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Informationen zum Dokument  BGer 6B_527/2008  Materielle Begründung
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BGer 6B_527/2008 vom 02.12.2008
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
6B_527/2008/sst
 
Urteil vom 2. Dezember 2008
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Schneider, Präsident,
 
Bundesrichter Favre, Mathys,
 
Gerichtsschreiberin Binz.
 
Parteien
 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten
 
durch Rechtsanwalt lic. iur. Hans Hofstetter,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh., Rathaus, 9043 Trogen, Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Mehrfache Schändung (Art. 191 StGB),
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts von Appenzell Ausserrhoden, 1. Abteilung, vom 29. November 2007.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Das Kantonsgericht von Appenzell A.Rh. sprach X.________ mit Urteil vom 30. Oktober 2006 von den Vorwürfen der mehrfachen Ausnützung einer Notlage sowie der mehrfach versuchten oder vollendeten sexuellen Nötigung frei.
 
B.
 
Auf Appellation der Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh. sprach das Obergericht von Appenzell A.Rh. X.________ am 23. Oktober 2007 der mehrfachen Schändung schuldig und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu Fr. 100.--, unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges bei einer Probezeit von 3 Jahren, sowie zu einer Busse von Fr. 2'000.--.
 
C.
 
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben, und er sei in Wiederherstellung des kantonsgerichtlichen Urteils von Schuld und Strafe freizusprechen.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Dem zu beurteilenden Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
 
A.________ (nachfolgend Geschädigte 1) liess sich vom Beschwerdeführer, welcher als Heilpraktiker eine Praxis betreibt, wegen Rückenproblemen behandeln. Im Februar / März 2005 erstattete sie Anzeige wegen Anwendung von unsittlichen Praktiken anlässlich einer Massage. Der Beschwerdeführer habe sie auf der Innenseite der Beine massiert und dabei mit der Hand ihre Schamlippen berührt. Er habe ausserdem ihre Brüste massiert und gleichzeitig sein erigiertes Glied an ihre Hand gedrückt. Im Laufe der polizeilichen Ermittlungen meldeten sich weitere Frauen, welche sich vom Beschwerdeführer wegen Rückenproblemen behandeln liessen. B.________ (nachfolgend Geschädigte 2) gab an, der Beschwerdeführer habe sie, als sie nackt auf dem Behandlungstisch lag, jeweils im Bereich zwischen Oberschenkel und Schamlippen massiert. C.________ (nachfolgend Geschädigte 3) erhob den Vorwurf, der Beschwerdeführer habe sie im Schambereich sowie um ihre Brüste massiert und sei mit einem Massagegerät über ihre Klitoris gefahren und mit diesem Gerät auch dort stehen geblieben.
 
Die Vorinstanz erachtet diesen Sachverhalt aufgrund der glaubhaften Aussagen der Geschädigten als erstellt (s. angefochtenes Urteil E. 2.1.2 S. 14 f.).
 
2.
 
Der Beschwerdeführer rügt eine unrichtige Feststellung des Sachverhalts durch Verletzung der aus der Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK) abgeleiteten Rechtsregel "in dubio pro reo". Er bestreitet, sein steifes Glied an die Hand der Geschädigten 1 gedrückt zu haben.
 
Der Beschwerdeführer legt nicht dar, inwiefern es für den Ausgang des Verfahrens entscheidend ist, ob er zusätzlich zur Berührung der Schamlippen und der Massage der Brüste sein erigiertes Glied in die Hand der Geschädigten 1 gedrückt hat (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG). Zudem stellt er der Beweiswürdigung der Vorinstanz seine eigenen Tatsachenbehauptungen gegenüber, ohne zu erörtern, inwiefern der Entscheid (auch) im Ergebnis schlechterdings unhaltbar sein sollte (vgl. BGE 129 I 173 E. 3.1 S. 178 mit Hinweisen). Seine Vorbringen erschöpfen sich in einer unzulässigen appellatorischen Kritik am angefochtenen Urteil und genügen folglich den Begründungsanforderungen gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG nicht (vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4.3 S. 254 f. mit Hinweis). Demgemäss ist seine Rüge der unrichtigen Feststellung des Sachverhalts abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
 
3.
 
Weiter macht der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 191 StGB geltend.
 
3.1 Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person in Kenntnis ihres Zustandes zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft (Art. 191 StGB).
 
Widerstandsunfähig ist, wer nicht im Stande ist, sich gegen ungewollte sexuelle Kontakte zu wehren. Die Bestimmung schützt somit Personen, die einen zur Abwehr ausreichenden Willen zum Widerstand gegen sexuelle Übergriffe nicht oder nicht sinnvoll bilden, äussern oder betätigen können. Dabei genügt, dass das Opfer nur vorübergehend zum Widerstand unfähig ist. Die Gründe für die Widerstandsunfähigkeit können dauernder oder vorübergehender, chronischer oder situationsbedingter Natur sein, also ebenso in schweren psychischen Defekten wie in einer hochgradigen Intoxikation durch Alkohol oder Drogen, in körperlicher Invalidität wie in einer Fesselung, in der besonderen Lage der Frau in einem gynäkologischen Stuhl oder auch in einer Summierung von Schläfrigkeit, Alkoholisierung und einem Irrtum über die Identität des für den Ehemann gehaltenen Sexualpartners liegen. Erforderlich ist nur, dass die Widerstandsfähigkeit gänzlich aufgehoben und nicht nur in irgendeinem Grad beeinträchtigt oder eingeschränkt ist. Bei blosser - z.B. alkoholbedingter - Herabsetzung der Hemm-schwelle ist keine Widerstandsunfähigkeit gegeben. Missbrauch liegt vor, wenn der Täter die Schutzlosigkeit des Opfers ausnützt (BGE 133 IV 49 E. 7.2 S. 56 mit Hinweisen).
 
3.2 Die Vorinstanz bejaht das Tatbestandsmerkmal der sexuellen Handlungen betreffend die Geschädigten 1 und 3 und verneint es betreffend die Geschädigte 2. Der Beschwerdeführer habe die Geschädigten 1 und 3 direkt oder mittels des Massagegerätes indirekt an den Schamlippen und der Scheide sowie den Brüsten angefasst oder berührt und damit eine sexuelle Handlung an ihnen vorgenommen. Eine medizinische Indikation für den Griff an die Geschlechtsteile bestehe nicht. Hingegen sei gemäss den Aussagen der Geschädigten 2 nicht erwiesen, ob der Beschwerdeführer bei ihr die Grenzen zwischen einem sexuellen Übergriff und einer medizinischen Behandlung überschritten habe. Es könne durchaus sein, dass er "einfach" sehr nahe am Genitalbereich massiert habe und dies eine mögliche Massagetechnik sei. Zudem sei fraglich, ob sie tatsächlich widerstandsunfähig gewesen sei. Hingegen bejaht die Vorinstanz die Widerstandsunfähigkeit der anderen Geschädigten. Die Geschädigte 1 habe wegen ihrer Lage auf dem Behandlungstisch nicht sehen können, was mit ihr geschah. Den sexuellen Übergriff habe sie erst wahrgenommen, als sie die Hand des Beschwerdeführers an ihren Schamlippen bzw. ihrer Scheide spürte, also zu einem Zeitpunkt, als dieser bereits begonnen hatte, sie zu missbrauchen. Weil es die erste Behandlung beim Beschwerdeführer gewesen sei, habe sie den Angriff auf ihre geschlechtliche Integrität unmöglich voraussehen können. Zudem habe ihr der Beschwerdeführer nie gesagt, was er weshalb mache. Demgegenüber handle es sich bei der Geschädigten 3 um eine langjährige Patientin des Beschwerdeführers. Entscheidend sei, dass sie dieser bei der betreffenden Konsultation völlig anders behandelte als bei früheren Therapiestunden. Er habe die Problemstellen nicht wie sonst mit Druck auszugleichen versucht, sondern habe die Geschädigte 3 offenbar vor allem massiert und sei mit dem Massagegerät längere Zeit in der Schamgegend herumgefahren. Erst als er damit über die Klitoris fuhr, dort stehen blieb, ihr die andere Hand auf die Brust legte und sie fragte, ob "das nicht schön sei", habe sie ihm erklärt, dass er ihr zu nahe getreten sei. Deshalb sei der sexuelle Übergriff wiederum bereits erfolgt, als sich die Patientin dessen gewahrt worden sei. Die Geschädigte 3 habe nicht mit einem sexuellen Übergriff rechnen müssen, nachdem sie der Beschwerdeführer schon öfters nahe am Intimbereich behandelt und stets den notwendigen Abstand gewahrt habe. Der Beschwerdeführer habe die Widerstandsunfähigkeit der Geschädigten missbraucht, da sie nicht in seine Handlungen eingewilligt hätten. In subjektiver Hinsicht bestünden keine Zweifel, dass die beanstandeten Berührungen bei einem so erfahrenen und in Anatomie bewanderten Therapeuten bewusst erfolgt seien (angefochtenes Urteil E. 2.4.3 S. 22 ff.).
 
3.3 Der Beschwerdeführer bestreitet, tatbestandsmässige sexuelle Handlungen vorgenommen zu haben. Die Berührung von Geschlechtsteilen stelle keine eindeutig sexuelle Handlung dar. Die Berührung der Brust durch einen Masseur könne zu seinen Aufgaben gehören. Es sei eine mögliche Massagetechnik, sehr nahe am Genitalbereich zu massieren. Eine relevante sexuelle Handlung im Sinne von Art. 191 StGB liege nur vor, wenn die Erheblichkeit des Eingriffs in die sexuelle Integrität mit den genannten Varianten des Beischlafs oder der beischlafsähnlichen Handlung vergleichbar sei. Auch habe er seine Patientinnen stets aufgefordert, sich zu melden, wenn ihnen etwas unangenehm sei. Trotzdem habe sich während der Behandlung keine der Geschädigten beschwert. Weiter bestreitet der Beschwerdeführer die Widerstandsunfähigkeit der Geschädigten. Der Anwendungsbereich des Straftatbestandes der sexuellen Belästigung (Art. 198 Abs. 2 StGB) würde völlig verdrängt, wenn jedes Anfassen gewisser Körperteile bereits als Schändung qualifiziert werden würde, weil "der sexuelle Übergriff bereits geschehen war, als die Patientin sich dessen gewahrt wurde". Diese vorinstanzliche Begründung der Verurteilung wegen Schändung sei deshalb untauglich. Die Vorinstanz begründe die Widerstandsunfähigkeit der Geschädigten 1 damit, dass diese wegen ihrer Lage nicht habe sehen können, was mit ihr geschah. Er als Masseur habe jedoch während der ganzen Behandlung mindestens eine Hand an ihrem Körper gehabt, so dass sie mit ihrem Tastsinn mitverfolgen konnte, wohin sich seine Hand bewegte. Die Geschädigte 1 hätte sich melden können und müssen, als die Behandlung zu nahe an den Intimbereich gekommen sei. Auch die Geschädigte 3 sei weder in einer besonderen Lage gewesen noch sei die inkriminierte Handlung derart überraschend erfolgt, dass keine Abwehr mehr möglich gewesen wäre. Hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes bringt der Beschwerdeführer vor, die Vorinstanz begründe nicht, inwiefern er die geforderte Kenntnis der Widerstandsunfähigkeit der Geschädigten hätte haben sollen. Durch Bejahung des subjektiven Tatbestandes verletze die Vorinstanz sowohl die Begründungspflicht nach Art. 29 Abs. 1 BV als auch Art. 191 StGB. Es sei eine mögliche Massagetechnik, sehr nahe am Genitalbereich zu arbeiten. Aus den Feststellungen der Vorinstanz dürfe daher weder auf die Kenntnis einer (nicht gegebenen) Widerstandsunfähigkeit noch auf sonstigen Vorsatz geschlossen werden.
 
3.4 Dem Beschwerdeführer ist insofern beizustimmen, als der Begriff der "sexuellen Handlung" immer in Bezug auf den konkreten Tatbestand zu bestimmen ist (vgl. PHILIPP MAIER, Basler Kommentar Strafrecht I, 2. Aufl. 2007, vor Art. 187, N 22). Nach der Rechtsprechung lassen sich sexuelle Handlungen nach der Eindeutigkeit ihres Sexualbezugs abgrenzen. Sind die Handlungen objektiv eindeutig sexualbezogen, kommt es nicht mehr auf das subjektive Empfinden, die Motive oder die Bedeutung, die das Verhalten für den Täter oder das Opfer hat, an. Keine sexuellen Handlungen sind dagegen Verhaltensweisen, die nach ihrem äusseren Erscheinungsbild keinen unmittelbaren sexuellen Bezug aufweisen. Schwierigkeiten bietet die dritte Gruppe der so genannten ambivalenten Handlungen, die weder äusserlich neutral noch eindeutig sexualbezogen erscheinen (BGE 125 IV 58 E. 3b S. 62 mit Hinweisen). Bei den Berührungen der nackten weiblichen Geschlechtsteile handelt es sich um eine eindeutig sexualbezogene Verhaltensweise. Wie die Vorinstanz verbindlich festgestellt hat, waren die beanstandeten Berührungen medizinisch nicht indiziert (s. angefochtenes Urteil S. 22). Das Verhalten des Beschwerdeführers ist zudem im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut erheblich und stellt deshalb eine sexuelle Handlung im Sinne von Art. 191 StGB dar (BGE 125 IV 58 E. 3b S. 62 f. mit Hinweisen; PHILIPP MAIER, a.a.O., Art. 191, N 10 mit Hinweis auf Art. 189, N 31).
 
Die Vorinstanz hat zu Recht die Widerstandsunfähigkeit der Geschädigten bejaht. Sie begründet ausführlich, wieso die jeweilige Geschädigte vom Angriff derart überrascht wurde, dass sie sich nicht wehren konnte, bevor die Tat vollendet war (BGE 133 IV 49 E. 7.4 S. 57). Unerheblich ist, dass es den Geschädigten nach der Vollendung des Tatbestandes zumutbar gewesen wäre, ihren Unmut kundzutun. Weiter wusste der Beschwerdeführer, dass die Geschädigten weder mit den sexuellen Handlungen, welche medizinisch nicht indiziert waren, rechneten, noch damit einverstanden waren. Deshalb verletzt auch der vorinstanzliche Schluss von diesem Wissen auf vorsätzliches Handeln kein Bundesrecht. Inwiefern die Vorinstanz damit ihre Begründungspflicht gemäss Art. 29 Abs. 1 BV verletzt, wird vom Beschwerdeführer nicht dargelegt.
 
4.
 
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht von Appenzell Ausserrhoden, 1. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 2. Dezember 2008
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
Schneider Binz
 
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