BGHSt 40, 66 - Wiedererkennen einer Stimme | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Rainer M. Christmann, A. Tschentscher | |||
1. Zum Beweiswert des Wiedererkennens einer Stimme. |
2. Zur Verwertbarkeit des Ergebnisses eines heimlich herbeigeführten Stimmenvergleichs. |
StPO §§ 136a, 261 |
4. Strafsenat |
Urteil |
vom 24. Februar 1994 g.Z. |
- 4 StR 317/93 - |
Landgericht Saarbrücken |
Aus den Gründen: | |
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung verurteilt.
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1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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Der Angeklagte und die Geschädigte, Frau Z., kannten einander seit etwa fünf Jahren flüchtig. Es war zu etwa acht bis zehn Zusammentreffen gekommen, bei denen sie sich - jeweils nur kurz - über Belanglosigkeiten unterhalten hatten. In der Tatnacht verschaffte sich der Angeklagte, als Frau Z. vor ihrer Haustür ihren Pkw verlassen wollte, mit Gewalt und unter Bedrohung mit einem Messer Zugang zu dem Fahrzeug. Nachdem er mit Frau Z. unter andauernder Bedrohung mit dem Messer an einen abgelegenen Ort gefahren war, zwang er sie auf dem Rücksitz des Fahrzeugs zur Duldung des Geschlechtsverkehrs und zum Oralverkehr. Frau Z. konnte das Gesicht des Angeklagten während des gesamten Tatvorgangs nicht wahrnehmen, weil er sich zunächst mit einer Wollmütze maskiert hatte und später ihr diese Mütze über das Gesicht zog.
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2. Der Angeklagte bestreitet, die Tat begangen zu haben. Die Strafkammer ist von seiner Täterschaft unter anderem deswegen überzeugt, weil Frau Z. den Angeklagten am Morgen nach der Tatnacht im Polizeirevier an der Stimme wiedererkannt habe. Insofern ergibt sich aus den in den Urteilsgründen wiedergegebenen Aussagen der Zeugin Z. und des Zeugen A., eines Kriminalbeamten, folgendes: Frau Z. war am Morgen nach der Tat ins Polizeirevier gebeten worden. Nachdem sie erklärt hatte, daß sie das Gesicht des Täters nicht gesehen, sich jedoch seine Stimme "sehr gut eingeprägt" habe, erhielt sie Gelegenheit, durch eine geöffnete Tür ein Gespräch anzuhören, das zwei Männer - der Angeklagte und ein anderer Kriminalbeamter - in einem Nachbarzimmer führten. Frau Z. hörte etwa eine Minute lang zu. Danach erklärte sie, sie sei zu 100 % sicher, daß es sich bei der Stimme des Angeklagten um die Stimme des Täters handele.
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Ihre Überzeugung, daß die Zeugin Z. in der Stimme des Angeklagten die des Täters wiedererkannt habe und dieser tatsächlich der Täter gewesen sei, stützt die Strafkammer darauf, daß die Bekundungen der Zeugin glaubhaft gewesen seien: Die Zeugin habe sich die Identifizierung des Angeklagten nicht leicht gemacht; ihre Aussagen seien - wie im einzelnen näher ausgeführt wird - nicht darauf gerichtet gewesen, in ihm unter allen Umständen den Täter zu finden.
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a) Es bedarf hier nicht der Entscheidung, ob der Identifizierung eines Tatverdächtigen ausschließlich an seiner Stimme grundsätzlich - auch unter idealen Bedingungen, insbesondere bei besten Absichten und größtem Bemühen des Zeugen - nur ein eingeschränkter Beweiswert zugemessen werden kann (vgl. Hammersley/Read, Das Wiedererkennen von Stimmen, in: Köhnken/Sporer (Hrsg.), Identifizierung von Tatverdächtigen durch Augenzeugen S. 113, 114, 117, 133; Odenthal, Rechtsprobleme des Wiedererkennens, in: Köhnken/Sporer a.a.O. S. 9, 17) und eine Verurteilung nur dann Bestand haben kann, wenn sich der Tatrichter der besonderen Problematik des Wiedererkennens von Stimmen erkennbar bewußt gewesen ist. Jedenfalls mit Blick auf die Umstände, unter denen die Zeugin Z. die Stimme des Angeklagten als die des Täters wiedererkannt hat, hält die Beweiswürdigung der Strafkammer rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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Für die Gegenüberstellung zum Zwecke der Identifizierung eines Tatverdächtigen durch einen Augenzeugen ist allgemein anerkannt, daß dem Zeugen nicht nur der Beschuldigte, sondern zugleich auch eine Reihe anderer Personen gleichen Geschlechts, ähnlichen Alters und ähnlichen Erscheinungsbildes gegenüberzustellen sind (BGH StV 1993, 627; BGH NStZ 1982, 342; OLG Köln StV 1986, 12; im einzelnen näher OLG Karlsruhe NStZ 1983, 377, 378; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 41. Aufl. § 58 Rn. 12; Pelchen in KK 3. Aufl. § 58 Rn. 9; Odenthal a.a.O. S. 18; Schweling MDR 1969, 177; vgl. auch RiStBV Nr. 18; einschränkend Nöldeke NStZ 1982, 193). Das Ergebnis einer Einzelgegenüberstellung ist zwar nicht unverwertbar. Ihm kommt aber regelmäßig ein wesentlich geringerer Beweiswert zu als dem einer vorschriftsgemäß durchgeführten Wahlgegenüberstellung. Daher müssen im Falle einer Verurteilung die Urteilsgründe erkennen lassen, daß sich das Gericht der Mängel und der durch sie bedingten Beeinträchtigung des Beweiswertes bewußt ist (vgl. BGH, Beschl. vom 18. August 1993 - 5 StR 477/93 -, insoweit in StV 1993, 627 nicht abgedruckt; BGH NStZ 1982, 342; BGH DAR 1976, 94; OLG Köln StV 1986, 12; 1992, 412; 1994, 67; Pelchen a.a.O. Rn. 9).
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Für die Identifizierung eines Tatverdächtigen aufgrund eines Stimmenvergleichs müssen diese Grundsätze entsprechend gelten. Es ist sicherzustellen, daß der Zeuge die Stimme des Verdächtigen nicht isoliert, sondern neben anderen Stimmen hört. Die Vergleichsstimmen müssen eine gewisse Klangähnlichkeit aufweisen. Es dürfen dem Zeugen auch nicht etwa neben dem mit einem fremdländischen Akzent oder einem Dialekt sprechenden Verdächtigen Stimmen einer anderen Sprachheimat vorgestellt werden (Odenthal a.a.O. S. 17; Hammersley/Read a.a.O. S. 130 ff. - mit weiteren Empfehlungen für die Durchführung der "akustischen Gegenüberstellung"). Bei Mängeln des Stimmenvergleichstests verliert die Identifizierung der Stimme durch den Zeugen zwar nicht notwendig jeden Beweiswert; wie bei der fehlerhaften visuellen Gegenüberstellung muß sich der Tatrichter aber des besonderen Risikos einer Falschidentifizierung - erkennbar - bewußt sein.
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b) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils nicht gerecht.
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Die Geschädigte hat den Angeklagten als Täter identifiziert, nachdem sie ausschließlich dessen Stimme gehört hatte. Daß sie neben seiner Stimme die eines Kriminalbeamten hören konnte, hat der Zeugin, wovon mangels näherer Angaben zum Gesprächsinhalt auszugehen ist, keine wirkliche Wahlmöglichkeit eröffnet. Deshalb bedarf es auch nicht der Entscheidung, wie groß die Zahl der Vergleichsstimmen sein muß und ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Möglichkeit, zwischen zwei Stimmen zu wählen, ausreichen kann.
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Die Urteilsgründe lassen nicht erkennen, daß sich das Landgericht des - infolge unzureichender Durchführung des Stimmenvergleichs - gesteigerten Risikos einer Falschidentifizierung bewußt war. Das von der Strafkammer betonte größte Bemühen der Zeugin Z. um eine wahrheitsgemäße Aussage bietet keine Gewähr dafür, daß diese nicht einem Irrtum erlegen war, soweit sie glaubte, die Stimme des Täters wiedererkannt zu haben. Zu einer sorgfältigen Auseinandersetzung mit dieser Möglichkeit bestand für die Strafkammer zumal unter Berücksichtigung der suggestiven Wirkung der Wiedererkennenssituation, insbesondere der Heimlichkeit des Mithörens, besonderer Anlaß. Im übrigen hatte die Zeugin die Stimme des Angeklagten schon bei verschiedenen früheren Begegnungen gehört. Daraus muß zwar nicht folgen, daß sie diese Stimme schon bei der Tat hätte erkennen müssen. Denkbar ist aber, daß sich bei der "Gegenüberstellung" ihre - blasse - Erinnerung an die Stimme des Angeklagten und die an die Stimme des Täters vermengten und sie nicht, wie sie meinte, diese, sondern jene wiedererkannte.
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c) Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil. Allerdings hat die Strafkammer ihre Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten auch darauf gestützt, daß die Tat zum Nachteil der Zeugin Z. nach der Art der Durchführung auffallende Übereinstimmungen mit mehreren Taten aufweist, die der Angeklagte - wenn auch vor langer Zeit (die letzte 1982) - begangen hatte. Für ihre Überzeugungsbildung mag auch eine gewisse Rolle gespielt haben, daß der Täter nach den Beschreibungen der Zeugin einen Schnurrbart trug - wie zur Tatzeit auch der Angeklagte - und daß er Hochdeutsch mit einem leicht eingefärbten lokalen Dialekt einer Gegend sprach, aus der auch der Angeklagte stammt. Entscheidend hat die Strafkammer aber darauf abgestellt, daß die Zeugin den Angeklagten an der Stimme als den Täter erkannt hat.
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4. Da die Revision aufgrund der Sachrüge Erfolg hat, braucht auf die Verfahrensrügen nicht eingegangen zu werden. Für die neue Verhandlung besteht insofern allerdings Veranlassung zu folgenden Hinweisen:
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a) Der am Morgen nach der Tatnacht auf dem Polizeirevier durchgeführte Stimmenvergleich war nicht schon deswegen rechtswidrig, sein Ergebnis nicht schon deswegen unverwertbar, weil der Angeklagte über diese Maßnahme nicht unterrichtet war und sein Einverständnis nicht erteilt hatte. Von der Unzulässigkeit der Stimmprobe müßte nur ausgegangen werden, wenn die Kriminalbeamten diese durch Täuschung des Angeklagten ermöglicht hätten.
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Soweit die Revision dies unter Berufung auf die Entscheidung BGHSt 34, 39 anders sieht (ebenso AG Freiburg StV 1988, 383; ähnlich Odenthal a.a.O. S. 18; vgl. auch Meyer JR 1987, 215, 217; Beulke StV 1990, 180, 183), verkennt sie die Besonderheiten des jener Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts. Dieser ist dadurch gekennzeichnet, daß die Ermittlungsbehörden das nichtöffentlich (im Rahmen des Eingangsgesprächs mit dem Leiter einer Justizvollzugsanstalt) gesprochene Wort des Beschuldigten mittels einer ihm gegenüber verborgen gehaltenen Abhöranlage auf Tonträger aufgenommen hatten. An diese Besonderheit knüpfen auch die rechtlichen Erwägungen an, mit denen der Bundesgerichtshof in jener Sache die Unverwertbarkeit der Aufnahme begründet hat.
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Die Unverwertbarkeit des Ergebnisses jeder heimlichen Stimmprobe läßt sich auch nicht damit begründen, daß "der Beschuldigte, der sich vor einer solchen Stimmenidentifizierung schützen wollte, praktisch auf jede Kommunikation verzichten müßte" (so Odenthal a.a.O. S. 18; vgl. auch Meyer JR 1987, 215, 217). Das Risiko, an seiner Stimme wiedererkannt zu werden, kann und muß das Strafprozeßrecht dem Täter nicht generell und für alle Wiedererkennenssituationen abnehmen. Das ist offensichtlich für den Fall, daß das Tatopfer mit dem Täter zufällig oder nach eigener gezielter Suche zusammentrifft und ihn bei dieser Gelegenheit wiedererkennt. Nichts anderes kann aber gelten, wenn es zu einem solchen Zusammentreffen aufgrund von Hinweisen der Polizei an das Tatopfer kommt.
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Eine andere Beurteilung ist auch nicht unter Berücksichtigung des Grundsatzes geboten, daß der Beschuldigte nicht verpflichtet ist, an der Aufklärung des Sachverhalts aktiv mitzuwirken und zur eigenen Überführung tätig zu werden (BGHSt a.a.O. S. 46 m.w.N.). Allerdings ist dieser Grundsatz bei der "akustischen Gegenüberstellung" berührt. Aus der grundsätzlichen Freiheit des Beschuldigten, selbst darüber zu befinden, ob er an der Aufklärung des Sachverhalts aktiv mitwirken will oder nicht, folgt aber nur, daß er zu einer derartigen Mitwirkung - etwa zu Tests, Tatrekonstruktionen, Schriftproben oder zur Schaffung ähnlicher für seine Identifizierung notwendiger Anknüpfungstatsachen - nicht gezwungen werden darf und die Strafverfolgungsbehörden dieses Verbot auch nicht dadurch umgehen dürfen, daß sie ihn durch ausdrückliche oder konkludente Täuschung zu einer solchen Mitwirkung veranlassen (BGHSt a.a.O. S. 46). Danach ist nicht jede heimliche "Stimmengegenüberstellung" unzulässig, sondern nur diejenige, die mittels Täuschung herbeigeführt wird. Die gegenteilige Auffassung würde zudem dazu führen, daß der Grundsatz der Selbstbezichtigungsfreiheit außerhalb von Vernehmungen und vernehmungsähnlichen Situationen einen weitergehenden Schutz gewährte, als dies § 136a StPO für dessen Anwendungsbereich vorsieht. Dementsprechend wäre sie auch mit der Rechtsprechung zu dem ähnlich gelagerten, allerdings den Anwendungsbereich des § 136a StPO betreffenden Problem der "Hörfalle" nicht in Einklang zu bringen. Nach ihr ist die Verwendung der "Hörfalle" nicht stets verboten, sondern nur unter der Voraussetzung einer Täuschung (BGH StV 1994, 58, 61, 62 m.w.N. zu abweichenden Meinungen im Schrifttum).
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Somit wäre die von den Kriminalbeamten am Morgen nach der Tat durchgeführte Stimmprobe nur dann unzulässig gewesen, wenn diese Maßnahme unter Täuschung des Angeklagten erfolgt wäre. Eine solche Täuschung lag nicht schon darin, daß der Angeklagte nicht unterrichtet wurde, als die Zeugin Z. Gelegenheit erhielt, sein Gespräch mit einem Vernehmungsbeamten anzuhören. Die bloße Ausnutzung eines bestehenden Irrtums kann einer Täuschung nur ausnahmsweise gleichgestellt werden (vgl. näher BGH a.a.O.). Eine unzulässige Täuschung könnte aber gegeben sein, wenn die Zeugin Z. die Gelegenheit zum Mithören erhalten hätte, nachdem der Angeklagte seine freiwillige Beteiligung an einer Stimmprobe ausdrücklich abgelehnt hätte. Darüber hinaus käme sie auch dann in Betracht, wenn die Vernehmung oder das Gespräch mit dem Angeklagten, entgegen dem ihm mitgeteilten Zweck, in Wirklichkeit nur in der Absicht durchgeführt worden wäre, der Zeugin eine Gelegenheit zum Mithören zu verschaffen, worauf die Bekundung des Zeugen A. hindeuten könnte, er habe, nachdem die Zeugin erklärt habe, daß sie den Täter an der Stimme wiedererkennen könne, ein Gespräch zwischen einem Beamten und dem Angeklagten "arrangiert".
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Der Frage, ob der Angeklagte durch Täuschung zu einer Mitwirkung an der Stimmprobe veranlaßt worden ist, wird der neue Tatrichter durch Aufklärung der einzelnen Umstände dieses Vorgangs nachzugehen haben, wenn er dem Ergebnis der Stimmprobe trotz der aufgezeigten Bedenken einen für seine Überzeugungsbildung bestimmenden Beweiswert beimessen möchte.
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