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Informationen zum Dokument  BGer I 372/2004  Materielle Begründung
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BGer I 372/2004 vom 05.01.2005
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
I 372/04
 
Urteil vom 5. Januar 2005
 
II. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Borella, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiber Grünvogel
 
Parteien
 
S.________, 1946, Beschwerdeführer, vertreten
 
durch Fürsprecher Herbert Bracher, Hauptgasse 35, 4500 Solothurn,
 
gegen
 
IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn
 
(Entscheid vom 24. Mai 2004)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der 1946 geborene S.________ erlitt in den Jahren 1964, 1988 und 1991 insgesamt drei Motorradunfälle mit Restfolgen. Der Hausarzt Dr. med. B.________ bescheinigte am 8. Dezember 1999 gegenüber der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) eine vom 23. August bis 7. November 1999 dauernde Arbeitsunfähigkeit von 50 %. Als Ursache nannte er ein posttraumatisches Zervikalsyndrom. Auf den 8. November 1999 hin konnte S.________ sein Arbeitspensum zunächst auf 70 % und spätestens auf den 3. Januar 2000 hin wieder auf 100 % steigern. Es folgten einige weitere, jeweils zeitlich befristete Arbeitszeitreduktionen, ehe er von Dr. med. B.________ wegen des Zervikalsyndroms mit zervikogenen Kopfschmerzen für die Zeit ab dem 9. Mai 2001 für bleibend mindestens zu 50 % arbeitsunfähig eingeschätzt wurde. Die SUVA verneinte mit Einspracheentscheid vom 22. August 2002 eine Leistungspflicht, was vom Versicherungsgericht das Kantons Solothurn am 19. April 2004 rechtskräftig bestätigt worden ist.
 
Bereits am 23. Juli 2001 hatte sich S.________ bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet. Diese holte die SUVA-Akten und weitere Arztberichte ein. Zusätzlich veranlasste sie eine polydisziplinäre Begutachtung bei der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) an den Kliniken X.________. Der entsprechende Abschlussbericht datiert vom 21. Mai 2002. Mit Verfügung vom 17. März 2003 sprach die IV-Stelle des Kantons Solothurn S.________ mit Wirkung ab 1. Mai 2002 eine halbe Invalidenrente zu, woran sie auf Einsprache hin mit Entscheid vom 27. Mai 2003 festhielt.
 
B.
 
Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Solothurns mit Entscheid vom 24. Mai 2004 ab.
 
C.
 
S.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid und der Einspracheentscheid vom 27. Mai 2003 seien insoweit aufzuheben, als die Invalidenrente erst ab dem 1. Mai 2002 zugesprochen werde; der Rentenbeginn sei auf den 1. August 2000 oder eventualiter auf den 1. Mai 2001 vorzuverlegen; subeventuell sei die Sache zu weiterer Abklärung und Neuentscheidung an das kantonale Gericht zurückzuweisen. Gleichzeitig wird um unentgeltliche Rechtspflege ersucht.
 
Die IV-Stelle wie auch das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine Stellungnahme.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Bei der Prüfung eines allfälligen schon vor dem In-Kraft-Treten des ATSG auf den 1. Januar 2003 entstandenen Anspruchs auf eine Rente der Invalidenversicherung sind die allgemeinen intertemporalrechtlichen Regeln heranzuziehen, gemäss welchen - auch bei einer Änderung der gesetzlichen Grundlagen - grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei Verwirklichung des zu Rechtsfolgen führenden Sachverhalts galten. Demzufolge ist - abweichend vom Entscheid der Vorinstanz - der Rentenanspruch für die Zeit bis 31. Dezember 2002 auf Grund der bisherigen und ab diesem Zeitpunkt nach den neuen Normen zu prüfen (BGE 130 V 445). Da die im ATSG enthaltenen Formulierungen der Arbeitsunfähigkeit, der Erwerbsunfähigkeit, der Invalidität, der Einkommensvergleichsmethode und der Revision (der Invalidenrente und anderer Dauerleistungen) den bisherigen von der Rechtsprechung dazu entwickelten Begriffen in der Invalidenversicherung entsprechen (BGE 130 V 343), ergibt sich für die vorliegende Beurteilung des Leistungsanspruches jedoch inhaltlich keine Änderung.
 
2.
 
Streitig ist einzig der Rentenbeginn.
 
2.1 Gemäss Art. 29 Abs. 1 IVG entsteht der Rentenanspruch nach Art. 28 IVG frühestens in dem Zeitpunkt, in dem der Versicherte mindestens zu 40 % bleibend erwerbsunfähig geworden ist (lit. a) oder während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens zu 40 % arbeitsunfähig gewesen war (lit. b).
 
2.2 Bleibende Erwerbsunfähigkeit gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. a IVG liegt nach Art. 29 IVV dann vor, wenn aller Wahrscheinlichkeit nach feststeht, dass sich der Gesundheitszustand des Versicherten künftig weder verbessern noch verschlechtern wird. Als weitgehend stabilisiert kann ein ausgesprochen labil gewesenes Leiden nur dann betrachtet werden, wenn sich sein Charakter deutlich in der Weise geändert hat, dass vorausgesehen werden kann, in absehbarer Zeit werde keine praktisch erhebliche Wandlung mehr erfolgen (BGE 119 V 102 Erw. 4a mit Hinweisen; AHI 1999 S. 80 Erw. 1a).
 
2.3 Ein wesentlicher Unterbruch der Arbeitsunfähigkeit im Sinne von Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG liegt gemäss Art. 29ter IVV vor, wenn die versicherte Person an mindestens 30 aufeinander folgenden Tagen voll arbeitsfähig war. Die Arbeitsunfähigkeit entspricht bei Erwerbstätigen der medizinisch festgestellten Einschränkung im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich (BGE 130 V 99 Erw. 3.2; vgl. Art. 6 ATSG).
 
3.
 
Der Beschwerdeführer wurde von einem Arzt echtzeitlich erstmals am 23. August 1999 zunächst zu 50 %, später zu 30 % arbeitsunfähig geschrieben. Spätestens ab dem 3. Januar 2000 ging er seiner damaligen Tätigkeit wieder vollzeitig nach, worauf er rund 4 ½ Monate später am 17. Mai 2000 das Arbeitspensum gesundheitsbedingt erneut und diesmal für drei Monate um die Hälfte reduzieren musste. Vom 17. August 2000 bis 8. Mai 2001 arbeitete er mit Ausnahme eines kurzen Intervalls von einer Woche (5.-12. März 2001) alsdann während rund 8 ½ Monaten wiederum uneingeschränkt, ehe ihm der Hausarzt ab dem 9. Mai 2001 zunächst eine 50%ige, später eine noch höhere Arbeitsunfähigkeit attestierte.
 
3.1 Gestützt auf diese Feststellungen setzten Verwaltung und Vorinstanz den Rentenbeginn in Berücksichtigung der Wartezeit gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG auf den 1. Mai 2002 fest. Der Beschwerdeführer macht nunmehr geltend, aus medizinisch-theoretischer Sicht bereits seit seiner erstmaligen Arbeitszeitreduktion am 23. August 1999 dauerhaft zu 50 % arbeitsunfähig gewesen zu sein; wenn er trotzdem seinen Verpflichtungen als Arbeitnehmer vollständig nachgekommen sei, dann zum Preis der Überforderung, wie sich aus dem Gutachten der MEDAS vom 21. Mai 2002 ergebe.
 
3.2 Die MEDAS untersuchte den Beschwerdeführer am 19. und 20. März 2002. Mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit diagnostizierten die Gutachter neben einem rezidivierenden zervikozephalen Schmerzsyndrom (ICD-10 M53.0) mit zervikogenen Kopfschmerzen nach Extensionstrauma am 21. Mai 1991 (ICD-10 G44.3), rezidivierend spondylogener Ausstrahlung in den linken Arm, segmentalen Dysfunktionen und degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule auch neurogene Blasenentleerungsstörungen im Rahmen einer Plexus- /Nervus pudendus-Läsion infolge eines Motorradunfalls 1965 (ICD-10 G55.8, N31.8), eine Migräne ohne Aura (ICD-10 G43.0) und schliesslich auch noch eine protrahierte, mehrphasisch verlaufende Anpassungsstörung (ICD-10 F43.2).
 
Nach Auffassung der MEDAS-Ärzte stand für die Festlegung der Arbeitsfähigkeit im angestammten Beruf die Anpassungsstörung im Vordergrund. Diese habe sich kontinuierlich oder mehrphasisch entwickelt. So habe der Versicherte nach den Verkehrsunfällen in den Jahren 1988 und 1991 zunehmend in den Bewältigungsmöglichkeiten der chronisch anforderungsreichen Lebenssituation dekompensiert, was erstmals in der Arbeitszeitreduktion ab 23. August 1999 zum Ausdruck gekommen sei. Ab diesem Zeitpunkt habe die Anpassungsstörung relevanten Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit gewonnen. Auf Grund der psychischen Grundstruktur des Beschwerdeführers sei davon auszugehen, dass er seine Arbeitsfähigkeit längst möglich aufrecht erhalten habe.
 
Wie die MEDAS dergestalt den Beginn der von ihr im März 2002 festgestellten Arbeitsunfähigkeit von 50 % auf den 23. August 1999 vorverlegen kann, ist nicht nachvollziehbar. Solange die psychische Grundstruktur tatsächlich ein (zumutbares) Arbeiten erlaubt, kann nicht von einer (bleibenden) medizinisch bedingten Arbeitsunfähigkeit ausgegangen werden. Tatsächlich arbeitete der Versicherte noch vom 17. August 2000 bis am 8. Mai 2001 abgesehen von einer kurzen Ausnahme unterbrochen immerhin rund 8 ½ Monaten im Vollzeitpensum. Insgesamt blieb er zwischen dem 23. August 1999 und dem 8. Mai 2001 gesundheitsbedingt zwar während 8 ½ Monaten der Arbeitsstelle teilweise fern. Auf der anderen Seite arbeitete er in der restlichen Zeit während 12 Monaten ganztägig. In den vor der MEDAS-Untersuchung erstellten Akten finden sich keinerlei Anhaltspunkte für eine sich bereits vor dem 9. Mai 2001 auf die Arbeitsfähigkeit nachhaltig auswirkende psychische Störung mit Krankheitswert, weshalb es mit Blick auf die langen Perioden voller Arbeitsleistung trotz des festgestellten protrahierenden, mehrphasigen Verlaufs der Anpassungsstörung verfehlt ist, den Beginn der im März 2002 festgestellten Arbeitsunfähigkeit rückwirkend auf einen vor dem 9. Mai 2001 liegenden Zeitraum auszudehnen. Weitere Abklärungen in diese Richtung erübrigen sich, da sie am Ergebnis nichts zu ändern vermöchten (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 124 V 94 Erw. 4b).
 
4.
 
Weil ein labiles pathologisches Geschehen vorliegt (vgl. hiezu BGE 111 V 21), entsteht der Rentenanspruch erst nach der gesetzlichen Wartezeit von einem Jahr im Sinne von Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG. Die Rente wird gemäss Abs. 2 dieser Bestimmung von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen vom Beginn des Monats an ausgerichtet, in dem der Anspruch entsteht, womit Verwaltung und Vorinstanz den Rentenbeginn zu Recht auf den 1. Mai 2002 gelegt haben. Eine Rückweisung an die Vorinstanz erübrigt sich.
 
5.
 
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Damit erweist sich das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege, soweit die Verfahrenskosten umfassend, als gegenstandslos. Angesichts der im Gesuchformular aufgezeigten Vermögens- und Einkommenssituation ist der Versicherte gesamthaft gesehen als bedürftig zu betrachten. Da der Prozess darüber hinaus nicht von vornherein aussichtslos und die Verbeiständung durch einen Anwalt geboten ist (vgl. BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen), kann dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Verbeiständung gewährt werden. Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG verwiesen, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Fürsprecher Herbert Bracher, Solothurn, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1750.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, der Ausgleichskasse des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 5. Januar 2005
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
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