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Informationen zum Dokument  BGer I 335/2005  Materielle Begründung
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BGer I 335/2005 vom 23.09.2005
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
I 335/05
 
Urteil vom 23. September 2005
 
I. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Borella, Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Ferrari, Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber Attinger
 
Parteien
 
IV-Stelle Schaffhausen, Oberstadt 9, 8200 Schaffhausen, Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
S.________, 1971, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kreso Glavas, Markusstrasse 10, 8006 Zürich
 
Vorinstanz
 
Obergericht des Kantons Schaffhausen, Schaffhausen
 
(Entscheid vom 15. April 2005)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Mit Verfügung vom 11. November 2003 sprach die IV-Stelle Schaffhausen dem 1971 geborenen S.________ unter Zugrundelegung eines Invaliditätsgrades von 40 % ab 1. Oktober 2002 eine Viertelsrente der Invalidenversicherung zu. Hiegegen erhob der Versicherte am 11. Dezember 2003 Einsprache mit dem Begehren, die Sache sei zu ergänzender medizinischer Abklärung (Einholung eines psychiatrischen Gutachtens) und anschliessender Neuverfügung an die Verwaltung zurückzuweisen. Die IV-Stelle erliess daraufhin am 27. Januar 2004 eine Wiedererwägungsverfügung, mit welcher sie auf die angefochtene Verfügung vom 11. November 2003 zurückkam, einen Rentenanspruch von S.________ mangels leistungsbegründender Invalidität rückwirkend ab 1. Oktober 2002 verneinte und die Rückforderung der bereits bezogenen Rentenbetreffnisse mit separater Verfügung in Aussicht stellte. Anschliessend schrieb sie die gegen die ursprüngliche Rentenverfügung gerichtete Einsprache zufolge Gegenstandslosigkeit als erledigt ab (Einspracheentscheid vom 8. April 2004). Mit Einspracheentscheid vom 13. April 2004 wies die IV-Stelle sodann die gegen die Wiedererwägungsverfügung erhobene Einsprache ab.
 
B.
 
Das Obergericht des Kantons Schaffhausen hiess die (sinngemäss) gegen beide Einspracheentscheide erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 15. April 2005 insoweit gut, als es die angefochtenen Einspracheentscheide und die Wiedererwägungsverfügung vom 27. Januar 2004 aufhob und die Sache an die IV-Stelle zurückwies, damit diese S.________ "bei einer allfällig in Aussicht stehenden Aufhebung der mit Verfügung vom 11. November 2003 zugesprochenen IV-Rente die Möglichkeit zum Rückzug der Einsprache vom 11. Dezember 2003 gibt" (Dispositiv-Ziffer 1 mit Verweisung auf die Urteilserwägungen).
 
C.
 
Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids.
 
S.________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen. Das kantonale Gericht hat, ohne einen formellen Antrag zu formulieren, eine Stellungnahme eingereicht, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde verzichtet.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Gemäss Art. 52 Abs. 1 ATSG kann gegen Verfügungen innerhalb von 30 Tagen bei der verfügenden Stelle Einsprache erhoben werden; davon ausgenommen sind prozess- und verfahrensleitende Verfügungen. Laut Art. 12 Abs. 1 ATSV ist der Versicherer an das Begehren der Einsprache führenden Person nicht gebunden; er kann die Verfügung zu Gunsten oder zu Ungunsten der Einsprache führenden Partei abändern. Beabsichtigt er, die Verfügung zu Ungunsten der Einsprache führenden Person abzuändern, gibt er ihr Gelegenheit zum Rückzug der Einsprache (Abs. 2 der genannten Verordnungsbestimmung). Mit diesen Ausführungsbestimmungen hat der Bundesrat die nach Art. 61 lit. d ATSG im Beschwerdeverfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht geltenden Grundsätze auch auf das Einspracheverfahren des jeweils verfügenden Versicherers übertragen. Die nunmehr in Art. 12 Abs. 2 ATSV festgelegte erweiterte Hinweispflicht, wonach der Versicherungsträger die Einsprache führende Person nicht nur auf die drohende Schlechterstellung (reformatio in peius), sondern auch auf die Möglichkeit eines Rückzugs ihrer Einsprache aufmerksam machen muss, galt in den Sozialversicherungsbereichen, welche ein Einspracheverfahren kannten, rechtsprechungsgemäss als direkter Ausfluss der verfassungsrechtlichen Garantie des rechtlichen Gehörs sowie des Fairnessgebots nach Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 4 Abs. 1 aBV bereits vor In-Kraft-Treten von ATSG und ATSV am 1. Januar 2003 (BGE 129 II 395 Erw. 4.4.3, 122 V 166, 118 V 182; RKUV 2000 Nr. U 371 S. 110 Erw. 4b/aa, 1998 Nr. U 309 S. 460 oben). Diese doppelte Aufklärungspflicht wäre ihrer Bedeutung entleert, würde man dem Sozialversicherer gleichzeitig gestatten, seine mittels Einsprache angefochtene Verfügung (ohne die erwähnten, der Sicherstellung eines fairen Verfahrens dienenden Hinweise an den Einsprecher) durch Erlass einer Wiedererwägungsverfügung im Sinne einer reformatio in peius aufzuheben oder abzuändern und hernach die Einsprache unter Berufung auf die nicht mehr existierende ursprüngliche Verfügung als gegenstandslos geworden abzuschreiben.
 
2.
 
Im hier zu beurteilenden Fall ist die IV-Stelle in unmittelbar hievor beschriebener, Art. 12 Abs. 2 ATSV und den Anspruch des Beschwerdegegners auf rechtliches Gehör verletzender Weise vorgegangen. Dies wurde vom kantonalen Gericht mit dem angefochtenen Entscheid in zutreffender Weise korrigiert.
 
Der Klarheit halber ist beizufügen: Zieht der Versicherte seine Einsprache zurück, bleibt es zumindest zunächst bei der mit der ursprünglichen Rentenverfügung zugesprochenen Viertels-Invalidenrente ab 1. Oktober 2002. Der IV-Stelle steht es indessen frei, im Anschluss an einen Einspracherückzug auf die materiell richterlich unbeurteilt gebliebene Verfügung zu Lasten des Versicherten zurückzukommen, allerdings nur nach Massgabe der nunmehr in Art. 53 Abs. 1 und 2 ATSG verankerten Rückkommenstitel (BGE 127 V 469 Erw. 2c mit Hinweisen). In diesen Fällen könnte der Eingriff in das Rentenverhältnis grundsätzlich nur mit Wirkung ex nunc et pro futuro erfolgen (Art. 88bis Abs. 2 lit. a IVV).
 
3.
 
Das vorliegende Verfahren fällt nicht unter die Kostenfreiheit gemäss Art. 134 OG, weil nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen streitig war, sondern eine rein prozessrechtliche Frage. Dem Verfahrensausgang entsprechend hat die Beschwerde führende IV-Stelle die Kosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG). Überdies hat die Verwaltung dem obsiegenden, anwaltlich vertretenen Beschwerdegegner eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG).
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der IV-Stelle Schaffhausen auferlegt.
 
3.
 
Die IV-Stelle Schaffhausen hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Schaffhausen, der Ausgleichskasse Zürcher Arbeitgeber und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 23. September 2005
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der I. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
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