BGE 2 I 455 - Gemeindeautonomie Iberg | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Flurina Tesch, A. Tschentscher | |||
103. Urtheil |
vom 25. November 1876 in Sachen des Gemeinderathes Iberg. | |
Sachverhalt | |
A. Nachdem die Gemeindsversammlung von Iberg schon unterm 21. Juni 1874 beschlossen hatte, die Gemeindsversammlungen, statt wie bisher bei der Kirche Iberg, in Zukunft bei der Kirche auf der Herti abzuhalten, dieser Beschluß jedoch am 25. August gl. J. vom Bezirksrathe Schwyz aufgehoben worden war, faßte dieselbe am 16. Jenner d. J. neuerdings den gleichen Beschluß und bestätigte denselben sodann unterm 28. Mai d. J. in der Weise, daß sie die Filiale Herti förmlich als Hauptort der Gemeinde Iberg erklärte. Gegen diese Schlußnahme wurde von einer Anzahl Bürger Kassationsbeschwerde beim Bezirksrathe Schwyz erhoben; bevor jedoch diese Behörde zu einem Entscheide über die Beschwerde gelangte, faßte der Landammann, Namens des Regierungsrathes des Kantons Schwyz, gestützt auf Art. 98 Lemma 3 der inzwischen in Kraft getretenen Verfassung vom 11. Juni 1876, welcher als Versammlungs- und Abstimmungsort für die Kirchgemeinden, die aus mehreren Ortschaften oder Filialen bestehen, den Hauptort vorschreibt, unterm 2. August d. J. den Beschluß, der Gemeindrath Iberg sei unter persönlicher Verantwortlichkeit jedes einzelnen Mitgliedes verpflichtet, die Kirchgemeinde von Iberg an dem bisherigen Hauptorte bei der Pfarrkirche in Iberg abzuhalten. Da der Gemeindrath Iberg erklärte, daß er dieser "angeblichen Schlußnahme des Regierungsrathes" keine Folge leisten werde, bestätigte der Regierungsrath dieselbe unterm 5. August dieses J. mit verschärfter Androhung im Falle Zuwiderhandelns. Nichtsdestoweniger wurde die Gemeindsversammlung am 6. August nicht in Iberg, sondern in der Herti abgehalten, angeblich weil der Beschluß vom 5. August zu spät mitgetheilt worden sei. Der Regierungsrath fand sich deßhalb veranlaßt, die Kassationsbehörde einzuberufen, welche sodann unterm 11. August d.J. in Anwendung des Art. 60 der Kantonsverfassung die gesammten Verhandlungen der Kirchgemeinde Iberg vom 6. August 1876 kassirte und ungültig erklärte, worauf der Regierungsrath durch Beschluß vom gleichen Tage die neue Abhaltung der Kirchgemeinde Iberg auf den 20. August d. J. anordnete.
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B. Ueber diese Beschlüsse des Regierungsrathes vom 2., 5. und 11. August d. J. und den Entscheid der Kassationsbehörde vom 11. August führte die Gemeinde Iberg beim Bundesgerichte Beschwerde und verlangte, daß dieselben aufgehoben, dagegen die Beschlüsse der Kirchgemeinde vom 16. Jenner, 28. Mai und 5. August d. J. aufrecht gestellt werden. Zur Begründung führte dieselbe an: Bis zum 12. Juli 1876 habe die alte Verfassung vom 18. Februar 1848 in Rechtskraft bestanden; in derselben sei aber von einem Hauptort der Gemeinde, oder wo eine Kirchgemeinde abgehalten werden solle, auch nicht mit einem einzigen Worte die Rede. Jede Kirchgemeinde besitze in dieser Hinsicht vollständige Autonomie, sie sei souverain. Nun seien die Beschlüsse der Kirchgemeinde Iberg, durch welche Herti als Hauptort bestimmt worden, noch unter der Herrschaft der alten Verfassung erlassen worden und könne daher der Art. 98 der neuen Verfassung auf dieselben keine Anwendung finden. Allein selbst bei der Anwendbarkeit desselben könnten die Kirchgemeindsbeschlüsse nicht aufgehoben werden, weil derselbe nur sage, daß für die Kirchgemeinden als Versammlungs- und Abstimmungsort der Hauptort vorgeschrieben sei, dagegen keine Ortschaft oder Filiale ausdrücklich als Hauptort bestimme und nun die Gemeinde Iberg schon früher die Filiale Herti als Hauptort bezeichnet habe.
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C. Der Regierungsrath von Schwyz machte in seiner Vernehmlassung, in welcher er auf Abweisung der Beschwerde schloß, geltend: Er lasse sich gegenwärtig nur auf das erste, auf Aufhebung der Beschlüsse des Regierungsrathes und der Kassationsbehörde gerichtete, Begehren der Rekurrentin ein, indem der jetzige Streit absolut nur die Frage der Aufrechthaltung des status quo ante betreffe und die grundsätzliche Frage, ob eine Gemeinde an und für sich nach Maßgabe der Verfassung des Kantons Schwyz befugt sei, durch Mehrheitsbeschluß einen von dem bisherigen abweichenden Haupt- und Versammlungsort zu wählen, bisher vom Regierungsrathe nicht ventilirt und entschieden worden sei. Was nun jenes erste Begehren der Rekurrentin betreffe, so sei zu beachten, daß schon durch in Rechtskraft erwachsenen Beschluß des Bezirksrathes Schwyz vom 25. August 1874 die Verlegung des Hauptortes nach Herti als ungesetzlich aufgehoben worden sei und daher die Kirchgemeinde Iberg kein Recht gehabt habe, diese res judicata abermals in Frage zu setzen. Dazu komme, daß die Schlußnahme vom 28. Mai auf dem Rekurswege abermals bei der zuständigen Behörde angestritten und die Beschwerde jetzt noch unausgetragen sei. Sobald die Streitfrage von dem Bezirksrathe Schwyz entschieden sein werde, stehe es der unterliegenden Partei zu, an den Regierungsrath, als oberste kantonale Instanz, zu gelangen; nirgends in der Welt aber könne eine bestrittene Rechtshandlung liti pendenti rechtsverbindlich werden. Das sei die staatsrechtliche Basis, von der aus die Entscheide des Regierungsrathes ausgehen, die Aufrechterhaltung des status quo ante, gegen den kein Majoritätsbeschluß vom 28. Mai 1876 aufzukommen vermöge. Es erscheine demnach gleichgültig, was die Verfassungen von 1848 und 1876 statuiren oder nicht statuiren; nur an einem müsse festgehalten werden, daß bisher unbestrittenermaßen Ober-Iberg Haupt- und Versammlungsort gewesen sei und daß auf dem Wege der Beschwerde alle bisherigen Versuche, diesen Rechtsstand zu alteriren, vereitelt worden seien.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Erwägung 2 | |
2. Rekurrentin will nun die vollständige Autonomie der schwyzerischen Gemeinden und damit deren Befugniß zur Bestimmung des Hauptortes daraus herleiten, daß in der frühern Verfassung von einem Hauptorte der Gemeinden oder von dem Orte, wo die Gemeindsversammlungen abgehalten werden sollen, nirgends die Rede sei. Allein aus diesem bloßen Stillschweigen der Verfassung kann offenbar nicht gefolgert werden, daß die Autonomie ein den Gemeinden verfassungsgemäß gewährleistetes Recht sei (Art. 59, Lemma 1, litt. a, des Bundesgesetzes vom 27 Juni 1874); sondern es bedürfte hiezu einer positiven Verfassungsbestimmung, welche die Autonomie der Gemeinde ausdrücklich anerkennte. Eine solche Bestimmung ist aber, wie Rekurrentin selbst anerkennt, in der schwyzerischen Verfassung nicht enthalten, woraus folgt, daß die Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden muß, indem das Bundesgericht gemäß der citirten Gesetzesstelle und Art. 113, Ziffer 3, der Bundesverfassung nur dann zur Intervention berechtigt ist, wenn verfassungsmäßige, d. h. durch die Verfassung gewährleistete Rechte der Bürger durch Verfügungen kantonaler Behörden verletzt worden sind.
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Demnach hat das Bundesgericht erkannt: |
Die Beschwerde ist als unbegründet abgewiesen. | |
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