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Informationen zum Dokument  BGer 6B_396/2021  Materielle Begründung
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BGer 6B_396/2021 vom 31.03.2022
 
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6B_396/2021
 
 
Urteil vom 31. März 2022
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
 
Bundesrichter Denys,
 
Bundesrichter Hurni,
 
Gerichtsschreiber Bittel.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt André Kuhn,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Grobe Verletzung der Verkehrsregeln durch Missachtung eines Signals; Unschuldsvermutung; Willkür,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, vom 23. Februar 2021 (SST.2020.107).
 
 
Sachverhalt:
 
A.
1
Die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau legte A.________ zur Last, sie habe am 13. März 2018 um ca. 18.55 Uhr in U.________ grobfahrlässig ein Lichtsignal (Rotlicht) missachtet und dem Verkehr nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt. Mit Strafbefehl vom 25. Juli 2019 bestrafte sie A.________ deshalb zu einer bedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je Fr. 170.-- sowie einer Busse von Fr. 1'100.--, Ersatzfreiheitsstrafe 7 Tage.
2
Auf Einsprache von A.________ hin stützte das Bezirksgericht Lenzburg mit Urteil vom 12. September 2019 den Strafbefehl.
3
B.
4
A.________ erhob Berufung an das Obergericht des Kantons Aargau. Dieses hiess am 23. Februar 2021 die Berufung hinsichtlich des Vorwurfs der mangelnden Aufmerksamkeit gut und bestätigte den Schuldspruch betreffend die grobe Verletzung der Verkehrsregeln durch Missachtung eines Signals. Es verurteilte A.________ ebenfalls zu einer bedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen, reduzierte die Tagessatzhöhe jedoch auf Fr. 160.-- und die Busse auf Fr. 800.--.
5
C.
6
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht. Sie beantragt, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und sie sei freizusprechen. Eventualiter sei das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache sei zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
7
Es wurden die Akten, nicht aber Vernehmlassungen eingeholt.
8
 
Erwägungen:
 
1.
9
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" sowie eine Verletzung der Begründungspflicht nach Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG.
10
 
1.1.
 
1.1.1. Als Beweiswürdigungsregel besagt der Grundsatz "in dubio pro reo", dass sich das Strafgericht nicht von der Existenz eines für die beschuldigte Person ungünstigen Sachverhalts überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat (BGE 127 I 38 E. 2a mit Hinweisen). Verurteilt das Strafgericht den Beschuldigten, obwohl bei objektiver Betrachtung des gesamten Beweisergebnisses unüberwindliche, schlechterdings nicht zu unterdrückende Zweifel an dessen Schuld bestehen, liegt auch immer Willkür vor. Dem Grundsatz "in dubio pro reo" kommt in seiner Funktion als Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor Bundesgericht keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung zu (BGE 146 IV 88 E. 1.3.1; 145 IV 154 E. 1.1; 143 IV 500 E. 1.1; 127 I 38 E. 2a; je mit Hinweisen).
11
1.1.2. Nach Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG müssen beim Bundesgericht anfechtbare Entscheide die massgebenden Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art enthalten. Der vorinstanzliche Entscheid hat eindeutig aufzuzeigen, auf welchem festgestellten Sachverhalt und auf welchen rechtlichen Überlegungen er beruht (BGE 141 IV 244 E. 1.2.1 mit Hinweisen). Die Begründung ist insbesondere mangelhaft, wenn der angefochtene Entscheid jene tatsächlichen Feststellungen nicht trifft, die zur Überprüfung des eidgenössischen Rechts notwendig sind oder wenn die rechtliche Begründung des angefochtenen Entscheids so lückenhaft oder unvollständig ist, dass nicht geprüft werden kann, wie das eidgenössische Recht angewendet wurde. Die Begründung ist ferner mangelhaft, wenn einzelne Tatbestandsmerkmale, die für die Subsumtion unter eine gesetzliche Norm von Bedeutung sind, von der Vorinstanz nicht oder nicht genügend abgeklärt wurden (BGE 119 IV 284 E. 5b).
12
1.2. Die Vorinstanz erwog, es stehe fest, dass es am 13. März 2018 um ca. 18.55 Uhr zu einem Unfall auf der Kreuzung W.________ in U.________ zwischen der Beschwerdeführerin mit ihrem Personenwagen und dem von B.________ gelenkten Bus sowie dem von C.________ gelenkten Personenwagen gekommen sei. Es lasse sich zweifelsfrei erstellen, dass die Beschuldigte vor der Kollision den Haltebalken auf ihrer Spur bei Gelb und die Kreuzung bei Rot überfahren habe. Dies zeige sich einerseits aus der Auswertung der Lichtsignalanlage. Die Zwischenzeiten (d.h. das Grünende einer Spur bis Grünbeginn der anderen) von vorliegend sieben Sekunden seien für die Spur der Beschwerdeführerin und jene von B.________ eingehalten worden. Mithin könne ein sog. "feindliches Grün-Grün" ausgeschlossen werden. Da die Rotfahrschleife der Spur der Beschwerdeführerin im Unfallzeitpunkt defekt gewesen sei, könne nicht ermittelt werden, ob die Beschwerdeführerin das Rotlicht missachtet habe. Auf der Spur von B.________ sei keine Rotlichtmessung registriert worden. Diese Auswertung decke sich im Grundsatz mit den glaubhaften und übereinstimmenden Aussagen von B.________ und C.________. Diesen zufolge habe ihre jeweilige Spur Grün gehabt und sie hätten die Kreuzung passieren wollen, woraufhin es zur Kollision mit der Beschwerdeführerin gekommen sei. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin könne somit ausgeschlossen werden, dass B.________ die Kreuzung bei Rot-Gelb befahren habe. Da B.________ folglich erst bei Grün gefahren sei, lasse sich zweifelsfrei erstellen, dass die Beschwerdeführerin den Balken auf ihrer Spur zumindest bei Gelb und somit die Kreuzung bei Rot überfahren habe. Ansonsten hätte es bei einer Zwischenzeit von mindestens sieben Sekunden und einer Geschwindigkeit im Rahmen des Zulässigen nicht zur Kollision kommen können. Bei diesem Ergebnis müsse nicht auf die Aufzeichnungen der Verkehrsüberwachungskameras zurückgegriffen werden, weshalb offenbleiben könne, ob diese überhaupt verwertet werden dürften. Die Erstinstanz sei zu Recht von einer Verletzung von Art. 90 Abs. 2 i.V.m. Art. 27 Abs. 1 SVG und Art. 68 Abs. 4 der Signalisationsverordnung vom 5. September 1979 (SSV; SR 741.21) ausgegangen.
13
1.3. Die Beschwerdeführerin rügt, das Überfahren des Anhaltebalkens sei gemäss Art. 68 Abs. 4 lit. a SSV nur dann verboten, wenn ein Anhalten ohne brüskes Bremsen noch möglich sei. Die Vorinstanz sei implizit und ohne Begründung davon ausgegangen, sie hätte ohne brüskes Bremsen noch vor der Kreuzung anhalten können. Die Vorinstanz habe aber weder festzustellen vermögen, wie lange die Ampel auf Gelb gestanden habe bevor sie diese passiert habe noch wie schnell sie auf die Kreuzung zugefahren sei. Trotz dieser fehlenden Sachverhaltselemente sei die Vorinstanz davon ausgegangen, die Ampel habe bereits dann auf Gelb geschaltet, als sie noch weit von ihr entfernt gewesen sei und sie demnach noch ohne brüskes Bremsen vor der Kreuzung hätte halten können. Diese Annahme zu ihren Ungunsten sei willkürlich. Es hätte sich vorliegend auch gegenteilig abspielen können, nämlich dass die Ampel erst kurz vor dem Passieren auf Gelb geschaltet habe, weshalb sie nicht ohne brüskes Bremsen hätte anhalten können. Obgleich ununterdrückbare Zweifel bestanden hätten, dass sich der Sachverhalt wie von der Vorinstanz angenommen abgespielt habe, sei diese vom für sie ungünstigeren Sachverhalt ausgegangen.
14
1.4. Die Vorinstanz stellte nicht explizit fest, wie lange die Ampel bereits Gelb gezeigt hatte als die Beschwerdeführerin den Anhaltestreifen passierte. Sie begnügte sich bei ihren Erwägungen zum Sachverhalt damit, festzustellen, dass die Ampel zumindest auf Gelb gestanden habe. Bei der rechtlichen Würdigung dieses Sachverhalts ging die Vorinstanz offenkundig davon aus, der Beschwerdeführerin wäre es möglich gewesen, noch vor der Verzweigung - und zwar noch ohne brüske Bremsung (BGE 118 IV 84 E. 2b) - halten zu können, zumal sie explizit auf Art. 27 Abs. 1 SVG i.V.m. Art. 68 Abs. 4 lit. a SSV verwies und ein Schuldspruch sonst nicht hätte ergehen können. Die Begründung für diese Einschätzung findet sich in E. 3.3.2 des vorinstanzlichen Urteils. Dort hielt die Vorinstanz fest, die Beschwerdeführerin habe gegenüber der Kantonspolizei angegeben, sie sei einem Bus hinterhergefahren und habe sich auf ihre Erfahrung verlassen, wonach noch ein bis zwei Fahrzeuge hinter dem Bus herfahren könnten, bis die Ampel auf "Orange" (gemeint: Gelb) wechsle. Die Vorinstanz leitete aus dieser Aussage offenkundig ab, die Beschwerdeführerin hätte noch rechtzeitig anhalten können, sofern sie bemerkt hätte, dass die Ampel nicht mehr (wie behauptet) auf Grün gestanden hat. Diese Beweiswürdigung ist nicht willkürlich. Im Lichte der Aussage der Beschwerdeführerin bestanden keine ernsthaften Zweifel, dass sie - wie von Art. 68 Abs. 4 lit. a SSV gefordert - noch vor der Verzweigung hätte halten können. Dem Gesagten zufolge verletzte die Vorinstanz weder die Begründungspflicht noch den Grundsatz von "in dubio pro reo".
15
2.
16
Die Beschwerde ist abzuweisen, womit die Beschwerdeführerin ausgangsgemäss kostenpflichtig wird (Art. 66 Abs. 1 BGG).
17
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 31. März 2022
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
 
Der Gerichtsschreiber: Bittel
 
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