BGer 6B_728/2021 | |||
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BGer 6B_728/2021 vom 06.10.2021 | |
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6B_728/2021 |
Urteil vom 6. Oktober 2021 |
Strafrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
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Bundesrichter Denys,
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Bundesrichterin Koch,
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Gerichtsschreiber Briw.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.________,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, Bahnhofstrasse 29, 8200 Schaffhausen,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Verspätete Einsprache gegen Strafbefehl,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 11. Mai 2021 (51/2020/41).
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Sachverhalt: | |
A.
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Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen bestrafte A.________ mit Strafbefehl vom 14. September 2018 wegen Diebstahls, mehrfachen geringfügigen Diebstahls und Hinderung einer Amtshandlung mit einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu Fr. 30.--, bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit von 2 Jahren, sowie mit einer Busse von Fr. 900.-- (ersatzweise 9 Tage Freiheitsstrafe). A.________ erhob am 24. September 2018 fristgerecht Einsprache.
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Die Staatsanwaltschaft erliess nach ergänzter Untersuchung am 9. September 2019 eine Teil-Einstellungsverfügung betreffend den Vorwurf der Hinderung einer Amtshandlung und einen neuen Strafbefehl betreffend Diebstahl und mehrfachen geringfügigen Diebstahl. A.________ erhob am 7. Oktober 2019 Einsprache.
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Die Staatsanwaltschaft überwies den Strafbefehl am 7. Januar 2020 ans Kantonsgericht Schaffhausen.
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B.
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Das Kantonsgericht trat mit Verfügung vom 2. Juli 2020 auf die gegen den Strafbefehl vom 9. September 2019 erhobene Einsprache nicht ein und stellte fest, dass der Strafbefehl in Rechtskraft erwachsen sei. A.________ erhob Beschwerde.
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Das Obergericht des Kantons Schaffhausen wies die Beschwerde am 11. Mai 2021 ab.
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C.
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A.________ erhebt beim Bundesgericht "Einsprache" gegen den vorinstanzlichen Entscheid und beantragt die unentgeltliche Rechtspflege.
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Erwägungen: |
1. | |
1.1. Die falsche Bezeichnung des Rechtsmittels schadet nicht. Die "Einsprache" ist als Beschwerde in Strafsachen entgegenzunehmen (Art. 78 ff. des Bundesgerichtsgesetzes [BGG; SR 173.110]). Die Beschwerdeführerin ist durch den vorinstanzlichen Entscheid beschwert und damit zur Beschwerde berechtigt (Art. 81 Abs. 1 lit. a und lit. b Ziff. 1 BGG).
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1.2. Rechtsschriften haben ein Begehren zu enthalten (Art. 42 Abs. 1 BGG). Ein Begehren ohne Antrag in der Sache reicht aus, wenn sich aus der Begründung zweifelsfrei ergibt, was mit der Beschwerde angestrebt wird (Urteil 6B_166/2021 vom 8. September 2021 E. 1). Aus der Begründung, die zur Interpretation des Rechtsbegehrens herangezogen werden kann, ergibt sich, was mit der Beschwerde in der Sache angestrebt wird. Die Beschwerde ist zulässig (BGE 136 V 131 E. 1.2; Urteil 6B_205/2020 vom 5. Februar 2021 E. 1).
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1.3. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG). Die Begründung muss sich mit dem angefochtenen Entscheid auseinandersetzen (BGE 140 III 115 E. 2). Aufgrund einer bei Laienbeschwerden üblichen wohlwollenden Betrachtungsweise (Urteil 6B_1066/2019 vom 4. Dezember 2019 E. 2.2; vgl. aber auch Urteil 6B_1417/2020 vom 25. März 2021 E. 4) ist auf die Beschwerde einzutreten. Soweit indes eine Rechtsverletzung nicht geradezu offensichtlich erscheint, ist das Bundesgericht nicht gehalten, wie ein erstinstanzliches Gericht, alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu prüfen, wenn diese vor Bundesgericht nicht vorgetragen werden (BGE 143 V 19 E. 2.3 S. 24). Es darf auch von Laien erwartet werden, auf die vorinstanzliche Begründung konkret einzugehen (Urteile 6B_1039/2020 vom 20. April 2021 E. 1.5; 8C_219/2021 vom 22. März 2021).
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1.4. Die Beschwerde ist nur im Rahmen des Streitgegenstands zulässig. Dieser wird durch den Gegenstand des angefochtenen Entscheids und die Parteibegehren bestimmt, wobei der angefochtene Entscheid den möglichen Streitgegenstand begrenzt (BGE 142 I 155 E. 4.4.2; 133 II 181 E. 3.3). Neue Begehren sind unzulässig (Art. 99 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 143 V 19 E. 1). Auf ausserhalb des Streitgegenstands liegende Anträge, Rügen und weitere Vorbringen der Beschwerdeführerin kann daher von vornherein nicht eingetreten werden (Urteil 6B_1285/2019 vom 22. Dezember 2020 E. 2.1).
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1.5. Streitgegenstand ist einzig die fragliche rechtzeitige Einsprache gegen den zweiten Strafbefehl vom 9. September 2019. Im Übrigen ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Soweit die Beschwerdeführerin sich wünscht, dass das Gericht auf den sachlichen Inhalt des Strafbefehls eingeht und nicht juristische Spielchen mit Zustelldaten treibt, ist darauf hinzuweisen, dass ein Gericht auf die Sache nur eintreten kann, wenn es gesetzmässig mit der Sache befasst wird. Die 10-tägige Einsprachefrist ist gesetzlich bestimmt (Art. 354 Abs. 1 StPO) und kann von den Gerichten nicht abgeändert oder erstreckt werden (Art. 89 Abs. 1 StPO). Fristen, die durch eine Mitteilung ausgelöst werden, beginnen am folgenden Tag zu laufen (Art. 90 Abs. 1 StPO). Eingaben müssen spätestens am letzten Tag der Frist bei der Strafbehörde abgegeben oder zu deren Hand der Schweizerischen Post übergeben werden (Art. 91 Abs. 2 StPO). Eine eingeschriebene Postsendung, die nicht abgeholt worden ist, gilt am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als erfolgt, sofern die Person mit einer Zustellung rechnen musste (Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO).
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1.6. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es nimmt keine eigene Beweiswürdigung vor und hebt den angefochtenen Entscheid nur auf, wenn sich dieser als "offensichtlich unrichtig", d.h. als willkürlich, erweist und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 147 I 73 E. 2.2; 146 IV 88 E. 1.3.1; Urteil 6B_358/2020 vom 7. Juli 2021 E. 2.1 mit Hinweisen). Eine vorinstanzliche Willkür ist weder dargelegt noch ersichtlich.
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2. | |
2.1. Die Beschwerdeführerin bringt, wie bereits bei der Vorinstanz, im Wesentlichen vor, der Strafbefehl vom 9. September 2019 sei am 10. September 2019 nicht rechtsgültig zugestellt respektive abgeholt worden. Die Staatsanwaltschaft habe keinen hundertprozentigen Beweis, dass der Abholschein für sie zugänglich gewesen sei. Somit sei keine Frist ausgelöst worden, welche verpasst worden sei. Gegen einen neuen Strafbefehl, der im Grunde bloss ein auf Einsprache hin berichtigter Strafbefehl sei, müsse nicht erneut Einsprache geführt werden (mit Hinweis auf Urteil 6B_1321/2018 vom 26. September 2019, publ. in: BGE 145 IV 438).
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2.2. Für die Frage, ob ein zweiter Strafbefehl mit dem ersten identisch ist, ist auf den Schuldspruch sowie die Sanktion der Strafbefehle abzustellen (BGE 145 IV 438 E. 1.3.2). Wie die Vorinstanz feststellt, "korrigierte" die Staatsanwaltschaft den ersten Strafbefehl auf die Einsprache hin, indem sie das Verfahren wegen Hinderung einer Amtshandlung einstellte. Entsprechend fiel im zweiten Strafbefehl vom 9. September 2019 dieser Anklagepunkt dahin und wurde die Sanktion von 50 auf 30 Tagessätze reduziert. Es ging mithin nicht nur um eine
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2.3. Wie die Vorinstanz weiter feststellt, spedierte die Staatsanwaltschaft den zweiten Strafbefehl am 9. September 2019. Die Sendung wurde der Beschwerdeführerin am 10. September 2019 "zur Abholung gemeldet" mit der Benachrichtigung, dass eine Abholung bis 17. September 2019 möglich sei. Nachdem innert dieser 7-tägigen Frist keine Abholung erfolgt war, retournierte die Post die Sendung mit dem Vermerk "nicht abgeholt" an die Staatsanwaltschaft. Am. 1. Oktober 2019 stellte die Staatsanwaltschaft den Strafbefehl der Beschwerdeführerin mit normaler Sendung zu und wies sie darauf hin, dass damit die Rechtsmittelfrist nicht neu zu laufen beginne. Die Postaufgabe ihrer Einsprache erfolgte anschliessend am 7. Oktober 2019.
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Somit endete die 7-tägige Abholfrist am 17. September 2019 und galt der Strafbefehl an diesem Tag nach der Zustellfiktion von Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO als zugestellt. Selbst wenn die Staatsanwaltschaft den Strafbefehl sofort mittels normaler Post erneut zugestellt hätte, hätte die Beschwerdeführerin entgegen ihrem Vorbringen keine "Zeit für eine fristgerechte Einsprache gehabt", da diese Frist mit der Zustellfiktion am 17. September 2019 bereits abgelaufen war.
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2.4. Hinsichtlich der Abholungseinladung stellt die Vorinstanz fest, es gelte eine widerlegbare Vermutung, dass diese ordnungsgemäss in ihren Briefkasten gelegt worden sei. Den Gegenbeweis habe die Beschwerdeführerin nicht ansatzweise erbracht.
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Die Zustellfiktion ist eine der zahlreichen, für den geordneten Gang des Verfahrens notwendigen Fristenregelungen in der Form einer gesetzlichen Vermutung, die nicht absolut gilt, sondern tatsächlich widerlegbar ist, wobei die Behörde die Voraussetzungen der Fiktion beweisen muss und für den Gegenbeweis kein strikter Beweis erforderlich ist. Es ist lediglich eine überwiegende Wahrscheinlichkeit darzulegen (BGE 142 IV 201 E. 2.3; Urteile 6B_554/2020 vom 23. September 2020 E. 1.3.5; 6B_517/2021 vom 16. Juni 2021 E. 1.1.2). Diesen Gegenbeweis erbrachte die Beschwerdeführerin nicht.
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3.
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Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen Aussichtslosigkeit des Rechtsbegehrens abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Da eine Bedürftigkeit anzunehmen ist, sind die Gerichtskosten praxisgemäss herabzusetzen (Art. 66 Abs. 1 i.V.m. Art. 65 Abs. 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1.
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Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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2.
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Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
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3.
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Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
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4.
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Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 6. Oktober 2021
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
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Der Gerichtsschreiber: Briw
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