VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 5C.52/2005  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 5C.52/2005 vom 01.07.2005
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
5C.52/2005 /bnm
 
Urteil vom 1. Juli 2005
 
II. Zivilabteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Raselli, Präsident,
 
Bundesrichterin Escher, Ersatzrichter Hasenböhler,
 
Gerichtsschreiber Gysel.
 
Parteien
 
X.________,
 
Berufungskläger,
 
vertreten durch Fürsprecherin Annemarie
 
Lehmann-Schoop,
 
gegen
 
Y.________,
 
Berufungsbeklagte,
 
vertreten durch Fürsprecherin Christine Schibig,
 
Gegenstand
 
elterliche Sorge,
 
Berufung gegen den Entscheid des Appellationshofes (2. Zivilkammer) des Kantons Bern vom 11. Januar 2005.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Am 28. März 1993 wurde Z.________ geboren. Eltern sind X.________ und Y.________, die nicht verheiratet sind, aber bis 1996 in einer festen Beziehung gelebt haben. Nach der Trennung lag das alleinige Sorgerecht bei der Mutter, doch wurde die Betreuung der Tochter ungefähr zu gleichen Teilen durch beide Elternteile wahrgenommen.
 
Nach dem Inkrafttreten des neuen Scheidungsrechts wurde den Eltern auf deren Antrag hin durch Beschluss der Vormundschaftskommission von A.________ vom 15. Februar 2000 die gemeinsame elterliche Sorge übertragen.
 
B.
 
Mit Eingabe vom 6. Juli 2003 beantragte X.________ beim Regierungsstatthalteramt Bern sinngemäss die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und die Übertragung des Sorgerechts auf ihn. Am 29. Oktober 2004 hob die Regierungsstatthalterin II von Bern die gemeinsame elterliche Sorge über Z.________ auf und teilte die elterliche Sorge Y.________ zu. Gleichzeitig wurde die Erwachsenen- und Kindesschutzkommission von A.________ aufgefordert, die Errichtung einer Erziehungsbeistandschaft nach Art. 308 ZGB über Z.________ zu prüfen und alle weiteren nötigen Regelungen zu treffen.
 
In Abweisung einer von X.________ erhobenen Appellation bestätigte der Appellationshof (2. Zivilkammer) des Kantons Bern am 11. Januar 2005 diesen Entscheid, wobei die Verfahrenskosten beider Instanzen X.________ auferlegt wurden und dieser verpflichtet wurde, Y.________ die Parteikosten für das Appellationsverfahren zu ersetzen.
 
C.
 
Mit eidgenössischer Berufung beantragt X.________ dem Bundesgericht, den Entscheid des Appellationshofes aufzuheben, Z.________ unter seine elterliche Sorge zu stellen, die von der ersten Instanz gesprochenen Verfahrenskosten hälftig zu teilen und die zweitinstanzlichen Verfahrens- und Parteikosten der Berufungsbeklagten aufzuerlegen. Hilfsweise stellt der Berufungskläger den Antrag, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an den Appellationshof zurückzuweisen.
 
Eine Berufungsantwort ist nicht eingeholt worden.
 
D.
 
Am 26. April 2005 hat der Appellationshof (1. Zivilkammer) entschieden, dass auf das vom Berufungskläger gegen den Entscheid vom 11. Januar 2005 ebenfalls eingereichte Gesuch um neues Recht nicht eingetreten werde.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Die Aufhebung des gemeinsamen Sorgerechts ist unbestritten. Beide Parteien hatten einen entsprechenden Antrag gestellt und erklärt, dass die frühere Regelung nicht mehr funktioniert habe und das Wohl ihrer Tochter dadurch schwer gefährdet gewesen sei. Von dieser Erkenntnis geht auch das von der Regierungsstatthalterin eingeholte Kinderzuteilungsgutachten vom 17. Juni 2004 aus. Strittig ist dagegen, welchem Elternteil das Sorgerecht zugeteilt werden soll.
 
2.
 
2.1 Die Neuregelung der elterlichen Sorge nach Aufhebung der gemeinsamen Sorge hat sich ausschliesslich am Kindeswohl zu orientieren. Im Ergebnis kommen dieselben Kriterien zur Anwendung wie bei der Zuteilung der elterlichen Sorge nach Scheidung (Ingeborg Schwenzer, Basler Kommentar, 2. Auflage, N. 16 zu Art. 298a ZGB). Anzustreben ist die für die harmonische Entfaltung des Kindes in körperlicher, seelischer und geistiger Hinsicht erforderliche Stabilität, wobei die Umstände in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind (BGE 115 II 317 E. 2 S. 319 mit Hinweisen). Dem Sachrichter steht dabei naturgemäss ein Ermessen zu. Ermessensentscheide dieser Art überprüft das Bundesgericht an sich frei; es übt dabei allerdings Zurückhaltung und greift nur ein, wenn die kantonale Instanz von dem ihr zustehenden Ermessen einen falschen Gebrauch gemacht hat, d.h. wenn sie grundlos von in Rechtsprechung und Lehre anerkannten Grundsätzen abgegangen ist, wenn sie Umstände berücksichtigt hat, die keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn sie umgekehrt rechtserhebliche Umstände ausser Acht gelassen hat (vgl. BGE 124 III 401 E. 2a S. 402 mit Hinweisen).
 
2.2 Der Appellationshof hat sich auf das von der Regierungsstatthalterin eingeholte Gutachten der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern vom 17. Juni 2004 berufen, das auf äusserst sorgfältiger und genauer Abklärung basiere. Es seien alle notwendigen Faktoren einbezogen und die logischen Schlussfolgerungen gezogen worden. Aus dem Gutachten ergebe sich, dass grundsätzlich beide Elternteile für sich allein erziehungsfähig seien und Z.________ bei beiden aufwachsen könnte. Im Hinblick darauf hätten die Begutachtenden anhand von weiteren Kriterien herausfinden müssen, welcher Lebensort für das Wohl der Tochter die beste Lösung bilde. Die wichtige Beziehung von Z.________ zu ihren siebenjährigen Halbgeschwistern habe den Ausschlag dafür gegeben, die Zuweisung der elterlichen Sorge an die Mutter zu empfehlen. Für eine Zwiespältigkeit der Beziehung zu den Halbbrüdern, wie sie vom Berufungskläger behauptet werde, lägen keine Anhaltspunkte vor. Insgesamt sei das Gutachten nachvollziehbar und überzeugend und es seien keine gewichtigen Gründe ersichtlich, die ein Abweichen davon rechtfertigen würden.
 
3.
 
3.1 Der Berufungskläger wirft dem Appellationshof einerseits eine Verletzung von Art. 8 ZGB vor. Im Einzelnen rügt er, dass dieser über rechtserhebliche Tatsachen nicht habe Beweis führen lassen und bestrittene Behauptungen als richtig hingenommen habe; zu Unrecht habe die Vorinstanz angenommen, das von ihr angerufene Gutachten beruhe auf einer sorgfältigen und vollständigen Abklärung des Sachverhalts. Ausserdem beanstandet der Berufungskläger, dass seinen Begehren, von Dr. V.________, der Z.________ behandelnden Kinderpsychiaterin, einen Bericht und von Dr. U.________ ein Obergutachten einzuholen, nicht stattgegeben wurde.
 
3.2 Die in erster Linie die Verteilung der Beweislast regelnde Bestimmung von Art. 8 ZGB verleiht der belasteten Partei einen bundesrechtlichen Anspruch auf Abnahme von Beweisen, die zum Nachweis rechtserheblicher Tatsachen - nach Massgabe des kantonalen Prozessrechts frist- und formgerecht - anerboten worden sind (BGE 126 III 315 E. 4a S. 317). Das Bundesrecht bestimmt indessen nicht, wie der Sachrichter das Ergebnis der Beweiserhebungen zu würdigen habe, und verbietet ihm somit nicht, einem beantragten Beweismittel auf Grund einer vorweggenommenen Beweiswürdigung, weil er seine Überzeugung bereits aus anderen Beweisen gewonnen hat und davon ausgeht, dass weitere Abklärungen am massgeblichen Beweisergebnis nichts mehr zu ändern vermöchten, die Tauglichkeit abzusprechen (dazu BGE 130 III 591 E. 5.4 S. 601 f.; 129 III 18 E. 2.6. S. 24 f., mit Hinweisen).
 
3.3 Den Verzicht, von Dr. U.________ ein Obergutachten und von Dr. V.________ einen Sachverständigenbericht einzuholen, hat der Appellationshof ausdrücklich damit begründet, dass sich das bereits vorhandene Gutachten auf umfassende Abklärungen stütze und entgegen den Ausführungen des Berufungsklägers nicht widersprüchlich und parteiisch sei. Was der Berufungskläger hiergegen vorbringt, erschöpft sich in einer Kritik an der vorinstanzlichen Würdigung des Gutachtens vom 17. Juni 2004 und betrifft somit tatsächliche Verhältnisse. Diese Ausführungen sind hier nicht zu hören; sie hätten mit staatsrechtlicher Beschwerde vorgetragen werden müssen. Sollte die Rüge, der Appellationshof habe über rechtserhebliche Tatsachen nicht Beweis führen lassen oder bestrittene Behauptungen als richtig hingenommen, sich noch auf weitere Punkte beziehen, wäre die Beschwerde in dieser Hinsicht nicht rechtsgenügend substantiiert, so dass auf sie auch aus diesem Grund nicht einzutreten wäre.
 
4.
 
4.1 Andererseits erblickt der Berufungskläger eine Missachtung von Art. 144 Abs. 2 ZGB darin, dass der Appellationshof bei der Zuweisung der elterlichen Sorge der Meinung von Z.________ keine Rechnung getragen habe. Die vom Berufungskläger angerufene Bestimmung handelt wohl von der Anhörung des Kindes, doch bezieht sie sich auf das zwischen dessen Eltern hängige Scheidungsverfahren. Wie Art. 144 ZGB will auch Art. 314 Ziff. 1 ZGB, der allgemein die Anhörung vor Anordnung von Kindesschutzmassnahmen regelt, das persönlichkeitsbezogene Mitwirkungsrecht des urteilsfähigen Kindes garantieren (dazu BGE 127 III 295 E. 2a S. 296; Thomas Sutter/Dieter Freiburghaus, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, N. 8 zu Art. 144 ZGB). Die sich aus dieser Bestimmung ergebende grundsätzliche Anhörungspflicht bedeutet indessen nicht, dass die vom Kind vorgetragenen Wünsche ohne weiteres zu befolgen wären. Es kann nur darum gehen, die Meinung des Kindes und die von ihm dafür angegebenen Gründe in die Sorgerechtsentscheidung einzubeziehen. Den Wünschen des Kindes kommt dabei um so grössere Bedeutung zu, je reifer dieses ist.
 
4.2 Der Appellationshof hat unter Berufung auf das Gutachten vom 17. Juni 2004 festgehalten, Z.________ sei wegen des Loyalitätskonflikts in ihrer Meinungsbildung überfordert und es falle ihr schwer, ihre Bedürfnisse zu definieren, da diese immer über die Erwartungshaltungen eines Elternteils determiniert würden. Dieser Beurteilung widerspricht der Berufungskläger an sich nicht. Indessen weist er darauf hin, dass die Vorinstanz an anderer Stelle erklärt habe, sie ziehe die Urteilsfähigkeit des Mädchens nicht in Zweifel. Hierzu ist Folgendes zu bemerken: In seiner Stellungnahme vom 4. Juli 2004 zum erwähnten Gutachten hatte der Berufungskläger es als Zeichen der Urteilsfähigkeit gewertet, dass Z.________ trotz belastender Situation ihren Wunsch nach einer akzeptierenden Beziehung zur Mutter und ihre (kindergerechte) Position in dieser Beziehung klar formulieren könne und dennoch ebenso deutlich ihren Willen darstelle, dass die Situation eindeutig geklärt werde und sie hauptsächlich bei ihm, dem Berufungskläger, wohnen könne. Die Gutachter erklärten hierauf in ihrer Entgegnung vom 23. August 2004, sie stellten die Urteilsfähigkeit des Mädchens nicht in Frage, doch sei zu bedenken, dass dieses weit entfernt sei von einer klaren Stellungnahme für den Berufungskläger und gegen die Berufungsbeklagte; sein Wunsch wäre eine vollständige Familie mit beiden Eltern im selben Haus.
 
Auf Grund des Gesagten ist die Rüge, die Vorinstanz habe die Meinung von Z.________ in ungerechtfertigter Weise übergangen, unbegründet.
 
5.
 
Der Appellationshof hat einerseits den auf dem Berner Verwaltungsrechtspflegegesetz beruhenden Kostenentscheid der Regierungsstatthalterin (Auferlegung der Verfahrenskosten an den Berufungskläger) bestätigt und andererseits gestützt auf Art. 58 Abs. 1 der Berner Zivilprozessordnung dem Berufungskläger die Kosten für das zweitinstanzliche Verfahren auferlegt und ihn verpflichtet, der Berufungsbeklagten die zweitinstanzlichen Parteikosten zu ersetzen. Im Berufungsverfahren ist das Bundesgericht nicht befugt, die Anwendung kantonalen (Verfahrens-)Rechts zu überprüfen (vgl. Art. 43 Abs. 1 OG). Eine Änderung des Kostenspruchs der kantonalen Instanzen durch die erkennende Abteilung käme nur dann in Frage, wenn der angefochtene Entscheid in der Sache abgeändert würde (vgl. Art. 157 OG). Dies ist nach dem oben Ausgeführten hier nicht der Fall. Auf den Antrag des Berufungsklägers, die im erstinstanzlichen Verfahren gesprochenen Verfahrenskosten hälftig zu teilen und die Verfahrens- sowie Parteikosten des zweitinstanzlichen Verfahrens der Berufungsbeklagen aufzuerlegen, ist daher nicht einzutreten.
 
6.
 
Die Kosten des vorliegenden Verfahrens sind ausgangsgemäss dem Berufungskläger aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Da keine Berufungsantwort eingeholt worden ist, sind der Berufungsbeklagten keine Kosten erwachsen, so dass die Zusprechung einer Parteientschädigung von vornherein entfällt.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'500.-- wird dem Berufungskläger auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationshof (2. Zivilkammer) des Kantons Bern schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 1. Juli 2005
 
Im Namen der II. Zivilabteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).