigung bei Säumnis an. Der Beschwerdeführer seinerseits forderte mit Schreiben vom 16. Juli 2003 die Eröffnung eines Kontos für die von ihm anlässlich der Übernahme des Restaurants geleistete Mietzinskaution von Fr. 30'000.-- auf seinen Namen. Dafür gewährte er dem Beschwerdegegner eine letzte Frist bis zum 22. Juli 2003, verbunden mit der Androhung, bei fruchtlosem Ablauf zur Sicherung seines Anspruchs den monatlichen Mietzins ab August 2003 auf ein Sperrkonto zu überweisen und erst nach Errichtung des Mietzinskautionskontos freizugeben.
 
Am 22. August 2003 setzte der Beschwerdegegner dem Beschwerdeführer schriftlich eine dreissigtägige Zahlungsfrist für den August-Mietzins und drohte für den Säumnisfall erneut die vorzeitige Kündigung an. Am 15. Oktober 2003 räumte er dem Beschwerdeführer eine Nachfrist von sieben Tagen zur Bezahlung der ausstehenden Mietzinse für die Monate August, September und Oktober 2003 ein. Der Beschwerdegegner wies darauf hin, dass er im Hinblick darauf, dass der Androhung gemäss Schreiben vom 22. August 2003 keine Folge geleistet worden sei, von Gesetzes wegen berechtigt sei, die Kündigung sogleich auszusprechen.
 
B.
 
Anlässlich eines Treffens vom 22. Oktober 2003 überreichte der Beschwerdeführer dem Beschwerdegegner einen auf seinen Namen lautenden Auszug aus einem Privatkontokorrentkonto bei der Bank Z.________ mit einem Saldo von Fr. 35'250.--. Unter der Kontonummer war die Bezeichnung "Miete" angebracht. Der vom Beschwerdegegner geforderte Betrag von Fr. 35'250.-- war bis zu diesem Tage nicht überwiesen. Am 23. Oktober 2003 kündigte der Beschwerdegegner das Mietverhältnis auf den 30. November 2003 formgerecht.
 
C.
 
Mit Entscheid vom 18. Dezember 2003 wies der Gerichtspräsident 1 des Gerichtskreises VIII Bern-Laupen die Rechtsbegehren des Beschwerdeführers auf Feststellung der Nichtigkeit und auf Aufhebung der Kündigung vom 23. Oktober 2003 ab. Er verpflichtete den Beschwerdeführer kostenfällig, das Restaurant Y.________ mit Kellerlokal und sämtlichen Nebenräumen an der X.________-Strasse in Bern innert zwanzig Tagen ab Erhalt des Entscheides zu räumen und zu verlassen, unter Androhung der Folgen von Art. 404 ZPO/BE bei Widerhandlung. Auf Appellation des Beschwerdeführers wies der Appellationshof des Kantons Bern, I. Zivilkammer, am 2. Februar 2004 die Rechtsbegehren des Beschwerdeführers auf Feststellung der Nichtigkeit der Kündigung vom 23. Oktober 2003 und auf deren Aufhebung ebenfalls ab. Der Beschwerdeführer wurde verurteilt, die gemieteten Lokalitäten innert zwanzig Tagen ab Erhalt des Appellations-Entscheides zu räumen und zu verlassen, wiederum unter Androhung der erstinstanzlich ausgesprochenen Säumnisfolgen.
 
Der Appellationshof wies zunächst die Anträge des Beschwerdeführers auf weitere Beweisabnahmen und Durchführung einer mündlichen Parteiverhandlung ab. Der Appellationshof hielt sodann dafür, die mit amtlichem Formular erfolgte Kündigung sei gültig. Weder sei erwiesen, dass der Beschwerdeführer vor dem 3. November 2003 eine Verrechnungserklärung abgegeben habe, noch sei davon auszugehen, dass er konkludent die Verrechnung erklärt habe. In einer weiteren Begründung führte der Appellationshof aus, selbst bei erfolgter Verrechnung wäre im Zeitpunkt der Kündigung am 23. Oktober 2003 ein Betrag von Fr. 5'250.-- noch während einer Woche unbezahlt geblieben. Schliesslich verwarf der Appellationshof auch den Standpunkt des Beschwerdeführers, die Kündigung sei missbräuchlich, sei sie doch einzig der schleppenden Zahlungsweise des Beschwerdeführers zuzuschreiben.
 
D.
 
Der Beschwerdeführer beantragt dem Bundesgericht mit staatsrechtlicher Beschwerde die Aufhebung des Entscheids der I. Zivilkammer des Appellationshofs des Kantons Bern vom 2. Februar 2004.
 
Der Beschwerdegegner schliesst auf Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Der Appellationshof beantragt in seiner Vernehmlassung die Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde im Wesentlichen unter Hinweis auf die Erwägungen im angefochtenen Urteil.
 
E.
 
Am 2. März 2004 wies das Bundesgericht den Beschwerdeführer darauf hin, dass sein Gesuch um aufschiebende Wirkung der staatsrechtlichen Beschwerde durch die konnexe Berufung gegenstandslos geworden sei (Art. 54 Abs. 2 OG).
 
F.
 
Das Konkursamt des Kantons Freiburg beantragte mit Schreiben vom 17. Mai 2004 gestützt auf Art. 207 SchKG die Sistierung des bundesgerichtlichen Verfahrens. Das Sistierungsgesuch ging nach Fällung des Urteils vom 18. Mai 2004 bei der Kanzlei der I. Zivilabteilung ein und wurde mit Fällung des Urteils gegenstandslos.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Wird ein Entscheid sowohl mit staatsrechtlicher Beschwerde als auch mit Berufung angefochten, so ist die Behandlung der letzteren in der Regel auszusetzen, bis über die erstere entschieden worden ist (Art. 57 Abs. 5 OG; BGE 122 I 81 E. 1 S. 82 f.). Es besteht vorliegend kein Grund, von dieser Regel abzuweichen.
 
2.
 
Der Beschwerdeführer wirft dem Appellationshof vor, seinen Gehörsanspruch (Art. 29 Abs. 2 BV) und das Willkürverbot (Art. 9 BV) verletzt zu haben, indem er in antizipierter Beweiswürdigung die Durchführung einer mündlichen Parteiverhandlung mit Parteiverhör und Zeugenbefragung verweigert habe.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde ist nur gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide zulässig (Art. 86 Abs. 1 OG). Das setzt voraus, dass die vor Bundesgericht erhobenen Rügen mit keinem kantonalen Rechtsmittel hätten geltend gemacht werden können (BGE 126 III 485 E. 1a S. 486). Urteile der Zivilkammern des bernischen Appellationshofs unterliegen der Nichtigkeitsklage an dessen Plenum (Art. 7 Abs. 3 ZPO/BE), mit der zwar nicht willkürliche Beweiswürdigung (Art. 360 Abs. 2 ZPO/BE), wohl aber eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs gerügt werden kann (Art. 359 Ziff. 3 ZPO/BE). Da der Beschwerdeführer den Vorwurf der Gehörsverweigerung direkt beim Bundesgericht erhoben hat, statt ihn vorgängig mit kantonaler Nichtigkeitsklage dem Plenum des Appellationshofes zu unterbreiten, ist insoweit auf seine Beschwerde mangels Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges nicht einzutreten (BGE 118 Ia 110 E. 3 S. 111 f.).
 
3.
 
3.1 Willkür liegt nicht schon dann vor, wenn eine andere als die vom kantonalen Gericht gewählte Lösung ebenfalls vertretbar oder gar vorzuziehen wäre. Willkürlich ist ein Entscheid vielmehr erst, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, insbesondere mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9; 128 I 177 E. 2.1 S. 182, je mit Hinweisen). Geht es um Beweiswürdigung, ist überdies zu beachten, dass dem Sachgericht darin nach ständiger Rechtsprechung ein weiter Ermessensspielraum zukommt. Das Bundesgericht greift nur ein, wenn das kantonale Gericht sein Ermessen missbraucht hat, namentlich zu völlig unhaltbaren Schlüssen gelangt ist oder erhebliche Beweise übersehen oder willkürlich nicht berücksichtigt hat (BGE 120 Ia 31 E. 4b S. 40; 118 Ia 28 E. 1b S. 30). Dabei rechtfertigt sich die Aufhebung eines Entscheides nur, wenn er nicht nur in einzelnen Punkten der Begründung, sondern auch im Ergebnis willkürlich ist (BGE 129 I 49 E. 4 S. 58; 127 I 54 E. 2b S. 56). Inwiefern das kantonale Gericht sein Ermessen im dargelegten Sinne missbraucht haben soll, ist in der staatsrechtlichen Beschwerde klar und detailliert darzulegen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Namentlich genügt es nicht, einzelne Beweise anzuführen, die anders als im angefochtenen Entscheid gewichtet werden sollen, und dem Bundesgericht in appellatorischer Kritik die eigene Auffassung zu unterbreiten, als ob dem Bundesgericht freie Prüfung aller Tat- und Rechtsfragen zukäme.
 
3.2 Der Appellationshof sah von einer Einvernahme der Parteien ab, weil er sich davon keine neuen Erkenntnisse darüber versprach, was die an der Sitzung vom 22. Oktober 2003 anwesenden Personen genau gesagt hatten. Er ging davon aus, dass jede Partei lediglich den bereits in den Rechtsschriften eingenommenen Standpunkt bekräftigen würde. Da es sich beim dazu angerufenen Zeugen, Fürsprecher P.________, um den damaligen Rechtsvertreter und Büropartner der gegenwärtigen Anwältin des Beschwerdegegners handle, sei anzunehmen, er werde als Zeuge angeben, der Beschwerdeführer habe bis zum Schreiben vom 3. November 2003 die Verrechnung nie erwähnt. Darüber hinaus erwog das erstinstanzliche Gericht, auf dessen Ausführungen der Appellationshof zur Begründung integral verweist, das eigene Verhalten des Beschwerdeführers, der den Betrag für die drei Monatszinse auf ein eigens dafür errichtetes Mietzinskonto überwiesen und dadurch gegenüber dem Beschwerdegegner seine Zahlungsfähigkeit deutlich gemacht habe, beweise, dass er die Mietzinsausstände nicht durch Verrechnung getilgt habe, denn die Errichtung eines speziellen Mietzinskontos hätte sich erübrigt, wenn der Beschwerdeführer eine Verrechnungserklärung hätte abgeben wollen.
 
3.3 Der Beschwerdeführer rügt die antizipierte Beweiswürdigung des Appellationshofs als willkürlich. Der Appellationshof habe ausser Acht gelassen, dass es im Zivilprozess wesentlich auf die Glaubwürdigkeit der Parteien und Zeugen und damit auf den persönlichen Eindruck ankomme, den diese hinterliessen. Die Auffassung des Appellationshofs liefe darauf hinaus, dass bei widersprechenden Parteivorbringen ein Parteiverhör stets unterbleiben könnte, was aber dem im Zivilprozess geltenden Unmittelbarkeitsprinzip krass widerspreche.
 
3.4 Der Beschwerdeführer setzt sich mit der Würdigung seines eigenen Verhaltens, welche der Appellationshof durch Verweis übernommen hat, und das sich mit der gleichzeitigen Abgabe einer Verrechnungserklärung nicht vereinbaren lässt, in der staatsrechtlichen Beschwerde nicht auseinander, und er zeigt nicht auf, inwiefern die Beweiswürdigung des Sachgerichts auch mit Blick darauf verfassungswidrig sein soll. Die Rüge ist daher ungenügend begründet (vgl. E. 3.1 hiervor).
 
Sie wäre übrigens auch abzuweisen, wenn darauf einzutreten wäre. Dass die Parteien oder der Parteivertreter anlässlich einer formellen Einvernahme von ihren früheren Angaben abgerückt wären, macht der Beschwerdeführer nicht geltend, und er legt nicht dar, dass der frühere Parteivertreter des Beschwerdegegners mutmasslich der Lüge überführt worden wäre. Inwiefern sich die unterbliebene Zeugeneinvernahme zu Ungunsten des Beschwerdeführers ausgewirkt haben soll, ist daher nicht ersichtlich. Weshalb es aber geradezu stossend sein soll, den Aussagen einer Partei zu eigenen Gunsten keinen Beweiswert zuzuerkennen, wie es manche Prozessordnungen vorsehen (z. B. jene von Zürich, Schwyz, Obwalden und Nidwalden; vgl. Oscar Vogel/Karl Spühler, Grundriss des Zivilprozessrechts und des internationalen Zivilprozessrechts der Schweiz, 7. Aufl., Bern 2001, 10. Kap., Rz. 75 und 169), ist entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht nachvollziehbar. Die Rüge wäre daher auch unbegründet.
 
4.
 
Nach dem Gesagten kann insgesamt auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten werden. Dem Verfahrensausgang entsprechend ist die Gerichtsgebühr dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG), der zudem den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen hat (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 6'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Der Beschwerdeführer hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 7'000.-- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationshof des Kantons Bern, 1. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 18. Mai 2004
 
Im Namen der I. Zivilabteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).