StPO §§ 52, 252
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1. Strafsenat
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Urteil | |
vom 21. Juli 1994 g.W.u.L.
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- 1 StR 83/94 - | |
Landgericht München I
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Aus den Gründen: | |
A. | |
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub verurteilt.
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Nach den Feststellungen war der Angeklagte W mit dem Schauspieler S. jahrelang persönlich und geschäftlich verbunden. Nachdem es zwischen ihnen zum Zerwürfnis gekommen war, entschloß sich der Angeklagte W., S. zu töten. Dadurch wollte er wirtschaftliche Nachteile und die Rückzahlung eines Darlehens vermeiden, einer etwaigen Enterbung zuvorkommen und an Bargeld und Wertsachen des S. herankommen. Den Mitangeklagten L., der wirtschaftliche Vorteile und ebenfalls Raubgut erwartete, und der das Gefühl hatte, mit seinem Halbbruder W. "in einem Boot zu sitzen", forderte er erfolgreich zum Mitmachen auf.
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Am Abend des 14. Juli 1990 schlichen sich die Angeklagten mit Tötungsvorsatz in die Wohnung des S., fesselten und folterten das Tatopfer und töteten es schließlich mit einem Messer und einem Hammer. Bargeld, Urkunden, die Münzsammlung u.a. nahmen sie mit und täuschten eine Tat im "Strichermilieu" vor.
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Beide Revisionen rügen die Verletzung des § 252 StPO in Verbindung mit § 52 StPO. Dem liegt folgendes zugrunde:
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Da sich die Tataufklärung als äußerst schwierig erwies, verpflichtete die Polizei im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft Anfang November 1990 die Kaufleute R. und H. als Vertrauenspersonen. Diese hatten den Auftrag, Kontakt mit zwei Tatverdächtigen (den späteren Angeklagten) und deren Umfeld aufzunehmen. Ihre Wahrnehmungen sollten sie jeweils vollständig an die Polizei weitergeben, ohne dieses Material nach belastenden oder entlastenden Gesichtspunkten zu filtern. Die beiden V-Leute sprachen ihre Kontakte mit der Polizei ab, hatten aber keine Kenntnis vom Stand der Ermittlungen. Es gelang ihnen, das Vertrauen des Angeklagten L. und seiner Verlobten K. zu gewinnen. Diese erklärte von sich aus Anfang Juli 1991 einem der V-Männer gegenüber, der in einer Zeitung abgebildete Tathammer gehöre dem Angeklagten L. Auf Nachfrage beschrieb sie individuelle Merkmale. Beiden V-Leuten gegenüber begründete sie später von sich aus erneut, daß sie "hundertprozentig" sicher sei. Erstmals gegenüber dem Ermittlungsrichter am 30. März 1992 und dann in der Hauptverhandlung berief sich die Zeugin K. auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO und machte keine Angaben zur Sache. Gegen den Widerspruch der Verteidigung hat das Landgericht die V-Leute R. und H. als Zeugen darüber vernommen, was Frau K. ihnen gegenüber geäußert hat.
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1. 252 StPO verbietet die Verlesung der polizeilichen Aussage eines Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht. In ständiger Rechtsprechung ist das Verlesungsverbot über den Wortlaut des § 252 StPO hinaus dahin ausgedehnt worden, daß es dem Gericht auch verwehrt ist, die früheren Aussagen durch Anhörung der Vernehmungsbeamten in die Hauptverhandlung einzuführen und dann zu verwerten (BGHSt 2, 99 [104 f.]; 21, 218). Voraussetzung für ein auf § 252 StPO gestütztes Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot ist aber stets, daß es sich um Angaben des Zeugen handelt, die er im Rahmen einer Vernehmung gemacht hat. Dem stehen gleich auch solche Äußerungen des Zeugen, die er gegenüber einem Ermittlungsbeamten auf Befragen bei einer informatorischen Anhörung oder sonst in vernehmungsähnlicher Situation gemacht hat. Äußerungen des Zeugen außerhalb einer Vernehmung werden von § 252 StPO nicht erfaßt (BGHSt 36, 384 [387,389] mit zahlr. Nachw.; BGH NStZ 1992, 247; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 41. Aufl. § 252 Rn. 8). Um solche Äußerungen handelte es sich bei dem, was die Zeugin K. den V-Leuten gegenüber gesagt hat.
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Zum Begriff der Vernehmung gehört, daß der Vernehmende dem Zeugen in amtlicher Funktion gegenübertritt (z.B. als Polizei- oder Zollbeamter, als Staatsanwalt oder Richter) und in dieser Eigenschaft von ihm Auskunft verlangt. Das ist bei V-Leuten nicht der Fall, auch wenn sie von den Ermittlungsbehörden gezielt auf die Angeklagten und deren Umfeld angesetzt und straff geführt werden. Daran ändert sich formell und materiell nichts dadurch, daß die hier tätigen V-Leute förmlich nach dem Verpflichtungsgesetz vom 2. März 1974 (BGBl I 469, 547) verpflichtet worden waren (§ 11 Abs. 1 Nr. 4 a StGB). Damit hatten sie zwar bestimmte Pflichten übernommen (gewissenhafte Aufgabenerfüllung, Unbestechlichkeit und Verschwiegenheit), sie waren aber nicht zu Angehörigen der Ermittlungsbehörden geworden, die als Staatsorgane mit der Strafverfolgung beauftragt sind; sie unterstützten lediglich die Strafverfolgungsbehörden bei der Aufklärung von Straftaten (s. RiStBV Anl. D Nr. 2.2). Der V-Mann führt also keine Vernehmungen; was er im Umfeld des Beschuldigten von dessen Angehörigen erfährt, fällt somit nicht unter § 252 StPO, selbst dann nicht, wenn er im Rahmen des Gespräches "nachfragt". Der V-Mann ist Zeuge und unterliegt den Regeln der StPO für diesen Personenkreis (vgl. BTDrucks. 12/989 S. 41 parlamentarische Beratung des OrgKG vom 15. Juli 1992; Hilger NStZ 1992, 523).
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a) Einen Fall, in dem ein bereits ausgeübtes Zeugnisverweigerungsrecht durch Ansetzen von V-Leuten gezielt unterlaufen wurde, hat der Senat nicht zu entscheiden. Die Zeugin K. war nur eine von mehreren Zielpersonen der V-Leute, sie war bei mehreren Vernehmungen (bis zum 28. März 1992) trotz Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht - in einem Fall in Anwesenheit ihres Rechtsbeistandes - aussagebereit. Auch am 26. Oktober 1990 hat sie die Aussage nicht verweigert; hier hatte lediglich die Ermittlungsrichterin nach Aufnahme der Personalien festgestellt, es bestehe kein Zeugnisverweigerungsrecht - der Angeklagte L. war noch nicht Beschuldigter.
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b) Es kommt daher darauf an, ob in entsprechender Anwendung des § 252 StPO ein Verwertungsverbot schon dann besteht, wenn die V-Leute von den Ermittlungsbehörden gezielt auf Beschuldigte und deren Umfeld angesetzt wurden und damit auch für die Ermittlungsbehörden erkennbar Personen betroffen waren, die sich später auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen können. Der Senat lehnt die entsprechende Anwendung des § 252 StPO auf diese Fälle ab.
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aa) Entscheidend gegen die Annahme eines Verwertungsverbotes nach § 252 StPO spricht der damit im Zusammenhang stehende Zweck des § 52 StPO. Das hier eingeräumte Zeugnisverweigerungsrecht soll den Angehörigen vor Konflikten schützen, die sich ergeben können aus der Besonderheit einer Vernehmungssituation, insbesondere durch die Wahrheitspflicht bei einer Zeugenvernehmung einerseits und die sozialen Pflichten, die aus seiner familiären Bindung gegenüber dem Angeklagten andererseits erwachsen (vgl. BGHSt 22, 35 [36]; 27, 231 [232]; BGH NStZ 1988, 562 f.; BGHSt 20, 384 f.). Nur dieser mögliche Widerstreit der Pflichten in der Person des Zeugen hat den Gesetzgeber veranlaßt, das öffentliche Interesse an der Aufklärung eines strafbaren Sachverhalts zurücktreten zu lassen und unter bestimmten Voraussetzungen nicht nur das Recht zur Verweigerung des Zeugnisses zu gewähren, sondern für den Fall der Ausübung dieses Rechts das in § 252 StPO umschriebene Verbot auszusprechen. Dieser Widerstreit der Pflichten, auf den das Gesetz in den §§ 52, 252 StPO Rücksicht nimmt, besteht nicht, soweit sich jemand außerhalb einer Vernehmung anderen gegenüber aus freien Stücken äußert (BGHSt 1, 373 ff.; BGH NStZ 1988,562,563). Somit bleibt der Schutzzweck des Zeugnisverweigerungsrechts begrenzt; was der Angehörige in Gesprächen mit Nachbarn, wahren oder falschen Freunden äußert, bleibt verwertbar. Das ist allgemein anerkannt; solche Mitteilungen können ihn ebenso in Konflikte stürzen, wie hier die Zeugin K. wegen ihrer Äußerungen gegenüber den V-Leuten.
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bb) Allein der Umstand, daß es sich hier um einen V-Mann-Einsatz handelte, der im Umfeld der Verdächtigen und späteren Beschuldigten auch deren Angehörige erfaßt hat, gebietet es nicht, von den dargelegten Grundsätzen eine Ausnahme zu machen und Gespräche oder Aushorchungen mit und durch V-Leute einer Vernehmung gleichzustellen. Die Konfliktsituation ist aus Sicht des Zeugen nicht gegeben. Wer sich privat zu ihm bekannten Beweisumständen äußert, kann über die Freiwilligkeit seines Tuns und die jederzeitige Möglichkeit der Weitergabe oder Verbreitung nicht im Zweifel sein. Ihm kommt der Schutz des § 252 StPO nicht zugute.
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3. Es verstößt auch nicht gegen allgemeine Grundsätze eines rechtsstaatlichen Verfahrens, die Äußerungen der Zeugin K. gegenüber den V-Leuten bei der Aufklärung des Mordes im Rahmen der Beweiswürdigung zu verwerten.
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a) Der Einsatz von privaten Kontaktpersonen oder V-Leuten mit dem Ziel, zur Aufklärung eines Mordes Beweise zu gewinnen, ist zulässig (BVerfGE 57, 250 [284]; BGHSt 32, 115 [121 ff.]). Auch der Gesetzgeber hat durch die Neuregelung des Einsatzes von verdeckt ermittelnden Polizeibeamten (VE) zum Ausdruck gebracht, daß er die Tarnung, die mit verdeckten Ermittlungen notwendig verbunden ist, im Interesse der Aufklärung schwerer Straftaten für gerechtfertigt hält (§§ 110a, 110b StPO). Das getarnte Vorgehen von VE - und dementsprechend von V-Leuten - ist also, auch wenn es auf Initiative der Strafverfolgungsbehörden beruht, kein Umstand, der für sich die Unzulässigkeit eines solchen Vorgehens begründet. Weder rechtsstaatliche Grundsätze noch Bestimmungen der Strafprozeßordnung schließen es aus, im Rahmen der Aufklärung von Straftaten Methoden und Mittel anzuwenden, deren Gebrauch für Betroffene (Verdächtige oder Zeugen) nicht als von der Polizei gesteuertes Handeln erkennbar ist. Der zulässige Einsatz von V-Leuten ist gerade durch Heimlichkeit und dadurch geprägt, daß die polizeiliche Steuerung nach außen nicht offenbar wird (BGHSt 39, 335 [346]).
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b) Soweit die Revisionen eine Reihe von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs anführen, läßt sich aus ihnen nichts für ein Beweisverwertungsverbot im vorliegenden Fall ableiten. In diesen Fällen war die Unverwertbarkeit von Äußerungen jeweils eines Beschuldigten durch Verletzung von dessen Schutzrechten begründet: Stimmaufnahme ohne gesetzliche Grundlage (BGHSt 34, 39), durch Untersuchungshaft bewirkte Verleitung zur Äußerung (BGHSt 34, 362), Äußerungen eines Verdächtigen gegenüber einem V-Mann im Rahmen eines Telefongespräches, das unter Verstoß gegen § 100b Abs. 1 StPO und § 201 Abs. 1 StGB in unzulässiger Weise aufgezeichnet worden war (BGHSt 31, 304 [308 f.]). Der Einsatz von V-Leuten im Umfeld der Angeklagten ist demgegenüber - wie dargetan - keine solche unzulässige Methode der Aushorchung. Entsprechend hat auch der Senat (BGHSt 33, 217 [223 f.]) bei zulässig angeordneter Telefonüberwachung die Verwertung einer indirekt provozierten Selbstbelastung nicht beanstandet. Dem entspricht auch die Entscheidung des 2. Strafsenats BGHSt 39, 335: Verwertet werden kann die Aussage eines Polizeibeamten, der das von ihm provozierte Telefongespräch mit Erlaubnis des Gesprächsteilnehmers - also zulässig, aber für den Beschuldigten verdeckt - mithört.
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Bezüglich der Verwertbarkeit von Zeugenaussagen hat der Bundesgerichtshof (BGH NStZ 1988, 562 f.) bereits entschieden - und das kommt der vorliegenden Situation am nächsten -, daß Erkenntnisse aus einer zulässigen Telefonüberwachung auch dann verwertbar sind, wenn die Gesprächsteilnehmer zu dem Angeklagten in einem (Angehörigen-) Verhältnis stehen, das ein Zeugnisverweigerungsrecht begründet. Hiernach sind maßgebend nicht bestimmte Rechte des Beschuldigten, sondern die Stellung der Angehörigen als Gesprächsteilnehmer und der nur "begrenzte Schutzzweck der Zeugnisverweigerungsrechte". Dem im Rahmen einer zulässigen Telefonüberwachung gewonnenen Beweis entspricht im vorliegenden Fall die Äußerung gegenüber dem ebenso heimlich, aber auch zulässig eingesetzten V-Mann. Daß ein solches "freies Gespräch" stärkerem Schutz unterliegen sollte als das trotz verfassungsrechtlicher Garantie (Art. 10 GG) zulässig, aber heimlich abgehörte Telefongespräch, kann nicht angenommen werden.
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c) Der Senat sieht hier keine Notwendigkeit für ein Beweisverwertungsverbot, das auf außerhalb der Regeln der Strafprozeßordnung liegende allgemeine Prinzipien zu stützen wäre. Der Anspruch des Beschuldigten auf eine an rechtsstaatlichen Garantien ausgerichtete Strafrechtspflege (BVerfGE 80, 367 [375]) ist nicht verletzt. Bei der Beurteilung ist zu beachten, daß ein Beweismittelverwertungsverbot einen der wesentlichen Grundsätze im Strafverfahren einschränkt, nämlich den, daß das Gericht die Wahrheit zu erforschen (vgl. BVerfGE 33, 367 [383]; BGHSt 32, 115 [124]) und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel, die von Bedeutung sind, zu erstrecken hat. Diesem Grundsatz gegenüber bildet das Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die im besonderen Einzelfall hingenommen werden muß (BGHSt 14, 358 [365]; 27, 355 [357]). Dient die in Frage stehende Verfahrensvorschrift nicht oder nicht in erster Linie dem Schutz des Beschuldigten, so liegt ein Verwertungsverbot fern (BGHSt 38, 214 [220]). Hier aber geht es um (begrenzte) Schutzzwecke für den Zeugen.
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aa) Allgemeine Rechts- oder Verfassungsgrundsätze verbieten die Verwertung nicht. Das Gesamtregelungswerk der Strafprozeßordnung ist Ausdruck der verfassungsmäßigen Ordnung. Die Bindung an das Gesetz gebietet es, konkrete Einzelfragen nur mit äußerster Zurückhaltung durch Anwendung allgemeiner Verfassungsgrundsätze außerhalb des geschriebenen Rechts (oder gegen dieses) zu beantworten. Die ausufernde Anwendung solcher in Randzonen einander oft widerstreitender und "begrifflich unscharfer Verfassungsprinzipien" - hier des Rechtsstaatsprinzips oder des Prinzips der Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege (vgl. BVerfGE 33, 367 [383]) - ermöglicht eine ungebundene Ausfüllung prozessualer Regelungen und lockert die Bindung der Strafrechtsprechung an das positive Recht, auf dessen Beachtung der Rechtsstaat beruht (vgl. Mahrenholz, abweichende Meinung zu BVerfGE 86, 288 [347 f.] = EuGRZ 1992, 225, 242).
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bb) Auch bedarf es hier nicht der Ableitung eines konkreten Beweisverwertungsverbotes aus dem Begriff des "fairen Verfahrens" als einer Ausgestaltung des Rechtsstaatsprinzips. Die Zulässigkeit des Beweises ergibt sich aus der Berechtigung des Einsatzes von V-Leuten in Verbindung mit dem Zweck der §§ 52, 252 StPO. Den Ausführungen von Nack (KK 3. Aufl. § 110c Rn. 7 f.), die sich mit einem Verwertungsverbot "vernehmungsähnlicher Gespräche" (wobei damit Gespräche außerhalb von Vernehmungen gemeint sind) von verdeckten Ermittlern befassen, folgt der Senat jedenfalls für den vorliegenden Fall nicht (wie hier: Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.O. § 110c Rn. 2). Hätte der Gesetzgeber über § 252 StPO hinaus ein neues Beweisverwertungsverbot einführen wollen - hier für Angehörigenäußerungen außerhalb von Vernehmungen bei Angaben gegenüber heimlich ermittelnden Personen -, so wäre angesichts der Neuregelung der Materie im OrgKG vom 15. Juli 1992 im Hinblick auf den Ausnahmecharakter von Beweisverwertungsverboten zu erwarten gewesen, daß er dies gesetzlich geregelt hätte.
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II.
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