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Informationen zum Dokument  BGer 6A.65/2006  Materielle Begründung
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BGer 6A.65/2006 vom 01.02.2007
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
6A.65/2006 /hum
 
Urteil vom 1. Februar 2007
 
Kassationshof
 
Besetzung
 
Bundesrichter Schneider, Präsident,
 
Bundesrichter Wiprächtiger, Ferrari,
 
Gerichtsschreiber Briw.
 
Parteien
 
X.________,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 1. Kammer, Obere Vorstadt 40, 5000 Aarau.
 
Gegenstand
 
Entzug des Führerausweises,
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 1. Kammer, vom 8. Juni 2006 (WBE.2006.68/JM/kw).
 
Sachverhalt:
 
A.
 
X.________ fuhr am 30. Juni 2004, um 02.58 Uhr, mit ihrem Personenwagen in Zürich 10 die Rosengartenstrasse hinauf. Dabei überschritt sie die allgemeine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 25 km/h (nach Abzug der Toleranz).
 
Die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat fand sie mit Strafbefehl vom 19. Januar 2005 der groben Verletzung der Verkehrsregeln durch Überschreiten der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit innerorts im Sinne von Art. 27 Abs. 1 SVG in Verbindung mit Art. 90 Ziff. 2 SVG schuldig und bestrafte sie mit 800 Franken Busse. Dieser Strafbefehl wurde unangefochten rechtskräftig.
 
B.
 
Das Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau entzog ihr in der Folge mit Verfügung vom 10. März 2005 den Führerausweis für die Dauer von einem Monat. Ihre Beschwerden wurden vom Departement Volkswirtschaft und Inneres am 5. Oktober 2005 und vom Verwaltungsgericht des Kantons Aargau am 8. Juni 2006 nach öffentlicher Verhandlung abgewiesen.
 
C.
 
X.________ erhebt eidgenössische Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, die Verfügung des Strassenverkehrsamts vom 10. März 2005 aufzuheben, eventuell anstelle eines Führerausweisentzugs eine Verwarnung auszusprechen, und die Kosten dem Beschwerdegegner aufzuerlegen.
 
Das Verwaltungsgericht beantragt in der Vernehmlassung, die Beschwerde abzuweisen. X.________ reicht zu dieser Vernehmlassung eine Stellungnahme vom 30. September 2006 ein.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Das angefochtene Urteil ist am 8. Juni 2006 und damit vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) am 1. Januar 2007 ergangen. Das Beschwerdeverfahren richtet sich nach dem bisherigen Recht (Art. 97 ff. OG; Art. 132 Abs. 1 BGG, e contrario).
 
Beschwerdegegenstand ist der Entscheid des Verwaltungsgerichts (Art. 97 lit. g OG). Entscheide unterer kantonaler Instanzen können nicht angefochten werden (BGE 104 Ib 269 E. 1). Auf das Rechtsbegehren, die Verfügung des Strassenverkehrsamts aufzuheben, ist daher nicht einzutreten. Die Beschwerdeführerin setzt sich in der Beschwerde mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts auseinander, so dass in sinngemässer Auslegung des Rechtsbegehrens (nämlich: es sei der Entscheid des Verwaltungsgerichts aufzuheben) auf die Beschwerde eingetreten werden kann (vgl. Art. 114 Abs. 1 OG).
 
Die Vorinstanz ist eine richterliche Behörde, weshalb das Bundesgericht an die Feststellung des Sachverhalts gebunden ist, soweit dieser nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 104 lit. b i.V.m. Art. 105 Abs. 2 OG).
 
Im zu beurteilenden Fall ist unbestritten das Strassenverkehrsgesetz in seiner früheren und milderen Fassung von Art. 16 Abs. 3 lit. a in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 lit. a SVG (Mindestentzugsdauer von einem Monat) anwendbar. Im neuen Recht beträgt die Mindestentzugsdauer drei Monate (Art. 16c Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Abs. 2 lit. a; BGE 132 II 234 E. 3.2).
 
2.
 
Nach der Rechtsprechung muss diejenige, die weiss oder annehmen muss, dass gegen sie ein Führerausweisentzugsverfahren durchgeführt wird, ihre Verteidigungsrechte schon im (summarischen) Strafverfahren geltend machen, und die für den Führerausweisentzug zuständige Behörde darf in der Regel nicht von den Tatsachenfeststellungen des rechtskräftigen Strafentscheids abweichen. Dies gilt auch bei Entscheiden, die im Strafbefehlsverfahren gefällt wurden (BGE 123 II 97 E. 3c/aa; 121 II 214 E. 3a). Die Beschwerdeführerin wäre nach Treu und Glauben verpflichtet gewesen, gegebenenfalls bereits im Strafverfahren Beweisanträge zu stellen und Rechtsmittel zu ergreifen (BGE 123 II 97 E. 3c/aa).
 
Die Staatsanwaltschaft hatte aufgrund des durch ein stationäres Radargerät erfassten und von der Beschwerdeführerin anerkannten Sachverhalts im Polizeirapport vom 27. August 2004 entschieden (Dossier 2004/18394 der Bezirksanwaltschaft Zürich). Im Strafbefehl wurde die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen, dass sie Einsprache erheben kann und dass der Strafbefehl die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils erlangt. Dieser Strafbefehl ist unangefochten in Rechtskraft erwachsen. Die Vorinstanz war grundsätzlich an die tatsächlichen Feststellungen im Strafbefehl gebunden. Das Strassenverkehrsamt informierte die Beschwerdeführerin noch vor Erlass des Strafbefehls, dass es eine Administrativmassnahme in Betracht ziehe, und es gewährte ihr das rechtliche Gehör (angefochtenes Urteil S. 6).
 
In rechtlicher Hinsicht ist nach konstanter Rechtsprechung davon auszugehen, dass innerorts ungeachtet der konkreten Umstände objektiv eine grobe Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG bzw. eine schwere Verkehrsgefährdung im Sinne von Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG zu bejahen ist, wenn die Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 25 km/h oder mehr überschritten wurde (BGE 123 II 37 E. 1d; 132 II 234 E. 3.1). Die Vorinstanz nimmt deshalb zu Recht einen schweren Fall im Sinne von Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG an, der zwingend den Entzug des Führerausweises zur Folge hat. Dass im Strafbefehl angenommen wurde, das Verschulden der Beschwerdeführerin wiege "noch leicht", legt die Vorinstanz zu Recht dahingehend aus, dass das Verschulden damit als im unteren Bereich des Rahmens des groben Verschuldens gemäss Art. 90 Ziff. 2 SVG befindlich qualifiziert wurde (angefochtenes Urteil S. 9). Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG entspricht Art. 90 Ziff. 2 SVG (BGE 132 II 234 E. 3.1; 126 IV 192 E. 3). Die Mindestentzugsdauer beträgt einen Monat (Art. 17 Abs. 1 lit a SVG). Diese Dauer kann nicht unterschritten werden. Die Vorinstanz ordnet somit die mildeste gesetzliche Rechtsfolge an. Anders verhielt es sich etwa in BGE 120 Ib 504, wo die Mindestentzugsdauer von sechs Monaten im Sinne von Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG wegen des grossen Zeitablaufs herabgesetzt werden konnte (vgl. auch BGE 122 II 180 E. 5a; 123 II 225 E. 2a/bb). Ein derartiger Fall ist hier nicht zu beurteilen. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Mindestentzugsdauer seit der Revision des SVG nicht mehr unterschritten werden (Botschaft zur Änderung des Strassenverkehrsgesetzes vom 31. März 1999, BBl 1999 4462, 4486; vgl. BGE 132 II 234 E. 3.2).
 
3.
 
Auch die weiteren Einwände sind unbegründet:
 
3.1 Die Strafbestimmungen (Art. 90 ff. SVG) werden von den Strafbehörden angewendet. Die Ausweise werden von den Verwaltungsbehörden erteilt und entzogen (Art. 22 Abs. 1 SVG). Anlässlich der Revisionen des Strassenverkehrsgesetzes und des Strafgesetzbuches ergab sich klar, dass die Zuständigkeit zum Entzug des Führerausweises bei den Verwaltungsbehörden verbleiben soll (Botschaft a.a.O., BBl 1999 4462, 4493; Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches vom 21. September 1998, BBl 1999 1979, 2059).
 
Wie die Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme (oben Bst. C) bestätigt, wurde sie noch vor dem Erlass des Strafbefehls vom Strassenverkehrsamt mit Schreiben vom 17. Dezember 2004 informiert, dass es eine Administrativmassnahme in Betracht ziehe und dass ihr das rechtliche Gehör gewährt werde. Das ist entgegen der Beschwerde ein korrektes Vorgehen der Behörde.
 
3.2 Nach ständiger und langjähriger Rechtsprechung verletzt diese im schweizerischen Recht vorgesehene Zweispurigkeit der Verfahren nach Zuwiderhandlungen gegen das Strassenverkehrsgesetz den Grundsatz ne bis in idem nicht (BGE 128 II 133 E. 3b/aa). Damit wird niemand "in einem Strafverfahren desselben Staates erneut verfolgt oder bestraft" (Art. 4 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK; SR 0.101.07). Es wird lediglich dieselbe Straftat von zwei verschiedenen Behörden entsprechend ihrer beschränkten sachlichen Zuständigkeit beurteilt. Die Strafbehörde beurteilt die Tat unter strafrechtlichen und die Verwaltungsbehörde unter verwaltungsrechtlichen Gesichtspunkten. Dabei sind die Verwaltungsbehörden in der Regel an den im Strafverfahren festgestellten Sachverhalt gebunden. Das rechtliche Gehör ist in beiden Verfahren gewährleistet (oben E. 2, Abs. 2). Es besteht kein Anlass, auf diese Rechtsprechung zurückzukommen.
 
3.3 Die Vorinstanz stellt fest, die Beschwerdeführerin begründe ihre übersetzte Fahrweise damit, dass die Polizei auf sie gewartet habe und es sich um einen lauten Alarm in der Firma gehandelt habe. Die Strafakten enthalten keinen Hinweis auf einen Telefonanruf der Polizei (angefochtenes Urteil S. 6; vgl. Dossier 2004/18394 der Bezirksanwaltschaft Zürich mit Polizeirapport vom 27. August 2004). Soweit die Beschwerdeführerin nunmehr geltend macht, die Polizei habe sie während der Fahrt telefonisch aufgefordert "zu pressieren", und diese Tatsache lasse sich aus dem Polizeirapport schliessen (vgl. Stellungnahme), ist festzustellen, dass die angefochtene Beweiswürdigung nicht offensichtlich unrichtig und somit für das Bundesgericht verbindlich ist (oben E. 1, Abs. 2). Weiter ergibt sich, dass die Berücksichtigung dieser neuen Vorbringen nicht zu einer anderen - und vom Strafbefehl abweichenden - Beurteilung führen würde, da auch bei Unterstellung dieses neuen Sachverhalts weder Notstand noch Rechtsirrtum angenommen werden könnte. Die Beschwerdeführerin macht ferner nicht geltend, dass die Polizei ihr erklärt hätte, sie müsse sich nicht an die Verkehrsregeln halten.
 
3.4 Das Gehörsrecht gemäss Art. 29 Abs. 2 BV schützt den Anspruch, an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 129 II 497 E. 2.2; 127 I 54 E. 2b). Die Beschwerdeführerin konnte sich äussern. Sie hätte das neue Vorbringen bereits im Strafverfahren geltend machen müssen. Es wäre im Übrigen nicht geeignet gewesen, den Entscheid zu beeinflussen. Es ist weder eine Gehörsverletzung ersichtlich, noch ist der Sachverhalt unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden (oben E. 1, Abs. 2). Die Vorinstanz beurteilt das neue Vorbringen zutreffend als unbeachtlich.
 
4.
 
Die Beschwerde ist unbegründet. Es kann im Übrigen auf den sorgfältig begründeten angefochtenen Entscheid verwiesen werden (Art. 36a OG). Bei diesem Ergebnis ist auf das Eventualbegehren nicht mehr einzutreten. Die Beschwerde ist kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG) abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 1. Kammer, sowie dem Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Strassen Sekretariat Administrativmassnahmen schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 1. Februar 2007
 
Im Namen des Kassationshofes
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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