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Informationen zum Dokument  BGer 1P.5/2005  Materielle Begründung
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BGer 1P.5/2005 vom 24.02.2005
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1P.5/2005 /ggs
 
Beschluss vom 24. Februar 2005
 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Féraud, Präsident,
 
Bundesrichter Aeschlimann, Eusebio,
 
Gerichtsschreiber Härri.
 
Parteien
 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Michael Felder,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, Postfach, 8026 Zürich,
 
Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, Wengistrasse 28, Postfach, 8026 Zürich.
 
Gegenstand
 
Untersuchungshaft,
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich, Haftrichter, vom 26. Dezember 2004.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat (bis zum 1. Januar 2005: Bezirksanwaltschaft Zürich) führt ein Strafverfahren gegen X.________ wegen des Verdachts der Gewalt und Drohung gegen Beamte. Es wird ihm vorgeworfen, er sei am 26. November 2004, um ca. 10.00 Uhr, und am 30. November 2004, um ca. 11.40 Uhr in das Büro seiner Amtsvormundin in Zürich gestürmt und habe von dieser in aggressiver Weise Bargeld verlangt. Er habe ihr sogleich schwer gedroht, namentlich damit, mit einem Flammenwerfer und einer "Knarre" in ihrem Büro zu erscheinen. Er habe ihr gesagt, er werde ihr und ihren Kindern etwas antun, sie umbringen und die Kinder vergiften; er kenne Leute vom Gefängnis her, die an seiner Stelle handeln würden. Überdies habe er sich gegenüber den zu Hilfe eilenden Sozialarbeitern aggressiv verhalten, indem er wild mit den Händen um sich geschlagen und drohend die Faust erhoben habe.
 
Am 30. November 2004 wurde X.________ festgenommen. Mit Verfügung vom 2. Dezember 2004 versetzte ihn der Haftrichter am Bezirksgericht Zürich in Untersuchungshaft.
 
Am 22. Dezember 2004 ersuchte X.________ um Haftentlassung.
 
Am 26. Dezember 2004 wies der Haftrichter das Haftentlassungsgesuch ab.
 
B.
 
Am 6. Januar 2005 erhob X.________ staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, den Entscheid des Haftrichters vom 26. Dezember 2004 aufzuheben; die Zürcher Behörden seien anzuweisen, den Beschwerdeführer unverzüglich aus der Haft zu entlassen.
 
C.
 
Die Staatsanwaltschaft liess sich am 12. Januar 2005 vernehmen mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.
 
X.________ reichte am 21. Januar 2005 Bemerkungen zur Vernehmlassung der Staatsanwaltschaft ein.
 
D.
 
Am 25. Januar 2005 wurde X.________ aus der Untersuchungshaft entlassen.
 
E.
 
Mit Schreiben vom 26. Januar 2005 teilte das Bundesgericht den Parteien mit, nach der Haftentlassung sei die staatsrechtliche Beschwerde als gegenstandslos zu erachten. Das Bundesgericht nehme in Aussicht, sie gemäss Art. 40 OG in Verbindung mit Art. 72 BZP als erledigt abzuschreiben. Die Parteien erhielten Gelegenheit, dazu allfällige Bemerkungen einzureichen.
 
F.
 
Der Haftrichter und die Staatsanwaltschaft haben auf eine Stellungnahme verzichtet.
 
X.________ hat Bemerkungen eingereicht. Er beantragt, es seien ihm keine Gerichtskosten zu auferlegen und der Kanton Zürich sei zu verpflichten, ihm eine angemessene Prozessentschädigung zu bezahlen. Eventuell seien die Anwaltskosten in Gutheissung des Gesuchs um Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes aus der Bundesgerichtskasse zu bezahlen und die Verfahrenskosten infolge Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung auf die Gerichtskasse zu nehmen.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Nach der Rechtsprechung zu Art. 88 OG verlangt das Bundesgericht, dass der Beschwerdeführer ein aktuelles praktisches Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheides hat. Dieses Erfordernis soll sicherstellen, dass das Gericht konkrete und nicht bloss theoretische Fragen entscheidet, und es dient damit der Prozessökonomie (BGE 127 III 41 E. 2b; 125 I 394 E. 4a mit Hinweisen). Nach der Rechtsprechung entfällt das aktuelle praktische Interesse an der Behandlung einer Haftbeschwerde, wenn der Beschwerdeführer während der Hängigkeit des bundesgerichtlichen Verfahrens aus der Haft entlassen wird (BGE 125 I 394 E. 4a; 110 Ia 140 E. 2a mit Hinweisen).
 
Mit der Entlassung des Beschwerdeführers aus der Untersuchungshaft ist sein aktuelles praktisches Interesse an der Behandlung der Beschwerde weggefallen.
 
Das Bundesgericht prüft ausnahmsweise Beschwerden trotz Wegfalls des aktuellen praktischen Interesses, wenn sich die aufgeworfenen Fragen jederzeit unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellen können und an deren Beantwortung wegen der grundsätzlichen Bedeutung ein hinreichendes öffentliches Interesse besteht und sofern diese im Einzelfall kaum je rechtzeitig verfassungsgerichtlich geprüft werden könnten (BGE 127 I 164 E. 1a mit Hinweisen).
 
Im vorliegenden Fall geht es darum, ob Wiederholungsgefahr gemäss § 58 Abs. 1 Ziff. 3 StPO/ZH oder Ausführungsgefahr gemäss § 58 Abs. 2 StPO/ZH gegeben sei. Es kann offen bleiben, ob die aufgeworfenen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung sind. Denn es sind ohne weiteres Fälle denkbar, in denen sich die Fragen in gleicher oder ähnlicher Weise stellen, der Betroffene sich aber noch in Untersuchungshaft befindet. Es kann deshalb nicht gesagt werden, das Bundesgericht werde im Einzelfall die sich stellenden Fragen kaum je rechtzeitig verfassungsrechtlich prüfen können. Es hat sich im Übrigen in einem mit dem vorliegenden weitgehend vergleichbaren Fall bereits zur Wiederholungs- und Ausführungsgefahr geäussert und dort die Untersuchungshaft als verfassungsmässig erachtet (Urteil 1P.30/2000 vom 11. Februar 2000 E. 5). Es besteht hier danach kein Anlass, die Beschwerde trotz Wegfalls des aktuellen praktischen Interesses zu behandeln. Der Beschwerdeführer macht dies auch nicht geltend.
 
2.
 
2.1 Liegt das praktische Interesse im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung vor, fällt es aber nachträglich weg, ist die Beschwerde gemäss Art. 40 OG in Verbindung mit Art. 72 BZP als erledigt abzuschreiben (BGE 118 Ia 488 E. 1a). Danach entscheidet das Gericht mit summarischer Begründung über die Prozesskosten aufgrund der Sachlage vor Eintritt des Erledigungsgrundes. Bei der Beurteilung der Kosten- und Entschädigungsfolgen ist somit in erster Linie auf den mutmasslichen Ausgang des Prozesses abzustellen. Diese Regelung bezweckt, denjenigen, der in guten Treuen Beschwerde erhoben hat, nicht im Kostenpunkt dafür zu bestrafen, dass die Beschwerde infolge nachträglicher Änderung der Umstände abzuschreiben ist, ohne dass ihm dies anzulasten wäre. Bei der Prüfung des mutmasslichen Prozessausgangs ist nicht auf alle Rügen einzeln und detailliert einzugehen. Vielmehr muss es bei einer knappen Beurteilung der Aktenlage sein Bewenden haben (BGE 118 Ia 488 E. 4a S. 494 f. mit Hinweisen).
 
2.2 Gemäss § 58 Abs. 1 Ziff. 3 StPO/ZH darf Untersuchungshaft angeordnet werden, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt wird und ausserdem aufgrund bestimmter Anhaltspunkte ernsthaft befürchtet werden muss, er werde, nachdem er bereits zahlreiche Verbrechen oder erhebliche Vergehen verübt hat, erneut solche Straftaten begehen.
 
Bezieht sich der dringende Tatverdacht auf ein in strafbarer Weise versuchtes oder vorbereitetes Verbrechen, so darf nach § 58 Abs. 2 StPO/ZH Untersuchungshaft ausserdem angeordnet werden, wenn aufgrund bestimmter Anhaltspunkte ernsthaft befürchtet werden muss, der Angeschuldigte werde die Tat ausführen.
 
2.3 Der Beschwerdeführer ist geständig. Der dringende Tatverdacht ist unbestritten.
 
2.4 Der Beschwerdeführer hat bereits mehrmals ähnliche Straftaten begangen. Am 2. Oktober 1998 sprach ihn das Bezirksgericht Zürich schuldig unter anderem des versuchten Raubes. Der Beschwerdeführer hatte das Opfer - nachdem er diesem gesagt hatte, er führe eine Pistole mit sich - an den Haaren gerissen; er hatte zudem mehrfach mit den Händen auf das Opfer eingeschlagen und es gegen einen Maschendrahtzaun gedrückt, so dass es benommen zu Boden ging. Das Opfer erlitt unter anderem einen Nasenbeinbruch und eine Hirnerschütterung. Das Bezirksgericht (S. 14) nahm eine in mittlerem bis schwerem Grade verminderte Zurechnungsfähigkeit an. Von Bedeutung ist im vorliegenden Zusammenhang insbesondere, dass der Beschwerdeführer dem Opfer sagte, er führe eine Pistole mit sich. Dies stellte eine erhebliche Drohung dar. Am 8. März 1996 verurteilte ihn das Bezirksgericht Zürich überdies wegen Nötigung aufgrund folgenden Sachverhalts: Nach einem Diebstahl ging der Beschwerdeführer auf sein Opfer zu, das auf einem Fahrrad sass, welches er zur Flucht benutzen wollte. Er ergriff das Fahrrad und forderte das Opfer auf, es ihm zu überlassen. Da sich dieses dem Ansinnen widersetzte und das Fahrrad festhielt, steckte der Beschwerdeführer eine Hand in die Jackentasche und beulte diese mit einem Finger so aus, dass das Opfer den Eindruck erhielt, er habe dort eine Faustfeuerwaffe. Er sagte dem Opfer, er werde schiessen, wenn es das Fahrrad nicht loslasse. Unter dem Eindruck dieser Drohung, welche das Opfer ernst nahm, überliess es das Fahrrad dem Beschwerdeführer, der damit wegfuhr. Er hat somit auch bei diesem Vorfall eine schwere Drohung ausgesprochen und das Opfer in Todesangst versetzt. Bei den beiden Vorfällen vom 26. und 30. November 2004, die Gegenstand des jetzigen Verfahrens bilden, hat er erneut massiv gedroht. Der Beschwerdeführer gibt im Übrigen zu, auch bei anderer Gelegenheit Beamte bedroht zu haben. Bei seiner Einvernahme vom 22. Dezember 2004 sagte er aus, die vielen Wechsel der Sozialarbeiter seien mühsam gewesen; er habe diesen auch schon gesagt, dass er ihnen "eis tätschä" wolle (act. 4/3 S. 2). Die Geschädigte gab in ihrer Einvernahme vom gleichen Tag ebenso an, der Beschwerdeführer habe bereits einmal Amtspersonen bedroht; nach einer Aktennotiz des Amts für Zusatzleistungen sei er jeweils wütend gewesen und habe Drohungen ausgesprochen (act. 3/2 S. 3).
 
Würdigt man dies, so bestehen ernsthafte Anhaltspunkte für die Gefahr weiterer Drohungen. Diese Gefahr ist offenbar vor allem dann gegeben, wenn der Beschwerdeführer Drogen oder Alkohol konsumiert hat und sich in einer Stresssituation befindet. Das ist bei ihm nicht selten der Fall. Er konsumiert seit langem Drogen, ist gesundheitlich angeschlagen und obdachlos. Bei den zu befürchtenden neuen Delikten handelt es sich um keine Bagatellen. Die vom Beschwerdeführer bisher ausgesprochenen Drohungen sind massiv. Es geht um Todesdrohungen und damit die schwerstmöglichen Drohungen überhaupt.
 
Unter diesen Umständen wäre die Wiederholungsgefahr nach § 58 Abs. 1 Ziff. 3 StPO/ZH wohl zu bejahen gewesen. Da ein Haftgrund für die Inhaftierung genügt, hätte offen bleiben können, ob zusätzlich Ausführungsgefahr nach § 58 Abs. 2 StPO/ZH gegeben sei.
 
2.5 Der Beschwerdeführer hat - wie er eingesteht - der Geschädigten mehrfach in schwerster Weise gedroht. Er tat dies nur wenige Tage nach seiner bedingten Entlassung am 21. November 2004 aus dem Vollzug einer Gefängnisstrafe von 3 Monaten während der Probezeit von zwei Jahren. Er weist zahlreiche und teilweise einschlägige Vorstrafen auf. Gewalt und Drohung gegen Beamte wird gemäss Art. 285 Ziff. 1 StGB mit Busse oder Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft. Angesichts der belastenden Gesichtspunkte hätte wohl nicht gesagt werden können, die Dauer der Untersuchungshaft sei bereits in grosse Nähe der zu erwartenden Freiheitsstrafe gerückt; dies auch dann, wenn man berücksichtigt, dass das Gericht dem Beschwerdeführer wegen Drogen- oder Alkoholeinflusses allenfalls eine Verminderung der Zurechnungsfähigkeit zubilligen könnte. Auch die Rüge der Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit wäre damit mutmasslich als unbegründet beurteilt worden.
 
2.6 Die Beschwerde wäre nach dem Gesagten wohl abgewiesen worden.
 
Die Bedürftigkeit des Beschwerdeführers ist anzunehmen. Da die Untersuchungshaft einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit darstellt, konnte er sich zur Beschwerde veranlasst sehen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nach Art. 152 OG bewilligt worden wäre. Damit rechtfertigt es sich, keine Kosten zu erheben und dem Vertreter des Beschwerdeführers eine Entschädigung auszurichten.
 
Demnach beschliesst das Bundesgericht:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird als gegenstandslos geworden von der Geschäftskontrolle abgeschrieben.
 
2.
 
Es werden keine Kosten erhoben.
 
3.
 
Dem Vertreter der Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Michael Felder, wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- ausgerichtet.
 
4.
 
Dieser Beschluss wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 24. Februar 2005
 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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