2. Der Einzelne, der eine bestimmte Verwendung öffentlicher Abgaben für grundrechtswidrig hält, kann aus seinen Grundrechten keinen Anspruch auf generelle Unterlassung einer solchen Verwendung herleiten.
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3. § 54 Abs. 5 SGG eröffnet nicht die Möglichkeit einer abstrakten Normenkontrolle.
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Beschluß | |
des Ersten Senats vom 18. April 1984
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– 1 BvL 43/81 – | |
in dem Verfahren zur verfassungsgrechtlichen Prüfung der §§ 200 f und 200 g der Reichsversicherungsordnung – Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Sozialgerichts Dortmund vom 29. September 1981 (S 8 Kr 172/81) –.
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Entscheidungsformel: | |
Die Vorlage ist unzulässig.
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Gründe: | |
A. | |
Die Vorlage betrifft die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, daß gesetzliche Krankenkassen Leistungen für nicht aus medizinischen Gründen notwendige Schwangerschaftsabbrüche erbringen.
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I.
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Das nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1975 (BVerfGE 39, 1 ff. – Fristenregelung) verkündete Fünfzehnte Strafrechtsänderungsgesetz vom 18. Mai 1976 (BGBl. I S. 1213) hat § 218 a StGB neu gefaßt. Nach dieser Bestimmung ist ein mit Einwilligung der Schwangeren durch einen Arzt vorgenommener Abbruch der Schwangerschaft nicht nach § 218 StGB strafbar, wenn nach ärztlichen Erkenntnissen eine medizinische, eine eugenische, eine ethische oder eine soziale Indikation vorliegt.
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Durch § 1 Nr. 2 des Gesetzes über ergänzende Maßnahmen zum Fünften Strafrechtsreformgesetz (Strafrechtsreform-Ergänzungsgesetz – StREG) vom 28. August 1975 (BGBl. I S. 2289) wurde in den zweiten Abschnitt des Zweiten Buches der Reichsversicherungsordnung ein neuer Unterabschnitt III a "Sonstige Hilfen" eingefügt. Danach haben Mitglieder einer gesetzlichen Krankenkasse oder einer ihnen nach § 507 Abs. 4 RVO gleichgestellten Ersatzkasse bei einem nicht rechtswidrigen Abbruch der Schwangerschaft Anspruch auf Krankenkassenleistungen. Für die Leistungsgewährung gelten grundsätzlich die für die Krankenhilfe maßgeblichen Vorschriften. Im einzelnen lauten die Bestimmungen:
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§ 200 f RVO
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Versicherte haben Anspruch auf Leistungen bei einer nicht rechtswidrigen Sterilisation und bei einem nicht rechtswidrigen Abbruch der Schwangerschaft durch einen Arzt. Es werden ärztliche Beratung über die Erhaltung und den Abbruch der Schwangerschaft, ärztliche Untersuchung und Begutachtung zur Feststellung der Voraussetzungen für eine nicht rechtswidrige Sterilisation oder für einen nicht rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruch, ärztliche Behandlung, Versorgung mit Arznei-, Verband- und Heilmitteln sowie Krankenhauspflege gewährt. Anspruch auf Krankengeld besteht, wenn Versicherte wegen einer nicht rechtswidrigen Sterilisation oder wegen eines nicht rechtswidrigen Abbruchs der Schwangerschaft durch einen Arzt arbeitsunfähig werden, es sei denn, es besteht Anspruch nach § 182 Abs. 1 Nr. 2.
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§ 200 g RVO
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Die für die Krankenhilfe geltenden Vorschriften gelten für die Leistungsgewährung nach den §§ 200 e und 200 f entsprechend, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist. ...
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Der in § 200 f Satz 1 RVO verwendete Begriff des "nicht rechtswidrigen Abbruchs der Schwangerschaft" wird von der im sozialrechtlichen Schrifttum herrschenden Auffassung mit der in § 218 a Abs. 1 Satz 1 StGB gebrauchten Formulierung "nicht strafbar" gleichgesetzt (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. I/2, S. 284 k, 285, 286; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, Anm. 4 zu § 200 f RVO; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, Kommentar, 2. Aufl., Anm. 3 zu § 200 f RVO; Aye/Göbelsmann/ Müller/Schieckel/Schroeter, RVO-Gesamtkommentar, Anm. 5 zu § 200 f, S. 248). Dem folgend gewähren die gesetzlichen Krankenkassen ihren Mitgliedern bei nach § 218 a StGB nicht strafbaren Schwangerschaftsabbrüchen die nach den Vorschriften über die Krankenhilfe vorgesehenen Leistungen.
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II.
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Die 1949 geborene Klägerin ist als angestellte Redakteurin versicherungspflichtiges Mitglied der im Ausgangsverfahren beklagten Ersatzkasse. Sie forderte ihre Krankenkasse auf, ab sofort ihren Mitgliedern bei nicht medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbrüchen keine Leistungen mehr zu gewähren. Als Angehörige der katholischen Kirche werde sie in ihrem Gewissen beeinträchtigt, weil auch ihre Pflichtbeiträge zur Finanzierung rechtswidriger Schwangerschaftsabbrüche verwendet würden. Demgegenüber wies die Krankenkasse auf ihre gesetzlichen Verpflichtungen hin. Mit einem weiteren Schreiben, dem sie eine Rechtsmittelbelehrung anfügte, erklärte sie eine Beitragskürzung für unzulässig.
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Schon bevor die Klägerin dieses erhalten hatte, erhob sie beim Sozialgericht Klage mit dem Antrag, die beklagte Krankenkasse zu verurteilen, solange sie ihr Mitglied sei, Leistungen an Versicherte nur für solche Schwangerschaftsabbrüche zu erbringen, die bei Vorliegen einer medizinischen Indikation nicht rechtswidrig seien. Der Krankenkasse teilte sie mit, daß sie ihre Beitragspflicht nicht bestreite und die geforderten Beiträge bezahlen wolle.
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Ihre Klage hielt sie nach § 54 Abs. 5 SGG für zulässig. Die Verwaltungspraxis der Beklagten verletze sie in ihren Grundrechten. Diese überschreite durch die Gewährung von Leistungen bei rechtswidrigen Abtreibungen den Zuständigkeitsbereich einer gesetzlichen Krankenkasse. Auch wenn Schwangerschaftsabbrüche bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 218 a StGB straffrei seien, ändere das nichts an ihrer Rechtswidrigkeit. Sollten aber die §§ 200 f und 200 g RVO die Krankenkassen verpflichten, Leistungen bei allen nicht strafbaren Abtreibungen zu erbringen, so seien diese Bestimmungen verfassungswidrig.
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Die Beklagte hielt die Klage für unzulässig, da es sich um eine im Sozialgerichtsverfahren nicht vorgesehene Normenkontrollklage handele. Die Klage sei zudem unbegründet. Die Krankenkassen seien gesetzlich verpflichtet, bei einem nach § 218 a StGB straflosen Schwangerschaftsabbruch Leistungen zu gewähren. Die dadurch in eigenen Rechten nicht betroffene Klägerin könne sich demgegenüber nicht darauf berufen, daß die §§ 200 f und 200 g RVO verfassungswidrig seien.
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III.
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Das Sozialgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt,
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ob die §§ 200 f, 200 g RVO insoweit mit Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 sowie mit Art. 4 Abs. 1 GG vereinbar seien, als in diesen Vorschriften Kassenleistungen für solche Schwangerschaftsabbrüche vorgeschrieben seien, die aus anderen Gründen als dem Vorliegen einer Indikation nach § 218 a Abs. 1 StGB rechtmäßig seien.
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Das Gericht hält die Klage nach § 54 Abs. 5 SGG für zulässig; es handele sich nicht um eine unzulässige abstrakte Normenkontrollklage. Das Begehren der Klägerin sei nicht auf die abstrakte Feststellung der Ungültigkeit einer Norm, sondern darauf gerichtet, die Beklagte zu verpflichten, konkretes Verwaltungshandeln einzustellen. Der Zulässigkeit stehe dabei nicht entgegen, daß die begehrte Unterlassung die Ungültigkeit der §§ 200 f und 200 g RVO voraussetze. Diese Normen bedürften der Umsetzung durch konkretes Verwaltungshandeln. Wenn die Klägerin vortrage, sie werde dadurch beeinträchtigt, so müsse ihr Rechtsschutzinteresse bejaht werden. Die Unterlassungsklage setze nur voraus, daß eine Beeinträchtigung eigener Rechte der Klägerin nicht ausgeschlossen werden könne. Es sei aber keineswegs ausgeschlossen, daß die Klägerin durch die fortgesetzte Leistungsgewährung der Beklagten bei medizinisch nicht indizierten Schwangerschaftsabbrüchen in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 GG verletzt werde. Insbesondere könne es die allgemeine Handlungsfreiheit eines Versicherten beeinträchtigen, wenn ein zur Finanzierung von Krankheitskosten als Zwangskörperschaft errichteter Träger der Krankenversicherung gesetzlich zur Überschreitung der ihm zugewiesenen Aufgaben gezwungen würde. Aus dem Vortrag der Klägerin ergebe sich zudem die Möglichkeit, daß sie in ihren Grundrechten aus Art. 4 Abs. 1 GG verletzt werde. Angesichts des Verhaltens der Beklagten bestehe auch Wiederholungsgefahr. Schließlich stehe es der Zulässigkeit der Unterlassungsklage nicht entgegen, daß die Beklagte einen rechtsmittelfähigen Beitragsbescheid erlassen habe. Das Gericht hält die zur Prüfung gestellten Normen für auslegungsfähig. Ihr Wortlaut stehe einer Interpretation nicht entgegen, nach der Leistungen gemäß §§ 200 f und 200 g RVO nur bei rechtmäßigen medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbrüchen zu gewähren seien. Eine an sich gebotene dahingehende verfassungskonforme Auslegung sei jedoch nicht möglich, weil der im Gesamtkonzept der vorgelegten Regelung und des neugefaßten Abtreibungsstrafrechts zum Ausdruck kommende objektivierte Zweck der Bestimmungen darin bestehe, alle nach § 218 a StGB indizierten Schwangerschaftsabbrüche durch die Krankenkassenfinanzierung finanziell abzusichern.
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IV.
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Zur Zulässigkeit der Vorlage haben sich der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung namens der Bundesregierung, der Bayerische Ministerpräsident, das Bundessozialgericht und die Klägerin des Ausgangsverfahrens geäußert.
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1. Der Bundesminister, der zunächst in einer Stellungnahme vom 10. Mai 1982 Bedenken gegen die Zulässigkeit der Vorlage erhoben hatte, hat in seiner Stellungnahme vom 30. März 1983 erklärt, daß die Bundesregierung nach neuerlicher Überprüfung an ihrer bisherigen Meinung nicht festhalten wolle, die vor dem Sozialgericht erhobene Klage sei offensichtlich unzulässig und deswegen bestünden Bedenken gegen die Zulässigkeit des Vorlagebeschlusses.
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2. Der Bayerische Ministerpräsident hält die Vorlage für zulässig. Jedenfalls sei die Auffassung des vorlegenden Gerichts gut vertretbar, die Unterlassungsklage sei zulässig und ihre Begründetheit hänge von der Verfassungsmäßigkeit der zur Prüfung gestellten Normen ab.
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Die Klage sei eine gegen einen bestimmten Gesetzesvollzug gerichtete zulässige Unterlassungsklage. Die Verfassungsmäßigkeit der zur Prüfung gestellten Normen stelle eine Vorfrage dar. Für die Klage bestehe auch ein Rechtsschutzinteresse, denn der für die Klägerin erstrebte Schutz ihrer Grundrechte sei nicht auf einem einfacheren Weg erreichbar. Sie könne auch nicht darauf verwiesen werden, die Beitragszahlungen zu verweigern. Ein klagweises Vorgehen gegen jede einzelne Leistung der Beklagten bei einem Schwangerschaftsabbruch sei nicht möglich, zumal die Klagebefugnis in solchen Fällen zweifelhaft sei. Unter diesen Umständen wäre eine Unterlassungsklage nur dann unzulässig, wenn die von der Klägerin geltend gemachten Rechte eindeutig nicht bestünden. Auch spreche vieles dafür, daß der Klägerin der Unterlassungsanspruch zustehe. Wenn nach der Rechtsprechung Mitglieder öffentlicher Zwangsverbände einen allgemeinen Anspruch darauf hätten, daß ihr Verband Maßnahmen außerhalb seines Aufgabenbereiches unterlasse, so müsse das um so mehr gelten, wenn durch eine Aufgabenüberschreitung in Grundrechte eingegriffen werde.
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3. Das Bundessozialgericht hält die Klage für unzulässig. Die Unterlassungsklage entspreche keinem der nach § 54 SGG in Betracht kommenden Klagetypen. Zwar kenne das Sozialgerichtsgesetz über seinen Wortlaut hinaus auch die vorbeugende Unterlassungsklage, die zulässig sei, wenn sie auf ein hoheitliches Handeln der Verwaltung mit Begleitwirkungen im konkreten Einzelfall abziele. In solchen Fällen sei ein Rechtsschutzinteresse aber nur gegeben, wenn der Kläger von der Verwaltungsmaßnahme widerrechtlich betroffen sei oder eine solche Verletzung behaupten könne. Das aber sei hier nicht der Fall. Die Klägerin werde dadurch, daß die Beklagte Leistungen nach den §§ 200 f und 200 g RVO an Dritte erbringe, in ihren Rechten nicht verletzt. Eine Rechtsbeeinträchtigung liege nur vor, wenn sich eine Maßnahme unmittelbar gegen den Rechtskreis eines Klägers richte, nicht aber schon, wenn sie bloße Rechtsreflexe auslöse. Die Klägerin werde durch die Leistungen der Krankenkasse nach den §§ 200 f und 200 g RVO auch nicht im Hinblick auf ihre Beitragspflicht in eigenen Rechten verletzt. Ob die Zulässigkeit des Klagebegehrens anders zu beurteilen wäre, wenn sie die Zahlung ihrer Beiträge verweigert hätte, könne offenbleiben. Auch gehe es ihr nicht um die Gleichstellung mit anderen Versicherten, sondern um die Beseitigung eines Gesetzes, das sie für verfassungswidrig halte. Im Ergebnis stelle sich daher die Klage als eine Popularklage dar, die das geltende Prozeßrecht nicht kenne.
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4. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens hält ihre Klage weiterhin für zulässig; jedenfalls sei die Auffassung des vorlegenden Gerichts über die Zulässigkeit vertretbar. Sie werde in ihren Grundrechten verletzt, weil sie als Zwangsmitglied eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung durch ihre Mitgliedsbeiträge gegen ihren Willen die Tötung ungeborenen Lebens mitfinanzieren müsse. Die erhobene Unterlassungsklage sei für sie die einzige Möglichkeit, die von ihr behaupteten Grundrechtsverstöße nachprüfen zu lassen. Da sie die Verletzung eigener Grundrechte behaupte, sei die Klage keine unzulässige Popularklage.
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Die Stellungnahme des Bundessozialgerichts gehe mit keinem Wort auf die Frage der Zulässigkeit der Klage nach § 54 Abs. 5 SGG ein, auf den das vorlegende Gericht sich stütze. Dementsprechend beantworte sie auch nicht die Frage, ob in den Fällen des § 54 Abs. 5 SGG zusätzlich ein besonderes Rechtsschutzinteresse zu fordern sei. Wenn eine vorbeugende Unterlassungsklage überhaupt statthaft sei, könne es für ihre Zulässigkeit nur darauf ankommen, ob die Verletzung eigener Rechte behauptet werde. Die Zulässigkeit könne aber entgegen der apodiktischen Feststellung des Bundessozialgerichts nicht mit der Begründung verneint werden, die Klägerin sei in ihren Rechten nicht verletzt. Gerade das solle geprüft werden.
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Im übrigen bezieht sich die Klägerin auf ein Rechtsgutachten von Prof. Dr. Willi Geiger, das zu dem Ergebnis kommt, gegen die Zulässigkeit der Vorlage bestünden keine durchgreifenden Bedenken. Das Bundesverfassungsgericht habe die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage auf der prozessualen Grundlage zu prüfen, die das vorlegende Gericht im Augenblick seiner Vorlage fixiert habe. Es könne nicht allgemein kontrollieren, ob das vorlegende Gericht das für sein Verfahren maßgebliche Prozeßrecht zutreffend angewandt habe. Darauf, ob die Auffassung des vorlegenden Gerichts insoweit vertretbar sei, komme es nicht an. Das Bundesverfassungsgericht sei vielmehr auf die Prüfung der mit der Vorlage verbundenen materiellrechtlichen Erwägungen beschränkt. Im übrigen bestünden weder formelle noch materielle Bedenken gegen die Zulässigkeit der Vorlage. Die Argumentation des vorlegenden Gerichts sei in jeder Beziehung schlüssig. Es lege insbesondere dar, daß die Verletzung von Grundrechten der Klägerin nicht ausgeschlossen sei. Jedenfalls sei die Rechtsansicht des Gerichts zur Zulässigkeit der Klage vertretbar.
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Die Vorlage ist unzulässig.
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Das Verfahren der Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG dient dem Ziel, eine verfassungsmäßige Entscheidung in einem konkreten Rechtsstreit zu gewährleisten. Demgemäß ist dieses Zwischenverfahren dann geboten und zulässig, wenn es für die im Ausgangsverfahren zu treffende Entscheidung auf die Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm ankommt. Dies ist nur dann der Fall, wenn bei Ungültigkeit der Norm anders entschieden werden müßte als bei deren Gültigkeit (vgl. BVerfGE 46, 268 [283]; 58, 300 [317 f.]). Diese Voraussetzung erfüllt die Vorlage nicht. Auf die Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Bestimmungen kommt es nicht an, weil die Klage im sozialgerichtlichen Verfahren unzulässig ist.
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I.
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1. Ziel der Klage vor dem Sozialgericht ist die Nichtanwendung gesetzlicher Bestimmungen durch die Beklagte; dies setzt die Verfassungswidrigkeit jener Bestimmungen voraus. Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist mithin ausschließlich die Frage der Gültigkeit von Vorschriften eines Bundesgesetzes. Die Klage ist zudem ausschließlich auf Bestimmungen des Verfassungsrechts gestützt. Die Zulässigkeit einer solchen Klage läßt sich daher nicht allein nach dem für das Verfahren der Sozialgerichte geltenden Prozeßrecht beurteilen. Maßgeblich ist vielmehr auch Verfassungsprozeßrecht, wie es im Grundgesetz und im Bundesverfassungsgerichtsgesetz ausgeformt ist. Insofern sind das Verfahrensrecht der Sozialgerichtsbarkeit und das Verfassungsprozeßrecht Teile eines Gesamtsystems des gerichtlichen Rechtsschutzes. Deshalb steht in Fallen der vorliegenden Art die für das Ausgangsverfahren maßgebende Verfahrensordnung nicht für sich allein. Sie ist in ihrem Zusammenhang mit den Bestimmungen des Grundgesetzes und des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes über das Normenkontrollverfahren zu sehen (BVerfGE 47, 146 [155]). Beide Verfahrensordnungen greifen ineinander (vgl. dazu Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Stand September 1979, Rdnr. 269 zu § 80).
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2. Die verbindliche Auslegung der Bestimmungen des Verfassungs- und des Verfassungsprozeßrechts obliegt dem Bundesverfassungsgericht. Dieses ist daher im Verfahren der konkreten Normenkontrolle verpflichtet, die Zulässigkeit der im Ausgangsverfahren erhobenen Klage insoweit zu prüfen, als diese von der Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Verfassungsprozeßrechts abhängt.
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Das Bundesverfassungsgericht geht zwar in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit einer zur verfassungsrechtlichen Prüfung vorgelegten Norm die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgeblich ist (vgl. BVerfGE 2, 181 [190 f.]; 57, 295 [315] m.w.N.), sofern diese nicht offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 7, 171 [175]; 62, 223 [229] m.w.N.). Grundsätzlich gilt das auch für die Auslegung von Verfahrensrecht (vgl. BVerfGE 2, 380 [389]; 18, 241 [251]). Indessen sind Ausnahmen von dieser Regel zu beachten. So ist das Bundesverfassungsgericht nach seiner Rechtsprechung im Verfahren der konkreten Normenkontrolle an die Rechtsansicht des vorlegenden Gerichts jedenfalls dann nicht gebunden, wenn diese von der Beurteilung einer unmittelbar aus dem Grundgesetz zu beantwortenden Vorfrage abhängt (BVerfGE 46, 268 [283 f.]). In gleicher Weise nimmt das Bundesverfassungsgericht die uneingeschränkte Prüfungskompetenz für sich in Anspruch, wenn es sich um die Anwendung von Rechtssätzen durch das vorlegende Gericht handelt, die das Bundesverfassungsgericht aus dem Grundgesetz entwickelt hat (vgl. BVerfGE 48, 29 [37 f.]). Nichts anderes kann im vorliegenden Fall gelten.
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Wenn in dem vorgelegten Gutachten von Geiger die Ansicht vertreten wird, das Bundesverfassungsgericht sei auf die Prüfung der mit der Vorlage verbundenen materiellrechtlichen Erwägungen beschränkt und habe die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage allein auf der prozessualen Grundlage zu prüfen, die das vorlegende Gericht fixiert habe, so kann dem nicht gefolgt werden. Diese Auffassung steht zudem im Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die bei der Beurteilung rechtlicher Erwägungen des vorlegenden Gerichts keinen Unterschied danach macht, ob es sich um materiellrechtliche oder prozessuale Erwägungen handelt (vgl. BVerfGE 2, 380 [389]; 18, 241 [251]; 47, 146 [150 f.]; 50, 217 [225]).
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Die demnach dem Bundesverfassungsgericht obliegende Prüfung der Zulässigkeit der im Ausgangsverfahren erhobenen Klage ergibt, daß zwar grundsätzlich eine auf § 54 Abs. 5 SGG gestützte vorbeugende Unterlassungsklage eines Mitglieds gegen seine gesetzliche Krankenkasse statthaft, die von der Klägerin erhobene Klage jedoch als Popularklage unzulässig ist.
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1. Die Klägerin hat einen Anspruch geltend gemacht, der nicht auf den Erlaß eines Verwaltungsakts gerichtet ist. Ein solcher Anspruch kann nach § 54 Abs. 5 SGG mit der allgemeinen Leistungsklage verfolgt werden. Denn Leistung im Sinne dieser Vorschrift ist nicht nur ein Tun, sondern auch ein Unterlassen (vgl. BSGE 25,116 [117]).
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Indessen kann nicht jedes beliebige Anliegen, welches sich mit einer der übrigen gesetzlich zulässigen Klagearten (§ 54 Abs. 1-4, § 55 SGG) nicht verfolgen läßt, als reine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG formuliert dem Sozialgericht zur Entscheidung unterbreitet werden. Voraussetzung für eine solche Klage ist vielmehr, daß die Verurteilung zu einer Leistung oder Unterlassung begehrt wird, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Dabei kann es sich grundsätzlich nur um einen Anspruch auf den Vollzug sozialrechtlicher Normen handeln. Zwar mögen Fälle denkbar sein, in denen sich der Anspruch auf einen solchen Vollzug unmittelbar aus Grundrechten ergibt. Nicht läßt sich jedoch den Grundrechten ein im sozialgerichtlichen Verfahren nach § 54 Abs. 5 SGG verfolgbarer Individualanspruch auf generelle Unterlassung des Vollzugs sozialrechtlicher Normen gegenüber Dritten entnehmen.
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2. Mit ihrem Anliegen, der beklagten Krankenkasse die Erfüllung der ihr gesetzlich obliegenden Verpflichtungen gegenüber Dritten zu verbieten, verfolgt die Klägerin des Ausgangsverfahrens ausschließlich ein Begehren, das im Sozialrecht keine Grundlage hat. Sie verlangt eine Unterlassung, auf die sie sozialrechtlich keinen Anspruch hat, weil die gesetzlich normierte Kassenleistung an Dritte ihren persönlichen, durch das Mitgliedschaftsverhältnis zur Krankenkasse bestimmten Rechtskreis nicht berührt.
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Ein Rechtsanspruch im Sinne des § 54 Abs. 5 SGG ergibt sich auch nicht unmittelbar aus Grundrechten: Der einzelne Bürger, der eine bestimmte Verwendung des Aufkommens aus öffentlichen Abgaben für grundrechtswidrig hält, kann aus seinen Grundrechten keinen Anspruch auf generelle Unterlassung einer solchen Verwendung herleiten. Soweit diese mit seinem Glauben, seinem Gewissen, seinem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis unvereinbar ist, kann er jedenfalls nicht verlangen, daß seine Überzeugung zum Maßstab der Gültigkeit genereller Rechtsnormen oder ihrer Anwendung gemacht wird.
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Eine Klage, der kein individueller Rechtsanspruch zugrunde liegt, läßt § 54 Abs. 5 SGG aber nicht zu. Diese Vorschrift ermöglicht es dem Einzelnen nicht, abstrakt die Verfassungsmäßigkeit von Rechtsnormen überprüfen zu lassen. Dem stehen die durch das Grundgesetz selbst normierten Beschränkungen des Verfahrens der Normenkontrolle entgegen. Eine abstrakte Normenkontrolle können nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG nur die Bundesregierung, eine Landesregierung oder ein Drittel der Mitglieder des Bundestages beantragen. Das Verfahren ist ein von subjektiven Berechtigungen unabhängiges Verfahren zum Schutz der Verfassung; es dient lediglich der Prüfung von Rechtsnormen am Maßstab des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 1, 396 [407]). Diese Entscheidung des Grundgesetzes würde unterlaufen, wenn es anderen als den verfassungsrechtlich vorgesehenen Antragsberechtigten ermöglicht würde, auf dem Umweg eines Sozialgerichtsprozesses und einer durch diesen ausgelösten konkreten Normenkontrolle ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht in Gang zu setzen, das sich in nichts von einer abstrakten Normenkontrolle unterschiede. § 54 Abs. 5 SGG ist daher keine Vorschrift, mit deren Hilfe sich jedermann in einer nach Verfassungsprozeßrecht nicht zulässigen Weise "zum Wächter über die objektive Verfassungsordnung" bestellen kann (vgl. BVerfGE 30, 112 [121]). Dies würde die Grenze zur Popularklage überschreiten, die das sozialgerichtliche Verfahren nicht kennt (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 2. Aufl., Rdnr. 13 zu § 54; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl., Anm. 2 d zu § 54 SGG) und die weder das Grundgesetz noch das Verfassungsgerichtsgesetz zugelassen haben (vgl. BVerfGE 1, 89 [96]).
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Dies steht nicht im Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung, soweit sie Unterlassungsklagen einzelner Angehöriger öffentlich-rechtlicher Zwangsverbände für zulässig und begründet gehalten hat (BVerwGE 59, 231; 64, 115; vgl. auch Redeker, NJW 1982, S. 1266 ff.). In diesen Fallen ist ein Anspruch des Mitglieds darauf bejaht worden, daß die Körperschaft sich auf die Wahrnehmung ihr gesetzlich zugewiesener Aufgaben beschränkt. Im vorliegenden Fall verlangt die Klägerin des Ausgangsverfahrens jedoch, daß die beklagte Krankenkasse eine ihr gesetzlich zugewiesene Aufgabe nicht erfüllt.
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III.
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Es bedarf danach keiner Prüfung der Frage, ob das vorlegende Gericht die von ihm angenommene Unvereinbarkeit der zur Prüfung gestellten Regelung mit Grundrechten in einer den Anforderungen an die Zulässigkeit einer Vorlage genügenden Weise begründet hat.
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