BGer 1B_22/2018 | |||
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BGer 1B_22/2018 vom 30.01.2018 |
1B_22/2018 |
Urteil vom 30. Januar 2018 |
I. öffentlich-rechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Merkli, Präsident,
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Bundesrichter Karlen, Chaix,
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Gerichtsschreiber Störi.
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Verfahrensbeteiligte | |
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau,
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Zürcherstrasse 323, 8510 Frauenfeld,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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A.________,
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Beschwerdegegner,
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vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jürg Krumm.
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Gegenstand
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Haft,
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Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts des Kantons Thurgau, Präsident, vom 15. Dezember 2017 (PO.2017.18).
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Sachverhalt: | |
A. Das Obergericht des Kantons Thurgau verurteilte A.________ am 9. August 2017 als Berufungsinstanz wegen mehrfacher Vergewaltigung, mehrfacher Förderung der Prostitution, versuchter Erpressung und Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von sechseinhalb Jahren, unter Anrechnung der erstandenen Untersuchungs- und Sicherheitshaft bzw. des vorzeitigen Strafvollzugs. Das begründete Urteil wurde am 17. November 2017 verschickt.
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Am 15. Dezember 2017 verfügte der Präsident des Obergerichts des Kantons Thurgau die bedingte Entlassung von A.________ per 24. Januar 2018 aus dem Strafvollzug, unter Anordnung einer Probezeit von vier Jahren.
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B. Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt der Generalstaatsanwalt des Kantons Thurgau, diesen Entscheid aufzuheben, die bedingte Entlassung zu verweigern und A.________ im Strafvollzug zu belassen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersucht er, der Beschwerde im Sinne einer vorsorglichen Massnahme aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und den Strafvollzug für die Dauer des bundesgerichtlichen Verfahrens fortzusetzen.
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C. A.________ beantragt in seiner Vernehmlassung, sowohl das Gesuch um aufschiebende Wirkung als auch die Beschwerde abzuweisen. Er legt eine "Interne Mitteilung" der Justizvollzugsanstalt Pöschwies ins Recht, mit der diese A.________ informiert, der Obergerichtsentscheid werde erst am 8. Februar 2018 rechtskräftig, weshalb er am 24. Januar 2018 nicht entlassen werde, sondern im Vollzug zu bleiben habe. Nach Einholung der Rechtskraftbescheinigung werde er dann über den Übertritt in die Ausschaffungshaft informiert. A.________ rügt, dieses Vorgehen zur Verhinderung seiner Entlassung sei unhaltbar und ungesetzlich.
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Der Obergerichtspräsident beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
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Erwägungen: | |
1. Angefochten ist der kantonal letztinstanzliche Haftentscheid des Obergerichtspräsidenten. Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen nach den Art. 78 ff. BGG gegeben, und der Generalstaatsanwalt ist befugt, sie zu erheben (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 3 BGG). Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde eingetreten werden kann.
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2. Mit dem angefochtenen Entscheid hat der Präsident des Obergerichts den Beschwerdegegner auf dessen Gesuch vom 28. September 2017 hin bedingt aus dem Strafvollzug entlassen, unter Anordnung einer Probezeit von vier Jahren.
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Der Generalstaatsanwalt macht geltend, nach Art. 86 Abs. 1 StGB könne die zuständige Behörde einen Gefangenen nach Verbüssung von zwei Dritteln der Strafe bedingt entlassen. Nach § 4 Abs. 1 der Justizvollzugsverordnung des Kantons Thurgau seien die Vollzugsbehörden zuständig für sämtliche Entscheide im Bereich des Straf- und Massnahmenvollzugs, die nicht kraft kantonalen Rechts oder Bundesrechts einer gerichtlichen Instanz zugewiesen seien. Das sei vorliegend nicht der Fall, der Präsident des Obergerichts als Verfahrensleiter des Berufungsgerichts sei mithin für eine bedingte Entlassung des Beschwerdegegners nicht zuständig gewesen, weshalb der angefochtene Entscheid wegen Verletzung von Art. 86 Abs. 1 StGB aufzuheben sei.
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3. Unbestritten ist, dass die Frist für die Anfechtung des Berufungsurteils vom 9. August 2017 "im Januar 2018" abgelaufen ist, der angefochtene Entscheid vom 15. Dezember 2017 mithin vor der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdegegners erging. Der Präsident des Obergerichts war damit nach Art. 233 StPO als Verfahrensleiter des Berufungsgerichts befugt, über die Fortführung der Sicherheitshaft bzw. die Entlassung des Beschwerdegegners daraus zu befinden. Dass sich dieser im vorzeitigen Strafvollzug befand, ändert daran nichts (BGE 143 IV 160 E. 3.2; Urteil 1B_116/2013 vom 12. April 2013 E. 2.1). Der Obergerichtspräsident hat das Entlassungsgesuch zwar fälschlicherweise unter dem Gesichtspunkt einer bedingten Entlassung nach Verbüssung von zwei Dritteln der Strafe geprüft: dazu war er nicht zuständig, und diese Frage stellte sich auch nicht, da der Beschwerdegegner noch nicht rechtskräftig verurteilt war und seine Strafe dementsprechend noch gar nicht (definitiv) angetreten hatte. Wie der Obergerichtspräsident in seiner Vernehmlassung darlegt, hat er indessen implizit auch die Haftgründe geprüft, denn das Vorliegen von Haftgründen im Sinn von Art. 221 StPO würde auch einer bedingten Entlassung entgegenstehen. Somit trifft im Ergebnis nicht zu, dass die Entlassung des Beschwerdegegners von einem unzuständigen Richter angeordnet wurde, die Beschwerde ist insoweit unbegründet und abzuweisen. Was sich daraus für die weiteren Vollzugsfragen ergibt, werden die zuständigen kantonalen Straf- bzw. Vollzugsbehörden zu entscheiden haben.
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4. Die Beschwerde wird abgewiesen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens werden keine Kosten erhoben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Hingegen hat die Generalstaatsanwaltschaft dem Beschwerdegegner eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
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2. Es werden keine Kosten erhoben.
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3. Die Generalstaatsanwaltschaft hat dem Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 500.-- zu bezahlen.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau, Präsident, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 30. Januar 2018
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Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Merkli
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Der Gerichtsschreiber: Störi
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