BGer 6B_154/2022 | |||
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BGer 6B_154/2022 vom 28.02.2022 | |
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6B_154/2022 |
Urteil vom 28. Februar 2022 |
Strafrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
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Bundesrichter Muschietti,
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Bundesrichterin Koch,
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Gerichtsschreiberin Andres.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Stephan Bernard,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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1. Justizvollzug und Wiedereingliederung, Rechtsdienst der Amtsleitung,
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Hohlstrasse 552, 8048 Zürich,
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2. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
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Beschwerdegegner.
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Gegenstand
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Stationäre therapeutische Massnahme (Art. 59 StGB); Haftentlassung; Berechnung der Frist,
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Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 3. Abteilung, Einzelrichterin, vom 13. Januar 2022 (VB.2021.00700).
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Sachverhalt: | |
A.
| 1 |
Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte A.________ am 22. Oktober 2013 wegen versuchter schwerer Körperverletzung, Raufhandels, Raubs und versuchten Raubs, Angriffs und qualifizierter einfacher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und ordnete eine vollzugsbegleitende ambulante Behandlung an.
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B. | |
B.a. Nach Verbüssung seiner Freiheitsstrafe wurde A.________ per 1. August 2016 in Sicherheitshaft gesetzt. Nachdem die ambulante Behandlung wegen Aussichtslosigkeit rechtskräftig aufgehoben worden war, ordnete das Bezirksgericht Zürich mit Beschluss vom 10. Mai 2017 nachträglich eine stationäre therapeutische Behandlung von psychischen Störungen an. Die hiergegen erhobene Beschwerde an das Obergericht des Kantons Zürich blieb ebenso erfolglos, wie jene an das Bundesgericht, welches die Beschwerde in Strafsachen am 22. Mai 2018 abwies (Verfahren 6B_338/2018).
| 3 |
B.b. Am 2. August 2021 ersuchte A.________ um sofortige Entlassung, weil die stationäre therapeutische Massnahme am 31. Juli 2021 abgelaufen sei. Das Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung wies das Gesuch am 19. August 2021 ab. Die Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich wies den Rekurs von A.________ am 29. September 2021 ab, soweit sie darauf eintrat. Gleiches tat das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 13. Januar 2022.
| 4 |
C.
| 5 |
A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das vorinstanzliche Urteil sei aufzuheben, er sei sofort aus der Haft zu entlassen und ihm sei eine Genugtuung von Fr. 300.-- pro Hafttag seit dem 1. August 2021 auszurichten. Er ersucht um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung.
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Erwägungen: | |
1.
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Umstritten ist vorliegend, an welchem Datum die Fünfjahresfrist der stationären therapeutischen Behandlung von psychischen Störungen gemäss Art. 59 Abs. 4 StGB begann bzw. endet (e). Es geht damit um einen Entscheid über den Vollzug von Strafen und Massnahmen im Sinne von Art. 78 Abs. 2 lit. b BGG, welcher der Beschwerde in Strafsachen unterliegt. Der Beschwerdeführer hat ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids (Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG). Er ist somit zur vorliegenden Beschwerde berechtigt.
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2. | |
2.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, die Fünfjahresfrist gemäss Art. 59 Abs. 4 StGB habe mit seiner Versetzung in die vollzugsrechtliche Sicherheitshaft am 1. August 2016 begonnen und sei folglich am 31. Juli 2021 abgelaufen. Indem die Vorinstanz demgegenüber davon ausgehe, die Fünfjahresfrist habe mit dem rechtskräftigen Anordnungsentscheid des erstinstanzlichen Gerichts am 10. Mai 2017 begonnen und ende nicht vor dem 9. Mai 2022, verletze sie Art. 59 StGB und Art. 5 Ziff. 1 EMRK.
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2.2. Die Vorinstanz erwägt, nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sei für den Fristbeginn allein darauf abzustellen, ob der Antritt der stationären Massnahme aus der Freiheit erfolge. Das Bundesgericht unterscheide nicht danach, auf welcher Rechtsgrundlage der betroffenen Person die Freiheit davor entzogen gewesen sei. Trete eine Person die stationäre Massnahme nicht aus der Freiheit an, beginne die Frist gemäss Art. 59 Abs. 4 Satz 1 StGB in jedem Fall mit dem Datum des erstinstanzlichen Anordnungsentscheids zu laufen. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach seine vollzugsrechtliche Sicherheitshaft nach dem 31. Juli 2016 ihre einzige Legitimation daraus bezogen habe, dass später eine stationäre Massnahme angeordnet werde, sei für den Fristenlauf nach Art. 59 Abs. 4 Satz 1 StGB demnach von vornherein unbeachtlich. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers sei die zu beurteilende Ausgangslage nicht mit jener vergleichbar, die das Bundesgericht im Urteil 6B_1375/2020 vom 22. Februar 2021 zu entscheiden gehabt habe. Anders als in jenem Entscheid sei im den Beschwerdeführer betreffenden Anordnungsentscheid des erstinstanzlichen Gerichts vom 10. Mai 2017 die Massnahme nicht unter Anrechnung bereits erstandener Haft richterlich befristet worden. Folglich komme die Fünfjahresfrist nach Art. 59 Abs. 4 Satz 1 StGB zur Anwendung, welche seit dem 10. Mai 2017 laufe und damit nicht vor dem 9. Mai 2022 ende. Ob die Zeit der rund dreimonatigen Flucht hinzuzurechnen sei, brauche vorliegend nicht entschieden zu werden (Urteil S. 6 f.).
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2.3. | |
2.3.1. Die Beschwerdeschrift des Beschwerdeführers deckt sich weitestgehend (wörtlich) mit seinen Eingaben im kantonalen Verfahren (vgl. kantonale Akten, act. 2 und 7.1). Insofern fehlt der Beschwerdebegründung eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, weshalb die Beschwerde den Begründungsanforderungen gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG nicht zu genügen vermag (vgl. BGE 140 III 115 E. 2; Urteil 6B_1405/2021 vom 31. Januar 2022 E. 1.2). Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 5 Ziff. 1 EMRK rügt, ohne auch nur ansatzweise aufzuzeigen, inwiefern diese Bestimmung verletzt sein soll, ist auf seine Beschwerde ebenfalls nicht einzutreten (vgl. Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG). Im Übrigen erweisen sich die Vorbringen des Beschwerdeführers als unbegründet, wobei grösstenteils auf die zutreffenden vorinstanzlichen Ausführungen verwiesen werden kann.
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2.3.2. Das Bundesgericht hat sich wiederholt zu der Frage geäussert, wann die Fünfjahresfrist gemäss Art. 59 Abs. 4 Satz 1 StGB bzw. eine richterlich festgesetzte Frist zu laufen beginnt (ausführlich BGE 145 IV 65 E. 2, insb. E. 2.6 f. mit Hinweisen). Im vom Beschwerdeführer und von der Vorinstanz erwähnten Urteil 6B_1375/2020 vom 22. Februar 2021, dessen E. 2.4 in BGE 147 IV 205 publiziert ist, hatte das Bundesgericht diese Frage in einem Fall zu beurteilen, in dem die angeordnete stationäre therapeutische Behandlung von psychischen Störungen rechtskräftig wegen Aussichtslosigkeit aufgehoben, die betroffene Person in Sicherheitshaft versetzt, und im darauf folgenden selbständigen nachträglichen Verfahren erneut eine Massnahme gemäss Art. 59 StGB angeordnet worden war. Insofern ist diese Ausgangslage mit der vorliegend zu beurteilenden Konstellation vergleichbar, mit dem Unterschied, dass es sich hier bei der aufgehobenen Massnahme um eine vollzugsbegleitende ambulante Behandlung handelte. Das Bundesgericht gelangte in vorgenanntem Urteil zum Schluss, dass wenn nach einer rechtskräftigen Massnahmenaufhebung eine stationäre therapeutische Behandlung von psychischen Störungen (Art. 59 StGB) angeordnet und die Massnahme nicht aus der Freiheit heraus angetreten werde, für den Fristenlauf, wie bei der erstmaligen Massnahmenanordnung, auf das Datum des in Rechtskraft erwachsenen Anordnungsentscheids abzustellen sei. Hinsichtlich der Sicherheitshaft (zwischen der Massnahmenaufhebung und der zweiten Massnahmenanordnung) während des selbständigen nachträglichen Massnahmenverfahrens hielt es fest, das Gericht habe diese bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit der stationären therapeutischen Behandlung von psychischen Störungen in zeitlicher Hinsicht mitzuberücksichtigen; dies sowohl bei der Prüfung der Anordnung der Massnahme als auch im Zusammenhang mit einem Gesuch um Verlängerung derselben (BGE 147 IV 205 E. 2.4.2 mit Hinweisen).
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2.3.3. Im konkreten Fall resümierte das Bundesgericht, dass für die Berechnung des Fristenlaufs grundsätzlich auf das Datum des in Rechtskraft erwachsenen Anordnungsentscheids abzustellen wäre. Allerdings stelle sich das Kantonsgericht St. Gallen - die damalige Vorinstanz - auf den Standpunkt, die stationäre therapeutische Massnahme sei im Anordnungsentscheid rechtskräftig befristet worden. Treffe dies zu, könnte angesichts der Rechtskraft des Anordnungsentscheids auf die Frage des Fristbeginns bzw. die Befristung im vorliegenden Verfahren nicht mehr zurückgekommen werden (BGE 147 IV 205 E. 2.4.3). Diesbezüglich gelangte das Bundesgericht zum Schluss, dass im Anordnungsentscheid die Sicherheitshaft auf die Massnahmendauer von drei Jahren angerechnet worden und diese im Ergebnis rechtskräftig befristet war (Urteil 6B_1375/2020 vom 22. Februar 2021 E. 2.5, nicht publ. in: BGE 147 IV 205). Im Urteil folgt der vom Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren zitierte zusammenfassende Satz, wonach nicht zu beanstanden sei, wenn das Kantonsgericht, gestützt auf den rechtskräftigen Anordnungsentscheid, die Sicherheitshaft bei der Massnahmendauer berücksichtigt und davon ausgeht, die dreijährige Massnahmendauer habe am 30. Oktober 2020 geendet (Urteil 6B_1375/2020 vom 22. Februar 2021 E. 2.6, nicht publ. in: BGE 147 IV 205).
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Soweit der Beschwerdeführer daraus schliesst, der ihn betreffende Anordnungsentscheid vom 10. Mai 2017 sei demnach so zu verstehen, dass die fünfjährige Massnahmendauer nicht am 10. Mai 2017, sondern mit Anordnung der vollzugsrechtlichen Sicherheitshaft am 31. Juli 2016 zu laufen begonnen habe, reisst er die vorerwähnte Schlussfolgerung aus dem Zusammenhang und verkennt den Inhalt des bundesgerichtlichen Urteils. Wie die Vorinstanz verbindlich festhält, wurde die stationäre therapeutische Behandlung von psychischen Störungen im Anordnungsentscheid vom 10. Mai 2017 gerade nicht unter Anrechnung bereits erstandener Haft (rechtskräftig) richterlich befristet (Urteil S. 7). Dies macht denn der Beschwerdeführer auch nicht geltend. Damit unterscheidet sich die vorliegende Konstellation massgebend von der mit Urteil 6B_1375/2020 vom 22. Februar 2021 beurteilten Ausgangslage. Die Vorinstanz führt zutreffend aus, dass es hier beim Grundsatz bleibt, wonach für den Fristenlauf auf das Datum des in Rechtskraft erwachsenen Anordnungsentscheids abzustellen ist (vgl. BGE 147 IV 205 E. 2.4.2). Dies ist vorliegend der Beschluss des Bezirksgerichts Zürich vom 10. Mai 2017 (vgl. Art. 437 Abs. 1 lit. c StPO; BGE 145 IV 65 E. 2.7.1). Damit erweist sich der vorinstanzliche Schluss, die Fünfjahresfrist der angeordneten stationären therapeutischen Behandlung von psychischen Störungen ende nicht vor dem 9. Mai 2022, als rechtskonform.
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2.4. Seine Anträge auf Haftentlassung und Genugtuung begründet der Beschwerdeführer ausschliesslich mit dem von ihm geltend gemachten Ablauf der Fünfjahresfrist. Auf seine diesbezüglichen Ausführungen ist daher nicht weiter einzugehen.
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3.
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Die Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist infolge Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Dem Beschwerdeführer sind reduzierte Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 i.V.m. Art. 65 Abs. 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1.
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Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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2.
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Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
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3.
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Dem Beschwerdeführer werden Gerichtskosten in der Höhe von Fr. 1'200.-- auferlegt.
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4.
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Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 3. Abteilung, Einzelrichterin, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 28. Februar 2022
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
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Die Gerichtsschreiberin: Andres
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