BGE 97 I 45 - Malen im Gefängnis | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
7. Auszug aus dem Urteil |
vom 17. Februar 1971 |
i.S. X. gegen Bezirksanwaltschaft Zürich und Justizdirektion des Kantons Zürich. | |
Regeste |
Persönliche Freiheit; Untersuchungshaft. |
Die durch ungeschriebenes Verfassungsrecht des Bundes gewährleistete persönliche Freiheit schützt als verfassungsrechtlicher Leitgrundsatz alle Freiheiten, welche elementare Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung des Menschen darstellen. Sie bietet auf diese Weise einen umfassenden Grundrechtsschutz, der sich auf den Inhalt und Umfang der übrigen verfassungsmässig gewährleisteten Freiheitsrechte entscheidend auswirkt; sie gilt als notwendige Voraussetzung für deren Ausübung und wirkt überdies als unmittelbar anwendbares Verfassungsrecht in dem Sinne komplementär, als sich der Bürger in Fällen, in denen kein dem geschriebenen oder ungeschriebenen Verfassungsrecht angehörendes Freiheitsrecht in Frage steht, zum Schutz seiner Persönlichkeit und Menschenwürde auf sie berufen kann. |
Der Untersuchungsgefangene darf in seiner individuellen Freiheit nicht weiter beschränkt werden, als es der Zweck der Untersuchung und die Gefängnisordnung erfordern; er darf während der Untersuchungshaft insbesondere nicht zur Arbeit verpflichtet werden. | |
Sachverhalt | |
A. | |
§ 76 der zürcherischen Strafprozessordnung (StPO) lautet wie folgt:
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"Die Untersuchungsverhafteten werden, wenn nicht besondere Gründe entgegenstehen, in Einzelhaft verwahrt.
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Sie werden bezüglich Nahrung und Kleidung wie die zu Haft Verurteilten gehalten.
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Im übrigen dürfen sie in ihrer Freiheit nicht mehr beschränkt werden, als der Zweck des Verhaftes es erfordert.
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Ordnungswidriges Betragen des Verhafteten wird mit Ordnungsbusse oder mit den in der Hausordnung für die Bezirksgefängnisse vorgesehenen Disziplinarstrafen geahndet, und zwar während der Untersuchung vom Untersuchungsbeamten und nach Überweisung an das Gericht durch das letztere".
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Die zürchereische Verordnung über die Bezirksgefängnisse vom 7. Februar 1963 (GefängnisVO) enthält hiezu folgende ergän zende Bestimmungen:
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§ 60
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"Untersuchungsgefangene können sich gemäss § 33 Absatz 2 selbst beschäftigen.
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Die Untersuchungs- oder Anklagebehörde kann die Zuweisung von Arbeit schriftlich untersagen."
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§ 33 Abs. 2 und 3
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"Gefangene, die berechtigt sind, sich selbst Arbeit zu beschaffen..., können dies nur im Rahmen der Gefängnisordnung tun (insbesondere Einhaltung der Tagesordnung, Beschränkung hinsichtlich der Besuche und Briefe). Die Arbeit nach eigener Wahl ist in Einzelhaft auszuführen. Arbeiten, welche die Sicherheit des Gefängnisses oder den Zweck der Inhaftierung gefährden oder die der Verwaltung erhebliche zusätzliche Umtriebe verursachen, sind unzulässig.
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Beschäftigt sich der hiezu berechtigte Gefangene nicht selber, so hat er die ihm zugewiesene Arbeit zu verrichten".
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B. | |
Frl. X. steht bei der Bezirksanwaltschaft Zürich in Strafuntersuchung und befindet sich seit 31. August 1970 in Untersuchungshaft. Ihr Verteidiger liess der Gefängnisverwaltung mit Zustimmung des zuständigen Bezirksanwalts Malutensilien zugehen mit der Bitte, diese der Untersuchungsgefangenen auszuhändigen. Die Wärterin lehnte dieses Begehren jedoch ab mit der Begründung, Frl. X. weigere sich, die ihr zugewiesenen Klebearbeiten auszuführen, weshalb ihr auch keine Freizeitbeschäftigung gestattet werden könne. Der Verteidiger stellte hierauf beim zuständigen Bezirksanwalt das förmliche Gesuch, es sei Frl. X. das erwähnte Malzeug auszuhändigen. Dieser wies indessen das Gesuch am 16. November 1970 ab und verwies zur Begründung auf die Vernehmlassung der Gefängnisverwaltung, in welcher ausgeführt wurde, dem Begehren könne mit Rücksicht auf die Gefängnisordnung nicht stattgegeben werden.
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C. | |
Frl. X. erhob gegen die Verfügung des Bezirksanwalts Rekurs bei der Justizdirektion mit dem Antrag, die Gefängnisverwaltung sei anzuweisen, ihr das Malen in der Untersuchungshaft zu gestatten. Die Justizdirektion wies den Rekurs am 2. Dezember 1970 ab, und zwar im wesentlichen mit folgender Begründung: Der angefochtene Entscheid des Bezirksanwalts stelle eine Disziplinarmassnahme dar. Der Rekurrentin werde das Malzeug vorenthalten, weil sie sich weigere, die ihr zugewiesene Arbeit zu verrichten. Hinsichtlich der Arbeitspflicht der Untersuchungsgefangenen gälten grundsätzlich die gleichen Vorschriften wie für die Strafgefangenen, mit der Ausnahme, dass sich jene selbst eine Beschäftigung verschaffen könnten (§§ 33 und 60 GefängnisVO). Die Rekurrentin mache zu Unrecht geltend, die Arbeitspflicht der Untersuchungsgefangenen verstosse gegen die verfassungsmässig gewährleistete persönliche Freiheit. Wohl dürften die Untersuchungshäftlinge in ihrer Freiheit nicht mehr beschränkt werden, als es der Zweck der Verhaftung erfordere (§ 76 Abs. 3 StPO); ebenso sei richtig, dass diese Bestimmung bezwecke, den Untersuchungsgefangenen eine dem Leben ausserhalb der Anstalt möglichst angenäherte Lebensführung zu ermöglichen. Da jedoch die grosse Mehrheit der Bevölkerung einer auf den Erwerb ausgerichteten Arbeit nachgehe, dürften auch die Untersuchungsgefangenen zur Arbeit verhalten werden, da ihnen § 76 Abs. 3 StPO keine grösseren Freiheiten gewährleiste, als sie der Bürger nach allgemein herrschender Überzeugung geniesse, zumal es heute noch einer ethisch begründeten Auffassung entspreche, dass ein gesunder Mensch im arbeitsfähigen Alter einer geordneten Beschäftigung nachzugehen habe; wer dies nicht tue, stehe ausserhalb der Gesellschaft. Die resozialisierende Wirkung der Arbeit solle im übrigen auch dem Untersuchungsgefangenen zuteil werden; dies gelte insbesondere für die zur Verwahrlosung neigenden Elemente, die keiner geordneten Arbeit nachgingen. Da mithin auch Untersuchungsgefangene zur Arbeit angehalten werden dürften, bleibe lediglich zu prüfen, ob die Rekurrentin ihrer Arbeitspflicht in genügendem Masse nachkomme, wenn sie sich durch Malen selbst beschäftige. Dies sei zu verneinen, denn sie habe eine kaufmännische Ausbildung genossen, so dass in der Malerei lediglich ein Zeitvertreib erblickt werden könne, der einer Erwerbstätigkeit, wie sie in der Freiheit üblich sei, offensichtlich nicht entspreche. Die Rekurrentin, welche ihrer Arbeitspflicht nicht nachkomme, sei daher disziplinarisch zu bestrafen. Die angefochtene Massnahme sei angemessen und gebe somit keinen Anlass zu Kritik.
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D. | |
Frl. X. führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der persönlichen Freiheit (Art. 7 KV). Sie beantragt, der Entscheid vom 2. Dezember 1970 sei aufzuheben und die Justizdirektion sei anzuweisen, ihr die freie Beschäftigung, namentlich das Malen, in der Untersuchungshaft zu gestatten. Die Beschwerdebegründung ergibt sich, soweit wesentlich, aus den nachfolgenden Erwägungen.
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E. | |
Die Justizdirektion des Kantons Zürich beantragt in ihrer Vernehmlassung, die Beschwerde sei abzuweisen. Die Bezirksanwaltschaft Zürich hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Erwägung 1 | |
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Erwägung 2 | |
2.- Die Beschwerdeführerin macht geltend, der angefochtene Entscheid verstosse gegen die in Art. 7 KV gewährleistete persönliche Freiheit. Dieses Grundrecht gehört nach heute herrschender Auffassung dem ungeschriebenen Verfassungsrecht des Bundes an (BGE 95 I 359, 90 I 34 Erw. 3, 89 I 98 Erw. 3). Die entsprechenden Garantien in den Kantonsverfassungen haben demnach keine selbständige Bedeutung, sofern sie nicht weiter gehen als die bundesrechtliche Gewährleistung. Dass dies für Art. 7 KV zutreffe, behauptet die Beschwerdeführerin mit Recht nicht. Zu prüfen bleibt demnach bloss, ob der angefochtene Entscheid vor dem ungeschriebenen Verfassungsrecht des Bundes standhält.
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Erwägung 3 | |
3.- Das Bundesgericht hat im grundlegenden Entscheid BGE 90 I 36 ausgeführt, dem Grundrecht der persönlichen Freiheit komme insoweit überragende Bedeutung zu, als es als notwendige Voraussetzung für die Ausübung der übrigen verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheitsrechte zu gelten habe; die persönliche Freiheit garantiere somit nicht bloss das Recht auf freie Bewegung bzw. körperliche Unversehrtheit, sondern schütze den Bürger vielmehr auch in der ihm eigenen Fähigkeit, eine bestimmte tatsächliche Begebenheit zu würdigen und danach zu handeln. Mit dieser Rechtsprechung hat sich das Bundesgericht zwar nicht die Auffassung GIACOMETTIS zu eigen gemacht, wonach die Verfassung - unter Vorbehalt ausdrücklicher Ausnahmen - überhaupt jede individuelle Freiheit gewährleistet, die durch einen staatlichen Eingriff je verletzt werden könnte (Z. GIACOMETTI, Die Freiheitsrechtskataloge als Kodifikation der Freiheit, ZSR 74/1955, S. 149 ff.; vgl. dazu auch Y. HANGARTNER, Die Freiheitsgarantie der Bundesverfassung, ZBl 70/1969, S. 337 ff.; kritisch JÖRG P. MÜLLER, Die Grundrechte der Verfassung und der Persönlichkeitsschutz des Privatrechts, Diss. Bern 1964, S. 134 ff., und P. SALADIN, Grundrechte im Wandel, Bern 1970, S. 289 sowie BGE 96 I 107, 223/4). Es hat sich jedoch im erwähnten Urteil BGE 90 I 36 in unzweideutiger Weise zu einer Wertordnung bekannt, die es sich zur Aufgabe macht, "die Menschenwürde und den Eigenwert des Individuums sicherzustellen" (GIACOMETTI a.a.O., S. 165). Die in diesem Sinne institutionell verstandene persönliche Freiheit gewährleistet somit als verfassungsrechtlicher Leitgrundsatz alle Freiheiten, welche elementare Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung des Menschen darstellen; sie bietet auf diese Weise einen umfassenden Grundrechtsschutz, der sich auf den Inhalt und Umfang der übrigen verfassungsmässig gewährleisteten Freiheitsrechte entscheidend auswirkt. Die persönliche Freiheit in diesem Sinne ist zwar mit den andern Freiheitsrechten der Verfassung nicht identisch und kann deshalb grundsätzlich nicht zum Schutz gegen Beschränkungen derselben angerufen werden (BGE 88 I 272); sie gilt indessen als notwendige Voraussetzung für deren Ausübung und wirkt überdies als unmittelbar anwendbares Verfassungsrecht in dem Sinne komplementär, als sich der Bürger in Fällen, in denen kein dem geschriebenen oder ungeschriebenen Verfassungsrecht angehörendes Freiheitsrecht in Frage steht, zum Schutz seiner Persönlichkeit und Menschenwürde auf sie berufen kann.
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Die persönliche Freiheit gehört zum Kreis der unverzichtbaren und unverjährbaren Rechte (BGE 90 I 37 mit Verweisungen). Daraus folgt namentlich, dass der Bürger dem Staate gegenüber nicht zum voraus und endgültig darauf verzichten kann. Das heisst indessen nicht, dass die persönliche Freiheit keinen Beschränkungen unterliegt. Eingriffe sind jedoch nur zulässig, wenn sie auf gesetzlicher Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und wenn sie das Grundrecht überdies weder völlig unterdrücken noch seines Gehalts als fundamentale Institution unserer Rechtsordnung entleeren (BGE 95 I 360 Erw. 2, 91 I 34 Erw. 2, 90 I 36/7). Der Wesenskern der persönlichen Freiheit geniesst somit einen absoluten Schutz. Welche Beschränkungen vor der Freiheitsgarantie standhalten, lässt sich jedoch mit Rücksicht auf die dem Wandel unterworfene ethische Wertordnung und in Anbetracht der sich verändernden Sozialverhältnisse nicht ein für allemal verbindlich festsetzen. Ob staatliche Eingriffe mit der persönlichen Freiheit vereinbar sind, ist vielmehr von Fall zu Fall zu entscheiden (BGE 90 I 37). Als Leitidee hat dabei die Erhaltung eines Staatswesens zu gelten, welches dem Bürger in jedem Fall ein bestimmtes Mindestmass an persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten belässt. Ebenso sind der Entscheidung je nach den Verhältnissen des konkreten Falles die einer rechtsstaatlichen Freiheitsidee entsprechenden philosophischen und ethischen Prinzipien zugrunde zu legen, die jedoch ihrerseits gewissen Wandlungen unterworfen sein können. Weiter hat der Verfassungsrichter bei der Umschreibung der geschützten Freiheitssphäre den Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten und eine Wertung der sich gegenüberstehenden Rechtsgüter und Interessen vorzunehmen. Nicht zuletzt hat er auch rechtsvergleichende Überlegungen anzustellen und nötigenfalls Grundsätze zu berücksichtigen, wie sie den von überstaatlichen Organisationen aufgestellten Normen innewohnen.
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Erwägung 4 | |
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a) Die Beschwerdeführerin steht als Untersuchungsgefangene in einem sog. besonderen Gewaltverhältnis zum Staat. Wohl bedarf die zwangsweise Begründung eines solchen Gewaltverhältnisses (z.B. Eintritt in den Militärdienst, Anstaltsversorgung, Einweisung in eine Strafanstalt) als Beschränkung der individuellen Freiheit in jedem Fall einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage, welche das Bundesgericht frei prüft, wenn die Freiheitsbeschränkung - was für den vorliegenden Fall offensichtlich zutrifft - besonders schwer wiegt (vgl. BGE 90 I 39 Erw. 4 a.E.). Das Bundesgericht hat jedoch stets davon abgesehen, für jede einzelne Beschränkung der persönlichen Freiheit, die sich aus der Natur des in Frage stehenden besonderen Gewaltverhältnisses ergibt, eine entsprechende explizite gesetzliche Grundlage zu verlangen. Die Gewaltunterworfenen haben die sich aus dem Gewaltverhältnis notwendigerweise ergebenden Eingriffe in ihre individuelle Freiheit auf sich zu nehmen, unbekümmert darum, ob sie in einer Norm ausdrücklich vorgesehen sind (vgl. A. GRISEL, Droit administratif suisse, p. 166). Selbst wenn davon auszugehen wäre, es sei in diesem Fall zum mindesten eine gesetzliche Generalklausel erforderlich, welche es dem Gewaltinhaber erlauben würde, die Freiheitssphäre des Gewaltunterworfenen angemessen zu beschränken (vgl. G. KÖHL, Die besonderen Gewaltverhältnisse im öffentlichen Recht, Diss. Zürich 1955, S. 92), so wäre im vorliegenden Fall eine hinreichende gesetzliche Grundlage vorhanden, denn § 76 Abs. 3 StPO sieht vor, dass der Untersuchungsgefangene in seiner Freiheit beschränkt werden darf, soweit es der Zweck der Haft erfordert. Es braucht daher nicht geprüft zu werden, ob sich der umstrittene Arbeitszwang allenfalls unmittelbar auf die von der Justizdirektion angerufenen Bestimmungen der Gefängnisverordnung (§ 60 Abs. 1 in Verbindung mit § 33 Abs. 2 und 3) stützen liesse.
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24 | |
Die Untersuchungshaft bezweckt, die ordnungsgemässe Durchführung einer Strafuntersuchung sicherzustellen; sie soll verhindern, dass der Angeschuldigte sich dem Verfahren durch Flucht entzieht oder dass er die Spuren seiner Straftat verwischen und damit die Abklärung des Sachverhalts vereiteln kann (BGE 96 IV 46; vgl. auch V. SCHWANDER, Das schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Aufl., S. 236 ff.; F. CLERC, La détention avant jugement, in: Recueil de travaux suisses présentés au VIIIe Congrès international de droit comparé, Bâle 1970, p. 396 ss.; MARKUS MEYER, Der Schutz der persönlichen Freiheit im rechtsstaatlichen Strafprozess, Diss. Zürich 1962, S. 94). Die Anordnung der Untersuchungshaft ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft (Bestehen hinreichender Verdachtsgründe, Flucht- oder Kollusionsgefahr) und darf den Betroffenen in seiner individuellen Freiheit nicht weiter beschränken, als es der Zweck der Untersuchung bzw. die Aufrechterhaltung einer vernünftigen Gefängnisordnung erfordert (§ 49 Abs. 1 und § 76 Abs. 3 StPO; vgl. auch Art. 48 Abs. 1 BStP und die Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts zu Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes, z.B. Entscheidungen Bd. 27 S. 219, Bd. 20 S. 49 und 147, Bd. 19 S. 347). Die Untersuchungshaft ist von der Strafhaft, d.h. vom Vollzug einer vom Richter ausgesprochenen Freiheitsstrafe i.S. von Art. 35 ff. StGB streng zu trennen, denn sie bezweckt nach dem Gesagten nicht das gleiche wie diese (vgl. Art. 37 StGB und V. SCHWANDER, a.a.O., S. 168 ff.). Dass die Untersuchungshaft unter bestimmten Voraussetzungen auf die Freiheitsstrafe anzurechnen ist (Art. 69 StGB), ändert daran nichts. Für resozialisierende Massnahmen zum Zwecke der Arbeitserziehung bleibt somit während der Untersuchungshaft kein Raum, denn es kann nicht ernstlich behauptet werden, der Untersuchungsgefangene müsse im Interesse der Strafuntersuchung zur Arbeit verhalten werden. Das Grundrecht der persönlichen Freiheit garantiert vielmehr auch dem Untersuchungsgefangenen das Recht auf freie Beschäftigung, soweit dadurch die Anstaltsordnung nicht gefährdet wird. Die schweizerische Lehre geht denn auch einhellig davon aus, dass der Untersuchungshäftling nicht zur Arbeit gezwungen werden darf (F. CLERC, a.a.O., S. 405; derselbe, Réflexions sur la détention préventive, in: Etudes pénologiques dédiées à la mémoire de Sir Lionel Fox, La Haye, 1964, p.60; MARKUS MEYER a.a.O., S. 138; M. SANDMEIER, Die Untersuchungshaft im Schweiz. Strafprozessrecht, Diss. Bern 1909, S. 178). Zum gleichen Ergebnis gelangen auch die französische Doktrin (vgl. H. DONNEDIEU DE VABRES, Traité de droit criminel, 3e éd. no 1311 p. 752; BOUZAT-PINATEL, Traité de droit pénal et de criminologie, Tome II, Procédure pénale, 1970, no 1282 p. 1224) und die deutsche Lehre (vgl. H. GERLAND, Der deutsche Strafprozess, Leipzig 1927, S. 262; EBERHARDT SCHMIDT, Lehrkommentar zur Strafprozessordnung, Teil II, 1957, N. 8 zu § 116 StPO, S. 304; LÖWE-ROSENBERG-DÜNNEBIER, Die Strafprozessordnung, 21. Aufl., Ergänzungsband 1967, S. 209 unten; BRUN-HAGEN HENNERKES, Die Grundrechte des Untersuchungsgefangenen, Diss. Freiburg i.Br. 1966, S. 116). Ebenso wird die Arbeitspflicht der Untersuchungsgefangenen in Art. 2 Ziff. 2 lit. c des zitierten Genfer Übereinkommens über Zwangs- oder Pflichtarbeit vom 28. Juni 1930 sinngemäss verpönt (vgl. Rapport de la trentehuitième session (1968) de la Commission d'experts pour l'application des conventions et recommendations; Bureau International du Travail, Genève 1968, S. 222). Schliesslich sieht Ziff. 89 der "Règles minima pour le traitement des détenus", wie sie vom "Premier Congrès des Nations Unies pour la Prévention du Crime et le Traitement des Délinquants" (Genève, 22 ao’t - 3 septembre 1955) aufgestellt (vgl. Rapport, New York, 1956, S. 79) und vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinigten Nationen am 31. Juli 1957 genehmigt worden sind (Doc. E/3048, p. 12), ausdrücklich vor, dass Untersuchungsgefangene nicht zur Arbeit verhalten werden dürfen.
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Erwägung 5 | |
5.- Da die Beschwerdeführerin nicht zur Arbeit verpflichtet werden kann, erweist sich die gegen sie verhängte Disziplinarmassnahme als verfassungswidrig. Das Grundrecht der persönlichen Freiheit erheischt, der Beschwerdeführerin während der Untersuchungshaft wie den übrigen Untersuchungsgefangenen das Recht auf freie Beschäftigung zuzuerkennen, wie es der zürcherische Gesetzgeber im übrigen in § 60 Abs. 1 in Verbindung mit § 33 Abs. 2 GefängnisVO ausdrücklich vorgesehen hat. Dabei ist unerheblich, ob die von der Beschwerdeführerin gewählte Beschäftigung als eigentliche Erwerbstätigkeit bezeichnet werden kann oder als blosser Zeitvertreib anzusehen ist. Dass das Malen in der Zelle die Gefängnisordnung in unzulässiger Weise beeinträchtige oder den Zweck der Untersuchung gefährde, wird im übrigen weder von der Gefängnisverwaltung noch von der Justizdirektion behauptet, so dass einer entsprechenden Erlaubnis grundsätzlich nichts entgegensteht. Die Gefängnisverwaltung hat freilich das Recht, der Beschwerdeführerin bestimmte, sich aus den räumlichen Verhältnissen ergebende Beschränkungen aufzuerlegen. Mit Rücksicht darauf ist davon abzusehen, die kantonalen Behörden im Dispositiv des vorliegenden Entscheids in der von der Beschwerdeführerin begehrten allgemeinen Form anzuweisen, ihr das Malen zu gestatten (vgl. oben Erw. 1). Das ändert indessen nichts daran, dass die Gefängnisverwaltung gehalten ist, dem Begehren der Beschwerdeführerin in einem mit der Gefängnisordnung vereinbaren Mass zu entsprechen.
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Entscheid: | |
Demnach erkennt das Bundesgericht: | |
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid der Justizdirektion des Kantons Zürich vom 2. Dezember 1970 aufgehoben.
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