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Informationen zum Dokument  BGer 2C_810/2020  Materielle Begründung
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BGer 2C_810/2020 vom 18.11.2020
 
 
2C_810/2020
 
 
Urteil vom 18. November 2020
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Seiler, Präsident,
 
Bundesrichterin Aubry Girardin,
 
Bundesrichter Beusch,
 
Gerichtsschreiber König.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Urs Bertschinger,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Migrationsamt des Kantons St. Gallen, Oberer Graben 38, 9001 St. Gallen,
 
Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen,
 
Oberer Graben 32, 9001 St. Gallen.
 
Gegenstand
 
Erlöschen der Niederlassungsbewilligung, Nichterteilung einer Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen, Abteilung II, vom 13. August 2020 (B 2020/48).
 
 
Erwägungen:
 
1. 
 
1.1. A.________ (geb. 1951) stammt aus Deutschland. Sie kam am 1. August 2007 in die Schweiz und erhielt (im Kanton Thurgau) am 7. September 2007 eine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA zwecks Familiennachzuges zu ihrem damaligen Ehemann. Am 2. August 2012 wurde ihr (im Kanton St. Gallen) die Niederlassungsbewilligung EU/EFTA zwecks Erwerbsaufenthaltes erteilt.
 
1.2. Nachdem A.________ am 26. Juli 2017 in V.________/SG ein Gesuch um Bewilligungsverlängerung bzw. ein Gesuch um Verlängerung der Kontrollfrist eingereicht hatte, stellte das Migrationsamt des Kantons St. Gallen mit Verfügung vom 11. Juni 2018 fest, dass die Niederlassungsbewilligung von A.________ erloschen sei. Das Migrationsamt verweigerte sodann A.________ die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA und wies sie aus der Schweiz weg. Zur Begründung führte das Migrationsamt aus, A.________ habe seit Februar 2016 gar keinen Wohnsitz mehr in der Schweiz gehabt, weil sie ihren Lebensmittelpunkt nach U.________ (AT) verlegt habe. Weil sie sich bis zu einer erneuten, am 26. Juli 2017 erfolgten Anmeldung in V.________/SG mehr als sechs Monate im Ausland aufgehalten habe, sei die Niederlassungsbewilligung von Gesetzes wegen erloschen. Eine neue Aufenthaltsbewilligung könne ihr nicht erteilt werden, weil sie in strafrechtlicher und finanzieller Hinsicht zu erheblichen Klagen Anlass gegeben habe und mit ihren (Alters-) Renten offenkundig ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten könne. Die hiergegen erhobenen kantonalen Rechtsmittel blieben ohne Erfolg (Entscheid des Sicherheits- und Justizdepartements des Kantons St. Gallen vom 19. Februar 2020, Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 13. August 2020).
 
1.3. A.________ erhob am 28. September 2020 Beschwerde an das Bundesgericht und beantragt sinngemäss, unter Aufhebung des Entscheids des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 13. August 2020 sei festzustellen, dass ihre Niederlassungsbewilligung EU/EFTA nicht erloschen sei. Eventualiter beantragt A.________, unter Aufhebung dieses Entscheids sei die Sache zur Neubeurteilung an das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen zurückzuweisen. A.________ stellt ferner ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege bzw. ein Gesuch um Erlass der Verfahrenskosten wegen Bedürftigkeit.
 
Das Bundesgericht holte die vorinstanzlichen Akten ein. Mit Präsidialverfügung vom 30. September 2020 erteilte es der Beschwerde antragsgemäss aufschiebende Wirkung. Auf weitere Instruktionsmassnahmen verzichtete das Bundesgericht.
 
 
2.
 
2.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen einen kantonal letztinstanzlichen Endentscheid betreffend den Widerruf oder die Feststellung des Erlöschens der Niederlassungsbewilligung ist zulässig, da auf den Fortbestand dieser Bewilligung ein Rechtsanspruch besteht (BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4; Art. 82 lit. a, Art. 83 lit. c Ziff. 2 e contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 sowie Art. 90 BGG).
 
2.2. Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 und 96 BGG geltend gemacht werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Für eine entsprechende Rüge gilt eine qualifizierte Rüge- und Substanziierungspflicht; auf rein appellatorische Kritik an der Sachverhaltsfeststellung geht das Gericht nicht ein (BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266; 139 II 404 E. 10.1 S. 444 f.).
 
Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur soweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).
 
3. Nach Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG haben die Rechtsschriften an das Bundesgericht die Begehren und deren Begründung zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzutun, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Die Begründung muss sachbezogen sein, d.h. den Gegenstand des angefochtenen Entscheids betreffen. Es ist dabei in gezielter Form auf die für das Ergebnis des Verfahrens massgeblichen Ausführungen der Vorinstanz im Einzelnen einzugehen (BGE 134 II 244 E. 2.1-2.3).
 
Soweit die Beschwerdeführerin (wie in Bezug auf ihre Stellensuche als angeblichen Grund für die Begründung eines "Nebenwohnsitzes" in U.________
 
4. [AT] oder hinsichtlich der Würdigung eines aktenkundigen Beschlusses des Landesgerichtes X.________ [AT] vom 21. März 2018) lediglich wiederholt, was sie bereits vor dem Verwaltungsgericht ausgeführt hat, und sich mit dessen Überlegungen nicht weiter auseinandersetzt bzw. nicht darlegt, inwiefern das angefochtene Urteil gegen Bundesrecht verstossen oder die einschlägige bundesgerichtliche Praxis verkennen würde, ist auf ihre Ausführungen nicht weiter einzugehen. Eine den Begründungsanforderungen genügende sachbezogene Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Entscheid fehlt vorliegend insbesondere auch insoweit, als die Beschwerdeführerin geltend macht, die Vorinstanz habe das rechtliche Gehör verletzt, indem sie auf beantragte Befragungen von B.________ und des Ex-Ehemannes der Beschwerdeführerin verzichtet habe. Die Vorinstanz hat im angefochtenen Entscheid detailliert dargelegt, weshalb aus ihrer Sicht in antizipierter Beweiswürdigung von der Durchführung dieser Befragungen abgesehen werden kann (E. 2.8 Abs. 2 des angefochtenen Urteils; vgl. zur antizipierten Beweiswürdigung auch BGE 141 I 60 E. 3.3 S. 64 mit Hinweis). Darauf geht die Beschwerdeführerin in ihrer Rechtsschrift an das Bundesgericht auch nicht ansatzweise ein.
 
Soweit die Beschwerdeführerin neue Beweisanträge stellt und begründet, stellen ihre Vorbringen unzulässige Noven dar (vgl. Art. 99 Abs. 1 BGG). Als unechtes Novum nicht zu berücksichtigen ist auch die in der Beschwerde neu aufgestellte Behauptung, die Beschwerdeführerin sei über eine beim Einwohneramt W.________/TG hinterlegte Telefonnummer jederzeit erreichbar gewesen, wird doch in der Beschwerde nicht dargelegt, weshalb erst der angefochtene Entscheid dazu Anlass gegeben haben soll, sich auf diese Tatsache zu berufen (vgl. Art. 99 Abs. 1 BGG).
 
 
5.
 
Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie sei "zu keinem Zeitpunkt zum angeblichen Verlassen von W.________[/TG] ins Ausland persönlich angehört worden". Die damit erhobene Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verfängt nicht:
 
Die Beschwerdeführerin hatte jedenfalls im Verfahren vor der Vorinstanz ausreichend Gelegenheit, zur Frage des Wegzuges ins Ausland Stellung zu nehmen. Anders als die Beschwerdeführerin suggeriert, verleiht der Anspruch auf rechtliches Gehör auch kein Recht auf mündliche Stellungnahme (vgl. BGE 130 II 425 E. 2.1 S. 428).
 
Die im angefochtenen Entscheid erwähnte, rückwirkend per 29. Februar 2016 aufgrund Wegzuges ins Ausland erfolgte Löschung der Beschwerdeführerin im Einwohnerregister W.________/TG wäre sodann infolge einer allfälligen, vom Einwohneramt W.________/TG begangenen Gehörsverletzung nur dann unbeachtlich, wenn die Löschung aufgrund eines entsprechenden Verfahrensfehlers nichtig wäre. Eine nichtigkeitsbegründende Gehörsverletzung durch das Einwohneramt W.________/TG ist aber nicht ersichtlich, zumal die Beschwerdeführerin sich in diesem Kontext einzig auf den (gemäss E. 3 hiervor) als nicht bewiesen zu erachtenden Umstand stützt, dass sie für dieses Amt jederzeit telefonisch erreichbar gewesen sei.
 
 
6.
 
Die Beschwerdeführerin macht weiter geltend, die Vorinstanz habe den Sachverhalt "unrichtig festgestellt", indem sie ausser Acht gelassen habe, dass die Beschwerdeführerin nach einem Zusammenbruch im April 2016 während drei Monaten in der Schweiz hospitalisiert gewesen sei und in der zweiten Hälfte des Jahres 2016 sowie im Frühjahr 2017 durchschnittlich zwei Mal pro Woche das Universitätsspital Y.________ für Untersuchungen habe aufsuchen müssen (Beschwerde, S. 6).
 
Die Vorinstanz stellte im angefochtenen Entscheid fest, dass sich die Beschwerdeführerin von April bis Juni 2016 in stationärer medizinischer Behandlung im Kanton Thurgau befunden habe. Im Juli und August 2016 habe die Beschwerdeführerin drei bzw. fünf Untersuchungstermine pro Monat in der Schweiz wahrnehmen und danach bis Ende Februar 2017 einmal monatlich (ausser im Dezember 2016 mit einer Hospitalisierung vom 1. bis 2. Dezember 2016 und einem weiteren Termin) ein Spital in der Schweiz aufsuchen müssen (E. 2.6 und E. 2.9 des angefochtenen Urteils). Das hiervor genannte Vorbringen der Beschwerdeführerin genügt den qualifizierten Anforderungen an die Rüge der offensichtlich unrichtigen Sachverhaltsfeststellungen (E. 2 hiervor) nicht, zeigt die Beschwerdeführerin doch nicht auf, inwiefern die Vorinstanz die erwähnten Feststellungen im angefochtenen Urteil offensichtlich unrichtigerweise, d.h. willkürlich (vgl. Art. 9 BV) getroffen hätte, indem sie den Sinn und die Tragweite eines Beweismittels offensichtlich verkannt, ohne sachlichen Grund ein wichtiges und entscheidwesentliches Beweismittel unberücksichtigt gelassen oder auf Grundlage der festgestellten Tatsachen unhaltbare Schlussfolgerungen gezogen hat (vgl. BGE 137 III 226 E. 4.2 S. 234; 136 III 552 ​E. 4.2 S. 560). Es bleibt daher beim Sachverhalt, wie er im angefochtenen Urteil verbindlich festgestellt worden ist (vgl. Art. 105 Abs. 1 BGG).
 
7. Die Vorinstanz hat in bundes- und völkerrechtskonformer Weise ausgeführt, dass die Niederlassungsbewilligung EU/EFTA der Beschwerdeführerin gemäss Art. 61 Abs. 2 Satz 1 AuG infolge sechsmonatigen Auslandsaufenthaltes ohne Abmeldung erloschen sei (zur intertemporalrechtlichen Anwendbarkeit des AuG vgl. Art. 126 Abs. 1 AIG [SR 142.20]; zu Art. 61 Abs. 2 Satz 1 AuG vgl. Urteil 2C_220/2019 vom 11. Februar 2020 E. 4.2 mit Hinweisen) und ein freizügigkeitsrechtlicher Anspruch auf Aufenthalt in der Schweiz der hierzulande nicht (mehr) erwerbstätigen Beschwerdeführerin im Sinne von Art. 24 Anhang I FZA (SR 0.142.112.681) ausser Betracht falle, weil sie - namentlich aufgrund von Schulden von ca. Fr. 400'000.-- - nicht über die für ihren Unterhalt ausreichenden finanziellen Mittel verfügt (E. 2 und E. 3 des angefochtenen Urteils; zur Voraussetzung der ausreichenden finanziellen Mittel vgl. auch BGE 142 II 35 E. 5.1 S. 43; 135 II 265 E. 3.6 S. 272).
 
Die mit Blick auf das Gesagte offensichtlich unbegründete Beschwerde ist im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG - ohne Durchführung eines Schriftenwechsels, mit summarischer Begründung und unter Verweis auf den kantonalen Entscheid (Art. 102 Abs. 1 und Art. 109 Abs. 3 BGG) - abzuweisen, soweit darauf überhaupt einzutreten ist.
 
 
8.
 
Die vorliegende Beschwerde muss als von vornherein aussichtslos bezeichnet werden, so dass das vor dem Bundesgericht gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen ist (Art. 64 Abs. 1 BGG). Die unterliegende Beschwerdeführerin trägt die reduzierten Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG). Es sind keine Parteientschädigungen geschuldet (vgl. Art. 68 Abs. 3 BGG).
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (bzw. Erlass der Verfahrenskosten) wird abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen, Abteilung II, und dem Staatssekretariat für Migration (SEM) schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 18. November 2020
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Seiler
 
Der Gerichtsschreiber: König
 
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