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Informationen zum Dokument  BGer 6B_611/2011  Materielle Begründung
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BGer 6B_611/2011 vom 31.01.2012
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
6B_611/2011
 
Urteil vom 31. Januar 2012
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Mathys, Präsident,
 
Bundesrichter Schneider, Schöbi,
 
Gerichtsschreiberin Binz.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
1. Y.________,
 
2. X.________,
 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Renzo Guzzi,
 
Beschwerdeführerinnen,
 
gegen
 
1. A.________, vertreten durch Rechtsanwalt Tobias Fankhauser,
 
2. B.________, vertreten durch Rechtsanwalt
 
Dr. Stefan Flachsmann,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Fahrlässige Tötung (Art. 117 StGB); Willkür,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 17. Juni 2011.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die Mehrfamilienhäuser an der C.________strasse 16/18/20 in D.________ wurden im Sommer 2004 saniert und aufgestockt. Für die elektrische Baustromversorgung wurde ein TT-Installationskabel von der Zählerverteilung im Untergeschoss der C.________strasse 16 durch den Öltankraum, den Lichtschacht beim Gartensitzplatz von Y.________ und entlang einer Hecke zum Bauprovisoriumskasten verlegt. Beim Lichtschacht wurde die metallene Gitterabdeckung zur Seite geschoben, damit das Kabel durch einen Spalt ins Freie geführt werden konnte. Dieses Kabel wurde am 1. Juni 2004 unter der Verantwortung von A.________ an der Zählerverteilung und am Bauprovisoriumskasten angeschlossen. B.________ kontrollierte am 3. Juni 2004 die elektrische Baustelleninstallation und erstellte den Sicherheitsnachweis. Einige Tage später wurde am Haus C.________strasse 16 ein Baugerüst aufgestellt. Y.________ kam am 10. Juli 2004 auf ihrem Gartensitzplatz in Berührung mit der unter circa 220 Volt Spannung stehenden Gitterabdeckung des Lichtschachts. Sie verstarb einige Stunden nach diesem Unfall mutmasslich an einem Herzkammerflimmern. Die Unfallabklärung der Electrosuisse (SEV Verband für Elektro-, Energie- und Informationstechnik) ergab, dass das Bauprovisoriumskabel zwischen dem Lichtschacht und der Gitterabdeckung eingeklemmt worden war. Eine leichte Verletzung des Kabelmantels war sichtbar. Die Leiterisolation wies eine circa zwei Millimeter grosse Defektstelle auf, so dass der Kupferleiter sichtbar war. Als Folge davon stand die Gitterabdeckung des Lichtschachts unter circa 220 Volt Spannung.
 
B.
 
Die Einzelrichterin in Strafsachen des Bezirks Dielsdorf sprach A.________ und B.________ erstinstanzlich der fahrlässigen Tötung schuldig und bestrafte sie mit einer bedingt vollziehbaren Geldstrafe. A.________ und B.________ wurden unter solidarischer Haftung verpflichtet, X.________ eine Genugtuung von Fr. 20'000.-- zu bezahlen.
 
C.
 
A.________ und B.________ erhoben Berufung an das Obergericht Zürich. Dieses sprach sie mit Urteil vom 17. Juni 2011 von den Vorwürfen frei. Auf die von X.________ geltend gemachten Schadenersatz- und Genugtuungsforderungen trat das Obergericht nicht ein.
 
D.
 
X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben, und die Sache sei zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Die Beschwerde richtet sich gegen den Freispruch der Beschwerdegegner vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung.
 
1.1 Zur Beschwerde in Strafsachen ist nach Art. 81 Abs. 1 BGG berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (lit. a) und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat (lit. b). Da der angefochtene Entscheid nach dem 31. Dezember 2010 datiert, beurteilt sich die Frage des rechtlich geschützten Interesses nach der am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Fassung von Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG (Art. 132 Abs. 1 BGG; vgl. BGE 137 IV 219 E. 2.1 S. 222 mit Hinweisen). Danach wird der Privatklägerschaft ein rechtlich geschütztes Interesse zuerkannt, wenn der angefochtene Entscheid sich auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG).
 
1.2 Die Beschwerdeführerin hat am kantonalen Verfahren als Privatklägerin teilgenommen. Die Freisprüche der Beschwerdegegner können sich auf ihre Zivilansprüche auswirken (Art. 47 OR). Die Beschwerdelegitimation ist zu bejahen.
 
2.
 
Die Beschwerdeführerin rügt eine willkürliche Beweiswürdigung sowie die Verletzung von Art. 117 StGB.
 
2.1 Die erste Instanz sprach die Beschwerdegegner der fahrlässigen Tötung, begangen durch Unterlassen, schuldig. Sie führte aus, die Electrosuisse stütze ihren Unfallbericht bzw. ihr Ergänzungsgutachten auf die Niederspannungs-Installationsnorm des Jahres 2000 (NIN 2000). Aus diesen Bestimmungen schliesse sie, die Verlegeart des Kabels zum Baustromverteiler habe nicht den Normen entsprochen. TT-Installationskabel mit starren Leitern und einem Schutzmantel aus PVC (Polyvinylchlorid) seien generell für die Verlegung im Freien nur bedingt geeignet. Würden sie trotzdem verwendet, müssten sie zuverlässig verlegt und gegen Beschädigungen geschützt werden (Urteil des Bezirksgerichts Dielsdorf vom 9. September 2010 E. 2.2 S. 12 f.). Die Beschwerdegegner hätten gewusst, dass nach Verlegung des Installationskabels ein Baugerüst aufgestellt werde. Es sei für sie voraussehbar gewesen, dass der Lichtschacht allenfalls als Auflagefläche für einen Gerüstfuss benützt werden könnte und dadurch die Gefahr einer Verschiebung der Gitterabdeckung bestanden habe, welche das Kabel einklemmen könnte. Hätten die Beschwerdegegner dafür gesorgt, dass das verwendete TT-Kabel 5x35mm2 insbesondere im Bereich des Lichtschachts mittels Einzug in ein Rohr gegen mechanische Beschädigungen geschützt gewesen wäre, hätte der von Y.________ erlittene Stromunfall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden werden können (Urteil des Bezirksgerichts E. 4 S. 19 f. und E. 5 S. 22 f.).
 
2.2 Die Vorinstanz erwägt, die Verwendung eines TT-Installationskabels sei nicht normwidrig und verstosse mithin auch nicht gegen die Sorgfaltspflicht. Entgegen der Auffassung der Electrosuisse, wonach das TT-Kabel zwingend gegen mechanische Beschädigungen - beispielsweise durch Einzug in ein Rohr oder durch Abdeckung mit Kabel-Halbschalen - hätte geschützt werden müssen, lasse sich ein solches Erfordernis aus der NIN 2000 nicht ableiten. Abgesehen davon scheitere der Vorwurf der fahrlässigen Tatbegehung an der mangelnden Vermeidbarkeit der Beschädigung des Kabels und dem dadurch bewirkten Unfalltod von Y.________ infolge der anzunehmenden grossen Krafteinwirkung auf das Kabel durch das nachträglich erstellte Baugerüst (angefochtenes Urteil E. 6 S. 20 ff. und E. 7 S. 27 ff.).
 
2.3 Die Beschwerdeführerin bringt zusammengefasst vor, die Vorinstanz stelle den Sachverhalt willkürlich fest, indem sie eine Sorgfaltspflichtverletzung verneine. Die Beschwerdegegner seien für die korrekte Kabelauswahl und Verwendung verantwortlich gewesen. Nach Auffassung der Electrosuisse hätten die Bestimmungen der NIN 2000 nur mit flexiblen Kabeln mit verstärktem Schutzmantel aus Gummi oder Polyurethan eingehalten werden können. Die Vorinstanz masse sich Gutachterkompetenzen an, indem sie festhalte, die von der Electrosuisse genannten Anforderungen liessen sich nicht aus der NIN 2000 ableiten. Schliesslich erachte die Vorinstanz die Schlussfolgerung des Gutachters zur Frage der Vermeidbarkeit des Unfalls bei Verwendung eines normkonformen Kabels in willkürlicher Weise als nicht überzeugend.
 
2.4 Ob die Vorinstanz die Verletzung einer Sorgfaltspflicht zu Recht verneint, kann mit Blick auf die nachfolgenden Ausführungen offen gelassen werden. Auf die Vorbringen der Beschwerdeführerin, welche sich auf die Wahl des TT-Installationskabels bzw. den unterlassenen Schutz des Kabels gegen mechanische Beschädigungen richten, ist deshalb mangels Entscheidrelevanz nicht einzutreten.
 
3.
 
3.1 Fahrlässig begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt (Art. 12 Abs. 3 Satz 1 StGB). Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung (Art. 117 StGB) setzt somit voraus, dass der Täter den Erfolg durch Verletzung einer Sorgfaltspflicht verursacht hat. Sorgfaltswidrig ist die Handlungsweise, wenn der Täter zum Zeitpunkt ihrer Vornahme nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen die bewirkte Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen. Für die Zurechenbarkeit des Erfolgs genügt die blosse Vorhersehbarkeit nicht. Weitere Voraussetzung ist, dass der Erfolg auch vermeidbar war. Dabei wird ein hypothetischer Kausalverlauf untersucht und geprüft, ob der Erfolg bei pflichtgemässem Verhalten des Täters ausgeblieben wäre. Für die Zurechnung des Erfolgs genügt, wenn das Verhalten des Täters mindestens mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit die Ursache des Erfolges bildete (BGE 135 IV 56 E. 2.1 S. 64 f. mit Hinweisen). Diese Grundsätze gelten auch für das unechte Unterlassungsdelikt. Steht ein solches zur Diskussion, ist anhand eines hypothetischen Kausalzusammenhangs zu prüfen, ob bei Vornahme der gebotenen Handlung der Erfolg mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit ausgeblieben wäre und ob deren Nichtvornahme für den eingetretenen Erfolg adäquat kausal war (BGE 117 IV 130 E. 2a S. 133 mit Hinweisen).
 
3.2 Die Vorinstanz hält fest, bei der Beurteilung der Vermeidbarkeit des Unfalls sei relevant, dass bei der nachträglichen Errichtung des Baugerüsts ein Gerüstfuss auf einem Holzbrett genau auf die zurückgeschobene Gitterabdeckung des Lichtschachts zu stehen gekommen sei. Angesichts der Dimensionen des Baugerüsts sei anzunehmen, dass auf die Gitterabdeckung und über deren Kanten indirekt auf das Kabel sehr grosse Kräfte gewirkt hätten. Im Rahmen der Unfalluntersuchung seien keine Daten erhoben worden über die Kräfte, die auf das Kabel eingewirkt hätten bzw. über die Belastbarkeit von möglichen Rohren oder Kabel-Halbschalen. Einzig im Auftrag zum Ergänzungsgutachten sei die Frage gestellt worden, ob die Verwendung eines "den massgebenden Normen" entsprechenden Kabels die Beschädigung vermieden hätte. Der Gutachter führe aus, Belastungsversuche hätten ergeben, dass ein PUR-Kabel (Polyurethan) 5x35mm2 durch eine Gitterrostkante mit einer Belastung von circa 100 kg nicht beschädigt worden sei. Der Gutachter folgere, ein PUR-Kabel hätte der mechanischen Belastung bei der Einklemmung durch die Gitterabdeckung mit grosser Wahrscheinlichkeit standgehalten. Diese Schlussfolgerung überzeuge nicht, zumal zugunsten der Beschwerdegegner anzunehmen sei, dass die Kräfte, welche durch das Gerüst auf die Gitterrostkante einwirkten, erheblich über 100 kg betragen hätten. Über die Wahrscheinlichkeit des Ausbleibens des Kabelschadens bei Verwendung eines ebenfalls normkonformen Gummikabels enthalte das Gutachten keine Aussage (angefochtenes Urteil E. 6g S. 25 f. und E. 7h S. 31 f.).
 
3.3 Die Vorinstanz legt nachvollziehbar dar, dass sich aus dem Unfallbericht und dem Gutachten der Electrosuisse keine Erkenntnisse ergeben, welche es nicht nur als möglich, sondern als höchstwahrscheinlich erscheinen lassen, dass die Beschädigung des Kabels ausgeblieben wäre, wenn die Beschwerdegegner ein normkonformes Kabel verwendet oder das verwendete TT-Kabel gegen mechanische Beschädigung geschützt hätten. Damit prüft die Vorinstanz in Übereinstimmung mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die hypothetische Kausalität bzw. die "Wahrscheinlichkeitstheorie" (vgl. BGE 135 IV 56 E. 5.1 S. 71 mit Hinweisen). Sie folgert zutreffend, der Stromunfall hätte sich auch bei pflichtgemässem Verhalten der Beschwerdegegner ereignet, weshalb der Vorwurf fahrlässigen Handelns scheitere. Bei dieser Sachlage kann offengelassen werden, ob die Vorinstanz zu Recht sorgfaltswidriges Handeln verneint. Indem sie die Beschwerdegegner vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freispricht, verletzt sie kein Bundesrecht. Die Rügen der Beschwerdeführerin erweisen sich als unbegründet, soweit darauf einzutreten ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 136 I 49 E. 1.4.1 S. 53, 65 E. 1.3.1 S. 68; je mit Hinweisen).
 
4.
 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, und der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 31. Januar 2012
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Mathys
 
Die Gerichtsschreiberin: Binz
 
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