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Informationen zum Dokument  BGer 2C_722/2021  Materielle Begründung
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BGer 2C_722/2021 vom 25.10.2021
 
 
2C_722/2021
 
 
Urteil vom 25. Oktober 2021
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Seiler, Präsident,
 
Bundesrichter Donzallaz,
 
Bundesrichter Beusch,
 
Gerichtsschreiber Kocher.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Eidgenössische Steuerverwaltung,
 
Hauptabteilung Mehrwertsteuer,
 
Schwarztorstrasse 50, 3003 Bern.
 
Gegenstand
 
Mehrwertsteuer, Steuerperioden 2007-2015,
 
Beschwerde gegen die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung I, vom 10. August 2021
 
(A-1644/2021, A-1646/2021, A-1647/2021).
 
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1. A.________ (nachfolgend: der Steuerpflichtige) ist Inhaber eines Einzelunternehmens unter der Firma "B.________". Er ist in dem von der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) geführten Register der Mehrwertsteuerpflichtigen eingetragen. Am 28. November 2017 erliess die ESTV je einen Einspracheentscheid zu den Steuerperioden 2007 bis 2009 und 2010 bis 2011 sowie eine Verfügung zu den Steuerperioden 2012 bis 2015. Die Entscheide erwuchsen in Rechtskraft. Später machte der Steuerpflichtige geltend, die drei Einspracheentscheide seien nichtig. Mit neuen Einspracheentscheiden vom 26. Februar 2021 wies die ESTV die Einsprachen ab und stellte sie fest, dass keine Nichtigkeit vorliege.
 
 
1.2.
 
1.2.1. Der Steuerpflichtige erhob dagegen am 12. April 2021 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Dieses setzte dem Steuerpflichtigen mit drei Zwischenverfügungen vom 14. April 2021 in den Verfahren A-1644/2021, A-16464/2021 und A-1647/2021 Frist bis zum 5. Mai 2021 zur Leistung von Kostenvorschüssen in der Höhe von Fr. 1'500.--, Fr. 1'000.-- bzw. Fr. 2'000.--. Zugleich wies es das Gesuch um Sistierung der Verfahren ab.
 
1.2.2. Der Steuerpflichtige ersuchte am 21. April 2021 um die Erteilung des Rechts zur unentgeltlichen Rechtspflege, worauf das Bundesverwaltungsgericht mit Zwischenverfügung vom 27. April 2021 dem Steuerpflichtigen die laufenden Zahlungsfristen abnahm und ihn aufforderte, bis zum 18. Mai 2021 das Formular "Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege" auszufüllen und mit den nötigen Beweismitteln einzureichen. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht eine Eingabe des Steuerpflichtigen vom 29. April 2021 dahingehend gewürdigt hatte, dass der Steuerpflichtige das Gesuch um Erteilung des Rechts zur unentgeltlichen Rechtspflege zurückgezogen und um Ratenzahlung ersucht habe, forderte es ihn mit Zwischenverfügungen vom 5. Mai 2021 auf, die drei Kostenvorschüsse in jeweils drei Raten (pro Verfahren) bis zum 10. Mai, 5. Juni und 5. Juli 2021 zu erbringen. Für den Fall, dass auch nur eine einzige Rate nicht fristgerecht bezahlt werde, drohte das Bundesverwaltungsgericht für das betreffende Verfahren das Nichteintreten auf die Sache an.
 
1.2.3. Die ersten und zweiten Raten in den drei Verfahren leistete der Steuerpflichtige rechtzeitig. Die dritten Raten, die bis zum Montag, 5. Juli 2021 zu erbringen gewesen wären, gingen indes erst am 7. Juli 2021 beim Gericht ein. Im Rahmen des gewährten rechtlichen Gehörs führte der Steuerpflichtige am 15. Juli 2021 aus, dass sein Computer am 4. Juli 2021 "ausgestiegen" sei, weshalb die "Zahlungsdaten nicht mehr zugänglich" gewesen seien. Später reichte er eine Erklärung seines EDV-Betreuers ein, worin dieser bestätigte, dass der PC am 4. Juli 2021 "ausgestiegen" sei und aus zeitlichen Gründen erst am Abend des 9. Juli 2021 habe repariert werden können.
 
1.2.4. Das Bundesverwaltungsgericht nahm das Schreiben vom 15. Juli 2021 als sinngemässes Fristwiederherstellungsgesuch entgegen. Es führte aus, dass es dem Steuerpflichtigen offen gestanden wäre, noch im Verlauf des 5. Juli 2021 ein Fristersteckungsgesuch zu stellen und es ihm ohnehin zuzumuten gewesen wäre, die Raten rechtzeitig am Postschalter einzuzahlen. Weshalb ihm dies beides nicht möglich gewesen sei, bringe der Steuerpflichtige nicht vor, zumal er in der Lage gewesen sei, die Zahlung am 7. Juli vorzunehmen, obwohl der PC erst am 9. Juli 2021 repariert worden sei. Die Frist zur Leistung der dritten Raten sei damit unentschuldigt versäumt worden. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den früheren Stand seien nicht erfüllt. Entsprechend sei auf die Sache nicht einzutreten. Dem Steuerpflichtigen wurden Gerichtskosten von je Fr. 300.-- pro Verfahren auferlegt (Entscheide vom 10. August 2021 in den Verfahren A-1644/2021, A-1646/2021 und A-1647/2021).
 
1.3. Mit Eingabe vom 10. September 2021 erhebt der Steuerpflichtige beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Er beantragt, in Aufhebung der angefochtenen Entscheide sei auf die Sache einzutreten. Der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Während laufender Beschwerdefrist reicht er ein Schreiben vom 23. August 2021 nach, das ursprünglich an die Vorinstanz adressiert war und auf die Erteilung des Rechts zur unentgeltlichen Rechtspflege gerichtet ist.
 
1.4. Der Abteilungspräsident als Instruktionsrichter (Art. 32 Abs. 1 BGG) hat von einem Schriftenwechsel gemäss Art. 102 Abs. 1 BGG, abgesehen, aber die vorinstanzlichen Akten beigezogen.
 
2.
 
2.1. Die Voraussetzungen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 lit. a, Art. 83 e contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. a, Art. 89 Abs. 1, Art. 90 und Art. 100 Abs. 1 BGG sind gegeben.
 
2.2. Das Bundesgericht wendet das Bundesgesetzesrecht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG; BGE 146 IV 88 E. 1.3.2) und prüft es mit uneingeschränkter (voller) Kognition (Art. 95 lit. a BGG; BGE 145 I 239 E. 2).
 
2.3. Im Unterschied zum Bundesgesetzesrecht geht das Bundesgericht der Verletzung verfassungsmässiger Individualrechte (einschliesslich der Grundrechte) nur nach, falls und soweit eine solche Rüge in der Beschwerde überhaupt vorgebracht und ausreichend begründet worden ist (qualifizierte Rüge- und Begründungsobliegenheit gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 147 I 194 E. 3.4; 147 II 44 E. 1.2; 147 V 156 E. 7.2.3). Die beschwerdeführende Person hat daher klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen, dass und inwiefern verfassungsmässige Individualrechte verletzt worden sein sollen (BGE 146 I 62 E. 3; 146 IV 114 E. 2.1).
 
2.4. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG; BGE 147 V 124 E. 1.1). Tatfrage ist auch die Beweiswürdigung, namentlich die antizipierte Beweiswürdigung (BGE 146 V 240 E. 8.2). Die Anfechtung der vorinstanzlichen Feststellungen unterliegt der qualifizierten Rüge- und Begründungsobliegenheit (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; vorne E. 2.3).
 
 
3.
 
3.1. Der Steuerpflichtige bestreitet die vorinstanzliche Feststellung, wonach er am 29. April 2021 das Gesuch um Erteilung des Rechts zur unentgeltlichen Rechtspflege "sinngemäss" zurückgezogen habe. Weiter bringt er vor, dass ihm eine Nachfrist anzusetzen gewesen wäre, um die dritten Raten zu bezahlen. Und schliesslich stellt er sich auf den Standpunkt, dass das Fristwiederherstellungsgesuch gutzuheissen gewesen wäre, da er unverschuldet an der rechtzeitigen Leistung der dritten Raten verhindert gewesen sei.
 
 
3.2.
 
3.2.1. In der Frage des angeblichen Rückzugs des Gesuchs um Erteilung des Rechts zur unentgeltlichen Rechtspflege bleiben die angefochtenen Entscheide, die als "dass-Entscheid" ausgestaltet sind, verhältnismässig kurz. Es lässt sich ihnen einzig entnehmen, dass der Steuerpflichtige "mit Eingabe vom 29. April 2021 sinngemäss den Antrag auf unentgeltliche Rechtspflege zurückgezogen und eine Zahlung des Kostenvorschusses in Raten beantragt hat". Der Steuerpflichtige entgegnet im bundesgerichtlichen Verfahren, dass er "nicht explizit und willentlich das Gesuch zurückgezogen" habe. Er deutet an, dass er "zwischenzeitlich in eine zu grosse finanzielle Schieflage geraten" sei.
 
3.2.2. Mit Blick auf die unvollständigen Feststellungen der Vorinstanz kann das Bundesgericht sachverhaltsergänzend auf die vorinstanzlichen Akten zugreifen (Art. 105 Abs. 2 BGG). Daraus geht hervor, dass das Schreiben des Steuerpflichtigen vom 29. April 2021 unter dem Titel "Gesuch um Ratenzahlung Kostenvorschüsse Rechnung xxx, Rechnung yyy, Rechnung zzz" stand. Der Steuerpflichtige führte zur Begründung aus: "Leider ist es mir aus aktueller Finanzlage (Corona-Pandemie und säumige Kunden) nicht möglich, Ihre Forderung zu begleichen. Hiermit beantrage ich Raten von Fr. 1'500.-- pro Monat. Vorschlag: 1. Rate 5. Mai, 2. Rate 5. Juni, 3. Rate 5. Juli. Höflich bitte ich Sie um Zustellung der Einzahlungsscheine."
 
3.2.3. Die vorinstanzliche Interpretation, wonach ein Rückzug des Gesuchs vom 12. April 2021 vorliege, ist nicht zu beanstanden. Wer Zahlungstermine vorschlägt und um Zustellung der Einzahlungsscheine ersucht, tritt nach allgemeiner Lebenserfahrung von einem zuvor gestellten Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege zurück. Zudem hat der Steuerpflichtige nicht, wie in der Verfügung vom 27. April 2021 verlangt, dem Gericht das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und dazugehörige Beweismittel eingereicht. Das Bundesgericht hat damit vom Rückzug des Gesuchs auszugehen.
 
3.3. Der Steuerpflichtige bemängelt die vorinstanzliche Auslegung und Anwendung der Fristenregelung, wie sie sich in Art. 21 ff. des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG; SR 172.021) findet und auch auf das vorinstanzliche Verfahren anwendbar ist (Art. 37 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesverwaltungsgericht [VGG; SR 173.32]). Er scheint davon auszugehen, dass ihm eine Nachfrist anzusetzen gewesen wäre, so wie dies im bundesgerichtlichen Verfahrens der Fall wäre (Art. 62 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht [BGG; SR 173.110]). Dies trifft indes nicht zu: Eine Nachfrist zur Behebung der unbenutzten Zahlungsfrist kennt das VwVG - anders als Art. 62 Abs. 3 Satz 2 BGG - nicht (Urteil 2C_699/2012 vom 22. Oktober 2012 E. 3.1). Die Vorinstanz war damit nicht gehalten, von Amtes wegen eine Nachfrist einzuräumen.
 
 
3.4.
 
3.4.1. Die Vorinstanz hat das sinngemäss gestellte Fristwiederherstellungsgesuch abgewiesen und dies damit begründet, dass es dem Steuerpflichtigen offen gestanden wäre, noch im Verlauf des 5. Juli 2021 ein Fristersteckungsgesuch zu stellen und es ihm ohnehin zuzumuten gewesen wäre, die Raten rechtzeitig am Postschalter einzubezahlen (vorne E. 1.2.4). Dazu ist folgendes festzuhalten: Ordnet das Bundesverwaltungsgericht eine Frist zur Leistung des Gerichtskostenvorschusses an, handelt es sich dabei um eine behördliche Frist. Eine solche kann vom Bundesverwaltungsgericht gemäss Art. 22 Abs. 2 VwVG in Verbindung mit Art. 37 VGG erstreckt werden, sofern das Gesuch vor Fristablauf bei der Behörde eingeht. Wird das Gesuch nicht spätestens am letzten Tag der Frist der Post übergeben, handelt es sich um kein Fristerstreckungsgesuch, sondern um ein Fristwiederherstellungsgesuch aufgrund von Art. 24 VwVG (Urteil 2C_699/2012 vom 22. Oktober 2012 E. 2.2).
 
3.4.2. Die vorinstanzlichen Ausführungen zur Fristwiederherstellung sind nicht bundesrechtswidrig. Die Wiederherstellung einer versäumten Frist im Sinne von Art. 24 Abs. 1 VwVG kommt nur infrage, wenn die um Wiedereinsetzung in den früheren Stand ersuchende Person einerseits nachweist, dass sie oder ihre Vertretung unverschuldet - durch Militärdienst oder Zivildienst, Krankheit, Landesabwesenheit oder andere erhebliche Gründe - an der rechtzeitigen Einreichung verhindert war (materielle Voraussetzung) und anderseits das Rechtsmittel innert 30 Tagen nach Wegfall der Hinderungsgründe eingereicht wurde (formelle Voraussetzung; Urteil 2F_4/2021 vom 12. Februar 2021 E. 2.2.1 zum insofern gleichartigen Art. 50 Abs. 1 BGG). Es bedarf einer "klaren Schuldlosigkeit" (Urteil 2C_324/2019 vom 4. April 2019 E. 2.2). Daran fehlt es gemeinhin, wenn das Fristversäumnis auf den Datenverlust oder eine PC-Panne zurückzuführen ist (vgl. Urteile 2C_465/2020 vom 22. Juni 2020 E. 3.2.5; 2C_835/2011 vom 4. Juni 2012 E. 2.3, je zur unvollständigen Buchhaltung). Insbesondere liegt auch dann kein unverschuldetes Hindernis vor, wenn der Computer am letzten Tag der Frist "aussteigt" (Urteil U 49/98 vom 11. Mai 1998 E. 2b). Dies gilt umso mehr, als die Vorinstanz mit Blick auf die konkreten Verhältnisse für das Bundesgericht verbindlich festgestellt hatte (Art. 105 Abs. 1 BGG; vorne E. 2.4), dass eine Einzahlung am Postschalter - oder ein Fristerstreckungsgesuch - noch im Verlauf des 5. Juli 2021 möglich gewesen wären. Die Vorinstanz hat damit bundesrechtskonform erwogen, das Gesuch um Wiedereinsetzung in den früheren Stand sei abzuweisen.
 
3.5. Schliesslich kritisiert der Steuerpflichtige, das Bundesverwaltungsgericht habe bis heute keine Anstalten getroffen, die bezahlten Fr. 4'500.- zurückzuerstatten. In den angefochtenen Entscheiden hat das Bundesverwaltungsgericht jedoch festgehalten, die Überschüsse (einbezahlte Kostenvorschüsse, soweit sie die auferlegten Gerichtskosten von je Fr. 300.-- überschreiten) würden
 
3.6. Die Beschwerde ist damit abzuweisen. Mit dem vorliegenden Entscheid wird das Gesuch, der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen (Art. 103 Abs. 3 BGG), gegenstandslos (BGE 144 V 388 E. 10).
 
 
4.
 
Nach dem Unterliegerprinzip sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens dem Steuerpflichtigen aufzuerlegen (Art. 65 in Verbindung mit Art. 66 Abs. 1 BGG). Von einer Kostenverlegung kann abgesehen werden (Art. 66 Abs. 1 Satz 2), womit das zumindest sinngemäss für das bundesgerichtliche Verfahren gestellte Gesuch um Erteilung des Rechts zur unentgeltlichen Rechtspflege gegenstandslos wird (BGE 144 V 120 E. 5). Der Eidgenossenschaft, die in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegt, steht keine Parteientschädigung zu (Art. 68 Abs. 3 BGG).
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Für das bundesgerichtliche Verfahren werden keine Kosten erhoben.
 
3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung I, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 25. Oktober 2021
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Seiler
 
Der Gerichtsschreiber: Kocher
 
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