BGer 4A_437/2021 | |||
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BGer 4A_437/2021 vom 25.03.2022 | |
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4A_437/2021 |
Urteil vom 25. März 2022 |
I. zivilrechtliche Abteilung | |
Besetzung
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Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
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Bundesrichterinnen Kiss, Niquille,
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Bundesrichter Rüedi,
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Bundesrichterin May Canellas,
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Gerichtsschreiber Gross.
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Verfahrensbeteiligte | |
A.________ AG,
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vertreten durch Rechtsanwältin Rahel Bahrampoori,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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B.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Joel Steiner,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Prozessrecht; Widerklage,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Luzern, 1. Abteilung, vom 28. Juni 2021 (1B 20 42).
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Sachverhalt: |
A. | |
B.________ (Vermieterin, Beschwerdegegnerin) ist Eigentümerin eines Bootshauses in U.________. Am 2. Juni 2016 schloss sie mit der A.________ AG (Mieterin, Beschwerdeführerin) einen Mietvertrag über einen Teil des Bootshauses ab.
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Am 20. Dezember 2019 fand vor der Schlichtungsbehörde Miete und Pacht des Kantons Luzern eine Schlichtungsverhandlung statt, in der die Mieterin als Klägerin auftrat. Die Vermieterin erhob Widerklage. Eine Einigung kam nicht zustande und die Schlichtungsbehörde erteilte der Mieterin (Klägerin/Widerbeklagte) die Klagebewilligung. Der Vermieterin (Beklagte/Widerklägerin) wurde eine Orientierungskopie abgegeben.
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Die Mieterin prosequierte ihre Klage nicht.
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B. | |
Die Vermieterin (Widerklägerin) erhob gestützt auf die der Mieterin als Klägerin erteilte Klagebewilligung Klage beim Bezirksgericht Kriens und forderte einen Betrag von insgesamt Fr. 20'432.30.
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Auf Antrag der Mieterin beschränkte das Bezirksgericht das Verfahren einstweilen auf die Frage der ordnungsgemässen Prozesseinleitung. Die Mieterin hatte geltend gemacht, dass die im Schlichtungsverfahren erhobene Widerklage nicht selbständig prosequiert werden könne. Mit Zwischenentscheid vom 9. Juli 2020 trat der Einzelrichter des Bezirksgerichts auf die Klage ein.
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Gegen diesen Entscheid erhob die Mieterin Berufung beim Kantonsgericht Luzern. Mit Entscheid vom 28. Juni 2021 wies dieses die Berufung ab und bestätigte den Zwischenentscheid des Einzelrichters des Bezirksgerichts vom 9. Juli 2020.
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C. | |
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 9. September 2021 beantragt die Mieterin dem Bundesgericht, das Urteil des Kantonsgerichts sei kostenfällig aufzuheben und es sei ein Endentscheid im Sinne von Art. 236 f. ZPO zu fällen, indem auf die Widerklage nicht einzutreten sei. Das Kantonsgericht trägt auf Abweisung der Beschwerde an. Die Beschwerdegegnerin teilte mit verspätet eingereichter Eingabe mit, sie verzichte auf eine Beschwerdeantwort.
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Erwägungen: |
1. | |
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein Rechtsmittel zulässig ist (BGE 137 III 417 E. 1 mit Hinweisen).
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1.1. Angefochten ist ein Entscheid der Vorinstanz, mit dem diese den Zwischenentscheid des Bezirksgerichts Kriens vom 9. Juli 2020 geschützt hat, wonach infolge gültiger Klagebewilligung auf die Klage der Beschwerdegegnerin einzutreten sei. Damit wird das Klageverfahren nicht abgeschlossen, weshalb auch der angefochtene Entscheid als Zwischenentscheid zu qualifizieren ist, der nur unter den Voraussetzungen von Art. 92 oder 93 BGG angefochten werden kann.
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1.2. Gegen selbständig eröffnete Zwischenentscheide über die Zuständigkeit ist gemäss Art. 92 Abs. 1 BGG die Beschwerde zulässig; diese können später nicht mehr angefochten werden (Art. 92 Abs. 2 BGG). Die funktionelle Zuständigkeit betrifft die Aufteilung der Rechtspflegeinstanzen in ein und demselben Rechtsstreit auf verschiedene Organe; der Zuständigkeitsbegriff umfasst insofern alle bundesrechtlichen Verfahrensbestimmungen, welche die Zulässigkeit eines Rechtsweges oder die Zuständigkeit eines Rechtspflegeorgans zum Gegenstand haben (BGE 138 III 558 E. 1.3; 123 III 67 E. 1a). Der Entscheid, auf eine Klage einzutreten, da ein vorgängiges Schlichtungsverfahren nicht er forderlich sei, ist ein nach Art. 92 Abs. 1 BGG anfechtbarer Zwischenentscheid über die funktionelle Zuständigkeit (BGE 138 III 558 E. 1.3). Gleiches muss für den Entscheid gelten, in welchem das angerufene Gericht - wie vorliegend - befindet, es sei funktionell zuständig, da eine gültige Klagebewilligung vorliege, womit auf die Klage einzutreten sei.
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1.3. Nach dem Grundsatz der Einheit des Verfahrens sind Zwischenentscheide mit dem in der Hauptsache zulässigen Rechtsmittel anzufechten (BGE 134 V 138 E. 3; 133 III 645 E. 2.2). In der Hauptsache geht es um eine mietrechtliche Streitigkeit, mithin eine Zivilsache vermögensrechtlicher Natur, wobei der Streitwert erfüllt ist (Art. 72 und 74 Abs. 1 lit. a BGG). Die übrigen Eintretensvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde in Zivilsachen ist - unter Vorbehalt einer genügenden Begründung (Art. 42 Abs. 2 BGG) - einzutreten.
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2. | |
Umstritten ist, ob die Widerklägerin gestützt auf die der Hauptklägerin ausgestellte Klagebewilligung unabhängig von der Hauptklägerin ans Gericht gelangen kann, oder ob die Klagebewilligung hinfällig wird, wenn die Hauptklägerin die Frist zur Klageeinreichung unbenutzt verstreichen lässt. Das Bundesgericht hat diese Frage bis anhin offengelassen (Urteil 4A_499/2013 vom 4. Februar 2014 E. 2.3).
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2.1. In der Literatur wird die Frage unterschiedlich beantwortet.
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2.1.1. Einige Autoren gehen davon aus, die Schlichtungsbehörde müsse auch dem Widerkläger eine Klagebewilligung ausstellen bzw. dieser müsse auch dann (gestützt auf die dem Hauptkläger ausgestellte Klagebewilligung) an das Gericht gelangen können, wenn der Hauptkläger die Frist für die Klageeinleitung unbenutzt verstreichen lasse (FRANÇOIS BOHNET, Note zum Urteil 4A_499/2013 vom 4. Februar 2014, SZZP 2014 S. 337;
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2.1.2. Ein anderer Teil ist der Auffassung, dem Widerkläger werde keine separate Klagebewilligung ausgestellt, weil seine Klage abhängig sei von jener des Hauptklägers. Erhebe der Hauptkläger keine Klage beim Gericht, entfalle auch die Rechtshängigkeit der bereits im Schlichtungsverfahren erhobenen Widerklage. Es stehe dem Beklagten jedoch frei, anstelle einer Widerklage eine eigenständige Klage anzuheben, indem er zuvor schriftlich oder anlässlich der Schlichtungsverhandlung mündlich (Art. 202 Abs. 1 ZPO) ein Schlichtungsgesuch stelle (DOMINIK INFANGER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2017, N. 10 zu Art. 209 ZPO; LAURENT KILLIAS, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. II, 2012, N. 51 zu Art. 224 ZPO; DANIEL WILLISEGGER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2017, N. 39 zu Art. 224 ZPO; CHRISTOPH LEUENBERGER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Thomas Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 3. Aufl. 2016, N. 21a zu Art. 224 ZPO; LEUENBERGER/UFFER-TOBLER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2016, S. 173 Rz. 6.38 und S. 354 f. Rz. 11.90; THOMAS SUTTER-SOMM, Das Schlichtungsverfahren der ZPO: Ausgewählte Problempunkte, SZZP 2012 S. 69 ff., 84 f.; DANIEL FÜLLEMANN, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO] [nachfolgend: DIKE-Kommentar ZPO], Alexander Brunner und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2016, N. 24 zu Art. 14 ZPO; MARKUS MÜLLER-CHEN, in: DIKE-Kommentar ZPO, N. 26 zu Art. 62 ZPO; URS EGLI, in: DIKE-Kommentar ZPO, N. 9 zu Art. 209 ZPO; ERIC PAHUD, in: DIKE-Kommentar ZPO, N. 12 zu Art. 224 ZPO. Schliesslich offen "bis zur höchstrichterlichen Klärung": SUTTER-SOMM/GRIEDER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Thomas Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 3. Aufl. 2016, N. 13 zu Art. 14 ZPO).
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2.1.3. Gespalten ist auch die kantonale Praxis. Während das Obergericht des Kantons Zürich der zweiterwähnten Auffassung folgte (Urteil vom 7. Juli 2017 [PD170005]), entschied das Kantonsgericht Waadt wie die Vorinstanz im Sinne der ersterwähnten Lehrmeinungen (Urteil vom 17. Oktober 2018 [2018/587], in: JdT 2019 III 76 ff.).
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2.2. Das Gesetz ist in erster Linie nach seinem Wortlaut auszulegen (grammatikalische Auslegung). Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss das Gericht unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente nach der wahren Tragweite der Norm suchen. Dabei hat es insbesondere den Willen des Gesetzgebers zu berücksichtigen, wie er sich namentlich aus den Gesetzesmaterialien ergibt (historische Auslegung). Weiter hat das Gericht nach dem Zweck, dem Sinn und den dem Text zu Grunde liegenden Wertungen zu forschen, namentlich nach dem durch die Norm geschützten Interesse (teleologische Auslegung). Wichtig ist auch der Sinn, der einer Norm im Kontext zukommt, und das Verhältnis, in welchem sie zu anderen Gesetzesvorschriften steht (systematische Auslegung). Das Bundesgericht befolgt bei der Auslegung von Gesetzesnormen einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es ab, die einzelnen Auslegungselemente einer Prioritätsordnung zu unterstellen (BGE 146 III 217 E. 5; 145 III 324 E. 6.6 mit Hinweisen).
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2.2.1. Der Wortlaut spricht für die zweitgenannte Auffassung (vgl. hiervor E. 2.1.2). Art. 209 Abs. 1 lit. b ZPO nennt den Widerkläger nicht als Adressaten der Klagebewilligung, sondern die "klagende Partei" bzw. - deutlicher noch in der französischen und italienischen Fassung - den "demandeur" bzw. den "attore". Auch in Art. 209 Abs. 3 ZPO, in dem festgelegt wird, wer mit der Klagebewilligung ans Gericht gelangen kann, heisst es im französischen Text ausdrücklich "Le
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2.2.2. Die Widerklage ist unbestritten eine selbständige Klage mit eigenem Streitgegenstand. Daraus wird zum Teil abgeleitet, entsprechend diesem "Wesensmerkmal" müsse der selbständige Charakter der Widerklage ab ihrer Rechtshängigkeit im Schlichtungsverfahren ohne Weiteres zum Tragen kommen (GRIEDER, a.a.O., S. 279 f. Rz. 761 f. i.V.m. Rz. 652 ff.). Darauf berief sich auch die Vorinstanz. Aus dem blossen Begriff der Selbständigkeit kann jedoch nichts per se abgeleitet werden. Vielmehr ergibt sich die Tragweite der Selbständigkeit aus dem systematischen Bezug zu anderen Bestimmungen.
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2.2.2.1. Die Literatur, die sich für eine selbständige Prosequierung der Widerklage ausspricht, verweist in systematischer Hinsicht auf Art. 14 Abs. 2 ZPO, wonach der Gerichtsstand für die Widerklage erhalten bleibt, auch wenn die Hauptklage aus irgendeinem Grund dahinfällt. Dieser Grundsatz müsse auch gelten, wenn die Widerklage im Schlichtungsverfahren erhoben werde und die klagende Partei die Klage nicht prosequiere (DANIEL STAEHELIN, in : Zivilprozessrecht, Adrian Staehelin und andere [Hrsg.], 3. Aufl. 2019, S. 376 § 20 Rz. 32a; WEINGART/PENON, a.a.O., S. 500 f.). Der systematische Bezug auf Art. 14 Abs. 2 ZPO ist richtig. Die Schlussfolgerung der genannten Autoren ist auch folgerichtig, wenn man davon ausgeht, die Widerklage sei bereits mit ihrer Anmeldung im Schlichtungsverfahren eine selbständige Klage, welche gestützt auf die Klagebewilligung auch unabhängig von der Hauptklage beim Gericht anhängig gemacht werden könne. Daraus ergibt sich jedoch nicht zwingend ein systematisches Argument gegen die oben dargelegte grammatikalische Auslegung. Geht man nämlich von dieser Auslegung aus, liest sich Art. 14 Abs. 2 ZPO so, dass diese Bestimmung voraussetzt, dass die Hauptklage vor Gericht anhängig gemacht wurde und damit die klagende Partei die Klagebewilligung auch tatsächlich beim Gericht eingereicht hat (FÜLLEMANN, a.a.O., N. 23 und 31 zu Art. 14 ZPO). Die Auslegung von Art. 209 Abs. 1 lit. b ZPO kann somit nicht unabhängig davon erfolgen, von welchem Verständnis des Widerklagegerichtsstands auszugehen ist.
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2.2.2.2. Art. 14 Abs. 2 ZPO bezieht sich auf den Fall, dass die "Hauptklage aus irgendeinem Grund dahinfällt", ohne dass gesagt wird, ob dies nur Fälle betrifft, in denen sie nach Klageeinleitung beim Gericht dahinfällt oder auch, wenn es gar nie zur Klageeinleitung kommt. Die Literatur nennt als Anwendungsfälle übereinstimmend namentlich Vergleich, Klageanerkennung, Klagerückzug (Art. 241 ZPO) oder Gegenstandslosigkeit aus anderen Gründen (Art. 242 ZPO). Die Bestimmung greife sodann auch, wenn für die Hauptklage eine Prozessvoraussetzung fehle; einschliesslich wenn auf sie mangels örtlicher Zuständigkeit nicht eingetreten werden könne (HAAS/SCHLUMPF, in: Kurzkommentar ZPO, Paul Oberhammer und andere [Hrsg.], 3. Aufl. 2021, N. 12 zu Art. 14 ZPO; SUTTER-SOMM/GRIEDER, a.a.O., N. 14 zu Art. 14 ZPO; PETER RUGGLE, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2017, N. 29 zu Art. 14 ZPO; GÜNGERICH/WALPEN, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. I, 2012, N. 45 zu Art. 14 ZPO; FABIENNE HOHL, Procédure civile, Bd. 1, 2. Aufl. 2016, S. 124 Rz. 677; JACQUES HALDY, in: Commentaire romand, Code de procédure civile, 2. Aufl. 2019, N. 13 zu Art. 14 ZPO; FORNARA/COCCHI, in: Commentario pratico al Codice di diritto processuale civile svizzero, Bd. 2, 2. Aufl. 2017, N. 8 zu Art. 14 ZPO). Mit "Wegfall der Hauptklage" sei ein Wegfall durch Sachurteil, Urteilssurrogat oder Prozessurteil gemeint (SUTTER-SOMM/GRIEDER, a.a.O., N. 14 zu Art. 14 ZPO). Sachurteil, Urteilssurrogat oder Prozessurteil setzen aber eine Klageeinreichung beim Gericht voraus. Allgemein wird gesagt, in Art. 14 Abs. 2 ZPO zeige sich die Selbständigkeit der Widerklage, wobei zum Teil auf BGE 123 III 35 E. 3c verwiesen wird (HAAS/SCHLUMPF, a.a.O., N. 12 zu Art. 14 ZPO; FORNARA/COCCHI, a.a.O., N. 8 zu Art. 14 ZPO bei Fn. 143; HALDY, a.a.O., N. 13 zu Art. 14 ZPO). In diesem Entscheid hat das Bundesgericht aber festgehalten, dass die Widerklage zwar eine selbständige Klage sei, jedoch eine selbständige Klage "im Rahmen eines anderen Prozesses". Von einer selbständigen Klage im Rahmen eines anderen Prozesses kann man aber nicht sprechen, wenn die Hauptklage gar nie beim Gericht eingereicht wurde.
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2.2.2.3. Dass mit dem Wegfall der Hauptklage nicht das Nichteinreichen der Klagebewilligung durch den Hauptkläger gemeint sein kann, ergibt sich auch aus einer verfassungskonformen Auslegung von Art. 14 Abs. 2 ZPO. Da die Klage im Normalfall am Wohnsitzgerichtsstand des Beklagten (Art. 10 ZPO) zu erheben ist, hat Art. 14 ZPO zur Folge, dass der Hauptkläger in seiner Rolle als Widerbeklagter seinen Wohnsitzgerichtsstand verliert. Art. 14 ZPO nimmt eine Regelung auf, die bereits in Art. 6 des Bundesgesetzes vom 24. März 2000 über den Gerichtsstand in Zivilsachen (Gerichtsstandsgesetz, aGestG; AS 2000 2355) enthalten und zuvor in der Rechtsprechung des Bundesgerichts betreffend die Zuständigkeit im interkantonalen Verhältnis als mit Art. 59 aBV (Garantie des Wohnsitzrichters) vereinbar erklärt worden war. Die teleologische Begründung für diese Ausnahme vom Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten ergibt sich aus der erforderlichen Konnexität zwischen Klage und Widerklage; die gerichtliche Beurteilung der Klage fördert in tatsächlicher Hinsicht auch diejenige der Widerklage (BGE 87 I 126 E. 3). Zwar kann nun gemäss Art. 30 Abs. 2 BV (anders als noch unter Art. 59 aBV) durch Gesetz vom Wohnsitzgerichtsstand abgewichen werden. Wenn jedoch eine Bestimmung unklar ist, ist im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen, dass die Verfassung nach wie vor am Grundsatz des Wohnsitzgerichtsstands festhält und Art. 30 Abs. 2 BV die Funktion einer Gerichtsstandsgarantie zukommt (IVO SCHWANDER, in: DIKE-Kommentar ZPO, N. 3 zu Art. 10 ZPO). Die entsprechende Bestimmung ist daher im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung im Sinne des Erhalts des Wohnsitzgerichtsstands auszulegen (CHRISTOPH LEUENBERGER, in: Die Schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Aufl. 2014, N. 39 und 41 zu Art. 30 BV; zur Auslegung einer Gerichtsstandsbestimmung im Hinblick auf Art. 30 Abs. 2 BV vgl. auch BGE 129 III 80 E. 2.2).
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Das Verständnis einer selbständigen Widerklage auch im Falle unterlassener Prosequierung der Hauptklage würde nun aber bewirken, dass der Wider kläger mit der dem Hauptkläger ausgestellten Klagebewilligung seines eigenen Wohnsitzgerichtsstands klagen kann. Damit würde dem Widerbeklagten - der mangels Prosequierung der Hauptklage nunmehr nur noch Beklagter ist - als Folge einer ausdehnenden Auslegung von Art. 209 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 ZPO der Wohnsitzgerichtsstand entzogen. Die prozessökonomisch begründete Auslegung gemäss der in E. 2.2.2.1 hiervor angeführten Literatur widerspricht daher auch dem Gebot einer verfassungskonformen Auslegung. Eine solche führt vielmehr dazu, dass dem Kläger, der auf Klageeinleitung verzichtet, der Wohnsitzgerichtsstand erhalten bleiben muss, wenn der Widerkläger nun seinerseits in einer vollständig unabhängigen Klage gegen ihn vorgehen will.
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2.2.3. Die für die Gegenmeinung weiter ins Feld geführten Argumente kommen gegen dieses Auslegungsergebnis nicht an. Vor allem wird geltend gemacht, es sei nicht logisch, dass die Widerklage gemäss Art. 62 Abs. 1 ZPO zwar rechtshängig werde, dann aber ohne Einreichung der Hauptklage nicht fortgeführt werden könne. Ein solches Verständnis hätte für den Widerkläger nur Nachteile, könne er doch während der dreimonatigen Frist zufolge der Sperrwirkung der Rechtshängigkeit (Art. 64 Abs. 1 lit. a ZPO) seiner Widerklage seine Ansprüche nicht sonstwie einklagen, was bei Ablauf peremptorischer Fristen in diesem Zeitraum zu einem Rechtsverlust führen könne (BOHNET, Commentaire, a.a.O., N. 10a zu Art. 202 ZPO). Da der Widerkläger ja nicht gezwungen sei, seine Widerklage bereits im Schlichtungsverfahren einzubringen (Art. 198 lit. g ZPO), gehe es bei der Erwähnung der Widerklage in Art. 209 Abs. 2 lit. b ZPO eben darum, ihm die selbständige Fortführung des Prozesses zu ermöglichen (BOHNET, Note, a.a.O., S. 337; BASTONS BULLETTI, Bemerkungen, a.a.O.). Dies überzeugt deshalb nicht, weil der Widerkläger seine Widerklage bei gescheiterter Schlichtung zurückziehen kann, ohne dabei die Folgen von Art. 65 ZPO befürchten zu müssen, und sie später - wenn der Kläger seine Klage prosequiert hat - im Rahmen der Klageantwort einreichen kann. Es steht ihm auch offen, von Anfang an ein eigenes Schlichtungsverfahren einzuleiten (INFANGER, a.a.O., N. 10 zu Art. 209 ZPO; SUTTER-SOMM, a.a.O., S. 85).
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2.2.4. An der vorstehenden Auslegung, welche sich in systematischer Hinsicht auf den Zusammenhang mit der Bestimmung zum Widerklagegerichtsstand stützt, um die Tragweite der Selbständigkeit der Widerklage
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3. | |
Somit ist das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und auf die Widerklage nicht einzutreten. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird die Beschwerdegegnerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG). Die Vorinstanz wird die Kosten- und Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens neu zu regeln haben (Art. 67 und Art. 68 Abs. 5 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
1.
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Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 28. Juni 2021 wird aufgehoben und auf die Widerklage wird nicht eingetreten.
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2.
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Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
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3.
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Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.
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4.
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Die Sache wird zur Neuverteilung der Kosten und der Parteientschädigungen des kantonalen Verfahrens an das Kantonsgericht zurückgewiesen.
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5.
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Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Luzern, 1. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 25. März 2022
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Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Die Präsidentin: Hohl
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Der Gerichtsschreiber: Gross
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