BGer 12T_3/2021 | |||
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BGer 12T_3/2021 vom 08.02.2022 | |
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12T_3/2021 | |
Entscheid vom 8. Februar 2022
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Verwaltungskommission
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Besetzung
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Bundesrichterin Niquille, Präsidentin,
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Bundesrichter Donzallaz, Chaix,
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Generalsekretär Tschümperlin.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt MLaw Matthias Wäckerle,
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Anzeiger,
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gegen
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Bundesverwaltungsgericht, Verwaltungskommission, Kreuzackerstrasse 12, 9000 St. Gallen,
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Angezeigter.
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Gegenstand
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Aufsichtsanzeige gemäss Art. 1 Abs. 2 BGG.
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Erwägungen: |
1. | |
Mit Verfügung vom 11. November 2019 stellte das Staatssekretariat für Migration (SEM) fest, A.________, geboren am xx.yy.zzzz, Eritrea, erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht, lehnte dessen Asylgesuch ab, verfügte die Wegweisung aus der Schweiz und ordnete deren Vollzug an. Auf die gegen diese Verfügung gerichtete Beschwerde trat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil D-6625/2019 vom 15. Januar 2020 infolge Nichtleisten des Kostenvorschusses nicht ein. Das SEM teilte A.________ mit Schreiben vom 27. Mai 2020 mit, er habe die Schweiz bis zum 31. Juli 2020 zu verlassen. Auf Gesuche von A.________ hin verlängerte das SEM die Ausreisefrist dreimal, nämlich bis zum 24. September 2020, dann bis zum 20. November 2020 und schliesslich bis zum 15. Januar 2021.
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Auf das erneute Gesuch hin vom 28. Dezember 2020 um eine weitere Verlängerung der Ausreisefrist teilte das SEM A.________ mit Schreiben vom 14. Januar 2021 mit, die von ihm bis dato getätigten Ausreisevorbereitungen genügten nicht, weshalb die Ausreisefrist nicht verlängert werden könne. Gegen diese Mitteilung reichte A.________ am 26. Januar 2021 beim Bundesverwaltungsgericht eine als "Beschwerde" bezeichnete Eingabe ein, mit welcher er unter anderem beantragte, die "Verfügung" der Vorinstanz aufzuheben und seine Ausreisefrist bis zum 28. Juni 2021 zu verlängern. Das Bundesverwaltungsgericht verfügte am 27. Januar 2021 einen superprovisorischen Vollzugsstopp. Mit einzelrichterlichem Urteil vom 29. Januar 2021 trat das Bundesverwaltungsgericht auf die Beschwerde nicht ein und auferlegte dem Beschwerdeführer die Verfahrenskosten von 250 Franken.
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2. Mit Eingabe vom 17. Februar 2021 reichte Rechtsanwalt Matthias Wäckerle für seinen Klienten beim Bundesgericht eine Aufsichtsanzeige ein. Er beantragt die Feststellung, dass das Bundesverwaltungsgericht mit dem Urteil vom 29. Januar 2021 Art. 29 Abs. 1 und Art. 29a BV verletzt habe. Das Bundesverwaltungsgericht sei anzuweisen, das Urteil vom 29. Januar 2021 in Wiedererwägung zu ziehen und das Beschwerdeverfahren D-365/2021 wieder aufzunehmen. Eventualiter sei das Bundesverwaltungsgericht anzuweisen, auf künftige Beschwerden betreffend Erstreckung der Ausreisefrist einzutreten und diese materiell zu behandeln, jedenfalls soweit sie sich in der Sache auf die COVID-19-Verordnung Asyl stützten. Es seien keine Kosten zu erheben.
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Das Bundesverwaltungsgericht beantragt mit Stellungnahme vom 31. Mai 2021, der Aufsichtsbeschwerde keine Folge zu geben.
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3.
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Der Anzeiger bringt zur Begründung vor, das SEM habe nach dreimaliger Verlängerung der Ausreisefrist das Gesuch um weitere Verlängerung dieser Ausreisefrist abgewiesen, weil er angeblich nicht ausreisewillig sei. Auf die dagegen erhobene Beschwerde sei das Bundesverwaltungsgericht mit der Begründung nicht eingetreten, der betreffende Rechtsakt des SEM habe keine rechtsgestaltende Wirkung im Hinblick auf die Person des Adressaten, dieser regle vielmehr nur noch die Art und Weise des Vollzugs und sei daher keine anfechtbare Verfügung im Sinne von Art. 5 VwVG. Diese Rechtsansicht sei als willkürlich zu qualifizieren. In früheren Urteilen sei das Bundesverwaltungsgericht wiederholt davon ausgegangen, dass die Dauer der Ausreisefrist in Form einer Verfügung angeordnet werde und der gerichtlichen Überprüfung zugänglich sei. Die unterschiedliche Beurteilung der gleichen Rechtsfrage sei stossend. Gemäss Art. 9 Abs. 3 COVID-19-Verordnung Asyl sei zusätzlich zu den in Art. 45 Abs. 2bis AsylsG erwähnten besonderen Umständen eine längere Ausreisefrist anzusetzen oder die Ausreisefrist zu verlängern, wenn die ausserordentliche Lage aufgrund des Coronavirus dies erfordere. Dies treffe derzeit auf Eritrea zu, nachdem keine Passierflüge nach Eritrea mehr stattfänden und die Land- sowie Seegrenzen des Landes geschlossen seien. Das Ansetzen einer Ausreisefrist habe rechtsgestaltende Wirkung; alle Merkmale einer rechtsverbindlichen Einzelfall-Verfügung seien erfüllt. Der Nichteintretensensentscheid des Bundesverwaltungsgerichts führe zu einer absoluten Verweigerung der gerichtlichen Überprüfung betreffend den zeitlichen Aspekt der Ausreiseverpflichtung, womit die Rechtsweggarantie von Art. 29a BV verletzt werde. Überdies sei Art. 29 Abs. 1 BV verletzt, wonach als Minimalanforderung an ein rechtsstaatliches Verfahren der Erlass eines Entscheides innerhalb einer angemessenen Frist zu gewährleisten sei. Nachdem sich der Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichts auf eine ständige Praxis stützen wolle - wobei er sich unter Verletzung der Begründungspflicht auf zwei nicht publizierte Entscheide berufe - lägen generelle Mechanismen vor, die eine übermässige Einschränkung des Zugangs zur Justiz bewirkten. Es handle sich um eine gerichtliche Dysfunktion, die auf administrative bzw. organisatorische Mängel zurückzuführen sei.
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Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts betrifft die vorliegende Anzeige einen der Rechtsprechung zuzuordnenden Entscheid, der vom Bundesgericht im Rahmen der administrativen Aufsicht nicht geprüft werden könne. Zum Vorwurf der uneinheitlichen Rechtsprechung führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass zur aufgeworfenen Rechtsfrage ein Koordinationsverfahren hängig ist.
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4. Im Wesentlichen geht es im vorliegenden Verfahren um die Frage, ob der Zugang zur Justiz vom Bundesverwaltungsgericht aufgrund genereller administrativer oder organisatorischer Mechanismen in unzulässiger Weise eingeschränkt worden ist (BGE 144 II 56). Ob die Festlegung eines Ausreisedatums eine gerichtlich anfechtbare Verfügung im Sinne von Art. 5 VwVG ist bzw. dem Betroffenen damit im Sinne von Art. 41 Abs. 2 VwVG bloss Gelegenheit zur freiwilligen Erfüllung seiner Ausreiseverpflichtung eingeräumt wird, bevor polizeiliche Zwangsmassnahmen ergriffen werden, und die Ansetzung der Ausreisefrist demzufolge nur noch die Art und Weise des Vollzugs ohne rechtsgestaltende Wirkung im Hinblick auf die Person des Adressaten regelt, wie das Bundesverwaltungsgericht im Nichteintretensentscheid vom 29. Januar 2021 ausführt, ist primär eine Frage der Rechtsanwendung, die vom Bundesgericht im Rahmen eines aufsichtsrechtlichen Verfahrens nach Art. 1 Abs. 2 BGG nicht überprüft werden kann. In seiner Rolle als administrative Aufsichtsinstanz ist es dem Bundesgericht verwehrt, einen Einzelfall auf seine inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen. Dieser Grundsatz verbietet es ihm bereits, auf die Anträge des Anzeigers einzugehen, wenn diese darauf abzielen, vom Bundesgericht ein Eingreifen in sein Dossier zu erwirken. Die Aufsichtsanzeige gemäss Art. 1 Abs. 2 BGG bzw. Art. 3 Abs. 1 VGG kann keinen Ersatz für ein gesetzlich nicht vorgesehenes Rechtsmittel bilden; die Rechtsprechung ist von der administrativen Aufsicht ausgenommen (Art. 2 Abs. 2 AufRBGer; SR 173.110.172). Aufgrund der Stellungnahme des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Mai 2021 bestehen keine Anhaltspunkte, dass die in der Aufsichtsanzeige kritisierte Rechtsprechung nicht auf rein rechtlichen, sondern (auch) auf administrativen bzw. organisatorischen Gründen beruht, zum Beispiel, um die Fallzahlen zu beschränken.
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Aufsichtsgegenstand kann auch eine nicht einheitliche Rechtsprechung sein, wenn diese auf organisatorischen Mängeln beruht. Aus einzelnen abweichenden Urteilen ergibt sich jedoch noch nicht, dass ein organisatorischer Koordinationsmangel in der Rechtsprechung vorliegt. Das Bundesverwaltungsgericht legt in seiner Stellungnahme vom 31. Mai 2021 vielmehr dar, dass in Bezug auf Art. 9 Abs. 3 der Covid-Verordnung Asyl (SR 142.318), der in der ausserordentlichen Lage eine Verlängerung der Ausreisefrist vorsieht und worauf sich der Anzeiger beruft, ein Verfahren zur Koordination der Rechtsprechung hängig ist. Damit hat das Bundesverwaltungsgericht die sich aufdrängende organisatorische Massnahme selber ergriffen; für subsidiäre aufsichtsrechtliche Massnahmen des Bundesgerichts bleibt kein Raum. Im vorliegenden Verfahren kann im Ergebnis weder ein Organisationsmangel noch eine auf administrativen Erwägungen beruhende unzulässige Einschränkung des Zugangs zum Recht festgestellt werden. Weitere Untersuchungsmassnahmen drängen sich nicht auf. Der Aufsichtsanzeige ist demgemäss keine Folge zu geben.
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1.
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Der Aufsichtsanzeige wird keine Folge gegeben.
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2.
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Es werden keine Kosten erhoben und keine Entschädigungen zugesprochen.
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3.
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Dieser Entscheid wird dem Bundesverwaltungsgericht, Verwaltungskommission schriftlich mitgeteilt. Dem Anzeiger wird eine Orientierungskopie zugestellt.
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Lausanne, 8. Februar 2022
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Im Namen der Verwaltungskommission
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Die Präsidentin: Niquille
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Der Generalsekretär: Tschümperlin
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