BGer 6B_118/2020 | |||
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BGer 6B_118/2020 vom 02.09.2020 |
6B_118/2020 |
Urteil vom 2. September 2020 |
Strafrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Denys, Präsident,
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Bundesrichter Muschietti,
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Bundesrichterin Koch,
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Gerichtsschreiberin Bianchi.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Fabian Spühler,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Landesverweisung,
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Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 8. November 2019 (SB190329-O/U/ad-cs).
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Sachverhalt: | |
A. A.________ hat von Februar 2015 bis zum 20. Februar 2018 über 17'000 Bilder und Filme mit kinderpornografischem Inhalt heruntergeladen, gespeichert, konsumiert und anderen zugänglich gemacht. Insbesondere ermöglichte er dem verdeckten Vorermittler der Bundeskriminalpolizei am 24. Oktober 2017 den Download von 37 Dateien, welche tatsächliche sexuelle Handlungen mit Minderjährigen zum Inhalt hatten.
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B. Das Bezirksgericht Zürich sprach A.________ mit Urteil vom 4. April 2019 der mehrfachen Pornografie im Sinne von Art. 197 Abs. 4 und Abs. 5 StGB schuldig und bestrafte ihn mit 32 Monaten Freiheitsstrafe. Es ordnete eine vollzugsbegleitende ambulante Behandlung im Sinne von Art. 63 StGB an und verwies A.________ im Sinne von Art. 66a StGB für sieben Jahre des Landes.
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C. Am 8. November 2019 stellte das Obergericht Zürich fest, dass der Schuldspruch wegen mehrfacher Pornografie im Sinne von Art. 197 Abs. 4 und 5 StGB in Rechtskraft erwachsen ist und verurteilte A.________ zu 24 Monaten Freiheitsstrafe. Den Vollzug der Freiheitsstrafe schob es zum Zweck der ambulanten Behandlung auf. Es verwies A.________ im Sinne von Art. 66a StGB für fünf Jahre des Landes.
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D. A.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, von einer Landesverweisung sei abzusehen.
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Erwägungen: |
1. | |
1.1. Der Beschwerdeführer beanstandet die Landesverweisung.
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1.2. | |
1.2.1. Das Gericht verweist den Ausländer, der wegen Pornografie im Sinne von Art. 197 Abs. 4 zweiter Satz StGB verurteilt wird, unabhängig von der Höhe der Strafe für 5-15 Jahre aus der Schweiz (Art. 66a Abs. 1 lit. h StGB). Die obligatorische Landesverweisung wegen einer Katalogtat im Sinne von Art. 66a Abs. 1 StGB greift grundsätzlich unabhängig von der konkreten Tatschwere (BGE 146 IV 105 E. 3.4.1; 144 IV 332 E. 3.1.3). Sie muss zudem unabhängig davon ausgesprochen werden, ob es beim Versuch geblieben ist und ob die Strafe bedingt, unbedingt oder teilbedingt ausfällt (BGE 146 IV 105 E. 3.4.1; 144 IV 168 E. 1.4.1; Urteil 6B_560/2020 vom 17. August 2020 E. 1.1.1).
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Von der Anordnung der Landesverweisung kann nur "ausnahmsweise" unter den kumulativen Voraussetzungen abgesehen werden, dass sie (1.) einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde und (2.) die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung gegenüber den privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen. Dabei ist der besonderen Situation von Ausländern Rechnung zu tragen, die in der Schweiz geboren oder aufgewachsen sind (Art. 66a Abs. 2 StGB; sog. Härtefallklausel). Die Härtefallklausel dient der Umsetzung des Verhältnismässigkeitsprinzips (vgl. Art. 5 Abs. 2 BV; BGE 146 IV 105 E. 3.4.2; 144 IV 332 E. 3.1.2; je mit Hinweisen). Sie ist restriktiv anzuwenden (BGE 146 IV 105 E. 3.4.2; 144 IV 332 E. 3.3.1). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung lässt sich zur kriteriengeleiteten Prüfung des Härtefalls im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB der Kriterienkatalog der Bestimmung über den "schwerwiegenden persönlichen Härtefall" in Art. 31 Abs. 1 der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE; SR 142.201) heranziehen (BGE 146 IV 105 E. 3.4.2; 144 IV 332 E. 3.3.2).
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Art. 66a StGB ist EMRK-konform auszulegen. Die Interessenabwägung im Rahmen der Härtefallklausel von Art. 66a Abs. 2 StGB hat sich daher an der Verhältnismässigkeitsprüfung nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK zu orientieren (BGE 145 IV 161 E. 3.4 S. 166 f.; Urteile 6B_396/2020 vom 11. August 2020 E. 2.4.4; 6B_1070/2018 vom 14. August 2019 E. 6.3.4 mit Hinweisen).
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1.2.2. Das durch Art. 13 BV bzw. Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Familienlebens ist berührt, wenn eine staatliche Entfernungs- oder Fernhaltemassnahme eine nahe, echte und tatsächlich gelebte familiäre Beziehung einer in der Schweiz gefestigt anwesenheitsberechtigten Person beeinträchtigt, ohne dass es dieser ohne Weiteres möglich bzw. zumutbar wäre, ihr Familienleben andernorts zu pflegen (BGE 144 I 266 E. 3.3 S. 272, 91 E. 4.2 S. 96 und E. 5.1 S. 96 f.; 144 II 1 E. 6.1 S. 12; Urteil 6B_396/2020 vom 11. August 2020 E. 2.4.3). Zum geschützten Familienkreis gehört in erster Linie die Kernfamilie, d.h. die Gemeinschaft der Ehegatten mit ihren minderjährigen Kindern (BGE 145 I 227 E. 5.3 S. 233; 144 II 1 E. 6.1 S. 12; Urteil 6B_396/2020 vom 11. August 2020 E. 2.4.3). In den Schutzbereich von Art. 8 EMRK fallen aber auch andere familiäre Verhältnisse, sofern eine genügend nahe, echte und tatsächlich gelebte Beziehung besteht (BGE 144 II 1 E. 6.1 S. 12 mit Hinweisen).
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1.3. Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer lebe seit 17 Jahren in der Schweiz. Er habe eine Arbeit und seine engeren Familienangehörigen, namentlich seine Mutter, lebten in der Schweiz. Mit seinen 31 Jahren sei es dem Beschwerdeführer jedoch zuzumuten, sich in Bolivien eine Existenz aufzubauen. Er habe die prägenden Kindheits- und Jugendjahre dort verbracht und sei daher sowohl mit der Landessprache als auch mit den Gepflogenheiten des Landes vertraut. Auch wenn keine seiner Schwestern mehr in Bolivien leben sollte, bestünden dort Kontakte zu ehemaligen Schulkollegen. Diese habe er bei seinem letzten Aufenthalt in Bolivien im Jahr 2016 getroffen und sie könnten ihm bei der Wiedereingliederung behilflich sein. Er verfüge über eine reichhaltige Berufserfahrung in der Gastronomie, welche ihm eine angemessene Berufsausübung ermögliche. Ein Neuanfang in Bolivien werde zweifellos erhebliche persönliche Einschränkungen für den Beschwerdeführer mit sich bringen, zumal dieser nun eine Freundin in der Schweiz habe und der Kontakt zu seiner Mutter und seinem kleinen Freundeskreis in der Schweiz eingeschränkt werde. Das starke öffentliche Interesse, dass der Beschwerdeführer in der Schweiz keine Delikte mehr begehen werde, überwiege jedoch das persönliche Interesse am Verbleib in der Schweiz deutlich.
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1.4. Was der Beschwerdeführer vorbringt, vermag die vorinstanzlichen Erwägungen nicht in Frage zu stellen. Der Beschwerdeführer weist darauf hin, als Kind zwei Jahre in der Schweiz verbracht zu haben (mit vier und acht Jahren) und seit seinem 14. Lebensjahr in der Schweiz zu leben. Ob ein Härtefall vorliegt, entscheidet sich weder anhand von starren Altersvorgaben, noch führt eine bestimmte Anwesenheitsdauer automatisch zur Annahme eines Härtefalls (BGE 146 IV 105 E. 3.4). So hat das Bundesgericht das Vorliegen eines Härtefalls für einen chilenischen Staatsangehörigen, der im Alter von 13 Jahren in die Schweiz kam und unterdurchschnittlich bis normal integriert war, verneint (vgl. BGE 146 IV 105 E. 3.5). Zu prüfen bleiben die weiteren Integrationskriterien. Unter Berücksichtigung der guten Deutschkenntnisse, Arbeitstätigkeit und fehlenden Straffälligkeit ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer sich während seines 17-jährigen Aufenthalts in der Schweiz grundsätzlich gut integriert hat. Der Beschwerdeführer kann sich indes weder auf den Schutz einer Kernfamilie berufen, noch legt er dar, dass zu seinen in der Schweiz lebenden Familienangehörigen, insbesondere seiner Mutter, ein über die üblichen familiären Beziehungen bzw. emotionalen Bindungen hinausgehendes, besonderes Abhängigkeitsverhältnis besteht (vgl. oben E. 1.2.2).
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Nichts für sich ableiten kann der Beschwerdeführer aus seinem Hinweis auf das Urteil 6B_48/2019 vom 9. August 2019 E. 2.6, wonach ab einer zehnjährigen Aufenthaltsdauer regelmässig davon auszugehen sei, dass die sozialen Beziehungen im betreffenden Land so eng geworden seien, dass es für eine Aufenthaltsbeendigung besonderer Gründe bedürfe. Nach dem Willen des Gesetzgebers ist ein derartiger Grund in der begangenen Katalogstraftat im Sinne von Art. 66a Abs. 1 StGB zu erkennen (vgl. Urteil 6B_627/2018 vom 22. März 2019 E. 1.4).
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Im Übrigen waren bei der vorinstanzlichen Verneinung des Härtefalls die intakten Wiedereingliederungschancen in Bolivien ausschlaggebend. Die Vorinstanz hat in diesem Zusammenhang zurecht das Alter des Beschwerdeführers sowie seine Sprachkenntnisse und Berufserfahrung berücksichtigt. Betreffend die vorinstanzlichen Erwägungen zu seinem sozialen Netz in Bolivien wendet der Beschwerdeführer ein, keinen vertieften Kontakt mit seinen ehemaligen Schulfreunden in Bolivien zu haben. Diesbezüglich von Bedeutung ist, dass zumindest ein gewisses Beziehungsnetz im Zielland vorhanden ist. Dass die Wirtschaftslage im Zielland schwieriger als in der Schweiz ist, vermag die strafrechtliche Landesverweisung nicht zu hindern (Urteil 6B_1314/2019 vom 9. März 2020 E. 2.3 mit Hinweisen). Ein schwerer persönlicher Härtefall im Sinne der ersten Voraussetzung von Art. 66a Abs. 2 StGB ist zu verneinen.
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1.5. Der Beschwerdeführer macht ferner geltend, die Anordnung der Landesverweisung verletze sein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK. Berührt die Landesverweisung Gewährleistungen von Art. 8 Ziff. 1 EMRK, sind die Voraussetzungen von Art. 8 Ziff. 2 EMRK, insbesondere die Verhältnismässigkeit der Massnahme, zu prüfen (BGE 146 IV 106 E. 4.2 mit Hinweisen). Bezüglich der persönlichen Situation des Beschwerdeführers ist auf das bereits Ausgeführte zu verweisen (oben E. 1.4). Betreffend das öffentliche Interesse wesentlich ist, dass gemäss vorinstanzlichen Erwägungen von einem sehr hohen Rückfallrisiko für gleichartige Tathandlungen (illegale Pornografie) sowie von einem kurzfristig geringen und mittel- und langfristig eindeutig erhöhten Risiko für ein sog. «Hands-on-Delikt», d.h. einer sexuellen Handlung mit einem Kind, auszugehen ist. Das öffentliche Interesse an der Verhinderung von derartigen Tathandlungen ist äusserst stark zu gewichten. Der Beschwerdeführer wendet ein, aufgrund des gemäss psychiatrischem Gutachten erfolgsversprechenden Behandlungsansatzes sowie seiner Resozialisierungschancen sei das öffentliche Interesse an der Landesverweisung zu relativieren. Die mit einer gewissen Unsicherheit behafteten Behandlungschancen sowie seine Resozialisierungschancen vermögen vor dem Hintergrund der eindeutig negativen Legalprognose indes nicht zu genügen, um das starke öffentliche Interesse an der Verhinderung erneuter einschlägiger Tathandlungen massgebend zu mindern. Die Vorinstanz ist zurecht zum Schluss gekommen, dass das öffentliche Interesse an der Landesverweisung das private Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib in der Schweiz überwiegt. Demnach verletzt die Landesverweisung weder Art. 66a Abs. 2 StGB noch Art. 8 EMRK.
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2. Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang trägt der Beschwerdeführer die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
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3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 2. September 2020
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Denys
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Die Gerichtsschreiberin: Bianchi
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