BGE 125 IV 177 - Schreiben an die ECU-Vereinsmitglieder | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
27. Urteil des Kassationshofes |
vom 15. Juni 1999 |
i.S. X. gegen Z. |
(Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 3 Ziff. 1 Abs. 1 StGB, Art. 7 Abs. 1 StGB, Art. 173 ff. StGB. Erfolgsort bei ehrverletzenden Äusserungen in Briefen. |
Schweizerische Gerichtsbarkeit bejaht bei ehrverletzenden Äusserungen in Briefen, die im Ausland verfasst, aus dem Ausland zielgerichtet an individuell bestimmte Personen in der Schweiz versandt und von den Adressaten im Inland zur Kenntnis genommen wurden (E. 2 und 3). |
Art. 27 aStGB. Pressestrafrecht. |
Ehrverletzende Äusserungen in Briefen an die rund 250 Mitglieder eines Vereins fallen nicht unter den Anwendungsbereich dieser Bestimmung (E. 4). | |
Sachverhalt | |
Der ECU ist eine als Verein nach deutschem Recht mit Sitz in Starnberg konstituierte Interessengemeinschaft von mittelständischen Rechtsanwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern. Im Jahre 1994 war der in Starnberg wohnhafte X. Präsident und der in Bern wohnhafte Z. einer der Vizepräsidenten des Vereins und hatte dieser rund 250 Mitglieder in ganz Europa. Die führenden Mitglieder waren in verschiedenen Fragen zerstritten.
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Am 6. Juni 1994 richtete das in Deutschland wohnhafte Vereinsmitglied Y. einen Brief an den Präsidenten. Darin warf sie unter anderen dem Vizepräsidenten Z. vor, zu einem Vernichtungsschlag gegen den Verein angesetzt zu haben, und bat sie den Präsidenten, ein dem Brief beigelegtes Schreiben an alle Vereinsmitglieder zu verteilen. In diesem Schreiben führte Y. unter Bezugnahme auf zwei Vereinsveranstaltungen, an denen sie teilgenommen hatte, unter anderem Folgendes aus:
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"Auf beiden Veranstaltungen habe ich erhebliche und unangenehme Spannungen innerhalb des Verbandes miterleben müssen, die nach meiner Auffassung einzig und allein im profilneurotischen Bestreben insbesondere der Herren ...(Z.)... und ...(W.)... gründen, Herrn Präsidenten ...(X.)... zu entmachten, um selbst den Verband zu führen. Den Herren sind alle Mittel recht, wie teilweise falsche Anschuldigungen bezüglich der Geschäftsführung von ...(X.)... und der geplante Konkursantrag zeigen. Die Tragik am Vorgehen der Herren ...(Z.)... und ...(W.)... besteht in der sicheren Tatsache, dass die beiden Herren die ECU als solche zerstören...."
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Im Schreiben wird abschliessend zur Gründung eines Fördervereins des ECU aufgerufen.
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Dieses Schreiben von Y. sandte der Vereinspräsident X. in der Folge als Beilage zu einem Rundschreiben an alle Vereinsmitglieder, darunter an mindestens zwei Mitglieder in der Schweiz.
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Der Vizepräsident Z. erstattete gegen den Präsidenten X. und das Mitglied Y. Strafanzeige und Strafantrag wegen Ehrverletzung und wegen unlauteren Wettbewerbs.
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Das Obergericht des Kantons Bern stellte mit Entscheid vom 23. Juli 1998 fest, dass der erstinstanzliche Freispruch von X. vom Vorwurf des unlauteren Wettbewerbs in Rechtskraft erwachsen ist, und es verurteilte X. wegen übler Nachrede (im Sinne von Art. 173 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) zu einer Busse von 1'000 Franken, bedingt vorzeitig löschbar bei einer Probezeit von einem Jahr. Es verpflichtete ihn zudem unter Androhung der Straffolgen von Art. 292 StGB, das Urteilsdispositiv nach Eintritt der Rechtskraft den damaligen Mitgliedern des ECU Europe kommentarlos zuzustellen.
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X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Erwägung 1 | |
1.- Der Beschwerdeführer macht geltend, die ihm zur Last gelegte Handlung falle nicht unter den Anwendungsbereich des schweizerischen Strafgesetzbuches, da sie ausschliesslich im Ausland verübt worden sei. Zudem sei die Handlung im Sinne von Art. 27 aStGB durch das Mittel der Druckerpresse begangen worden, und daher sei gemäss dieser Bestimmung die bekannte Verfasserin des Schreibens allein strafrechtlich verantwortlich. Sodann sei die inkriminierte Äusserung nicht ehrverletzend. Sie sei vor dem Hintergrund eines tobenden Machtkampfes um die Vormachtstellung im Verband zu sehen, weshalb, wie bei Äusserungen in einer politischen Auseinandersetzung, mit der Annahme einer Ehrverletzung besondere Zurückhaltung geboten sei. Da sowohl die Verfasserin des Schreibens als auch er selbst als Deutsche in Deutschland lebten, sei auch zu berücksichtigen, dass dort die Messlatte hinsichtlich ehrverletzender Äusserungen wesentlich höher liege. Ausserdem habe er die angeblich ehrverletzende Äusserung nicht im Sinne von Art. 173 Ziff. 1 Abs. 2 StGB "weiterverbreitet". Denn er habe die Ehrverletzung nicht erneuert, sondern sich im Sinne eines rein passiven Verhaltens darauf beschränkt, in seiner Eigenschaft als Vereinspräsident die Meinungsäusserung eines Vereinsmitglieds unverändert und kommentarlos an die übrigen Vereinsmitglieder weiterzuleiten. Der Beschwerdeführer macht ferner geltend, es fehle am Vorsatz. Nachdem er das Schreiben nur quer durchgelesen habe und im Verband zu jener Zeit von beiden Seiten mit harten Bandagen um Macht gekämpft worden sei, sei das fragliche Schreiben nicht ungewöhnlich gewesen und seien ihm die inkriminierten Äusserungen nicht aufgefallen. Zudem könne von ihm nicht verlangt werden, vor dem Versand eines Schreibens an die Vereinsmitglieder in ganz Europa zu prüfen, ob die nach deutschem Recht offensichtlich keine Ehrverletzungen darstellenden Äusserungen nach irgendeiner anderen Rechtsordnung allenfalls als ehrverletzend qualifiziert werden könnten. Schliesslich beruft sich der Beschwerdeführer auf den aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen. Da im fraglichen Schreiben zur Gründung eines Fördervereins zur Rettung des Verbands vor dem drohenden Zerfall aufgerufen worden sei, sei er als Präsident des Verbands geradezu verpflichtet gewesen, das Schreiben an die übrigen Vereinsmitglieder weiterzuleiten.
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Erwägung 2 | |
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Die Rechtsprechung zum Begriff des Erfolgs im Sinne von Art. 7 Abs. 1 StGB ist in BGE 105 IV 326, der wiederholten Kritik von Schultz folgend, geändert worden. Nach diesem Entscheid (betreffend mehrfache Ehe gemäss Art. 215 aStGB) ist "Erfolg" im Sinne von Art. 7 Abs. 1 StGB (und von Art. 346 Abs. 1 StGB) der als Tatbestandselement umschriebene Aussenerfolg eines sogenannten Erfolgsdelikts. Allerdings hat der Kassationshof in BGE 109 IV 1 erkannt, dass beim Betrug auch der Ort, an dem die beabsichtigte Bereicherung eingetreten ist bzw. eintreten sollte, Ort des Erfolgs und damit Begehungsort im Sinne von Art. 7 Abs. 1 StGB sei. Beim Betrug als sogenanntem kupierten Erfolgsdelikt gebe es zwei Erfolge, nämlich einerseits die Schädigung des Vermögens, die eingetreten sein müsse, und andererseits die Bereicherung, welche vom Täter beabsichtigt worden sein müsse (siehe auch BGE 124 IV 241 E. 4c S. 244). In BGE 125 IV 14 betreffend Entziehen von Unmündigen gemäss Art. 220 StGB hat der Kassationshof die schweizerische Gerichtsbarkeit gemäss Art. 7 Abs. 1 StGB mit der Begründung bejaht, dass der Vater, der seine Kinder erlaubterweise nach Ägypten in die Ferien mitgenommen hatte, seine Rechtspflicht zur Rückgabe der Kinder am Wohnsitz der Mutter als Inhaberin der elterlichen Gewalt in der Schweiz erfüllen musste.
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Diese in BGE 102 IV 35 vertretene Auffassung hat der Kassationshof in einem nicht publizierten Urteil vom 24. Dezember 1998 in Sachen N. unter Hinweis auf die in der Zwischenzeit durch BGE 105 IV 326 vorgenommene Änderung der Rechtsprechung zum Begriff des Erfolgs im Sinne von Art. 7 Abs. 1 StGB aufgegeben. Es ging dabei um eine angeblich ehrverletzende Äusserung in einer im Ausland herausgegebenen und gedruckten, auch in der Schweiz vertriebenen (italienischen) Zeitung. Gemäss dem genannten nicht publizierten Urteil sind die üble Nachrede und die Verleumdung keine Erfolgsdelikte, sondern schlichte Tätigkeitsdelikte. Zwar sei zur Tatbestandserfüllung erforderlich, dass ein Dritter von der ehrverletzenden Äusserung Kenntnis erhalten habe. Diese Kenntnisnahme sei aber kein Aussenerfolg im Sinne der sogenannten Erfolgsdelikte, sondern die gleichsam zwingende Folge der vorausgesetzten Tathandlung, die in der Äusserung gegenüber einem Dritten bestehe. Der Kassationshof hat im genannten nicht publizierten Urteil vom 24. Dezember 1998 aus diesen Gründen in ausdrücklicher Abweichung von BGE 102 IV 35 ff. erkannt, dass die in einer im Ausland gedruckten und herausgegebenen Zeitung enthaltene ehrverletzende Äusserung nicht in Anwendung von Art. 3 Ziff. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 StGB der schweizerischen Gerichtsbarkeit unterworfen sei, auch insoweit nicht, als die ausländische Zeitung auch in der Schweiz verbreitet und die ehrverletzende Äusserung somit hier zur Kenntnis genommen werde.
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Erwägung 3 | |
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b) Der Beschwerdeführer hat das Schreiben zielgerichtet, direkt und individuell an mindestens zwei Vereinsmitglieder in der Schweiz persönlich adressiert, welche es in der Schweiz zur Kenntnis genommen haben. Die Kenntnisnahme der Äusserung ist unter diesen Umständen eine Wirkung, die als ausreichender Anknüpfungspunkt für die schweizerische Gerichtsbarkeit erscheint und als ein "Erfolg" im Sinne von Art. 7 Abs. 1 StGB zu qualifizieren ist. Es gibt in diesen Fällen von persönlich adressierten Briefen aus dem Ausland an individuell bestimmte Adressaten in der Schweiz - anders als allenfalls bei Äusserungen in ausländischen Zeitungen und Zeitschriften sowie in ausländischen Massenmedien allgemein keinen sachlichen Grund, die schweizerische Gerichtsbarkeit gemäss Art. 7 Abs. 1 StGB zu verneinen. In der Lehre wird denn auch verschiedentlich der Fall des Versands eines ehrverletzenden Briefes aus dem Ausland in die Schweiz als Beispiel eines grenzüberschreitenden Distanzdelikts genannt, für welches gemäss Art. 7 Abs. 1 StGB schweizerische Gerichtsbarkeit gilt (siehe z.B. THORMANN/VON OVERBECK, Das schweizerische Strafgesetzbuch, Art. 7 N. 1), und bereits Stooss hat in den Verhandlungen der Expertenkommission darauf hingewiesen, dass beispielsweise bestraft werden soll, wer einen verleumderischen Brief vom Ausland her in die Schweiz gesendet hat (Protokoll der Verhandlungen der Expertenkommission vom 20. September 1893, S. 36).
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Die Vorinstanz hat demnach die schweizerische Gerichtsbarkeit mit Recht bejaht.
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Erwägung 4 | |
4.- Der Beschwerdeführer hat als Vereinspräsident das von einem Vereinsmitglied verfasste, vereinsinterne Angelegenheiten betreffende Schreiben in Deutschland vervielfältigt und von Deutschland aus per Post an die insgesamt rund 250 Vereinsmitglieder in ganz Europa verschickt, darunter an mindestens zwei Vereinsmitglieder in der Schweiz. Damit hat er die ihm zur Last gelegte Straftat des Weiterverbreitens einer ehrverletzenden Beschuldigung nicht im Sinne von Art. 27 aStGB durch das Mittel der Druckerpresse begangen. Denn es fehlt am unstreitig erforderlichen Merkmal der Veröffentlichung, weil das interne Angelegenheiten der Interessengemeinschaft von mittelständischen Rechtsanwälten, Steuerberatern etc. betreffende Schreiben ausschliesslich an die rund 250 Vereinsmitglieder persönlich verschickt worden ist. Es ist damit nur an ganz bestimmte Personen abgegeben worden, nicht an jeden beliebigen Interessenten innerhalb eines Kreises, und es war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt (siehe zum Ganzen TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl. 1997, Art. 27 N. 3; FRANZ RIKLIN, Schweizerisches Presserecht, 1996, § 1 N. 7, § 5 N. 83).
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Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob die Sonderregelung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit gemäss Art. 27 aStGB überhaupt auf Presseerzeugnisse, die im Ausland verfasst und gedruckt, aber auch in der Schweiz verbreitet werden, anwendbar sei.
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Da somit Art. 27 aStGB nicht zur Anwendung gelangt, ist der Einwand des Beschwerdeführers unbegründet, dass die bekannte Verfasserin des von ihm versandten Schreibens gemäss dieser Bestimmung allein strafrechtlich verantwortlich sei.
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Erwägung 5 | |
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c) Gemäss einer tatsächlichen Feststellung im angefochtenen Entscheid hat das Beweisergebnis gezeigt, dass die inkriminierten Stellen dem Beschwerdeführer nicht verborgen bleiben konnten. Die Behauptung des Beschwerdeführers, die inkriminierten Äusserungen seien ihm nicht aufgefallen, steht im Widerspruch dazu und ist nicht zu hören. Dass der Beschwerdeführer allenfalls weder wusste noch in Kauf nahm, dass die inkriminierten Äusserungen nach dem schweizerischen Recht, anders als angeblich nach dem deutschen Recht, als strafrechtlich relevante Ehrverletzung qualifiziert werden könnten, ist unerheblich. Das Bewusstsein der Strafbarkeit gehört nicht zum Vorsatz.
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