BGer 1C_736/2021 | |||
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BGer 1C_736/2021 vom 17.03.2022 | |
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1C_736/2021 |
Urteil vom 17. März 2022 |
I. öffentlich-rechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichter Kneubühler, Präsident,
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Bundesrichterin Jametti, Bundesrichter Merz,
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Gerichtsschreiber Dold.
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Verfahrensbeteiligte | |
Claudio Kuster,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Regierungsrat des Kantons Schaffhausen,
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Beckenstube 7, 8200 Schaffhausen,
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Bundeskanzlei,
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Bundeshaus West, 3003 Bern.
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Gegenstand
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Eidgenössische Volksabstimmung
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vom 28. November 2021,
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elektronische Entschuldigungsmöglichkeit,
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Beschwerde gegen den Beschluss des Regierungsrats
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des Kantons Schaffhausen vom 23. November 2021
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(37/831).
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Sachverhalt: | |
A.
| 1 |
Am 28. November 2021 fand auf eidgenössischer Ebene die Volksabstimmung über drei Vorlagen statt: die Volksinitiative vom 7. November 2017 "Für eine starke Pflege (Pflegeinitiative) ", die Volksinitiative "Bestimmung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Losverfahren (Justiz-Initiative) " und die Änderung vom 19. März 2021 des Bundesgesetzes vom 25. September 2020 über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Gesetz; SR 818.102). Im Kanton Schaffhausen wurde am gleichen Tag über eine Änderung des kantonalen Gesetzes vom 20. März 2000 über die direkten Steuern (SHR 641.100) abgestimmt. Gemäss den von der Bundeskanzlei publizierten provisorischen amtlichen Ergebnissen wurden die erste und die dritte eidgenössische Vorlage angenommen, die zweite dagegen abgelehnt (https://www.bk.admin.ch/ch/d/pore/va/20211128/index.html [besucht am: 3. März 2022]).
| 2 |
Im Kanton Schaffhausen besteht eine Stimmpflicht, die sich auch auf eidgenössische Abstimmungen erstreckt, wobei das Gesetz verschiedene Entschuldigungsgründe vorsieht (Art. 23 Abs. 2 und 3 KV/SH [SR 131.223] sowie Art. 9 und 10 des Gesetzes vom 15. März 1904 über die vom Volke vorzunehmenden Abstimmungen und Wahlen sowie über die Ausübung der Volksrechte [Wahlgesetz; SHR 160.100]. Im Vorfeld der Abstimmung, am 5. Oktober 2021, hatte der Regierungsrat des Kantons Schaffhausen mit Blick auf diese Möglichkeit der Entschuldigung folgenden Beschluss gefasst:
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1. Der Regierungsrat genehmigt die Durchführung eines Pilotversuchs zur Anwen dung der Informationsapplikation für Abstimmungen und für die Möglichkeit der elektronischen Entschuldigung mit der eID+ für die Abstimmungen vom 28. November 2021 und 13. Februar 2022 in Neuhausen am Rheinfall.
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2. Der Regierungsrat legt im Sinne einer Ausnahme im Rahmen des Pilot versuchs fest, dass an den Abstimmungen vom 28. November 2021 und 13. Feb ru ar 2022 elektronische Entschuldigungen unter Verwendung der ent sprechenden Applikation und der Schaffhauser eID+ in Neuhausen am Rheinfall als gültige Entschuldigungen im Sinne von Art. 9 und 10 des Wahlgesetzes gelten.
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[3.-6.]
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Nach Erhalt der Abstimmungsunterlagen und Kenntnisnahme von der Entschuldigungsmöglichkeit auf elektronischem Weg erhob Claudio Kuster mit Eingabe vom 8. November 2021 Beschwerde an den Regierungsrat. Er beantragte, die zuständige Behörde sei anzuweisen, die Möglichkeit der elektronischen Entschuldigung von der Stimmpflicht mittels der Applikation eID+ zu unterbinden. Mit Beschluss vom 23. November 2021 wies der Regierungsrat die Beschwerde ab.
| 7 |
B.
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Mit einer die eidgenössische Volksabstimmung vom 28. November 2021 betreffenden Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 29. November 2021 ans Bundesgericht beantragt Claudio Kuster, die Beschlüsse des Regierungsrats vom 5. Oktober 2021 und vom 23. November 2021 seien aufzuheben. Die zuständige Behörde sei anzuweisen, die Möglichkeit der elektronischen Entschuldigung von der Stimmpflicht mittels der Applikation eID+ umgehend zu unterbinden.
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Die Bundeskanzlei hat sich vernehmen lassen, ohne einen förmlichen Antrag zu stellen. Der Regierungsrat beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
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Erwägungen: |
1. | |
1.1. Gegen den angefochtenen Entscheid steht grundsätzlich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten in Form der Stimmrechtsbeschwerde (Art. 82 lit. c BGG) zur Verfügung. Das Begehren, den Beschluss des Regierungsrats vom 5. Oktober 2021 insgesamt aufzuheben, ist jedoch neu und damit unzulässig (Art. 99 Abs. 2 BGG).
| 11 |
1.2. Der Beschwerdeführer war an der Abstimmung vom 28. November 2021 stimmberechtigt und ist deshalb nach Art. 89 Abs. 3 BGG zur Beschwerde berechtigt. Darüber hinaus bedarf es jedoch eines aktuellen praktischen Rechtsschutzinteresses (BGE 145 I 282 E. 2.2.3; Urteil 1C_570/2017 vom 30. Oktober 2017 E. 2; je mit Hinweisen). Es obliegt dem Beschwerdeführer, die Tatsachen darzulegen, aus denen sich dieses Rechtsschutzinteresse und damit seine Beschwerdeberechtigung ergibt, sofern diese nicht offensichtlich gegeben ist (Art. 42 Abs. 1 BGG; BGE 141 IV 289 E. 1.3; Urteil 1C_183/2020 vom 15. März 2021 E. 3.3; je mit Hinweisen). Fällt das Rechtsschutzinteresse im Laufe des Verfahrens dahin, wird die Sache als erledigt erklärt; fehlte es schon bei der Beschwerdeeinreichung, ist auf die Eingabe nicht einzutreten (BGE 142 I 135 E. 1.3.1 mit Hinweisen). Das Bundesgericht verzichtet ausnahmsweise auf das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses an der Beschwerde, wenn sich die aufgeworfenen Fragen unter gleichen oder ähnlichen Umständen jederzeit wieder stellen können, eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre und die Beantwortung wegen deren grundsätzlicher Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt (BGE 142 I 135 E. 1.3.1 mit Hinweisen).
| 12 |
1.3. Rechtsbegehren sind nach Treu und Glauben auszulegen, insbesondere im Lichte der dazu gegebenen Begründung (BGE 147 V 369 E. 4.2.1 mit Hinweisen). Wird ein Urnengang während der Hängigkeit einer Stimmrechtsbeschwerde beim Bundesgericht durchgeführt, so wird die gegen eine Vorbereitungshandlung gerichtete Beschwerde grundsätzlich so verstanden, dass sinngemäss auch der Antrag auf Aufhebung der Abstimmung selber gestellt wird (Urteil 1C_495/2012 vom 12. Februar 2014 E. 1.4 mit Hinweisen, nicht publ. in BGE 140 I 107). Das entsprechende Interesse des Beschwerdeführers an der Aufhebung der Abstimmung ergibt sich in der Regel aus dem Kontext. Ein solches wird bejaht, wenn das (provisorisch festgestellte) Abstimmungsergebnis nicht im Sinne des Beschwerdeführers ausfällt; im gegenteiligen Fall wird es verneint (vgl. Urteile 1C_445/2016 vom 18. Mai 2017 Sachverhalt und E. 1.2; 1C_71/2017 vom 30. März 2017 E. 2 und 4; 1C_127/2017 vom 1. Juni 2017 E. 1 und 3).
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1.4. Gemäss den provisorischen amtlichen Ergebnissen wurden von den drei eidgenössischen Vorlagen in der Volksabstimmung vom 28. November 2021 zwei angenommen und eine abgelehnt. Der Beschwerdeführer erhob am Tag darauf Beschwerde ans Bundesgericht. Weder aus seiner Beschwerdeschrift noch aus dem Kontext des Verfahrens ergeben sich Hinweise darauf, dass er anstrebt, eines oder mehrere dieser Abstimmungsergebnisse aufzuheben, weil es nicht in seinem Sinne ausgefallen wäre. Ein Interesse an einer entsprechenden Auslegung der Rechtsbegehren ist somit nicht erkennbar (vgl. Urteil 1C_127/2010 vom 20. Dezember 2010 E. 3.1, nicht publ. in BGE 136 I 376).
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Gestützt auf die Beschwerdeschrift als Ganzes ist davon auszugehen, dass es dem Beschwerdeführer vielmehr darum geht, die Möglichkeit der elektronischen Entschuldigung von der Stimmpflicht mittels der Applikation eID+ zu unterbinden, weil sie seiner Ansicht nach verfassungswidrig ist (vgl. auch die folgenden, ähnlich gelagerten Fälle: Urteile 1C_495/2012 vom 12. Februar 2014 E. 1.4, nicht publ. in BGE 140 I 107; 1C_511/2015 vom 12. Oktober 2016 E. 1.3, nicht publ. in BGE 143 I 92). Da die Abstimmung im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung bereits stattgefunden hat, besteht allerdings kein aktuelles praktisches Interesse mehr an der Behandlung dieses Begehrens. Unter den konkreten Gegebenheiten kann auch nicht ausnahmsweise auf dieses Erfordernis verzichtet werden (vgl. dazu E. 1.2 hiervor). Zwar besteht durchaus ein gewisses öffentliches Interesse an der Beantwortung der in der Beschwerde aufgeworfenen Fragen, ob die Möglichkeit der elektronischen Entschuldigung von der Stimmpflicht im Kanton Schaffhausen eine hinreichende gesetzliche Grundlage hat und ob die Beschränkung des Pilotversuchs auf eine einzelne Gemeinde mit der Rechtsgleichheit vereinbar ist. Indessen ist nicht davon auszugehen, dass sich diese Fragen in Zukunft wieder stellen werden. Gemäss dem Beschluss des Regierungsrats beschränkte sich der Pilotversuch auf die Abstimmungen vom 28. November 2021 und 13. Februar 2022. Erweist sich der Pilotversuch als erfolgreich, soll die Applikation gemäss den Ausführungen des Regierungsrats im ganzen Kanton eingeführt und dafür eine entsprechende Rechtsgrundlage geschaffen werden. Es bestehen somit keine Anhaltspunkte dafür, dass es in Zukunft im Kanton Schaffhausen zu einer unter den gleichen Modalitäten durchgeführten Abstimmung kommen wird (vgl. auch Urteil 1C_570/2017 vom 30. Oktober 2017 E. 2).
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Im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung war das Rechtsschutzinteresse bereits entfallen, da Gegenstand der Beschwerde vom 29. November 2021 einzig die Volksabstimmung vom 28. November 2021 ist (nicht aber diejenige vom 13. Februar 2022). Auf die Beschwerde ist deshalb nicht einzutreten.
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2.
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Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und ist keine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1-3 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1.
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Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
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2.
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Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
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3.
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Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Bundeskanzlei und dem Regierungsrat des Kantons Schaffhausen schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 17. März 2022
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Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Kneubühler
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Der Gerichtsschreiber: Dold
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